OGH 2Ob98/89

OGH2Ob98/8931.10.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz S***, Werbekaufmann, Felix-Hahn-Straße 5, 9073 Viktring, vertreten durch Dr. Gerd Tschernitz, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei F*** DER V***, Schwarzenbergplatz 7, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Hans Kreinhöfner, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 1,979.901,90 sA (Revisionsstreitwert S 607.475,47 hinsichtlich der klagenden und S 638.582,- hinsichtlich der beklagten Partei), infolge der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 15. Februar 1989, GZ 2 R 10/89-43, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 4. November 1988, GZ 23 Cg 268/87-37, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Ein Zuspruch von Kosten des Revisionsverfahrens findet nicht statt.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 3. Juli 1958 geborene Kläger wurde am 30. Mai 1986 gegen 23 Uhr in Villach als Fußgänger beim Überqueren der Zeidler von Görz-Straße von einem PKW, dessen Lenker Fahrerflucht beging und nicht ausgeforscht werden konnte, niedergestoßen und schwer verletzt. Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger unter Berufung auf die Bestimmungen des Verkehrsopfergesetzes die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von S 1,979.901,90 sA im wesentlichen mit der Begründung, daß der unbekannt gebliebene PKW-Lenker den Unfall allein verschuldet habe, weil er mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei. Als der Kläger die Fahrbahn betreten habe, sei der PKW noch so weit entfernt gewesen, daß er für ihn keine Gefahr dargestellt habe. Das Begehren des Klägers umfaßte unter anderem einen Betrag von S 650.000,- aus dem Titel des Schmerzengelds, einen Betrag von S 250.000,- aus dem Titel der Verunstaltungsentschädigung und einem Betrag von S 534.776,- an dem Kläger, der zur Unfallszeit nicht sozialversichert war, vorgeschriebenen Krankenhauskosten. Die Beklagte wendete dem Grunde nach im wesentlichen ein, daß den Kläger ein mit einem Drittel zu bewertendes Mitverschulden treffe, weil er die Fahrbahn für den PKW-Lenker überraschend betreten habe, als sich der PKW schon so weit genähert gehabt habe, daß der Kläger mit einem gefahrlosen Überqueren der Fahrbahn nicht mehr rechnen habe können. Dem Kläger gebühre nur ein Schmerzengeld von S 300.000,- und eine Verunstaltungsentschädigung von S 100.000,-. Den Ersatz der ihm vorgeschriebenen Krankenhauskosten, die er noch nicht bezahlt habe, könne der Kläger von der Beklagten nicht verlangen. Diese Kosten seien dem Kläger vom zuständigen Fürsorgeträger zu ersetzen und ersetzt worden; die Schadenersatzforderung auf Ersatz seiner Heilungskosten sei auf das L*** K*** übergegangen, weshalb der Kläger zur Geltendmachung der Heilungskosten nicht aktiv klagslegitimiert sei.

Dem gegenüber behauptete der Kläger, das L*** K*** habe ihm den nach § 48 KAG übergegangenen Anspruch auf Ersatz von Heilungskosten rückzediert und die ihm vorgeschriebenen Krankenhauskosten fälliggestellt.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung von S 1,929.901,97 sA an den Kläger und wies dessen auf Zahlung eines weiteren Betrags von S 50.000,- sA gerichtetes Mehrbegehren ab. Es stellte, soweit für die im Revisionsverfahren noch strittigen Fragen von Bedeutung, im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die Zeidler von Görz-Straße verläuft im Ortsgebiet von Villach in Fahrtrichtung des unbekannt gebliebenen PKW-Lenkers von Osten nach Westen entlang des nördlich daran anschließenden Eisenbahngeländes. Von ihr zweigt in Richtung Süden annähernd rechtwinkelig eine unbenannte Verbindungsstraße zur Klagenfurter Straße ab. Die Verlängerung der westlichen Gesteigkante dieser Verbindungsstraße in Richtung Norden wurde als Bezugslinie angenommen.

Die Zeidler von Görz-Straße ist 8,2 m, die Verbindungsstraße etwa 9 m breit. An den westlichen Fahrbahnrand der Verbindungsstraße schließt ein Gehsteig an. In der Zeidler von Görz-Straße schließt an den südlichen Fahrbahnrand östlich und westlich der Verbindungsstraße ein Gehsteig an, ebenso an den nördlichen Fahrbahnrand westlich der Verbindungsstraße. Nördlich gegenüber der Verbindungsstraße führt von der Zeidler von Görz-Straße ein 8 m breites Einfahrtstor 2 m nördlich des nördlichen Fahrbahnrands in das Gelände des Frachtenbahnhofs. Die Zeidler von Görz-Straße wird durch am südlichen Gehsteig stehende Peitschenleuchten beleuchtet. Je eine Peitschenleuchte steht 11 m westlich und 29 m östlich der Bezugslinie.

Die Unfallstelle liegt im Bereich der Bezugslinie auf der nördlichen Fahrbahnhälfte der Zeidler von Görz-Straße. Sie kann aus Osten aus einer Entfernung von mindestens 100 m eingesehen werden. Zur Unfallszeit befand sich der Kläger auf dem Weg von einem südlich der Klagenfurter Straße gelegenen Gastlokal, wo er das Abendessen eingenommen und zwei oder drei Gläser Bier getrunken hatte, zum Bahnhof, um mit dem Zug nach Hause zu fahren. Er benützte den westlichen Gehsteig der Verbindungsstraße und blieb stehen, als er zur Zeidler von Görz-Straße kam. Nachdem zwei auf der Zeidler von Görz-Straße in Richtung Osten fahrende Personenkraftwagen die spätere Unfallstelle passiert hatten, trat der Kläger vom Gehsteig auf die Fahrbahn der Zeidler von Görz-Straße, um diese senkrecht in Richtung Norden zu überqueren. Der Kläger ging schnell mit einer Geschwindigkeit von 2,3 m/sec. Mittlerweise näherte sich der unbekannt gebliebene PKW-Lenker der Unfallstelle auf der Zeidler von Görz-Straße von Osten kommend mit einer Geschwindigkeit von zumindest 60 km/h. Der Kläger wurde vom PKW erfaßt, nachdem er auf der Fahrbahn eine Strecke von 7 m zurückgelegt hatte, wofür er rund 3 Sekunden benötigte. Der PKW war 3 Sekunden vor dem Unfall 50 m vom Unfallspunkt entfernt. Die Berührung zwischen dem PKW und dem Kläger erfolgte in Form einer sogenannten "harten Streifung". Der Kläger wurde von der rechten vorderen Ecke des PKW am Gesäß streifend getroffen und auf den nördlichen Gehsteig geworfen. Die Anstoßgeschwindigkeit des PKW lag über 50 km/h.

Aus einer Geschwindigkeit von 60 km/h wäre dem Lenker des PKW ein Anhalten vor der Unfallstelle möglich gewesen. Für ihn hätte bei einer mittleren Bremsverzögerung von 7,5 m/sec2 und einer Vorbremszeit von einer Sekunde der Anhalteweg 35,2 m (darin reiner Bremsweg 18,5 m) und die Anhaltezeit 3,22 Sekunden betragen. Aus einer Geschwindigkeit von 50 km/h hätte der Anhalteweg 26,8 m (darin reiner Bremsweg 12,9 m) und die Anhaltezeit 2,85 Sekunden betragen. Zur Vermeidung des Unfalls hätte eine wesentlich geringere Bremsverzögerung ausgereicht.

Der Kläger erlitt bei diesem Unfall eine Gehirnerschütterung, einen Bruch des oberen und unteren Schambeinasts rechts mit Lösung des Kreuzbein-Darmbeingelenks, eine Blasenruptur, einen Bruch des linken Oberarms, Risse des äußeren Seitenbands und des vorderen und hinteren Kreuzbands am linken Kniegelenk, eine Rißquetschwunde in der linken Leistengegend, eine ausgedehnte Blutung am linken Unterschenkel, mehrfache Hautabschürfungen und einen Arterienriß und Nervenrisse im Bereich des linken Knies.

Der Kläger befand sich zunächst vom 30. Mai bis 5. November 1986 in stationärer Behandlung des Landeskrankenhauses Klagenfurt. Um das linke Bein zu erhalten, wurde die Beinarterie mit einem Interponat überdeckt. Der abgerissene innere Meniskus mußte entfernt werden. Das Kniegelenk wurde mit einem Fixateur extern ruhiggestellt. Der Wadenbeinnerv war abgerissen; eine Nervenplastik war zu einem späteren Zeitpunkt vorgesehen. Alle diese Maßnahmen waren von vornherein nur ein Versuch, das linke Bein zu erhalten. In derselben Narkose wurden die Blasenruptur und die Schambeinastfrakturen versorgt. Wegen auftretender Komplikationen mußte eine weitere Operation der rekonstruierten Gefäße vorgenommen werden. Eine weitere Operation war auch bei den Schambeinastfrakturen erforderlich. Am Becken wurde am 6. Juni 1986 ebenfalls ein Fixateur extern angelegt. Es folgte eine Hauttransplantation im Bereich des linken Unterschenkels am 24. Juni 1986. Am gleichen Tag wurde der Bruch des linken Oberarms operativ behandelt (Verplattung). Am 11. Juli 1986 wurde der Fixateur extern am linken Unterschenkel abgenommen und das Bein auf einer Schiene gelagert; am 21. Juli 1986 wurde der Fixateur vom Becken entfernt. Am 2. September 1986 durfte der Kläger mit Armstützkrücken gehen. Es folgten eine Nervenplastik und die Anlegung eines Fixateurs am linken Sprunggelenk, der nach 25 Tagen wieder abgenommen wurde. Am 5. November 1986 wurde der Kläger entlassen; er war mit einem Stock gehfähig. Das linke Kniegelenk war noch nicht stabil; es waren noch mehrere Operationen vorgesehen.

Am 24. Dezember 1986 war der Kläger neuerlich einige Tage in stationärer Krankenhausbehandlung. Eine Wunde am linken Vorfuß war aufgeplatzt und hatte stark geblutet. Der Fuß war geschwollen; es entleerten sich wässriges Blut und Eiter.

Vom 29. Jänner bis 13. März 1987 war der Kläger neuerlich in stationärer Behandlung; am 29. Jänner 1987 wurde das linke Bein am Oberschenkel amputiert.

Bei der Untersuchung am 19. Oktober 1987 zeigte sich der linke Oberarm des Klägers äußerlich wie vor dem Unfall. Der linke Oberarm ist infolge eines Bruchs, den der Kläger im Alter von 12 Jahren bei einem Fahrradunfall erlitten hatte, gelähmt. Die nach dem Unfall vom 30. Mai 1986 eingesetzte Platte ist noch im Knochen. Vom Einsetzen dieser Platte besteht eine 27 cm lange Narbe an der Außenseite des Oberarms. Nach der Beinamputation besteht ein Amputationsstumpf in der Länge von 31 cm. An der Innenseite des rechten Oberschenkels besteht eine ausgedehnte Operationsnarbe nach einer Venentransplantatentnahme; die Streckseite ist mit ausgedehnten Hauttransplantatentnahmestellen bedeckt. Der rechte Unterschenkel ist etwas geschwollen; der Kläger trägt einen Stützstrumpf. Am rechten Unterschenkel finden sich Operationsnarben nach Entnahme von Nerventransplantaten. Am Unterbauch befindet sich eine 17 cm lange Narbe von der operativen Versorgung der Blasenruptur und des Beckenbruchs.

Der Kläger trägt eine Gußharzsaugprothese und kann mit ihr ohne Stock bis zu einer Stunde lang gehen. Er trägt die Prothese 10 Stunden am Tag.

Die Amputation des linken Oberschenkels entspricht einer Invalidität von 70 %; die Folgen der Beckenringfraktur und der Blasenruptur erhöhen das Ausmaß der Invalidität des Klägers auf rund 80 %. Insgesamt war der Kläger 275 Tage in stationärer Behandlung; er mußte sich 7 vorwiegend großen Operationen unterziehen. Er hatte (komprimiert) 21 Tage starke, 35 Tage mittlere und 100 bis 120 Tage leichte Schmerzen zu ertragen. Die noch zu erwartende operative Entfernung des Osteosynthesematerials aus dem linken Oberarm und dem Becken ist (komprimiert) mit einem Tag starken, 2 Tagen mittleren und 3 Tagen leichten Schmerzen verbunden.

Der Kläger war zur Unfallszeit nicht sozialversichert. Die Krankenheil- und -pflegeanstalten des L*** K*** verrechnet dem Kläger an unfallsbedingten Pflegegebühren insgesamt S 534.776,-. Der Kläger hat diese Rechnung bisher nicht bezahlt; auch von dritter Seite hat der Kläger keine Leistungen zum Zweck der Zahlung dieser Rechnungen bekommen. Das Amt der Kärntner Landesregierung hat vom Kläger die fälligen Pflege- und Ambulanzgebühren gefordert. Mit Erklärung vom 5. Mai 1988 zedierte das Amt der Kärntner Landesregierung die dem L*** K*** nach § 48 KAG allenfalls zustehende Forderung an Pflege- und Ambulanzgebühren von zusammen S 534.776,- dem Kläger und ermächtigte ihn, diese Forderung im eigenen Namen gegenüber, einem allenfalls zahlungspflichtigen Dritten geltend zu machen.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß das Alleinverschulden an dem Unfall vom 30. Mai 1986 den Lenker des unbekannt gebliebenen PKW treffe, daß das dem Kläger zustehende Schmerzengeld mit S 650.000,-

und die ihm zustehende Verunstaltungsentschädigung mit S 200.000,-

zu bemessen sei und daß der Kläger berechtigt sei, die ihm vorgeschriebenen Pflegegebühren von der Beklagten ersetzt zu verlangen.

Der gegen diese Entscheidung des Erstgerichts gerichteten Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil teilweise Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, daß es dem Kläger einen Betrag von S 1,322.426,50 sA zusprach und sein auf Zahlung eines weiteren Betrags von S 657.475,47 sA gerichtetes Mehrbegehren abwies. Das Berufungsgericht führte, ausgehend von den unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Erstgerichts, rechtlich im wesentlichen aus, daß ein Fußgänger bei der Benützung der Fahrbahn in erster Linie selbst auf seine Sicherheit zu achten habe. Die Fahrbahn sei in erster Linie für den Fahrzeugverkehr bestimmt. Vor ihrem Betreten habe der Fußgänger demnach sorgfältig zu prüfen, ob er die Straße noch vor dem Eintreffen eines Kraftfahrzeugs mit Sicherheit überschreiten könne. Der Kläger habe die Bestimmung des § 76 Abs 5 StVO mißachtet. Danach habe er den Fahrzeugverkehr nicht behindern dürfen. Der Fußgänger müsse sich auch bei Erreichen der Fahrbahnmitte nochmals vergewissern, ob sich nicht von seiner rechten Seite ein Fahrzeug nähere, und müsse stehenbleiben, wenn ein Fahrzeug schon so weit herangekommen sei, daß er die Fahrbahn nicht mehr vor diesem gefahrlos überschreiten könne. Der Fußgänger sei im Zweifel verpflichtet, mit dem Überqueren der Fahrbahn innezuhalten und das Vorbeifahren des sich rasch nähernden Fahrzeugs abzuwarten. Der Kläger habe offensichtlich dem bei Betreten der Fahrbahn nur mehr 50 m entfernten Fahrzeug kein oder zu wenig Augenmerk zugewendet.

Der unbekannte Fahrzeuglenker hingegen habe auch unter Annahme der für ihn günstigsten Variante die zulässige Geschwindigkeit von 50 km/h deutlich überschritten, indem er eine Fahrgeschwindigkeit von mindestens 60 km/h eingehalten habe. Er habe überdies auf die Fahrbahnüberquerung durch den Kläger nicht bzw nicht rechtzeitig reagiert und durch sein Verhalten gegen § 20 StVO verstoßen. Dies rechtfertige eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 3 : 1 zu Gunsten des Klägers. Der Kläger müsse sich daher eine Kürzung seiner Ansprüche um 25 % gefallen lassen.

Der auf § 1325 ABGB gegründete Anspruch auf Ersatz der Heilungskosten des verletzten Klägers setze die vorherige Zahlung (Aufwendung) dieser Kosten durch den Verletzten nicht voraus. Der Kläger sei zur Unfallszeit nicht sozialversichert gewesen. Gemäß § 27 Abs 1 und Abs 5 KAG in Verbindung mit § 45 Abs 1 der Kärntner Krankenanstaltenordnung (KtnKAO) hafte der Kläger selbst dem L*** K*** als Träger der Krankenanstalt (des Landeskrankenhauses Klagenfurt) für dessen öffentlichrechtliche Pflegegebührenforderung; diese sei gemäß § 30 KAG in Verbindung mit den §§ 50 bis 52 KtnKAO beim Kläger (dem Pflegling bzw Behandelten) einzubringen. Diese Pflegegebührenschuld des nicht sozialversicherten Klägers begründe demnach dessen Ersatzanspruch gegenüber der Beklagten gemäß § 1 Abs 1 und Abs 2 sowie § 3 Abs 1 Z 1 VerkehrsopferG. Der Kläger sei selbst zur Geltendmachung dieses Anspruchs legitimiert. Ein Forderungsübergang auf den Sozialversicherungsträger nach den §§ 332 ff ASVG oder anderen einschlägigen sozialversicherungsrechtlichen Normen würde zwar im Umfang der Bezahlung durch den Sozialversicherungsträger eintreten und diesfalls dem Geschädigten die Anspruchslegitimation nehmen; derartiges komme aber im vorliegenden Fall nicht in Betracht, weil der Kläger nicht sozialversichert gewesen sei und daher auch kein Sozialversicherungsträger für seine Pflegekosten aufgekommen sei. Die Möglichkeit des Übergangs einer Forderung des Verletzten nach dem Verkehrsopfergesetz auf den Sozialversicherungsträger sei vom Gesetzgeber selbst ausdrücklich verneint worden, indem er im Gesetz selbst (§ 3 Abs 1 ) und in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebracht habe, daß mit Rücksicht auf die Beschränkung der Anspruchsberechtigten durch § 3 VerkehrsopferG Regreßansprüche von Sozialversicherungsträgern ausgenommen blieben. Warum für Forderungen des Krankenanstaltenträgers anderes gelten solle, sei nicht ersichtlich. Der Krankenanstaltenträger bekomme die Pflegegebühren (Kosten der Behandlung im Krankenhaus) im Regelfall vom Sozialversicherungsträger ersetzt. Hafte dieser aber - wie im vorliegenden Fall - nicht, so habe der Behandelte selbst die Pflegekosten zu tragen. Soweit sie bei ihm nicht einbringlich seien, bestehe gemäß § 48 KAG ein Regreßanspruch gegenüber dem Schädiger (dem Dritten, der den Unfall verschuldet habe), aber eben nicht gegenüber dem Fachverband, durch dessen Leistungen ja nur Härten ausgeglichen würden. Im vorliegenden Fall hafte das Opfer (der Kläger) für die Kosten seiner Krankenhausbehandlung selbst und deshalb habe die Beklagte ihn diesbezüglich zu entlasten, das heißt ihm die Pflegegebühren zu ersetzen.

Daraus folge, daß die Beklagte für den der Höhe nach nicht strittigen Pflegegebührenaufwand für die Krankenhausbehandlung des Klägers von S 534.776,- diesem im Umfang von drei Vierteln ersatzpflichtig sei.

Unter Berücksichtigung aller vom Erstgericht festgestellten besonderen Umstände sei das dem Kläger gebührende Schmerzengeld mit (ungekürzt) S 600.000,- zu bemessen.

Für den Beinverlust (die Oberschenkelamputation) des Klägers als eines 28jährigen noch unverheirateten und als Werbekaufmann berufstätigen Mannes erscheine eine Entschädigung wegen der Behinderung des besseren Fortkommens (Heirats- und Berufsaussichten) in der Höhe von (ungekürzt) S 150.000,- angemessen. Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richten sich die Revisionen beider Streitteile. Der Kläger bekämpft sie im Umfang der Abweisung seines Begehrens mit einem Betrag von S 607.475,47 sA aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts abzuändern. Die Beklagte bekämpft die Entscheidung des Berufungsgerichts im Umfang der Stattgebung des Klagebegehrens mit einem Betrag von S 638.582,- sA gleichfalls aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, "daß der Betrag von S 638.582,- samt Zinsen abgewiesen werde"; hilfsweise stellt sie Aufhebungsanträge im Umfang der Stattgebung des Klagebegehrens mit einem Betrag von S 401.082,-.

Beide Streitteile haben Revisionsbeantwortungen mit dem Antrag erstattet, der Revision des Gegners keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionen sind zulässig, sachlich aber nicht berechtigt.

I) Zur Frage der Schadensteilung:

Der Kläger versucht in seiner Revision sinngemäß darzutun, daß ihm kein Mitverschulden an dem Unfall anzulasten sei, weil die Überdeckung zwischen ihm und dem PKW nur gering gewesen sei und ihm daher nur eine geringfügige Fehleinschätzung angelastet werden könne. Dem kann nicht gefolgt werden.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß sich ein Fußgänger beim Überqueren einer breiten Fahrbahn bei Erreichung ihrer Mitte neuerlich zu vergewissern hat, ob sich nicht inzwischen ein Fahrzeug genähert hat und daß er in dieser Position stehenbleiben muß, wenn ein Fahrzeug schon so nahe ist, daß er die Fahrbahn vor diesem nicht mehr gefahrlos überschreiten kann (ZVR 1985/107; ZVR 1987/124; ZVR 1988/28 uva).

Geht man von den Feststellungen der Vorinstanzen aus, dann benötigte der Kläger vom Betreten der Fahrbahn bis zur Fahrbahnmitte der Zeidler von Görz-Straße rund 1,8 Sekunden. In dieser Zeit hatte sich der PKW, der beim Betreten der Fahrbahn durch den Kläger noch rund 50 m von der Unfallstelle entfernt war, bereits auf eine Entfernung von rund 20 m genähert, ohne daß seine Geschwindigkeit herabgesetzt oder sonst auf das Verhalten des Klägers reagiert worden wäre. Unter diesen Umständen konnte aber der Kläger jedenfalls bei Erreichen der Fahrbahnmitte keinesfalls mehr damit rechnen, die Fahrbahn vor diesem herankommenden Fahrzeug noch gefahrlos überqueren zu können. Wenn er unter diesen Umständen seinen Weg über die Fahrbahn fortsetzte, begründet dies einen schuldhaften Verstoß gegen die im § 76 Abs 5 StVO normierte Verpflichtung des Klägers, bei der Überquerung der Fahrbahn den Fahrzeugverkehr nicht zu behindern, der auch gegenüber dem dem Lenker des unbekannt gebliebenen PKW anzulastenden Fehlverhalten (Verstoß gegen § 20 Abs 2 StVO und reaktionsloses Weiterfahren trotz Erkennbarkeit des Verhaltens des Klägers) nicht derart in den Hintergrund tritt, daß er vollkommen zu vernachlässigen wäre. Er rechtfertigt vielmehr nach den Umständen des vorliegenden Falls durchaus die vom Berufungsgericht vorgenommene Schadensteilung im Verhältnis von 3 : 1 zu Gunsten des Klägers.

II) Zur Ersatzpflicht der Beklagten bezüglich der dem Kläger vorgeschriebenen Krankenhauskosten:

Hier versucht die Beklagte in ihrer Rechtsrüge darzutun, daß sie dem Kläger diese Kosten nicht zu ersetzen habe, weil sie der Kläger selbst noch nicht bezahlt habe.

Auch dem ist nicht zu folgen.

Es entspricht zunächst ständiger Rechtsprechung, daß der Anspruch auf Ersatz von Heilungskosten, wozu auch die Kosten der erforderlichen Spitalsbehandlung zählen, schon mit der Körperverletzung und deren Folgen existent wird und daß daher der Geschädigte grundsätzlich auch noch nicht aufgewendete (bezahlte) Heilungskosten vom Schädiger ersetzt verlangen kann (ZVR 1958/207; ZVR 1976/264; ZVR 1988/71 uva).

Die von der Beklagten nach den Bestimmungen des Verkehrsopfergesetzes zu erbringenden Leistungen umfassen auch Heilungskosten des Geschädigten (vgl ZVR 1979/184). Gewiß ist anspruchsberechtigt nur eine Person, die durch ein Schadensereignis im Sinne des § 2 Abs 1 dieses Gesetzes eine Körperverletzung oder sonstige Gesundheitsschädigungen erlitten hat

(§ 3 Abs 1 Z 1 VerkehrsopferG). In den Gesetzesmaterialien (RV 506 BlgNR 14.GP 4) wird dazu ausgeführt, daß es der Zweck des Entwurfs, die Opfer von Straßenverkehrsunfällen in bestimmten Härtefällen zu entschädigen, notwendig mache, den Kreis der Anspruchsberechtigten auf die verletzten Personen einzuschränken; ausgenommen blieben also insbesondere Regreßansprüche von Sozialversicherungsträgern. Daraus ergibt sich, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, daß im Fall eines nicht sozialversicherten Verletzten, der selbst zum Ersatz von Pflegegebühren verpflichtet ist, die im § 48 KAG normierte Legalzession der Geltendmachung von Ansprüchen nach dem Verkehrsopfergesetz gegen den Fachverband nicht entgegensteht, weil sie sich nicht auf Ansprüche des Verletzten nach dem Verkehrsopfergesetz gegen den Fachverband bezieht, sondern auf Schadenersatzansprüche des Verletzten gegen den (unbekannt gebliebenen) Schädiger. Es kann dem Gesetzgeber keinesfalls unterstellt werden, mit der Vorschrift des § 48 KAG den Übergang von Ansprüchen des Verletzten auf den Rechtsträger der Krankenanstalt angeordnet zu haben, die nur der Verletzte selbst stellen kann und deren Geltendmachung durch den Rechtsträger ausgeschlossen wäre. Im übrigen sind Entschädigungsansprüche nach dem Verkehrsopfergesetz originäre Ansprüche des Verletzten. Die von der Beklagten vertretene Rechtsansicht würde im Ergebnis dazu führen, daß vom Verletzten selbst zu tragende Krankenhauskosten erst dann nach den Bestimmungen des Verkehrsopfergesetzes zu ersetzen wären, wenn sie vom Verletzten bezahlt oder bei ihm einbringlich gemacht wurden. Dies widerspricht aber nicht nur dem erwähnten Zweck des Verkehrsopfergesetzes, sondern auch der eingangs wiedergegebenen ständigen Rechtsprechung, von der abzugehen kein Anlaß besteht.

Mit Recht haben daher die Vorinstanzen die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung der dem Kläger vorgeschriebenen Krankenhauskosten von S 534.776,-, die der Höhe nach nicht strittig sind, bejaht.

III) Zur Höhe des Schmerzengelds und der Verunstaltungsentschädigung:

Der Kläger versucht in seiner Revision darzutun, daß ihm ein Schmerzengeld von S 650.000,- und eine Verunstaltungsentschädigung von S 200.000,- gebühre; dem gegenüber stellt sich die Beklagte in ihrem Rechtsmittel auf den Standpunkt, daß das Schmerzengeld nur mit S 500.000,- und die Verunstaltungsentschädigung nur mit S 100.000,-

auszumessen sei.

Beidem ist nicht zu folgen.

Unter Berücksichtigung der im vorliegenden Fall festgestellten Umstände, insbesondere der Art und der Schwere der Verletzungen des Klägers, des komplizierten Heilungsverlaufs und der verbliebenen Unfallsfolgen, der Art und des Grads der Verunstaltung des Klägers und des Grads der Wahrscheinlichkeit einer Behinderung seines besseren Fortkommens infolge dieser Verunstaltung ist darin, daß das Berufungsgericht den Schmerzengeldanspruch des Klägers mit (ungekürzt) S 600.000,- und die ihm zustehende Verunstaltungsentschädigung mit (ungekürzt) S 150.000,- bemessen hat, ein Rechtsirrtum nicht zu erkennen.

Den Revisionen beider Streitteile muß daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Kosten ihrer erfolglosen Rechtsmittel haben beide Streitteile selbst zu tragen; hingegen haben sie Anspruch auf Ersatz der Kosten der von ihnen erstatteten Revisionsbeantwortungen. Da diese Kosten aber fast völlig gleich hoch sind, hat ein Zuspruch von Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erfolgen.

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