OGH 9ObA137/89

OGH9ObA137/8928.6.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Meches und Rudolf Randus als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Kalman S***, Betriebsschlosser, Linz, Matthäus-Herzog-Straße 5, vertreten durch Dr. Heinrich E***, Sekretär der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich, Linz, Volksgartenstraße 40, dieser vertreten durch Dr. Walter Rinner, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Max H*** KG, Fisch- und Gemüsefeinkost, Linz, Wegscheiderstraße 27, vertreten durch Dr. Alfred Haslinger ua, Rechtsanwälte in Linz, wegen S 43.725,70 brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Februar 1989, GZ 12 Ra 2/89-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 7.Oktober 1988, GZ 14 Cga 55/88-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 2.572,20 (darin S 428,70 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 5.587,- (darin S 514,50 Umsatzsteuer und S 2.500,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Beklagten seit 2.Mai 1984 als Betriebsschlosser beschäftigt. Am 29.Jänner 1988 wurde er vom Geschäftsführer Adolf B*** entlassen.

Mit der vorliegenden Klage begehrt er insgesamt S 43.725,70 brutto sA an Kündigungsentschädigung, anteiligen Sonderzahlungen und Abfertigung. Er sei zu Unrecht entlassen worden, da er am 25.Jänner 1988 zwar den Betrieb zu Mittag verlassen habe, doch habe er einen Arbeitskollegen ersucht, dem Produktionsleiter mitzuteilen, daß er dringende Arbeiten in der Wohnung zu verrichten habe. Da der zweite Geschäftsführer der Beklagten erreichbar gewesen sei, sei die Entlassung auch verspätet ausgesprochen worden.

Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Der Kläger habe am 25.Jänner 1988 um ca. 12.00 Uhr die Arbeit ohne Zustimmung seines Vorgesetzten und ohne die Stempelkarte stempeln zu lassen, verlassen. Es habe dadurch betriebliche Schwierigkeiten gegeben, da der Kläger Maschinen umzustellen gehabt hätte und einen Schaden am Aufzug beheben hätte sollen. Da dieser Vorfall nicht der erste gewesen sei, habe ihn der Geschäftsführer Adolf B*** gerechtfertigt entlassen. Die Entlassung sei nicht verspätet erfolgt; der Geschäftsführer Adolf B***, der für Personalfragen allein zuständig sei, habe sich nämlich bis 29.Jänner 1988 auf Geschäftsreise befunden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest:

Es ist den Arbeitnehmern der Beklagten gestattet, das Betriebsgelände während der Mittagspause, die von 12.00 Uhr bis 12.30 Uhr dauert, zu verlassen. Am 25.Jänner 1988 wurden in der Wohnung des Klägers Installationsarbeiten durchgeführt. Der Kläger teilte dem Betriebsleiter Herbert R*** mit, daß er Mittag nach Hause fahren wolle, und verließ gegen 12.00 Uhr den Betrieb. Davon, daß er am Nachmittag nicht mehr kommen werde, sagte er nichts. Er erklärte lediglich seinem Arbeitskollegen Csaba S***, daß er es R*** mitteilen solle, wenn er nicht mehr komme.

Als der Kläger das Betriebsgelände verließ, ließ er die Stempelkarte in der Stechuhr stecken. Da er bei Installationsarbeiten in seiner Wohnung mithalf, kehrte er nicht mehr an seinen Arbeitsplatz zurück. Er verständigte auch niemanden, daß er am Nachmittag nicht mehr kommen werde.

An diesem Nachmittag fielen im Betrieb der Beklagten sowohl eine Verpackungsmaschine als auch ein Lastenaufzug aus. Da der Kläger als Aufzugswart allein zur Reparatur befugt war, wurde er vom Betriebsleiter gesucht. Csaba S*** teilte R*** mit, daß der Kläger zu Hause sei. Der Betriebsleiter berichtete dies dem "Personalbearbeiter" Karl S***, worauf beide feststellten, daß der Kläger nicht "ausgestempelt" hatte. Ein Versuch, den Kläger telefonisch zu erreichen, scheiterte, da das Telefon des Klägers abgemeldet war.

Durch den Ausfall der Verpackungsmaschine und den zwei bis drei Stunden währenden Stillstand des Aufzuges wurde der Arbeitsablauf erheblich gehemmt. Die Beklagte stand zu dieser Zeit unter Produktionsdruck, so daß etwa Urlaube nur in den dringendsten Fällen genehmigt wurden.

Der für Personalfragen allein zuständige Geschäftsführer Adolf B*** befand sich auf Geschäftsreise, von der er erst am 29.Jänner 1988 zurückkehrte. Er war während der Dauer der Geschäftsreise nicht erreichbar, da nicht bekannt war, wo er sich gerade befand. Karl S*** berichtete ihm am 29.Jänner 1988 vom Vorfall mit dem Kläger am 25.Jänner 1988. Daraufhin sprach B*** nach Rücksprache mit dem Betriebsleiter R*** die Entlassung wegen unberechtigten Fernbleibens von der Arbeit aus.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Entlassung des Klägers im Sinne des § 82 lit f, erster Tatbestand GewO begründet erfolgt sei. Die Arbeitsversäumnis sei sowohl im Hinblick auf die Dauer als auch auf die Störung des Betriebsablaufes erheblich gewesen. Gerade an diesem Nachmittag wäre die Anwesenheit des Klägers im Betrieb dringend erforderlich gewesen. Das Verlassen der Arbeit sei auch als pflichtwidrig anzusehen, da der Kläger dazu keine Erlaubnis gehabt habe und mit einer solchen auch nicht rechnen hätte können. Im Jänner seien Urlaube nur in ganz dringenden Fällen genehmigt worden. Die Mithilfe bei privaten Installationsarbeiten sei kein anerkennenswerter Grund. Der Kläger, der schon beim Verlassen des Betriebes gewußt habe, daß er nicht mehr kommen werde, habe vorsätzlich und im Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit gehandelt. Die Entlassung sei auch rechtzeitig erfolgt, da der für Personalfragen allein zuständige Geschäftsführer bis 29.Jänner 1988 nicht erreichbar gewesen sei.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens ab. Es traf folgende ergänzende Feststellungen:

Der Kläger wurde bereits am 8.September 1987 vom Geschäftsführer B*** schriftlich darauf aufmerksam gemacht, daß er am 4.September 1987 den Arbeitsplatz um eine halbe Stunde zu früh verlassen und eine Verpackungsmaschine nicht umgestellt habe.

Die Wohnung des Klägers ist etwa fünf Fahrminuten vom Betrieb der Beklagten entfernt. Am 26.Jänner 1988 kam der Kläger am Morgen in das Büro Karl S***, dem im Betrieb der Beklagten unter anderem der "Personalbereich" übertragen worden war, und ersuchte, die versäumten vier Stunden des Vortages als Urlaub zu genehmigen. S*** erwiderte, daß dies kein Problem sei.

Die Beklagte hatte in Rudolf B*** einen weiteren handelsrechtlichen Geschäftsführer, der in der Regel Mittwochs in den Linzer Betrieb kam, sonst aber für den Kremser Betrieb zuständig war. Dieser wurde vom Fernbleiben des Klägers nicht verständigt. Es kann nicht festgestellt werden, ob B*** am 27.Jänner 1988 in Linz war.

Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß Karl S*** zwar nicht berechtigt gewesen sei, Entlassungen auszusprechen, daß er aber mit den "Personalangelegenheiten" betraut gewesen und seine Kenntnis der Verfehlung des Klägers bereits der Beklagten zuzurechnen sei. Die Beklagte habe einen zweiten Geschäftsführer gehabt, der nach Handelsrecht zum Ausspruch der Entlassung berechtigt gewesen wäre. Eine Überlegungsfrist bis 29. Jänner 1988 sei der Beklagten daher nicht zuzubilligen. Dazu komme, daß der für "Personalangelegenheiten" und "offenbar" auch für die Urlaubseinteilung zuständige Karl S*** mit dem Ersuchen des Klägers, den versäumten Nachmittag des 25.Jänner 1988 auf seinen offenen Urlaub anzurechnen, einverstanden gewesen sei. Auch dieses Verhalten müsse sich die Beklagte zurechnen lassen, so daß der Kläger annehmen habe dürfen, daß die Fehlzeit auf den Urlaub angerechnet und sein Fernbleiben von der Arbeit nicht sofort mit einer Entlassung beantwortet würde.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Gründen der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Unter dem unbefugten Verlassen der Arbeit im Sinne des § 82 lit f, erster Tatbestand GewO 1859 ist jede mit der Verpflichtung des Arbeitnehmers, die vereinbarte Arbeitszeit einzubehalten, unvereinbare absichtliche Unterlassung oder ein länger dauerndes Aufgeben der Arbeit anzusehen. Da diese Bestimmung im Sinne des § 27 Z 4 AngG auszulegen ist, muß die Arbeitsversäumnis pflichtwidrig, erheblich und schuldhaft sein und überdies eines rechtmäßigen Hinderungsgrundes entbehren (vgl. Kuderna, Das Entlassungsrecht 66 ff; Arb.10.649, 10.449 uva).

Wie das Erstgericht richtig erkannte, war das vorsätzliche Fernbleiben des Klägers von der Arbeit nicht nur von erheblicher Dauer, sondern es bereitete auch betriebliche Schwierigkeiten, da der Kläger wegen des Ausfalls einer Verpackungsmaschine und des Lastenaufzugs im Betrieb der Beklagten dringend gebraucht worden wäre. Dem Kläger kommt auch kein rechtmäßiger Hinderungsgrund zugute, da er nicht einmal versucht hatte, ein vorheriges Einvernehmen mit dem Betriebsleiter herzustellen, während der Arbeitszeit eigenmächtig private Installationsarbeiten verrichtete und keine Vorgesetzten davon verständigte, daß er nicht mehr in den Betrieb kommen werde, obwohl seine Wohnung vom Betrieb nur fünf Fahrminuten entfernt ist. Der in der Berufung erhobene Einwand des Klägers, er habe auf seine persönlichen Sachen in der Wohnung aufpassen müssen, ist schon deshalb nicht stichhältig, da die Installationsarbeiten schon am Vormittag begonnen hatten. Richtig ist, daß eine Entlassung sofort, nachdem der Entlassungsgrund dem Arbeitgeber bekanntgegeben wurde, ausgesprochen werden muß (Kuderna aaO, 15 ff). Der Grundsatz der Unverzüglichkeit darf aber, wie die Revisionswerberin zutreffend ausführt, nicht überspannt werden. Es muß dabei den Erfordernissen des Wirtschaftslebens und den Betriebsverhältnissen, insbesondere der Organisationsform des Unternehmens Rechnung getragen werden (vgl. Arb.9.564). Ist daher der allein zum Ausspruch der Entlassung zuständige Geschäftsführer gerade auf einer Geschäftsreise, kann aus einer von einem untergeordneten Angestellten gegebenen Urlaubszusage nicht auf einen Verzicht des Arbeitgebers auf die Ausübung des Entlassungsrechts geschlossen werden.

Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes kam allein dem Geschäftsführer B*** die Entscheidungskompetenz in Personalfragen zu. Der zweite Geschäftsführer B*** war für den "Kremser Betrieb" zuständig. Ein Eingehen auf die zum Teil aktenwidrigen Vermutungen und Erwägungen des Berufungsgerichtes, der Personalverrechner S*** sei "offenbar" auch mit der Urlaubseinteilung befaßt gewesen, er sei für "Personalangelegenheiten" zuständig gewesen und er sei "einverstanden" gewesen, die Fehlstunden des Klägers auf den offenen Urlaubsrest anzurechnen, erübrigt sich schon deshalb, weil der stets qualifiziert vertretene Kläger kein derartiges Vorbringen erstattete. Der Kläger brachte lediglich "ergänzend" vor, daß die Entlassung jedenfalls verspätet ausgesprochen worden sei; dies insbesondere deshalb, weil der zweite Geschäftsführer der Beklagten erreichbar gewesen sei. Daß dieser Einwand nicht durchschlägt, hat aber bereits das Erstgericht richtig erkannt.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.

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