OGH 15Os115/89

OGH15Os115/8910.10.1989

Der Oberste Gerichtshof hat am 10.Oktober 1989 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Felzmann, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Teply als Schriftführer in der Strafsache gegen Kurt R*** und Christa R*** wegen des Vergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Kurt R*** gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 13.Juli 1989, GZ 10 Vr 143/89-23, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben: das angefochtene Urteil, welches im Freispruch unberührt bleibt, wird im Schuldspruch aufgehoben; die Sache wird zur ergänzenden Entscheidung über den Antrag des Angeklagten Kurt R*** auf Beigebung eines (auch zur Erhebung des Einspruchs gegen die Anklageschrift berechtigten) Verteidigers nach § 41 Abs. 2 StPO durch den Untersuchungsrichter sowie zu (danach) allenfalls neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen. Mit seiner Berufung wird der genannte Angeklagte darauf verwiesen.

Text

Gründe:

Kurt R*** wurde mit dem (auch einen Freispruch seiner Gattin enthaltenden) bekämpften Urteil des (in bezug auf die Jahre 1974 bis einschließlich 1979 begangenen) Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 (iVm Abs. 3 lit. a und b) FinStrG schuldig erkannt.

Rechtliche Beurteilung

Seiner dagegen erhobenen, auf § 281 Abs. 1 Z 3, 4, 5 und 9 lit. a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde kommt Berechtigung zu. Nicht stichhältig ist allerdings die Beschwerdeansicht, daß Umsatzsteuer-Leistungen des Angeklagten auf Grund fingierter Rechnungen, die er jeweils ausgestellt, verbucht und versteuert habe, um vorausgegangene Hinterziehungen zu kompensieren, von dem ihm angelasteten strafbestimmenden Wertbetrag hätten in Abzug gebracht werden müssen.

Denn strafbestimmend (hier: § 53 Abs. 1 lit. b FinstrG) ist die Höhe des Verkürzungsbetrages (§ 33 Abs. 5 FinStrG), also der Differenz zwischen der letztlich festgestellten wahren Abgabenschuld und deren ursprünglich zu niedriger Festsetzung (Abs. 3 lit. a) oder Entrichtung (Abs. 3 lit. b) zur Zeit dieser Verkürzung, und nicht etwa das Ausmaß der betreffenden Abgabenschuld zu irgend einem späteren Zeitpunkt; für eine "Gesamtwürdigung" des Täterverhaltens im Tatzeitraum durch die Berücksichtigung einer "Schadensgutmachung" im Weg einer "Kompensation" ist insoweit, der Beschwerdeauffassung zuwider, kein Raum.

Die darauf bezogene Verfahrensrüge (Z 4) und die Rechtsrüge (Z 9 lit. a) gehen daher fehl.

Mit seiner einleitenden Verfahrensrüge (Z 3) hingegen ist der Beschwerdeführer im Recht.

Nach Zustellung der Anklageschrift an ihn (S 4) hatte er innerhalb der Einspruchsfrist (§ 209 Abs. 2 StPO) beantragt, ihm "einen unentgeltlichen Verteidiger zu nennen" (ON 9). Eine Einschränkung dieses Begehrens um Beigebung eines Verteidigers (nach § 41 Abs. 2 StPO) auf ein solches um eine Beigebung lediglich für einzelne Verfahrensphasen oder Prozeßhandlungen ist der betreffenden Eingabe nicht zu entnehmen; kommt doch in der Bezugnahme auf eine vorausgegangene, damals zudem gar nicht aktenkundig gewesene (telefonische) Besprechung ("... bitte Sie, wie besprochen, ...") nach dem vom Untersuchungsrichter später berichteten Inhalt jenes Telefonates (ON 20) in Verbindung mit den Bekundungen des Antragstellers dazu in der Verhandlung (S 84 bis 89) entgegen der Auffassung des Erstgenannten durchaus nicht mit der für eine Verwertung prozessualer Erklärungen zum Nachteil des Angeklagten erforderlichen Deutlichkeit zum Ausdruck, daß letzterer auch mit seiner nunmehrigen Antragstellung (ON 9) die Beigebung eines Verteidigers nur für die Hauptverhandlung anstrebe, zumal er vorher mit seiner relevierten, in der Gegenwartsform abgegebenen telefonischen Erklärung, er "erhebe" keinen Einspruch, abermals der Ansicht des Untersuchungsrichters zuwider, keineswegs "ausdrücklich" (§ 210 Abs. 1 StPO) auch für die Zukunft darauf verzichtet hatte. War aber demnach zur Zeit des (nach dem Gesagten sogleich aktuellen) Antrags nach § 41 Abs 2 StPO die Frist zur Erhebung des Einspruchs gegen die Anklageschrift - unbeschadet der Frage, ob ein Verzicht auf telefonischem Weg überhaupt möglich gewesen wäre (in bezug auf Rechtsmittelanmeldungen gegenteilig: ÖJZ-LSK 1982/101 uva) - jedenfalls noch offen, dann wurde sie durch diese Antragstellung bis zu der (die Unterbrechung des Fristenlaufs bewirkenden) Entscheidung darüber in ihrem Ablauf gehemmt (§ 43 a StPO).

Die damit eingetretene Hemmung ist nach wie vor wirksam: denn der Untersuchungsrichter überließ in der irrigen Ansicht, der Beschwerdeführer habe bereits vorher auf einen Einspruch verzichtet und (mit ON 9) bloß für die Hauptverhandlung die Beigebung eines Verteidigers beantragt (ON 20), die Beschlußfassung darüber dem Schöffengerichts-Vorsitzenden, der seinerseits, zu Unrecht vom Vorliegen einer rechtskräftigen Anklage ausgehend, nur in jenem eingeschränkten Umfang entschied (S 3 a), sodaß der damit beigegebene Verteidiger zur Einspruchserhebung nicht legitimiert war; und auch der Schöffensenat, der nach den darauf bezogenen Einwänden des Verteidigers (S 73) die Veranlassung einer ergänzenden Entscheidung über den Beigebungsantrag durch den Untersuchungsrichter ins Auge gefaßt hatte (S 75), nahm letztlich davon Abstand und schloß sich der von jenem vertretenen verfehlten Rechtsansicht an (US 10).

Im Hinblick darauf aber, daß die Hauptverhandlung erst nach rechtskräftiger Versetzung des Beschuldigten in den Anklagestand (§ 219 StPO) angeordnet werden darf, kann auch die Vorbereitungsfrist nach § 221 Abs. 1 StPO erst nach diesem Zeitpunkt zu laufen beginnen; die Anberaumung und Durchführung der Verhandlung über eine Anklage vor deren Rechtskraft führt deshalb infolge der damit verbundenen Verletzung der zuletzt relevierten Verfahrensvorschrift zur Urteilsnichtigkeit nach § 281 Abs. 1 Z 3 StPO (vgl. ÖJZ-LSK 1980/80 mit Bezug auf SSt 9/93). Die Möglichkeit eines dem Angeklagten nachteiligen Einflusses der von ihm zutreffend gerügten Gesetzesverletzung auf die Entscheidung (§ 281 Abs. 3 StPO) kann im vorliegenden Fall umsoweniger ausgeschlossen werden (vgl. auch EvBl. 1976/135), als das ihm unter den Punkten I.2. und III.1. des Anklage-Tenors (vom Anzeige-Sachverhalt laut ON 2 und von der Anklagebegründung laut AS 36 abweichend) vorgeworfene (und mit gleicher Formulierung auch von den Punkten I.2. und II.1. des Schuldspruch-Tenors erfaßte) Tatverhalten - wonach die damit inkriminierten Abgabenverkürzungen teils durch die zu niedrige Festsetzung von selbst zu berechnenden Abgaben und teils durch die gänzliche oder teilweise Nichtentrichtung von bescheidmäßig festzusetzenden Abgaben bewirkt wurde - weder nach lit. a noch nach lit. b des § 33 Abs. 3 FinStrG dem Begriff einer nach Abs. 1 dieser Strafbestimmung tatbestandsmäßigen Abgabenverkürzung entspricht.

In Stattgebung der insofern berechtigten Nichtigkeitsbeschwerde war daher nach Anhörung der Generalprokuratur schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort wie im Spruch zu erkennen (§ 285 e StPO), ohne daß es einer Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens (Z 5, der Sache nach indessen gleichfalls Z 3) bedarf.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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