OGH 9ObA269/89 (9ObA270/89)

OGH9ObA269/89 (9ObA270/89)27.9.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf. Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Alfred Maier und Mag.Karl Dirschmied als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Friedrich N*** & Co, Papiergroßhandel, Salzburg, Gniglerstraße 28, vertreten durch Dr.Manfred Denkmayr, Rechtsanwalt in Mauerkirchen, wider die beklagte und widerklagende Partei Otte S***, Angestellter, Weilbach, Neudorf 4, vertreten durch Dr.Alexander Puttinger, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, wegen S 56.932,70 sA und S 76.371,92 brutto sA und S 1.360 netto sA (Revisionsstreitwert S 51.836,35 sA) infolge Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29.Juni 1989, GZ 13 Ra 32,33/89-42, womit infolge Berufung der beklagten und widerklagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 1.Dezember 1988, GZ 20 Cga 136/88-36, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Ersturteil in seinem Ausspruch über die Widerklage (Punkt II.) wiederhergestellt wird.

Der Beklagte und Widerkläger ist schuldig, der Klägerin und Widerbeklagten die mit S 3.087 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (davon S 514,50 Umsatzsteuer) und die mit S 13.706,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 617,70 Umsatzsteuer und S 5.000 Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte und Widerkläger (in Hinkunft kurz "Beklagte" genannt) war bei der Klägerin und Widerbeklagten (in Hinkunft kurz "Klägerin" genannt) seit 15.1.1985 als Handelsvertreter mit Gebietsschutz angestellt. Seine Hauptaufgabe bestand im Besuch und in der Betreuung von Kunden. Er wurde am 27.3.1986 vorzeitig entlassen.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Rückzahlung von Vorschüssen und Inkassobeträgen, der Beklagte von der Klägerin mit Widerklage die Zahlung des restlichen Gehalts sowie eine Kündigungsentschädigung mit der Begründung, er sei zu Unrecht entlassen worden.

Gegenstand des Revisionsverfahrens sind nur mehr die vom Beklagten mit Widerklage geltend gemachten, aus der Entlassung abgeleiteten, vom Berufungsgericht mit S 51.836,35 sA errechneten Zusprüche (S 40.320 Kündigungsentschädigung und S 14.990,77 Urlaubsentschädigung 1986 abzüglich der schon vom Erstgericht rechtskräftig zuerkannten Urlaubsabfindung von S 3.474,42). Die Klägerin behauptet, den Beklagten aus wichtigem Grund vorzeitig entlassen zu haben; er habe seit September 1985 nicht mehr für sie gearbeitet und sich nicht mehr bei ihr gemeldet. Das Erstgericht sprach dem Beklagten auf Grund seiner Widerklage (an entlassungsunabhängigen Ansprüchen) S 16.333,42 brutto und S 1.013,20 netto je sA zu und wies das Mehrbegehren von S 60.038,50 brutto (Kündigungsentschädigung und 13. und 14.Monatsgehalt) und S 346,80 netto sA ab.

Es traf zur Frage der Berechtigung der Entlassung folgende Feststellungen:

Der Beklagte wurde bei den ihm zugewiesenen Kunden durch seinen Vorgänger eingeführt. Etwa ab September 1985 trafen bei der Klägerin öfters Beschwerden von Kunden ein, die über mangelnde Vertreterbesuche und fehlende Betreuung klagten. Daraufhin wurde der Beklagte mehrmals auf seine Arbeitsaufgaben hingewiesen. Zu Jahresanfang 1986 stellte die Firmenleitung der Klägerin fest, daß vom Beklagten keine Aufträge eintrafen. Man versuchte dann an einer bekannten Adresse des Beklagten nachzufragen, warum seine Arbeitsleistung nachlasse. Der Beklagte teilte darauf mit, er habe eigentlich kein Interesse mehr an der Arbeit, da er sich um einen Dienstposten bei der Gendarmerie bewerbe. Am 27.3.1986 erschien der Beklagte im Betrieb der Klägerin. Der Geschäftsführer machte ihm Vorhalte. Der Beklagte redete sich auf Erkrankung aus, doch hatte er der Klägerin nie Krankmeldungen vorgelegt. Daraufhin wurde der Beklagte "auch unter Berücksichtigung der Äußerung, er habe kein Interesse an der Arbeit mehr" fristlos entlassen.

Das Erstgericht war der Ansicht, daß der Beklagte durch sein Verhalten den Entlassungstatbestand des § 27 Z 4 AngG erfüllt habe, weil er ohne rechtmäßigen Hinderungsgrund während einer erheblichen Zeit seine dienstlichen Verpflichtungen unterlassen habe. Es gebühre ihm daher keine Kündigungsentschädigung (inklusive anteiliger Sonderzahlungen).

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten teilweise Folge und änderte das Urteil des Erstgerichtes in seinem Ausspruch über die Widerklage dahin ab, daß es dem Beklagten insgesamt S 68.177,77 (richtig: 68.169,77) brutto und (wie bisher) S 1.013,20 netto je sA zusprach und nur ein Mehrbegehren von S 8.201,23 brutto und (wie bisher) S 346,80 netto je sA abwies.

Das Berufungsgericht übernahm nach eingehender Beweiswürdigung die Feststellungen des Erstgerichtes mit Ausnahme der Feststellung, daß vom Beklagten ab Jahresanfang 1986 keine Aufträge mehr eingetroffen seien. Der Beklagte habe von Jänner bis März 1986 noch Umsätze in Höhe von S 340.000, also immerhin halb soviel wie im Vergleichszeitraum des Vorjahres hereingebracht. Die Gründe für den Umsatzrückgang könnten nicht festgestellt werden. Der Beklagte habe sich nicht schlechthin geweigert, seiner Dienstpflicht, Kunden zu besuchen und sie zu betreuen, nachzukommen; er habe aber in den letzten Monaten seines Dienstverhältnisses seine Pflichten "mehr oder weniger vernachlässigt". Außerdem nahm die zweite Instanz, wie aus ihren Erwägungen zur Beweiswürdigung hervorgeht, als erwiesen an, daß die Klägerin den Beklagten am 16.2.1986 (Beilage C) schriftlich ermahnt hat. In diesem Schreiben teilte die Klägerin dem Beklagen mit, daß sie von ihm seit drei Wochen keine Aufträge erhalten habe und sich mehrere Kunden darüber beschwert hätten, seit November nicht mehr besucht worden zu sein. Die Klägerin müsse daher annehmen, daß der Beklagte seine Pflichten gegenüber der Firma nicht oder nur in sehr beschränktem Umfang nachkomme. Der Kläger werde daher um Stellungnahme ersucht.

Das Berufungsgericht beurteilte diese geänderten Feststellungen rechtlich dahin, daß dem Beklagten nicht vorgeworfen werden könne, während einer erheblichen Zeit überhaupt nicht für die Klägerin gearbeitet zu haben. Was den zweiten und dritten Entlassungstatbestand des § 27 Z 4 AngG betreffe, fehle es aber an einer beharrlichen Verweigerung der Dienstleistung oder der Nichtbefolgung gerechtfertigter Weisungen; es wäre der Klägerin möglich gewesen, dem Beklagten konkrete Weisungen über die Art und Häufigkeit der Kundenbesuche zu erteilen. Da sich die Klägerin damit begnügt habe, den Beklagten auf seine Pflichten hinzuweisen, ohne entsprechende Sanktionen für den Fall des Zuwiderhandelns anzudrohen, habe sie die Entlassung am 27.3.1986 überraschend ausgesprochen. Nach Treu und Glauben hätte sie vor dem Ausspruch der Entlassung den Beklagten hinreichend deutlich warnen müssen, daß er bei weiterer nachlässiger Dienstausübung mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu rechnen haben werde.

Die Klägerin bekämpft den abändernden Teil des Urteils des Berufungsgerichtes mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragt, das Ersturteil wiederherzustellen. Der Beklagte beantragt, der Revision der Klägerin nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Gemäß § 27 Z 4 erster Fall AngG ist als ein wichtiger Grund, der den Dienstgeber zur vorzeitigen Entlassung berechtigt, insbesondere anzusehen, wenn der Angestellte ohne einen rechtmäßigen Hinderungsgrund während einer nach den Umständen erheblichen Zeit die Dienstleistung unterläßt. Erheblich ist ein Versäumnis, wenn es nach der Dauer der versäumten Arbeitszeit, nach Maßgabe der Dringlichkeit der zu verrichtenden Arbeit oder aufgrund des Ausmaßes des infolge des Versäumnisses nicht erzielten Arbeitserfolges oder der sonstigen dadurch eingetretenen betrieblichen Nachteile besondere Bedeutung besitzt (Kuderna, Entlassungsrecht 66; Martinek-Schwarz AngG6, 622; SozM I A/D 1135; Arb 9463, 9578, 10.449, 10.521 uva). Dabei ist stets auf die Umstände des konkreten Falls abzustellen (Arb 9991). Es muß sich nicht um ein einzelnes durchgehendes Unterlassen der Dienstleistung von längerer Dauer handeln. Auch wiederholte kürzere Unterlassungen der Dienstleistung (wie zB ständige Unpünktlichkeiten und Unterbrechungen der Arbeit, die übliche Pausen überschreiten) können den Tatbestand erfüllen. Der Ansicht des Berufungsgerichtes, dieser Tatbestand komme hier nicht in Betracht, weil nicht erwiesen sei, daß der Beklagte seit Dezember 1965 für die Klägerin überhaupt nicht gearbeitet habe, ist nicht zu folgen, weil auch das Berufungsgericht (unabhängig davon, daß es die Gründe für den Umsatzrückgang, also den verringerten Geschäftserfolg des Beklagten nicht feststellen konnte) davon ausging, er habe in den letzten Monaten seine Pflicht, Kunden zu besuchen und zu betreuen, "mehr oder weniger vernachlässigt". Auch wenn man berücksichtigt, daß einem zur Kundenbetreuung im Außendienst eingesetzten Mitarbeiter bei der Erbringung der täglichen Arbeitszeit in aller Regel ein gewisser Spielraum zur Verfügung stehen muß und daher die Frage des Vorliegens eines erheblichen Dienstversäumisses in solchen Fällen etwas großzügiger zu beurteilen sein wird, hat der Beklagte trotz Aufforderung durch die Klägerin, Kunden häufiger zu besuchen, die ihm obliegende Arbeitsleistung in einem erheblichen Umfang, nämlich mehere Monate lang, vernachlässigt, ohne daß ihm ein rechtmäßiger Hinderungsgrund zugutekommt. Als er wegen des Nachlassens der Arbeitsleistung ermahnt wurde, versuchte er dies gar nicht zu bestreiten oder sich zu rechtfertigen, sondern teilte mit, daß er kein Interesse mehr an dieser Arbeit habe. Erst unmittelbar vor der Entlassung versuchte er, sich mit Erkrankung zu entschuldigen, doch wurde das Vorliegen dieses Hinderungsgrundes nicht als erwiesen angenommen. Das Versäumnis des Beklagten ist somit aufgrund des Ausmaßes der dadurch nicht erbrachten Arbeitsleistungen erheblich.

Die Klägerin hat die Pflichtversäumnisse des Beklagten, die ihr infolge seiner Außendiensttätigkeit erst durch Kundenbeschwerden oder Umsatzrückgänge auffallen konnten, auch nicht stillschweigend hingenommen, sondern dem Beklagten schon ab September 1985 nach den ersten Kundenbeschwerden mehrmals auf seine Arbeitsaufgaben hingewiesen und ihm mit Schreiben vom 18.2.1986 mitgeteilt, daß er seinen Verpflichtungen nicht oder nur in sehr beschränktem Umfang nachkomme und ihn daher um seine Stellungnahme ersucht. Die - offenbar beim nächsten persönlichen Besuch des Beklagten bei der Firmenleitung ausgesprochene - Entlassung (die verspätete Geltendmachung eines auf einem abgeschlossenen Sachverhalt beruhenden Entlassungsgrundes wurde vom Beklagten gar nicht behauptet) war daher auch nicht überraschend.

Es wäre zwar zweckmäßig gewesen, wenn die Klägerin dem Beklagten bezüglich des Besuches bestimmter Kunden konkrete Weisungen erteilt hätte. Im Hinblick auf den Gebietsschutz des Beklagten genügte es aber, daß die Klägerin den Beklagten mehrmals darauf hingewiesen hat, es seien Beschwerden von Kunden über die unzureichende Betreuung eingelangt und daß sie ihm mit Schreiben vom 18.2.1986 noch einmal deutlich in diesem Sinne ermahnt hat. Eine ausdrückliche Androhung der Entlassung als Folge seiner Pflichtverletzungen war nicht erforderlich.

Die ausgesprochene Entlassung verstieß daher nicht gegen Treu und Glauben. Der Beklagte konnte nicht damit rechnen, daß die Klägerin seine anhaltend nachlässige Pflichterfüllung (§ 27 Z 4 AngG, erster Tatbestand) auch weiterhin dulden werde. Ob wegen der wiederholt begangenen Pflichtverletzungen auch eine beharrliche Weigerung des Beklagten im Sinne des zweiten Tatbestandes des § 27 Z 4 AngG vorliegt (Arb 9391), kann auf sich beruhen. Der Revision ist daher Folge zu geben und das Ersturteil wieder herzustellen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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