OGH 15Os80/89

OGH15Os80/891.8.1989

Der Oberste Gerichtshof hat am 1.August 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hörburger, Dr. Reisenleitner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Maurer als Schriftführer in der Strafsache gegen Josef Franz S*** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Linz vom 24. April 1989, GZ 31 Vr 1857/88-59, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben und der Wahrspruch der Geschwornen, der zu den Fragen 1 bis 3 unberührt bleibt, zu den Fragen 4, 6, 7 und 9 sowie das darauf beruhende Urteil (zur Gänze) aufgehoben und die Sache an das Geschwornengericht beim Landesgericht Linz - zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung - verwiesen.

Darauf wird der Angeklagte mit seiner Berufung verwiesen.

Text

Gründe:

Josef Franz S*** wurde mit dem bekämpften, auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen geschöpften Urteil des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Nach dem Inhalt des Urteilsspruchs liegt ihm zur Last, am 30.Oktober 1988 in Linz dem Friedrich S*** eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) absichtlich zugefügt zu haben, indem er dem Genannten ein Klappmesser mit etwa 15 cm langer Klinge in die linke Brust stieß, wodurch dessen Herzbeutel eröffnet wurde.

Die Geschwornen hatten die Fragen 1 (Hauptfrage nach dem Verbrechen des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB), 2 (Eventualfrage 1 nach dem Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 zweiter und dritter Fall StGB) sowie 3 (Eventualfrage 2 nach dem Verbrechen des versuchten Totschlages nach §§ 15, 76 StGB) verneint, die Frage 4 (Eventualfrage 3 nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB) bejaht, die Frage 5 (Eventualfrage 4 nach dem Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1, Abs. 2 Z 1 StGB) demzufolge unbeantwortet gelassen, die Frage 6 (Zusatzfrage 1 nach Notwehr gemäß § 3 StGB) und die Frage 7 (Zusatzfrage 2 nach Notwehrüberschreitung gemäß § 3 Abs. 2 StGB) verneint, die Frage 8 (Eventualfrage 5 zu den beiden vorausgehenden Fragen nach dem Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 StGB) demnach wieder unbeantwortet gelassen und die Frage 9 (Zusatzfrage 3 nach Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs. 1 StGB) verneint.

Der auf Gründe der Z 6 und 8 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kann schon wegen einer dem Schwurgerichtshof unterlaufenen Nichtigkeit nach Z 6 dieser Gesetzesstelle Berechtigung nicht versagt werden.

Der Verteidiger des Angeklagten hatte in der Hauptverhandlung den Antrag gestellt, den Geschwornen im Hinblick auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. S*** auch eine in Richtung Putativnotwehr gestellte Frage vorzulegen (S 90/II). Dieser Antrag wurde vom Schwurgerichtshof mit der Begründung abgewiesen, daß weder aus der Verantwortung des Angeklagten, noch aus dem Gutachten des Sachverständigen, noch aus der Aussage des Zeugen S*** die irrtümliche Annahme einer Notwehrlage indiziert sei (S 90 f/II).

Rechtliche Beurteilung

Diese bloß floskelhafte Begründung geht, wie der Beschwerdeführer zutreffend aufzeigt, an Verfahrensergebnissen vorbei:

Denn der psychiatrische Sachverständige Dr. S*** hatte in der Tat zum Ausdruck gebracht, daß der Beschwerdeführer wegen seiner als "Krankheitsbild" eingestuften Charakterneurose (Psychopathie) dazu tendiert, eigene Konflikte, innere Spannungen und Probleme nach außen zu projizieren und sie als von anderen verursacht tatsächlich zu erleben, woraus resultieren könne, daß er sich wesentlich früher in einer Notwehrsituation sehe als ein in diesem Belange gesunder Mensch (S 68 f/II).

Diese Ausführungen über die Möglichkeit eines aus der psychischen Besonderheit des Beschwerdeführers resultierenden fehlerhaften Vorstellungsbildes im Verein mit seiner Verantwortung, wonach er tatsächlich fortgesetzte Angriffe des Tatopfers erlebt hätte (S 44 f/I, 49/I, 64 f/I, 47/II, 50/II), ließen in der Tat die Stellung einer Frage nach Putativnotwehr (und selbstredend auch nach Putativnotwehrexzeß) geboten erscheinen.

Schon der dargestellte, dem Schwurgerichtshof unterlaufene Verfahrensmangel nötigt den Obersten Gerichtshof zur Kassation der dem Schuldspruch zugrundeliegenden Teile des Wahrspruches der Geschwornen und damit des bekämpften Urteils, ohne daß es erforderlich wäre, im einzelnen auf die Instruktionsrüge (Z 8) des Beschwerdeführers einzugehen.

Es war daher - unter Aufrechterhaltung des Wahrspruchs zu den Fragen 1 bis 3 - im übrigen mit einer Kassation des Wahrspruchs und des darauf beruhenden Urteils vorzugehen und insoweit die Verfahrenserneuerung vor dem Geschwornengericht (siehe hiezu insb. SSt. 54/19 = EvBl. 1984/45) im Sinne des § 349 Abs. 1 und 2 StPO anzuordnen, das im übrigen zur Vermeidung einer - jetzt ungerügt gebliebenen - Nichtigkeit bei einer Fragestellung nach einer behaupteten Volltrunkenheit nach dem Dreifragenschema vorzugehen haben wird (siehe Mayerhofer/Rieder StPO2 E 69 bis 76 zu § 314 StPO). Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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