OGH 10ObS295/89

OGH10ObS295/8926.9.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Reinhard D*** (AG) und Walter B*** (AG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ingrid E***, ohne Beschäftigung, 4063 Hörsching, Bahnhofstraße 26, vertreten durch Dr.Heimo Fürlinger, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei P*** DER A***,

1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23.Mai 1989, GZ 12 Rs 65/89-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 15.Dezember 1988, GZ 14 Cgs 2100/87-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

  1. 1. Die Revisionsbeantwortung wird zurückgewiesen.
  2. 2. Der Revision wird Folge gegeben.

    Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin ab dem Antragstag eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, abgewiesen wird.

    Die Klägerin hat ihre Verfahrenskosten selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 19.5.1987 wie die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 23.12.1986 auf Berufsunfähigkeitspension mangels Berufsunfähigkeit ab.

Das Erstgericht gab der gegen diesen Bescheid rechtzeitig erhobenen Klage statt und ordnete eine vorläufige Zahlung an.

Es ging von folgenden wesentlichen Feststellungen aus:

Die (am 23.10.1955 geborene) Klägerin erlitt im Alter von fünf Jahren eine durchbohrende Verletzung des linken Auges. Die ophthalmochirurgische Versorgung wurde von der Augenabteilung des Allgemeinen Krankenhauses Linz durchgeführt. Seit 1982 steht die Klägerin in ständiger Behandlung der Universitätsaugenklinik in Innsbruck. Neben einer Hornhautübertragung, einer Operation des grauen Stares und einer Schieloperation mußten wiederholt Eingriffe gegen den sekundären grünen Star durchgeführt werden. Diese Maßnahmen konnten bis jetzt eine hochgradige Herabsetzung des Sehvermögens des linken Auges nicht verhindern, mit dem die Klägerin derzeit nur hell und dunkel unterscheiden kann. Gelegentlich bestehen Schmerzen und Lichtscheu. Die Hornhaut des linken Auges ist völlig eingetrübt. Es bestehen Linsenlosigkeit, Einwärtsschielen und ein deutlich erhöhter Augendruck (sekundärer grüner Star). Das linke Auge ist praktisch blind. Die Behandlung an der genannten Innsbrucker Klinik durch Dr.G***, der ausschließlich das Vertrauen der Klägerin genießt, ist noch nicht abgeschlossen. Es ist allerdings nicht sehr wahrscheinlich, daß durch weitere operative Eingriffe eine wesentliche Besserung des Sehvermögens des linken Auges zu erreichen ist. Falls die Klägerin auf eine weitere Behandlung dieses Auges nicht verzichtet und (auf diesem Auge) nicht blind bleiben will, ist ihr augenärztlicherseits die weitere Behandlung an der Universitätsaugenklinik in Innsbruck zu empfehlen, weil dort die gesamte bisherige Krankengeschichte aufliegt, vor allem aber deshalb, weil diese Klinik im Falle einer neuerlichern Keratoplastik typisierte Spenderhornhäute verwendet, was bei Risikokeratoplastiken - wie bei der Klägerin - unbedingt angezeigt ist. Transplantationen mit typisierten Spenderhornhäuten werden in Oberösterreich noch nicht durchgeführt. Das rechte Auge der Klägerin ist gering weitsichtig und stabsichtig und mit einer entsprechenden Sehbrille voll sehtüchtig. Im Jahre 1987 war die Klägerin in der Innsbrucker Klinik vom 14. bis 21.1., vom 13. bis 20.7. und vom 12. bis 16.10. stationär aufgenommen. Dazwischen war sie während des ganzen Jahres alle drei Wochen einen Tag in Innsbruck (zur Kontrolle). Sollte sich die Klägerin - trotz ungünstiger Prognose - einer weiteren Behandlung des linken Auges unterziehen, wären Krankenstände im bisherigen Ausmaß zu erwarten. Die Klägerin kann ohne zusätzliche Pausen leichte und mittelschwere Arbeiten im Stehen, Gehen und Sitzen verrichten, wenn diese Arbeiten nicht in gebeugter Körperhaltung zu leisten sind, nicht mit Kälte-, Nässe-, Staub- und Luftzugeinwirkungen verbunden sind und kein räumliches Sehvermögen erfordern. Sie kann eingeordnet, umgeschult, angelernt und unterwiesen werden. Im Bereich der funktionalen Leistungsfähigkeit und von der Persönlichkeit her ergeben sich auch für Büroarbeiten keine Einschränkungen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit wäre mit 25 vH einzuschätzen.

Die Klägerin war in den Jahren 1970 und 1971 als Schankgehilfin, 1971 und 1972 als Friseurlehrling, 1972 bis 1974 als Schankgehilfin, 1974 bis 1977 als Kellnerin und 1982 bis 1985 als Angestellte im Immobilienhandel erwerbstätig. Dabei leistete sie Telefondienst, ordnete Belege und führte einfache Bürohilfstätigkeiten durch, verrichtete aber keine Maschinschreibarbeiten. In den Jahren 1977 bis 1982 war sie im eigenen Haushalt tätig. Seit 1985 ist sie nicht mehr erwerbstätig.

In der rechtlichen Beurteilung ging das Erstgericht davon aus, daß die Klägerin unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mehr einsetzbar sei, weil die allein wegen der Heilung des linken Auges zu erwartenden etwa 36 Krankenstandstage pro Jahr die bei 13 Krankenstandstagen pro Jahr liegende durchschnittliche Krankenstandsdauer der österreichischen Arbeitnehmer so wesentlich übersteige, daß für die Einstellung der Klägerin ein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers notwendig wäre. Die Klägerin sei daher berufsunfähig iS des § 273 Abs 1 ASVG. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge, weil es die Rechtsansicht des Erstgerichtes teilte, daß Dauer und Häufigkeit der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit bei der Klägerin ein solches Ausmaß angenommen hätten, daß ihr eine Berufstätigkeit nur mehr unter Entgegenkommen des Dienstgebers möglich wäre. Dies mache ihre Restarbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt unverwertbar.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinne abzuändern oder es, allenfalls auch das erstgerichtliche Urteil aufzuheben.

Die erst am 29.8.1989 zur Post gegebene und damit entgegen § 507 Abs 2 ZPO nicht binnen der Notfrist von vier Wochen ab der Zustellung der Revisionsschrift am 31.7.1989 erhobene Revisionsbeantwortung war zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist berechtigt. Daß bei der Klägerin dann, wenn sie auf die weitere Behandlung ihres praktisch blinden Auges durch die Universitätsaugenklinik in Innsbruck nicht verzichtet, deshalb jährlich mit etwa drei stationären Aufenthalten in der Dauer von insgesamt rund drei Wochen und alle drei Wochen mit einer (einschließlich der Hin- und Rückreise von Linz nach Innsbruck) einen Tag in Anspruch nehmenden (ambulanten) Kontrolluntersuchung zu rechnen ist, macht die Klägerin - entgegen der Meinung der Vorinstanzen - noch nicht berufsunfähig iS des § 273 Abs 1 ASVG.

Da Samstage, Sonn- und Feiertage für Büroangestellte üblicherweise keine Arbeitstage sind, wird die Klägerin wegen der stationären Aufenthalte in der Innsbrucker Universitätsaugenklinik jährlich etwa an 15 Arbeitstagen durch Krankheit an der Leistung ihrer Dienste verhindert sein (§ 8 AngG). Selbst wenn man davon ausgeht, daß die (einschließlich der Hin- und Rückreise) jeweils einen Tag in Anspruch nehmenden Kontrolluntersuchungen unabhängig von den stationären Aufenthalten regelmäßig alle drei Wochen durchgeführt werden, wird die Klägerin dadurch höchsten an 16 Arbeitstagen an der Leistung ihrer Dienste verhindert sein (§ 8 AngG), weil zwei Kontrollen in den Urlaub fallen werden. Daraus ergibt sich, daß bei der Klägerin im Zusammenhang mit der Behandlung ihres linken Auges jährlich mit einem Ausfall an etwa 30 Arbeitstagen zu rechnen ist. Dafür, daß bei der zur Zeit des Pensionsantrages erst 31 Jahre alten, abgesehen von dem Augenleiden gesunden Klägerin besondere weitere krankheitsbedingte Arbeitsausfälle auftreten werden, bietet das Verfahren keinen Anhaltspunkt.

Berücksichtigt man, daß im Jahre 1986 in Österreich auf 1000 Beschäftigte insgesamt 1.056 Krankenstandsfälle entfielen und auf jeden Fall 14,6 Krankenstandstage (vgl Österreichisches Statistisches Zentralamt, Statistisches Handbuch für die Republik Österreich XXXIX Jg NF 1988, 85; BMAS, Bericht über die soziale Lage 1987, 346), dann zeigt sich, daß bei der Klägerin jährlich etwa das Zweifache an Krankenstandstagen zu erwarten ist wie durchschnittlich bei allen in Österreich Beschäftigten.

Dies zeigt, daß die bei der Klägerin zu erwartende jährliche Anzahl und Dauer von Krankenständen - entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen - nicht so ungewÄhnlich hoch ist, daß ihre Arbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr bewertet würde und sie daher von diesem ausgeschlossen wäre (so auch 18.4.1989, 10 Ob S 101/89; 9.5.1989 10 Ob S 153/89 und 10 Ob S 157/89 ua).

Da die Klägerin die von ihr zuletzt ausgeübten einfachen Bürotätigkeiten weiterhin verrichten kann, gilt sie nicht als berufsunfähig iS des § 273 Abs 1 ASVG und hat deshalb nach § 271 Abs 1 leg cit keinen Anspruch auf die begehrte Berufsunfähigkeitspension. Sollte sie trotz ihrer Arbeitsfähigkeit wegen der mit der Behandlung ihres Augenleidens verbundenen Krankenstände keinen konkreten Arbeitsplatz finden oder einen solchen wieder verlieren, wäre sie arbeitslos und kämen für sie - bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen - die Leistungen der Arbeitslosenversicherung in Betracht.

Der Revision war daher Folge zu geben, und die Urteil der Vorinstanzen waren im klageabweisenden Sinne abzuändern. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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