Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Der am 17.August 1960 geborene Beamte der Abteilung 70 des Magistrates der Stadt Wien Gerhard N*** wurde des Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs. 1 StGB schuldig erkannt, weil er als Berufungsreferent des Magistrates mit dem Vorsatz, den Staat an seinem konkreten Recht auf gesetzmäßige und fristgerechte Durchführung und Erledigung anhängiger Verwaltungsverfahren zu schädigen, seine Befugnis im Namen der Gemeinde Wien als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte, nämlich als Berufungsreferent die Konzipierung einfacher Berufungsbescheide unter Anleitung und Kontrolle eines rechtskundigen Dezernenten vorzunehmen, dadurch wissentlich mißbrauchte, daß er insgesamt elf im Urteil angeführte, ihm zur Erledigung zugewiesene Verfahren nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Jahresfrist erledigte und nach Ablauf der Frist die gegenständlichen Akten mit einem fotokopierten Erledigungsvermerk versah, welcher die Unterschrift seines Vorgesetzten trug.
Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf § 281 Abs. 1 Z 5 und 9 lit. a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Ihr kommt Berechtigung zu, weil dem angefochtenen Urteil sowohl Begründungs- als auch Feststellungsmängel zur subjektiven Tatseite anhaften.
Rechtliche Beurteilung
In subjektiver Hinsicht ist zur Verwirklichung des Tatbestands des Mißbrauchs der Amtsgewalt der wissentliche (§ 5 Abs. 3 StGB) Mißbrauch der Befugnis zur Vornahme von Amtsgeschäften erforderlich. Darüber hinaus muß dieser wissentliche Mißbrauch aber auch vom Vorsatz (§ 5 Abs. 1 StGB) des Täters getragen sein, dadurch einen anderen an seinen Rechten zu schädigen, wofür bedingter Vorsatz genügt (vgl. Leukauf-Steininger Kommentar2 § 302 RN 30). Das Schöffengericht stellte dazu (gestützt auf die als glaubwürdig erachtete Aussage des Zeugen Dr. KÖ und die von diesem vorgelegten Protokollauszüge) fest, daß der Angeklagte als Berufungsreferent der Magistratsabteilung 70 und somit Organ der Hoheitsverwaltung einfache Berufungsbescheide in rechtlichen Verkehrsangelegenheiten unter Anleitung und Kontrolle eines rechtskundigen Dezernenten zu konzipieren hatte, die ebenso wie Einstellungsverfügungen von diesem zu approbieren sind. In elf Fällen unterließ er eine rechtzeitige Aktenbearbeitung, obwohl er ausreichend Zeit hatte und wußte, daß die angefochtenen Bescheide durch seine Untätigkeit (weil gemäß § 51 Abs. 5 VStG die Berufungsentscheidung innerhalb eines Jahres ab Einbringen der Berufung zu erlassen ist) ex lege als aufgehoben gelten und das Verfahren einzustellen ist.
Ferner stellten die Tatrichter fest, daß sich der Angeklagte zur Verschleierung seiner Untätigkeit von einem Dezernenten eine Blankounterschrift verschaffte und davon Kopien herstellte, die er mit Aktenzahl und einem Vermerk über die Unauffindbarkeit des Aktes versah, wodurch der Eindruck erweckt werden sollte, die Verfahrenseinstellung wäre vom Dezernenten jeweils genehmigt worden. Weiters lastet das Urteil dem Angeklagten an, im Falle einer auf übermäßigen Alkoholkonsum zurückzuführenden Hinderung in der Bearbeitung der ihm übergebenen Akten wäre er verpflichtet gewesen, dies rechtzeitig seinem Vorgesetzten zu melden und auf die Gefahr der Verjährung hinzuweisen (US 7).
Erörterungen über Ausmaß und Wirkung eines sich aus der Verantwortung des Angeklagten ergebenden Alkoholmißbrauchs (AS 39 und 64), der ihn allenfalls subjektiv außerstande setzte, die Akten rechtzeitig zu erledigen, die drohende Verjährungsgefahr zu erkennen und die Vorgesetzten darauf hinzuweisen, sind den Entscheidungsgründen jedoch nicht zu entnehmen. Im Beweisverfahren hervorgekommene Umstände (Alkoholmißbrauch) sind ungewürdigt geblieben. Der Ausspruch über entscheidende Tatsachen ist somit unvollständig begründet (Z 5).
Zu Recht wendet die Beschwerde weiter in der Mängelrüge ein, daß in einem der in Rede stehenden Fälle das Verfahren eine andere Ursache für die mangelnde Aktenbearbeitung ergeben hat (Aktenzahl 9/494/86, F***; AS 46 hält fest, daß "... seitens der Polizei der Akt verschlampt wurde."), womit sich das Erstgericht nicht auseinandersetzte (Z 5).
Feststellungen darüber, daß es der Angeklagte zumindest ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, daß durch den wissentlichen Befugnismißbrauch, nämlich Nichterledigung der Akten innerhalb einjähriger Frist, konkrete Rechte von Gebietskörperschaften oder physischen Personen geschädigt werden, sind den Urteilsgründen mit der gebotenen Deutlichkeit nicht zu entnehmen; denn die im Rahmen der rechtlichen Beurteilung enthaltenen Ausführungen, dem Angeklagten sei bewußt gewesen, "daß dadurch Verjährung eintritt und somit der Staat in seinem konkreten Recht auf rechtzeitige und fristgerechte Erledigung anhängiger Verwaltungsverfahren geschädigt wird" (US 7), lassen nicht erkennen, daß das zum Ausdruck gebrachte Wissen des Angeklagten um den Eintritt der Verjährung auch die Aufnahme der konkreten Rechtsschädigung in den (zumindest bedingten) Vorsatz erfaßt. Ausdrücklicher Feststellungen mit tragfähiger Begründung hiezu hätte es - worauf die Beschwerde gleichfalls unter dem Gesichtspunkt einer Unvollständigkeit (Z 5) hinweist - ebenso deshalb bedurft, weil der Angeklagte mehrfach seinen exzessiven Alkoholkonsum in den in Rede stehenden Jahren ins Treffen geführt hat, sodaß das Schöffengericht verhalten gewesen wäre, auch dazu Stellung zu nehmen, ob bzw. in welchem Ausmaß ein allfälliger Alkoholmißbrauch des Angeklagten auf die Führung seiner Amtsgeschäfte und damit auch auf den hier aktuellen subjektiven Tatbestand Einfluß hatte. Die dem angefochtenen Urteil anhaftenden, vom Beschwerdeführer zutreffend gerügten Feststellungs- und Begründungsmängel lassen eine abschließende rechtliche Beurteilung des Tatverhaltens des Angeklagten nicht zu.
Da somit eine Verfahrenserneuerung in erster Instanz unumgänglich ist, war übereinstimmend mit der Stellungnahme der Generalprokuratur schon bei nichtöffentlicher Beratung wie im Spruch zu erkennen (§ 285 e StPO), ohne daß es erforderlich wäre, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.
Sollte nach den Ergebnissen des fortzusetzenden Verfahrens das Verbrechen des Amtsmißbrauchs fortfallen, wären die Manipulationen der Erledigungsvermerke in Richtung des § 223 StGB zu prüfen. Mit seiner gegenstandslos gewordenen Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
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