OGH 15Os79/89

OGH15Os79/891.8.1989

Der Oberste Gerichtshof hat am 1.August 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hörburger, Dr. Reisenleitner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Maurer als Schriftführer in der Strafsache gegen Norbert S*** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 7.April 1989, GZ 7 a Vr 8561/88-57, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten dieses Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet (§ 285 i StPO).

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Norbert S*** des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 4.September 1988 (zu ergänzen: in Wien) Herbert B*** durch Versetzen eines Bauchstiches (im Urteilsspruch ersichtlich zufolge eines nicht korrigierten Schreibfehlers: "Baustich") mit Öffnung des Dickdarms sowie durch Zufügung von weiteren Schnittwunden mit einem Fixiermesser von ca. 10 cm Klingenlänge eine schwere Körperverletzung absichtlich zugefügt hatte.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde aus der Z 4, 5, 5 a und 10 des § 281 Abs 1 StPO, der jedoch keine Berechtigung zukommt.

Einen Verfahrensmangel (Z 4) erblickt der Beschwerdeführer darin, daß nach der Vertagung der Hauptverhandlung vom 3.März 1989 auf den 7.April 1989 die Hauptverhandlung nicht gemäß § 276 a StPO neu durchgeführt wurde, obwohl sich sowohl die Zusammensetzung des erkennenden Senates geändert hatte als auch seit der vertagten Hauptverhandlung mehr als 30 Tage verstrichen waren. Da somit nicht alle Mitglieder des Senats sämtliche Beweisergebnisse aus eigener Anschauung gekannt hätten, wodurch ein wichtiges Verteidigungsrecht verletzt worden sei, sei das Beweisverfahren nichtig. Dieses Vorbringen geht schon deshalb ins Leere, weil das Schöffengericht in der mit Urteil beendeten Hauptverhandlung am 7. April 1989 die Hauptverhandlung gemäß § 276 a StPO ohnedies neu durchgeführt hat (S 276). Das Unterbleiben einer neuerlichen Vernehmung aller Zeugen und die Verlesung der früheren Verfahrensergebnisse beruhte auf der Zustimmung der Parteien (S 255, 278). Eine Verletzung des Gesetzes in der Bestimmung des § 276 a StPO liegt daher nicht vor; eine solche stünde überdies auch gar nicht unter Nichtigkeitssanktion.

Im Hinblick auf die prozeßordnungsgemäß erfolgte Neudurchführung der Hauptverhandlung am 7.April 1989, in der

auch - einvernehmlich - das Protokoll über die Hauptverhandlung vom 3. März 1989 (das auch die Aussage der in jener Hauptverhandlung vernommenen Zeugin Andrea J*** enthält) verlesen wurde, gehen auch die weiteren, gegen die Vernehmungsfähigkeit dieser Zeugin ins Treffen geführten Ausführungen in der Verfahrensrüge ebenso fehl wie ein hiezu - prozeßordnungswidrig - in der Rechtsmittelschrift gestellter Beweisantrag. Abgesehen davon sind die gegen eine Zeugnisfähigkeit erstmals im Rechtsmittel vorgebrachten Tatsachen nicht aus den Akten zu ersehen, sondern ebenso unzulässige und im Nichtigkeitsverfahren unüberprüfbare (Mayerhofer/Rieder2 ENr. 50 zu § 151 StPO) Neuerungen des Verteidigers, der die Zeugin J*** anläßlich ihrer Vernehmung gar wohl einer eingehenden Befragung zur Tat unterzogen hat. Im übrigen hatte das Erstgericht auf Grund des gewonnenen persönlichen Eindruckes keinerlei Bedenken gegen die Zeugnisfähigkeit und wurden auch solche nicht vorgebracht. Außerdem haben die Tatrichter den durch Suchtgift- und Alkoholkonsum beeinträchtigten Zustand auch der Zeugin J*** erörtert (US 7). Mit seinem Vorbringen in der Mängelrüge bekämpft der Angeklagte die Feststellung seiner Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit. Soweit das Unterbleiben einer chemografischen Blutuntersuchung gerügt wird, die eine deutliche Nervenschädigung hätte erkennen lassen, wird damit jedoch nicht der relevierte Nichtigkeitsgrund zur Darstellung gebracht, sondern jener der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO, zu dessen Geltendmachung der Beschwerdeführer jedoch mangels eines in der Hauptverhandlung erfolglos auf diese Beweisaufnahme abzielenden Antrages gar nicht legitimiert ist.

Im übrigen vermag der Beschwerdeführer keine Begründungsmängel im Sinne der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO aufzuzeigen. Er beschränkt sich vielmehr auf die Bekämpfung der auf dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Dr. J*** beruhenden Feststellung, daß weder ein Zustand der vollen Berauschung noch ein sonstiger dem § 11 StGB zu unterstellender Zustand des Angeklagten vorgelegen sei. Diese Ausführungen, die nach Zielsetzung einer Schuldberufung auf eine Bekämpfung der Beweiswürdigung des Schöffengerichtes hinauslaufen, erweisen sich jedoch als nicht zielführend. Unter Relevierung des Nichtigkeitsgrundes der Z 5 a des § 281 Abs 1 StPO versucht der Beschwerdeführer, Bedenken gegen die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes nicht nur zur Frage der Zurechnungsfähigkeit - unter Verweisung auf sein Vorbringen in der Mängelrüge -, sondern auch hinsichtlich des Tatgeschehens selbst aufzuzeigen. Das Vorbringen geht dahin, daß der Angeklagte in Wahrheit in Putativnotwehr gehandelt hätte. Soweit darin Bedenken gegen die Aussage der Zeugin Andrea J*** geltend gemacht werden, ist darauf zu verweisen, daß auch das Gericht festgehalten hat (US 7), daß die Psyche dieser Zeugin am meisten durch die Einnahme von Suchtgiften und Alkohol gelitten hat. Diese Überlegungen sowie weitere Spekulationen über die Motive von anderen Zeugen, die ebenfalls den Angeklagten belasten, sind jedoch nicht geeignet, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld vom Erstgericht zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen zu erwecken; diese Ausführungen stellen sich in Wahrheit ebenfalls wiederum nur als eine im Rechtsmittelverfahren gegen schöffengerichtliche Urteile nach wie vor unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung nach Art einer Schuldberufung dar. Entgegen dem Vorbringen in der Nichtigkeitsbeschwerde gestattet die Größe der Wohnung durchaus eine Distanz von 3 m bis 4 m, zumal sich der Vorfall zwischen dem Angeklagten und dem nachmals verletzten B*** in der Türnähe abgespielt hat. Insoweit der Beschwerdeführer auf die kniende Haltung des Zeugen P*** bei seinem Gespräch mit Andrea J*** Bezug nimmt, und diese Haltung als "absolut untypisch" bezeichnet, ist er darauf zu verweisen, daß es sich hiebei nicht um eine entscheidende Tatsache handelt. Die Subsumtionsrüge (Z 10), in welcher der Beschwerdeführer - in allerdings etwas unklarer Weise - eine Beurteilung nach den §§ 3 Abs 2 und 8 StGB anstrebt, womit offenbar eine Subsumtion unter die Bestimmung des § 88 Abs 3 StGB ins Auge gefaßt ist, entbehrt einer gesetzmäßigen Ausführung, weil nicht von der erstgerichtlichen Feststellung, daß auch eine vom Angeklagten irrtümlich angenommene Notwehrsituation nicht gegeben war, abgewichen wird. Die Nichtigkeitsbeschwerde erweist sich daher als teils nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt (§ 285 d Abs 1 Z 1 StPO), und im übrigen als offenbar unbegründet (§ 285 d Abs 1 Z 2 StPO iVm § 285 a Z 2 StPO), weshalb sie bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen war.

Zur Entscheidung über die Berufungen ist demnach gemäß § 285 i StPO das Oberlandesgericht Wien zuständig.

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