OGH 9ObA224/89

OGH9ObA224/8930.8.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Fellner und Dr. Dengscherz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. Ernst L***, Angestellter, Wien 11., Angeligasse 38/11, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei V*** A*** S*** AG vormals V***

E*** AG, Linz, Turmstraße 45, vertreten durch Dr. Michael Meyenburg, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unwirksamerklärung einer Kündigung (§ 105 ArbVG) (Streitwert S 31.000), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. Jänner 1989, GZ. 32 Ra 56/88-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 10. Februar 1988, GZ. 24 Cga 2505/87-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 3.087,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 514,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Behauptung der Revisionswerberin, daß das Rechtsbüro der B*** GesmbH in Wien am 31. Dezember 1988 geschlossen worden sei, ist eine unzulässige Neuerung (§ 504 Abs 2 ZPO). Außer Streit steht lediglich, daß die B*** GesmbH die Beschäftigten der Beklagten nach Schluß des Verfahrens erster Instanz übernommen hat. Da der Oberste Gerichtshof die Begründung des angefochtenen Urteils für zutreffend erachtet, reicht es an sich aus, auf deren Richtigkeit hinzuweisen (§ 48 ASGG), doch sei folgendes ergänzend hinzugefügt:

Die Ansicht der Vorinstanzen, daß die Kündigung des im 54. Lebensjahr stehenden, seit 22 Jahren im V***-A*** Konzern als Betriebsjurist, zuletzt im Rechtsbüro Wien der Beklagten, beschäftigten Klägers gemäß § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG nicht durch betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers entgegenstehen, begründet sei, ist zuzustimmen. Das Berufungsgericht hat diese Rechtsansicht vor allem damit begründet, daß am 31. Oktober 1987, also nach der Kündigung des Klägers, aber vor seinem Ausscheiden ein anderer Betriebsjurist, nämlich Dr. G*** aus den Diensten der Beklagten ausgetreten ist und die Beklagte diese Stelle dem Kläger nur unter der Bedingung der Kürzung seiner bisherigen Bruttomonatsbezüge von S 42.750,-- auf S 28.000,-- angeboten hat, der Kläger an sich zur Übernahme dieser Tätigkeit in Kapfenberg bereit gewesen wäre, diese wegen des stark reduzierten Einkommens aber abgelehnt hat und daß die Beklagte daraufhin diese Stelle beim Arbeitsamt Bruck a.d. Mur als offen gemeldet hat; ferner damit, daß die Agenden des Büros in Kapfenberg von dem dort tätigen Dr. S*** nach dem Ausscheiden von Dr. G*** nicht allein bewältigt werden konnten und auch nicht erwiesen ist, daß der Kläger unfähig gewesen wäre, andere als die bisher verrichteten Tätigkeiten der Rechtsabteilung zu übernehmen.

Dem von der Beklagten bereits in der Berufung geltend gemachten Argument, daß ihre Pflicht zur Prüfung einer Weiterverwendungsmöglichkeit des Klägers auf den Betrieb in Wien beschränkt gewesen sei, hielt die zweite Instanz zutreffend entgegen, daß zwar die Pflicht zur Prüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten eines Arbeitnehmers bei Bestehen mehrerer Betriebe grundsätzlich auf den Betrieb zu beschränken sei, in dem der Arbeitnehmer verwendet wurde, daß aber dieser Grundsatz nicht Anwendung finde, wenn wegen besonderer Umstände eine weitergehende Prüfpflicht des Arbeitgebers bestehe, zB wenn der Arbeitnehmer schon wiederholt in verschiedenen Betrieben des Betriebsinhabers gearbeitet habe. Solche Umstände lägen hier vor, weil das Rechtsbüro aus den Standorten Wien und Kapfenberg bestehe, der Kläger versetzungswillig gewesen sei und innerhalb des V***-A*** Konzerns schon vorher in einem anderen Betrieb gearbeitet habe.

Beide Parteien gehen offenbar davon aus, daß die Kündigung wesentliche Interessen des Klägers beeinträchtigt, weil er praktisch keine Chance hat, in seinem Alter noch eine vergleichbare Beschäftigung zu finden und auch noch keinen Pensionsanspruch hat. Da das Fehlen von Feststellungen über die sozialen Verhältnisse des Klägers in der Revision überdies nicht releviert wurde, ist darauf nicht weiter einzugehen.

Die Beklagte wendet sich mit der Rechtsrüge (soweit diese gesetzmäßig ausgeführt ist) ausschließlich dagegen, daß ihr die Prüfung zugemutet werde, ob sie den Kläger in einem anderen Betrieb ihres Unternehmens weiterbeschäftigen hätte können; dadurch sei die Prüfpflicht auf das gesamte Unternehmen erstreckt worden; richtigerweise hätte sie auf den Betrieb der Beklagten in Wien beschränkt werden müssen.

Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Ob die einzelnen Standorte der Rechtsabteilung der Beklagten (Wien, Ternitz, Kapfenberg) zu ein und demselben Betrieb im Sinne des § 34 ArbVG gehörten, kann auf sich beruhen. Die Beklagte hat allerdings auf die Behauptung des Klägers, er habe im "Hauptrechtsbüro" in Wien gearbeitet, selbst erwidert, daß es bei ihr (nur) ein Rechtsbüro mit mehreren Standorten und kein Hauptrechtsbüro gebe (AS 7). Das wurde auch von den Vorinstanzen festgestellt und spricht, ebenso wie der Umstand, daß Dr. S*** für mehrere Standorte tätig war, eher dafür, daß alle Standorte des Rechtsbüros zum selben Betrieb gehörten. Die Frage kann aber dahingestellt bleiben, weil die Beklagte dem Kläger die Stelle in Kapfenberg ohnehin - wenn auch unter unzumutbarer Verschlechterung der Lohnbedingungen - angeboten hat und der Kläger - trotz der Erschwernisse, die mit einer derartigen Versetzung verbunden gewesen wären - ohne diese Gehaltskürzung zur Tätigkeit am Standort Kapfenberg bereit gewesen wäre. Da die dort zu erledigenden Aufgaben mit der vom Kläger vorher verrichteten Tätigkeit vergleichbar waren, hat die Beklagte durch diese Vorgangsweise ihre Pflicht, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um den Kläger weiterzubeschäftigen, verletzt. Die Kündigung war daher nach dem im Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens vorliegenden Sachverhalt nicht durch betriebliche Erfordernisse begründet. Allerdings muß bei der Beurteilung der Betriebsbedingtheit der Kündigung auch die künftige Entwicklung der Verhältnisse nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses herangezogen werden, wenn diese noch in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der angefochtenen Kündigung steht (WBl 1988, 399 = RdW 1988, 395). Hiebei müssen aber die prozessualen Grenzen des Neuerungsverbotes beachtet werden. Es kann daher nur auf solche Umstände Rücksicht genommen werden, die die Parteien in erster Instanz, bzw. unter den Voraussetzungen des § 63 ASGG zulässigerweise im Berufungsverfahren vorbringen konnten und auch vorgebracht haben. Daß das Rechtsbüro Wien am 31. Dezember 1988 zur Gänze geschlossen wurde, hat die Beklagte in erster und zweiter Instanz nicht vorgebracht. Überdies könnte dieser Umstand für sich allein die Kündigung des Klägers bereits zum 31. Dezember 1987 deshalb nicht rechtfertigen, weil nach den Feststellungen der Vorinstanzen im Jahr 1988 zahlreiche Liegenschaftsagenden zu erledigen waren.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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