OGH 12Os76/89

OGH12Os76/8914.9.1989

Der Oberste Gerichtshof hat am 14.September 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Salat als Schriftführerin in der Strafsache gegen Raimund P*** wegen des Verbrechens des teils vollendeten und teils versuchten Mordes nach §§ 75 und 15 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Kreisgericht Krems an der Donau vom 1.Februar 1989, GZ 10 b Vr 475/88-67, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, und des Verteidigers Dr. Gloss, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der nunmehr 37jährige Raimund P*** wurde mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden angefochtenen Urteil der Verbrechen des vollendeten und des versuchten Mordes nach §§ 75 und 15 StGB (III und IV) sowie der Vergehen nach § 36 Abs. 1 Z 1 und 3 WaffG (I), des Hausfriedensbruches nach § 109 Abs. 3, (im Urteil versehentlich auch Abs. 1; SSt. 56/26) Z 1 und 2 StGB (II) und des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs. 1 und 2 StGB (V) schuldig erkannt.

Darnach hat er - zusammengefaßt wiedergegeben - am 31.Juli 1988 in Süssenbach, nachdem er, bewaffnet mit einer Pistole - die er in Wien, Schoberdorf, Süssenbach und andernorts zwischen April und Ende Juli 1988 unbefugt besessen und geführt hat und deren Besitz ebenso wie der Besitz der dazugehörigen Munition ihm gemäß § 12 WaffG verboten war - gewaltsam in das Haus der Herma H*** eingedrungen war, Johannes R*** durch mehrere Schüsse vorsätzlich getötet und Herma H*** zu erschießen getrachtet, wobei er sie durch einen Schuß am Unterarm verletzte, und im Anschluß daran den Personenkraftwagen der Herma H*** unter Benützung des widerrechtlich erlangten Originalschlüssels zur Flucht vom Tatort unbefugt in Gebrauch genommen.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Angeklagten dagegen aus § 345 Abs. 1 Z 1, 4, 5, 8, 9, 10 a und 13 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist zur Gänze nicht begründet.

Dem Vorwurf, an der Verhandlung habe sich ein ausgeschlossener Richter beteiligt (Z 1), weil der Vorsitzende des Geschwornengerichtes an einer Haftprüfungsverhandlung als Beisitzer teilgenommen habe, sei zunächst erwidert, daß es vorliegend bereits an den formellen Voraussetzungen zur Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes gebricht, weil der Angeklagte den angeblich Nichtigkeit begründenden Umstand nicht gleich bei Beginn der Verhandlung - an der Identität des Vorsitzenden mit einem Beisitzer bei der (partei-öffentlichen und kontradiktorischen) Haftprüfungsverhandlung, an welcher der Angeklagte persönlich teilgenommen hatte, konnte ja kein Zweifel obwalten - geltend gemacht hat (§ 345 Abs. 2 StPO). Abgesehen davon ist aber nach dem klaren Wortlaut des § 68 Abs. 2 StPO, wonach (in taxativer Aufzählung: LSK 1975/237) von der Mitwirkung und Entscheidung in der Hauptsache nur ausgeschlossen ist, wer in derselben Sache als Untersuchungsrichter tätig gewesen ist oder an der Entscheidung über den Einspruch über die Versetzung in den Anklagestand teilgenommen hat, ein bei einer Haftprüfungsverhandlung aktiv gewesener Richter indes nicht genannt wird, ein solcher von der Mitwirkung und Entscheidung in der Hauptverhandlung nicht ausgeschlossen (siehe auch LSK. 1975/126); damit aber kann - entgegen der Beschwerdemeinung - von einem "parteiischen" Gericht (Art. 6 Abs. 1 MRK), von dem nur bei Mitwirkung eines ausgeschlossenen Richters gesprochen werden kann (Mayerhofer-Rieder, Nebenstrafrecht2 Art. 6 MRK, ENr. 11 c), keine Rede sein.

Wenn sich der Angeklagte in diesem Zusammenhang auf das Urteil des EGMR Nr. 8/1985/94/142 vom 27.November 1987 (= ÖJZ 1988 S 345) beruft, verkennt er, daß dieser Entscheidung ein völlig anders gearteter Sachverhalt zugrunde lag. Hatte doch dieses Urteil die Entscheidung eines zuvor in derselben Sache, und zwar in der - über die Beurteilung der Haftfrage im Rahmen der Voruntersuchung weit hinausgehenden - Funktion der (dort nur aus dieser einzigen Person bestehenden) Ratskammer tätig gewesenen Richters über die Anklage zum Gegenstand (siehe den entsprechenden Kommissionsbericht), wogegen vorliegend der Vorsitzende des Geschwornengerichtes über die Schuld des Angeklagten überhaupt nicht zu befinden hatte. Soweit in der Beschwerde schließlich eine angeblich aus der Frageweise des Vorsitzenden hervorleuchtende Befangenheit desselben behauptet wird, muß auf das betreffende - weitgehend unsubstantiierte - Rechtsmittelvorbringen nicht eingegangen werden, weil damit weder der relevierte noch ein anderer Nichtigkeitsgrund zur gesetzmäßigen Darstellung gebracht wird (Mayerhofer-Rieder StPO2 § 74 ENr. 11; 14 Os 120/88).

Nicht gesetzmäßig ausgeführt sind auch die unter § 345 Abs. 1 Z 4 StPO erhobenen Vorwürfe einer Verletzung der Vorschriften der §§ 310 Abs. 1 und 4 sowie 340 StPO, weil angeblich die an die Laien zu richtenden Fragen nicht verlesen und den Geschwornen mindestens zwei Ausfertigungen der Fragen nicht übergeben worden seien; weiters, weil die nach der Wiedereröffnung der Sitzung vorgesehene (§ 340 StPO) Mitteilung unterblieben sei. Denn mit all dem setzt sich die Beschwerde über das gültige Hauptverhandlungsprotokoll in seiner berichtigten Fassung (siehe Band III S 501 ff in Verbindung mit S 491 bis 499) hinweg.

Wenn die Beschwerde in diesem Zusammenhang vermeint, durch die Nichtanhörung des Angeklagten und seines Verteidigers vor der Entscheidung über den Protokollberichtigungsantrag vom 12.April 1989 (Band III S 471 ff) sei der Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 345 Abs. 1 StPO erfüllt, verkennt sie, daß nur in der Hauptverhandlung gefällte Zwischenerkenntnisse Gegenstand dieses Nichtigkeitsgrundes sein können und daß außerhalb der Verhandlung angeordnete Berichtigungen oder Ergänzungen des darüber geführten Protokolls überhaupt nicht anfechtbar sind (Mayerhofer-Rieder StPO2 § 271 ENr. 37, 41 und 43 sowie Foregger-Serini, StPO4 § 271, Erl. VIII). Soweit die Beschwerde jedoch die Protokollformulierung, den Geschwornen seien "mindestens" zwei Ausfertigungen der Fragen übergeben worden, als "undeutlich im Sinne des § 345 Abs. 1 Z 9 StPO" rügt, übersieht sie, daß dieser Nichtigkeitsgrund nur auf den Wahrspruch der Laienrichter anwendbar ist.

Geht man mit dem (berichtigten) Protokoll davon aus, daß die an die Geschwornen gerichteten Fragen ordnungsgemäß verlesen wurden, wird dem weiteren, sich auf die Z 4 des § 345 Abs. 1 StPO berufenden Vorwurf der Boden entzogen, der Angeklagte hätte die ihm unbekannte Fragestellung, in der tatsachenwidrig davon ausgegangen wurde, daß Herma H*** am linken (statt am rechten) Unterarm getroffen worden sei, nicht zu rügen vermocht. Abgesehen davon kommt bei der gegebenen Sachlage diesem Umstand evidentermaßen keine Relevanz (im Sinne des § 312 Abs. 1 StPO) zu.

Nicht im Recht ist der Angeklagte aber auch mit seiner Instruktionsrüge (Z 8).

Wie die Generalprokuratur nämlich zutreffend ausführt, unterscheidet sich das Verbrechen des Totschlags nach § 76 StGB von dem des Mordes nach § 75 StGB ausschließlich durch die besondere Gemütsbeschaffenheit des Täters zur Tatzeit. Demnach stellt der Totschlag nach § 76 StGB eine privilegierte Form der sonst an sich nach § 75 StGB strafbaren vorsätzlichen Tötung eines Menschen dar und deckt sich somit - von der inneren Tatseite, und zwar der Gemütsbeschaffenheit des Täters zur Tatzeit, abgesehen - in jeder Beziehung mit derjenigen des § 75 StGB (siehe Moos, WK, Rz 3;

Kienapfel, BT I2, Rz 3 und 6, Leukauf-Steininger StGB2 RN 1 ff;

Foregger-Serini StGB4, Erl I; Mayerhofer-Rieder StGB4, ENr. 1 - jeweils zu § 76 StGB).

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers erweist sich daher der Hinweis in der schriftlichen Rechtsbelehrung (S 11), daß auch beim Totschlag alle Voraussetzungen des Verbrechens des Mordes gegeben sein müssen, als durchaus zutreffend und keineswegs geeignet, die Geschwornen bei der Beurteilung wesentlicher Belange in Irrtum zu führen, zumal in der Instruktion darüber hinaus auch der Unterschied zwischen Mord und Totschlag in subjektiver Hinsicht hinreichend erörtert und insbesondere der erforderliche zeitliche Zusammenhang zwischen der (privilegierenden) Gemütsbeschaffenheit des Täters und der Tatausführung hervorgehoben wird. Von einer rechtsirrigen Abgrenzung der in Rede stehenden Tatbestände in der Rechtsbelehrung kann daher, dem Beschwerdevorbringen zuwider, das die betreffenden Ausführungen isoliert betrachtet und die damit im Zusammenhang stehenden (weiteren) Erläuterungen vernachlässigt, keine Rede sein.

Dem nominell unter der Z 9 erhobenen, der Sache nach aber eine Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung im Sinne der Z 6 des § 345 Abs. 1 StPO relevierenden Vorwurf, daß in der Hauptfrage III nach dem Verbrechen des Mordes an Johannes R*** auf die Tatwaffe nicht Bezug genommen worden sei, genügt es, zu erwidern, daß gemäß § 312 Abs. 1 StPO in die Hauptfrage alle gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung und die besonderen Umstände der Tat nach Ort, Zeit, Gegenstand usw (nur) so weit beizufügen sind, als es zur deutlichen Bezeichnung der Tat .... notwendig ist; die Beschwerde vermag nicht darzutun, weshalb es vorliegend unter dem aufgezeigten Gesichtspunkt von Belang sein soll, welches Kaliber die Tatwaffe aufwies. Wenn in diesem Zusammenhang die von der Sicherheitsdirektion vorgefundenen sechs Patronen mit Kaliber 6,35 mm ins Treffen geführt werden, wird nicht beachtet, daß im Tatortbereich ausschließlich Hülsen von Pistolenpatronen des Kalibers 9 mm sichergestellt wurden, die aus der Waffe des Angeklagten verschossen worden waren (siehe Band I S 257, 263, 265, 267 und 269), wogegen es sich bei den vorgenannten Patronen mit Kaliber 6,35 mm um ungebrauchte Munition handelte, die bei der Tat mit Sicherheit nicht zum Einsatz gelangt sein konnte (siehe Band I S 259).

Der Tatsachenrüge (Z 10 a) ist zusammenfassend zu erwidern, daß die in der Nichtigkeitsbeschwerde angeführten Umstände nicht geeignet sind, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch festgestellten Tatsachen zu erwecken. Insbesondere erweist sich der Vorwurf, das Gericht habe die Veranlassung einer psychiatrischen Begutachtung der - für die rechtliche Beurteilung der Tat entscheidungswesentlichen - (situationsbedingten) Gemütsbeschaffenheit des Angeklagten verabsäumt und damit den Geschwornen nur eine unzureichende Entscheidungsgrundlage an die Hand gegeben, insoweit als aktenwidrig, als das Gericht in der Hauptverhandlung am 31.Jänner 1989 eine ergänzende Expertise des psychiatrischen Sachverständigen Univ.Prof. Dr. K*** zur tatrelevanten Gemütsbeschaffenheit des Angeklagten einholte (siehe Band III S 123 und 240 ff) und damit dem Angeklagten und seinem Verteidiger Gelegenheit bot, den erwähnten Sachverständigen zu dem betreffenden Themenkreis zu befragen.

Unter der Z 13 des § 345 Abs. 1 StPO wendet der Beschwerdeführer schließlich ein, das Erstgericht habe durch die erschwerende Berücksichtigung des Umstandes, daß Herma H*** durch den Mordversuch schwer verletzt worden sei, gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs. 2 StGB) verstoßen. Dies träfe jedoch nur dann zu, wenn mit jedem Mordversuch notwendigerweise (schwere) Verletzungen verbunden wären. Da dies nicht der Fall ist, sind mit einem Mordversuch einhergehende Verletzungen sehr wohl zusätzlich als erschwerend zu betrachten (Mayerhofer-Rieder StGB3 § 32 ENr. 17 a).

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war mithin zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verhängte über Raimund P*** gemäß §§ 28, 75 StGB eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Bei der Strafbemessung wertete es als erschwerend das Zusammentreffen zweier Verbrechen und dreier Vergehen, drei Vorverurteilungen wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender Taten, die schwere Verletzung des Opfers beim Mordversuch und schließlich die rücksichtslose Ausführung der Verbrechen, obwohl dem Angeklagten vom Opfer ein Gespräch angeboten worden war. Mildernd waren demgegenüber die persönliche Beschaffenheit des Angeklagten, nämlich, daß sein Erregungszustand auf die ihm mangelnde Spannungstoleranz zurückgeht sowie überdies, daß es in einem Fall beim Versuch geblieben und daß der Angeklagte zu den Vergehen überwiegend geständig war. Seine Alkoholisierung vermeinte das Erstgericht nicht als mildernd berücksichtigen zu können, weil er wegen seiner Neigung zum Alkoholmißbrauch bereits straffällig geworden und deshalb in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher angehalten worden sei. Die bei ihm durch den Alkohol bedingte Enthemmung werde durch den Vorwurf, daß er trotz seiner Kenntnis, in alkoholisiertem Zustand zu Gewalttätigkeiten zu neigen, Alkohol konsumierte, mehr als aufgewogen.

In Abwägung der besonderen Strafbemessungsgründe erschienen dem Erstgericht die Erschwerungsumstände so sehr zu überwiegen, daß es die gesetzliche Höchststrafe als der Schuld des Angeklagten und dem Unrechtsgehalt seiner Taten angemessen erachtete.

Die Berufung des Angeklagten, mit der er die Verhängung einer zeitlich befristeten Freiheitsstrafe anstrebt, ist nicht begründet. Daß das Geschwornengericht die schwere Verletzung der Herma H*** zu Recht als erschwerend wertete, wurde bereits im Rahmen der Behandlung der Nichtigkeitsbeschwerde dargetan. Beizupflichten ist dem Geschwornengericht aber auch darin, daß dem Angeklagten angesichts seiner bisherigen Delinquenz in alkoholisiertem Zustand der Milderungsgrund des § 35 StGB nicht zustatten kommt. Da auch nicht einzusehen ist, weshalb der Angeklagte - über den ohnehin als mildernd in Betracht gezogenen Erregungszustand hinaus - durch die Anwesenheit R*** im Haus der H*** in einen berücksichtigungswürdigen Ausnahmezustand versetzt worden sein sollte - war es doch schon geraume Zeit zuvor zu einer Trennung der Herma H*** vom Angeklagten, und zwar nicht wegen deren Kontakt mit R***, sondern wegen der Trunksucht des Angeklagten gekommen (siehe ua Band III S 197) - bedürfen die erstgerichtlichen Strafzumessungsgründe keiner Korrektur.

Geht man aber von diesen aus und legt man namentlich dem rücksichtslosen mörderischen Vorgehen gegen zwei Menschen nach gewaltsamen Eindringen in das Haus der ausersehenen Opfer, das deren Vorsicht gegen die Tat weitgehend ausschloß (§ 32 Abs. 3 StGB), das gebührende Gewicht bei und schenkt man zudem dem einschlägig schwer belasteten Vorleben des Angeklagten die gebotene Beachtung, dann erweist sich die gesetzliche Höchststrafe als tatschuldgemäße Sanktion, zumal auch von der aggressiven Wesensart des Angeklagten eine nicht zu unterschätzende Gefahr ausgeht.

Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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