OGH 10ObS201/89

OGH10ObS201/894.7.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Elmar Peterlunger (AG) und Anton Degen (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Walter K***, Amstettner Straße 17, 3352 St. Peter in der Au, vertreten durch Dr. Rudolf Müller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** D*** A***, Roßauer

Lände 3, 1092 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Jänner 1989, GZ 31 Rs 2/89-26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 26. September 1988, GZ 32 Cgs 1043/87-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers auf Zuerkennung einer Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß (ab 1. August 1986) ab. Es stellte im wesentlichen fest, daß der am 13. Oktober 1938 geborene Kläger keinen Beruf erlernt hat und von 1960 bis 1971 als Lastwagenfahrer bei Bau- und Transportunternehmen tätig war. Auslandsfahrten hatte er nicht zu unternehmen. Seine administrative Tätigkeit bestand darin, sich den Lieferschein vom Empfänger der Ladung unterfertigen zu lassen und diesen dann seinem Dienstgeber wieder auszufolgen. Von 1971 bis 1984 war der Kläger Autobuslenker, unternahm auch Fahrten nach Deutschland und Frankreich und wickelte die beim Grenzübertritt nötigen Formalitäten ab.

Quartierbestellungen und Reiseleitungen nahm er nicht vor. Er führte an den von ihm gelenkten Fahrzeugen nur kleine Reparaturen, wie Keilriemenwechsel, Radwechsel oder Entlüftung der Treibstoffleitung durch. Seit 1984 ist der Kläger arbeitslos.

Der Kläger ist in der Lage, leichte Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen in den üblichen Arbeitszeiten mit den üblichen Pausen zu verrichten. Seine Gehleistung ist jedoch sowohl beim Arbeitsweg als auch während der Arbeit insofern eingeschränkt, als er maximal eine Stunde ununterbrochen gehen und insgesamt nur während der halben täglichen Arbeitszeit gehend arbeiten kann. Arbeiten unter Einwirkung von Kälte, Staub und Abgasen, auf Leitern und Gerüsten sowie häufiges Bücken und Treppensteigen sind dem Kläger nicht zumutbar. Als Kraftfahrer kann er wegen seiner leichten Demenz nicht mehr arbeiten, es sind ihm jedoch beispielsweise die Tätigkeiten eines Portiers, eines Fertigungsprüfers, der kleine Metall- oder Kunststoffteile optisch kontrolliert und fehlerhafte Teile ausscheidet, eines Pressers, Stanzers, Prägers, Entgraters in der Metall- oder Kunststoffindustrie oder eines Plastikspritzers zumutbar.

Da der Kläger nicht über jene qualifizierten Kenntnisse und Fähigkeiten verfüge, die dem Lehrberuf des Berufskraftfahrers im Sinne der Verordnung BGBl. 1987/396 entsprächen, genieße er keinen Berufsschutz. Im Sinne des § 255 Abs. 3 ASVG sei er aber wegen der bestehenden Verweisungsmöglichkeiten nicht invalide. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Nach ausführlicher Darlegung der für den Lehrberuf Berufskraftfahrer erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten im Sinne des BGBl. 1987/396 führte es aus, der Kläger verfüge auch nicht annähernd über das dort enthaltene Anforderungsprofil, eine angelernte Tätigkeit liege nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Nach § 255 Abs. 2 ASVG liegt ein angelernter Beruf im Sinne des Abs. 1 nur dann vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausübt, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, welche jenen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten sind. Die in der Praxis erworbenen Kenntnisse müssen zwar nicht, wie der Revisionswerber richtig ausführt, jene eines bestimmten gesetzlich geregelten Lehrberufes sein, sondern den in einem Lehrberuf erworbenen besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten an Qualität und Umfang nur entsprechen !SSV-NF 1/70 . Es reicht aber nicht aus, wenn die Kenntnisse und Fähigkeiten nur ein Teilgebiet eines Tätigkeitsbereiches umfassen, der von gelernten Arbeitern in viel weiterem Umfang beherrscht wird (SSV-NF 1/48). Im Falle des Berufskraftfahrers hat der Gesetzgeber nunmehr durch die Verordnung 1987/39 6 einen neuen Lehrberuf geschaffen, dessen Anforderungen das Berufungsgericht bereits ausführlich dargelegt hat. Vergleicht man damit die Kenntnisse und Fähigkeiten des Klägers, die er als Autobuschauffeur benötigt und erworben hat, so zeigt sich, daß diese ganz wesentlich unter jenen Anforderungen liegen, die an einen gelernten Arbeiter gestellt werden. Die Kenntnisse des Klägers gehen nur unwesentlich über jene hinaus, die von jedem Lenker eines Schwerkraftfahrzeuges anläßlich der Führerscheinprüfung verlangt werden. Dazu zählt auch die in der Revision ausdrücklich angesprochene Absolvierung eines gegenüber Lenkern von PKWs wesentlich erweiterten Erste-Hilfe-Kurses samt Prüfung. Der Kläger mußte während seiner in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend ausgeübten Tätigkeit nicht nur über keinerlei theoretische und kaufmännische Kenntnisse verfügen, auch seine handwerklich-praktischen Fähigkeiten liegen weit unter jenen, die im Lehrberuf Berufskraftfahrer gefordert werden. Ein angelernter Beruf liegt daher nicht vor.

Die getroffenen Feststellungen reichen auch aus, um die Verweisbarkeit des Klägers nach § 255 Abs. 3 ASVG zu beurteilen. Im vorliegenden Fall hat nicht nur der berufskundliche Sachverständige auf Grund des medizinischen Leistungskalküls Tätigkeiten angeführt, auf die der Kläger noch verwiesen werden kann, vielmehr wurden diese vom neurologisch psychiatrischen Sachverständigen, in dessen Fachgebiet die Beurteilung der Einordenbarkeit und Umstellbarkeit fällt, im schriftlichen und mündlichen Gutachten dem Kläger "auf jeden Fall" zugemutet. Der medizinische Sachverständige hat daher zu der Frage, ob die zu beurteilenden Tätigkeiten mit der verbliebenen Restarbeitsfähigkeit vereinbar sind, ausdrücklich Stellung genommen. Das Verweisungsfeld für Versicherte, die keinen erlernten oder angelernten Beruf ausgeübt haben, ist mit dem Arbeitsmarkt ident. Die in § 255 Abs. 3 ASVG enthaltene Unzumutbarkeitsformel hindert eine Verweisung auf Tätigkeiten, die den bisher ausgeübten unähnlich sind nicht, sondern soll nur in den Ausnahmsfällen eine Verweisung verhindern, die bei Berücksichtigung der schon ausgeübten Tätigkeiten als unbillig bezeichnet werden müßte (SSV-NF 2/34; 2/50). Aus dem vom Revisionswerber angeführten Umstand, daß ein Versicherter, der seinen Beruf durch viele Jahre hindurch "unterwegs" ausgeübt hat, bei den möglichen Verweisungstätigkeiten aber "in einen engeren organisatorischen Betriebsablauf eingebunden ist" kann noch kein solcher unbilliger Ausnahmefall gesehen werden. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Revisionskosten beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG.

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