Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichts wieder hergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 2.469,12 (darin keine Barauslagen und S 411,52 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit S 4.466,40 (darin S 1.500 Barauslagen und S 494,20 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 19.Mai 1988 gegen 8.30 Uhr kam es an der Kreuzung Waschstattgasse-Bergstraße in Eisenstadt zu einem Verkehrsunfall, an dem der vom Kläger gehaltene und von seiner Ehefrau Theresia B*** gelenkte PKW VW Jetta, polizeiliches Kennzeichen B 152.076, und der von Milorad A*** gelenkte, von Dipl.Ing.Laszlo R*** gehaltene und bei der Beklagten haftpflichtversicherte Ford Transit Pritsche VLD, polizeiliches Kennzeichen B 68.761, beteiligt waren. Der Kläger forderte mit dem Vorbringen, seiner Ehegattin als Lenkerin seines PKWs sei als Rechtskommender gegenüber dem Lenker des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeugs der Vorrang zugekommen, das Alleinverschulden an dem Zusammenstoß treffe den Lenker dieses Fahrzeugs, an Reparaturkostenersatz S 21.298,90 sA. Die Beklagte bestritt das Klagsvorbringen dem Grunde nach, stellte es mit Ausnahme des Zinsenbegehrens der Höhe nach außer Streit, beantragte kostenpflichtige Klagsabweisung und brachte vor, daß es sich bei der Waschstattgasse um eine gemäß § 19 Abs 6 StVO gegenüber dem fließenden Verkehr der Bergstraße benachrangte Verkehrsfläche handle, sodaß dem Lenker des bei der Beklagten haftpflichtversicherten LKWs der Vorrang zugestanden sei. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Ausnahme eines Zinsenmehrbegehrens statt, wobei es im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging:
Milorad A*** fuhr mit dem Ford Transit die Bergstaße bergauf Richtung Hauptschule. Zur selben Zeit bog die Lenkerin des PKWs des Klägers von der Waschstattgasse in die Bergstraße ein und es kam im Kreuzungsbereich zur Kollision der beiden Fahrzeuge. In der Waschstattgasse, die den Hartlsteig und die Bergstraße geradlinig verbindet, gilt eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h und allgemeines Fahrverbot. Sie dient der Zufahrt zum Gesundheitsamt der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt sowie zu einzelnen Wohnhäusern. Vor dem Beginn der Waschstattgasse ist sowohl am Hartlsteig als auch in der Bergstraße das Vorschriftszeichen gemäß § 52 Z 1 StVO aufgestellt, und zwar am Hartlsteig mit dem Zusatz "Ausgenommen Anrainer" und in der Bergstraße mit dem Zusatz "Zufahrt gestattet". Unterhalb der Fahrverbotstafeln ist jeweils das Verkehrszeichen Geschwindigkeitsbeschränkung 30 km/h angebracht. Die Waschstattgasse ist an der Einmündung zur Bergstraße 4,70 m breit und es reicht der Straßenasphalt bis zu den Mauern der beiderseitig dort befindlichen Häuser, wobei der Asphalt zum Haus Bergstraße 6 in einer Breite von 20 cm etwas ansteigt. An die Asphaltfahrbahn der Waschstattgasse schließt unterschiedslos der Gehsteig der Bergstraße, der im Bereiche der Waschstattgasse eine Breite von 1,60 m aufweist. Im Bereiche der Einmündung der Waschstattgasse ist der Gehsteigrand zur Bergstraße hin auf eine Breite von 5,60 m abgeschrägt. Die Bergstraße ist an der Unfallstelle 7 m breit und mit Rauhasphalt versehen. Der Gehsteig der Bergstraße gegenüber der Einmündung der Waschstattgasse ist 1,95 m breit. Die Waschstattgasse verbreitert sich nach dem Ende des Hauses Bergstraße 6 um 1,40 m und ist am Beginn beim Hartlsteig 6 m breit. Entlang der gesamten Waschstattgasse befindet sich kein Gehsteig. Die Waschstattgasse ist 200 m lang. Auf der rechten Seite der Waschstattgasse - in Richtung Bergstraße gesehen - befinden sich Privathäuser, links das Gebäude des Amtes der Bgld. Landesregierung.
Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, der Einwand der Beklagten, daß es sich bei der Waschstattgasse um eine Verkehrsfläche nach § 19 Abs 6 StVO handle, sei nicht stichhältig. Bei der Beurteilung, ob eine Verkehrsfläche den in § 19 Abs 6 StVO angeführten Verkehrsflächen gleichzuhalten sei, komme es nicht auf die jeweilige subjektive Betrachtungsweise der beteiligten Lenker, sondern darauf an, ob sich die betreffende Verkehrsfläche in ihrer gesamten Anlage deutlich von sonstigen öffentlichen Straßen unterscheide. Dies müsse nach objektiven Gesichtspunkten beurteilt werden. Es gelte daher auch zu Gunsten von Sackgassen, die sich in ihrer Anlage von anderen öffentlichen Straßen nicht deutlich unterscheiden, im Zweifel der Rechtsvorrang. Eine Straße die mit Fahrverbot in beiden Richtungen, jedoch mit Zusatztafel "Zufahrt gestattet", bzw "Ausgenommen Anrainer" gekennzeichnet ist, sei als Sackgasse zu behandeln; die Rechtsregel sei anzuwenden (ZVR 1966 Nr 102). Aus dem alleinigen Umstand, daß eine Straße nur von einer bestimmten Gruppe von Verkehrsteilnehmern befahren werden dürfe, zB nur von Anrainern, könne nicht geschlossen werden, daß es sich um eine Straße von geringer Bedeutung handelt. Die Gehsteigabschrägung bzw die notgedrungene Überfahrung des Gehsteigs beim Einbieben in der Bergstraße und somit die schlechte Erkennbarkeit der Kreuzung wäre sicherlich ein Hinweis für das Vorliegen einer Fläche nach § 19 Abs 6 StVO. Das andere Ende der Waschstattgasse bei der Einmündung zum Hartlsteig stelle sich jedoch als "normale" Kreuzung dar, die keinerlei Hinweis auf das Vorliegen einer Verkehrsfläche nach § 19 Abs 6 StVO zulasse. Die Waschstattgasse könne nur als Ganzes unter der Berücksichtigung der gesamten Anlage beurteilt werden. Nach den getoffenen Feststellungen diene die Waschstattgasse als Zufahrt zu mehreren Privathäusern und vor allem der Zufahrt zum Amtsgebäude der Bgld. Landesregierung. Aufgrund dieses Umstandes und der Ausführung der Straße (asphaltiert, Breite von 6 m mit Ausnahme der vorspringenden Hausmauer Bergstraße 6, Bezeichnung als Waschstattgasse) könne von einer Verkehrsfläche mit geringer Bedeutung nicht gesprochen werden. Somit sei die Lenkerin des Fahrzeugs der Kläger im Vorrang und dem Klagebegehren stattzugeben gewesen.
Infolge Berufung der Beklagten änderte das Gericht zweiter Instanz das Urteil des Erstgerichts, das hinsichtlich der Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens unbekämpft geblieben war, im Sinne der Klagsabweisung ab. Das Berufungsgericht gelangte, ausgehend von den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichts, zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung.
Die Bestimmung des § 19 Abs 6 StVO sei eine Ausnahme von der Grundregel des Rechtsvorrangs. Das gemeinsame Kriterium der in § 19 Abs 6 StVO genannten Verkehrsflächen liege in ihrer wesentlich geringeren Bedeutung als jener der Normalstraßen. Dabei habe die Beurteilung nach objektiven Kriterien zu erfolgen. Der Oberste Gerichtshof stufe zwar eine Straße, für die ein eingeschränktes Fahrverbot gelte, nicht schlechthin als untergeordnete Verkehrsfläche ein (ZVR 1977/284), habe andererseits aber entschieden, daß der aus einer Straße mit einem allgemeinen Fahrverbot kommende Fahrzeuglenker einen Vorrang nicht in Anspruch nehmen könne (ZVR 1975/24). Grundgedanke des § 19 Abs 6 StVO sei, daß dem fließenden Verkehr der Vorrang gegenüber den Verkehrsteilnehmern auf allen jenen Verkehrsflächen zukomme, denen eine wesentlich geringere Bedeutung beizumessen sei als einer Normalstraße. Die vom Erstgericht festgestellten Kriterien für die Beurteilung iSd § 19 Abs 6 StVO sprächen nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichts eindeutig dafür, die Waschstattgasse als Verkehrsfläche von geringer Bedeutung einzustufen. Für die Benützer der Bergstraße und für die Benützer der Waschstattgasse sei dieser Umstand deutlich erkennbar. Da lediglich die Kriterien einer gesicherten Rechtsprechung zu § 19 Abs 6 StVO auf einen konkreten Einzelfall anzuwenden seien, lägen die Voraussetzungen für die Zulassung einer Revision im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO nicht vor. Gegen das Urteil des Berufungsgerichts wendet sich die außerordentliche Revision des Klägers aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die Revision zuzulassen und das Berufungsurteil im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern.
In ihrer ihr gemäß § 508 Abs 2 ZPO freigestellten Revisionsbeantwortung beantragte die Beklagte, die außerordentliche Revision als unzulässig zurückzuweisen, andernfalls dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.
Die Klägerin führt zur Zulässigkeit ihres Rechtsmittels aus, das Berufungsgericht sei von der einhelligen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen, nach welcher eine Straße, für die ein eingeschränktes Fahrverbot gelte, nicht schlechthin als untergeordnete Verkehrsfläche einzustufen sei. Die vom Fahrzeug des Klägers befahrene Straße, für die nur ein eingeschränktes Fahrverbot gelte, sei daher nicht als Verkehrsfläche im Sinne des § 19 Abs 6 StVO zu beurteilen. Die Lenkerin des Fahrzeugs des Klägers sei daher gemäß § 19 Abs 1 StVO gegenüber dem bei der Beklagten versicherten PKW im Vorrang gewesen, den Lenker des letztgenannten Fahrzeugs treffe somit das Alleinverschulden an dem Zusammenstoß. Diesen Ausführungen kommt im Ergebnis Berechtigung zu. Gemäß § 19 Abs 6 StVO haben Fahrzeuge im fließenden Verkehr gegenüber Fahrzeugen den Vorrang, welche aus Nebenfahrbahnen, von Parkplätzen, von Haus- und Grundstückseinfahrten, von Feldwegen, von Tankstellen und dgl kommen. Nach der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes ist die Beurteilung der Frage, ob eine Fläche unter § 19 Abs 6 StVO fällt, nach objektiven Kriterien vorzunehmen (ZVR 1974/4, ZVR 1984/289 uva). Dabei kommt es immer auf die konkreten Umstände des Falles an (ZVR 1971/92, ZVR 1985/76 uva). Maßgebend ist insbesondere, ob sich die in Betracht kommende Verkehrsfläche in ihrer gesamten Anlage deutlich von sonstigen öffentlichen Straßen unterscheidet (ZVR 1976/67, ZVR 1984/149, 1985/40 ua). Die Verkehrsbedeutung und Frequenz ist dabei nicht entscheidend (vgl ZVR 1960/1 und 66; ZVR 1970/66; ZVR 1975/215 ua). Demzufolge wurden auch Sackgassen, die sich in ihrer Anlage von anderen öffentlichen Straßen nicht deutlich unterscheiden, nicht als iS des § 19 Abs 6 StVO nachrangige Verkehrsfläche behandelt (vgl ZVR 1960/66; ZVR 1968/146; ZVR 1970/66; ZVR 1975/154 ua). Was für Sackgassen gilt, gilt aber grundsätzlich auch für Straßen, für die ein eingeschränktes Fahrverbot gilt (vgl ZVR 1966/102; ZVR 1968/146; ZVR 1977/284; ZVR 1980/280 ua). Es kann sich kein Verkehrsteilnehmer darauf verlassen, daß auf solchen Verkehrsflächen innerhalb der durch die Einschränkung des Fahrverbotes gezogenen Grenzen kein Fahrzeugverkehr stattfindet. An Kreuzungen mit solchen Verkehrsflächen gilt daher nicht die Regel des § 19 Abs 6 StVO, sondern, sofern keine andere Regelung besteht, der Rechtsvorrang nach § 19 Abs 1 StVO (vgl ZVR 1982/86, ZVR 1977/284 ua). Werden diese Grundsätze auf den im vorliegenden Fall festgestellten Sachverhalt angewendet, ist dem Erstgericht beizupflichten, daß sich die Waschstattgasse, die im Ortsgebiet von Eisenstadt den Hartlsteig und die Bergstraße geradlinig verbindet, für die ein eingeschränktes Fahrverbot gilt, die durchgehend asphaltiert, zwischen 4,7 und 6 m breit ist und der Zufahrt zum Gesundheitsamt der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt und zu Wohnhäusern dient, in ihrer Anlage nicht deutlich von anderen öffentlichen Straßen unterscheidet und damit nicht als Verkehrsfläche iSd § 19 Abs 6 StVO anzusehen ist. Da das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Waschstattgasse als Verkehrsfläche iSd § 19 Abs 6 StVO von den diesbezüglichen vom Obersten Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen abgewichen ist - die vom Berufungsgericht zur Unterstützung seiner Rechtsansicht zitierte Entscheidung ZVR 1975/24 ist wegen eines andersgelagerten Sachverhalts auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, die Entscheidung ZVR 1977/284 vertritt die gegenteilige Auffassung - liegen die Voraussetzungen des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO vor, sodaß die außerordentliche Revision entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts zuzulassen war. Das Rechtsmittel ist aber, wie vorstehend dargelegt, auch berechtigt, da die aus der Waschstattgasse von rechts kommende Lenkerin des PKWs des Klägers sich gemäß § 19 Abs 1 StVO gegenüber dem Lenker des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeugs im Vorrang befand. Ohne Rechtsirrtum ist daher das Erstgericht vom Alleinverschulden des Lenkers dieses Fahrzeugs ausgegangen.
Der Revision war daher Folge zu geben und die angefochtene Entscheidung im Sinne der Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts abzuändern.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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