OGH 10ObS178/89

OGH10ObS178/8920.6.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Ferdinand Podkowicz (Arbeitgeber) und Gerhard Gotschy (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Erna K***, 5020 Salzburg, Schmiedingerstraße 14a, vertreten durch Dr. Franz Kreibich, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei P*** D*** A***, 1021 Wien, Friedrich

Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 1.März 1989, GZ 12 Rs 39/89-48, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 14.Dezember 1988, GZ 20 Cgs 196/88-43, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß es lautet:

"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei ab 1.Jänner 1986 eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, wird abgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz selbst zu tragen."

Die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht erkannte im zweiten Rechtsgang die beklagte Partei schuldig, der klagenden Partei ab 1.Jänner 1986 eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und trug eine vorläufige Zahlung von S 5.000 ab 1.Jänner 1986 auf. Es traf folgende Feststellungen:

Die 1942 geborene Klägerin absolvierte nach dem Besuch der Volks- und Hauptschule in den Jahren 1957 bis 1960 eine kaufmännische Lehre im Gemischtwarenhandel und schloß diese mit Kaufmannsgehilfenprüfung ab. Daran anschließend war sie bis 1961 als Verkäuferin beschäftigt. Von 1961 bis 1964 arbeitete sie in der Schweiz als Handelsangestellte und bis 1965 ein Jahr lang als Kassierin im Lebensmittelgeschäft ihres Schwiegervaters. Von September 1965 bis Dezember 1985 war sie als Büroangestellte der Firma M*** in Salzburg tätig. Die Klägerin war in der Auftragsbearbeitung eingesetzt, die bei der Firma M*** mit Hilfe von Datenverarbeitungssystemen erledigt wird. Im Jahr 1981 war die Klägerin vorwiegend damit beschäftigt, die Kundenkartei zu bearbeiten, wobei sie Änderungen und Neueintragungen in der Kartei vorzunehmen hatte. Die gesamte Kundenkartei wurde mittels EDV bearbeitet. Sie hatte weiters Kunden- und Vertretertelefonate entgegenzunehmen, wobei es sich im wesentlichen um die Abwicklung von Bestellungen handelte. Dies erforderte von der Klägerin ein fundiertes Wissen über die gesamte Warenpalette der Firma M***, über Preisgestaltung und Zahlungskonditionen sowie über die Auftragssituation im allgemeinen. Der Klägerin oblag auch die Korrespondenz mit Vertretern der Firma M***, wobei sie selbständig Schreiben verfaßte. Im Jahr 1981 war die Klägerin weiters damit betraut, die Angelegenheiten von Hotelleihgeräten zu bearbeiten. Die Vermietungskosten wurden von der Klägerin abgerechnet, die Geräte waren zuzuteilen und wieder zurückzufordern. Dabei war die Klägerin selbständig. Da es sich bei der Firma M*** um einen eher kleinen Betrieb handelt, von den ca. 100 Arbeitnehmern sind sieben im Büro tätig, war es notwendig, daß die Klägerin sämtliche Berufsbilder der im Büro Beschäftigten kannte, da sie für den Fall der Urlaubsvertretung oder bei Krankenständen auch an anderen Arbeitsplätzen eingesetzt wurde. Im Jahr 1983 verlagerte sich die Tätigkeit der Klägerin bzw. kam das Gutschriftenwesen hinzu. Dabei war es notwendig, daß bei Urgenzen von Seiten der Kundschaft oder nach Mitteilung eines Vertreters der gesamte Geschäftsfall selbständig aufzurollen war, sodaß die Korrespondenz in der speziellen Sache vorbereitet werden konnte. Dazu übte die Klägerin weiterhin die oben beschriebenen Tätigkeiten aus. Sie bearbeitete weiters telefonisch Großaufträge in Eigenverantwortlichkeit, wobei sie auch entscheiden konnte, in welcher Höhe Rabatte nach vorgegebenen Richtlinien gewährt wurden. Insgesamt war die Klägerin ca. zu einem Drittel mit EDV-Arbeiten beschäftigt, etwa zwei Drittel ihrer Tätigkeit bezogen sich auf die Entgegennahme von Telefonaten und die Abwicklung von Aufträgen. Nach einem Unfall im Jahr 1984 war die Klägerin nur mehr als Teilzeitarbeitskraft beschäftigt und bezog zuletzt ein monatliches Bruttogehalt von S 10.500. Sie war zuletzt in der Verwendungsgruppe 3 des Kollektivvertrages für Angestellte im Großhandel einzustufen. Durch die ständig vermehrten Krankenstände wurde die Klägerin mit 31.Dezember 1985 gekündigt. Seither ist sie nicht mehr berufstätig.

Auf Grund des nunmehr bestehenden Leistungskalküls kann die Klägerin nur mehr körperlich leichte und mittelschwere Arbeiten leisten, wobei annähernd die Hälfte auf leichte Arbeiten fallen sollen. Die Beschäftigung ist im Sitzen und Gehen möglich, im Stehen nur kurzfristig. Nach einstündiger Arbeit soll die Klägerin Gelegenheit zu einem kurzen Haltungswechsel haben. Die Arbeit kann in geschlossenen Räumen für acht Stunden täglich verrichtet werden, nur ist nach längeren Arbeitszeiten mit sehr hohen Anforderungen an Tempo, Konzentrations- und Auffassungsvermögen eine über das physiologische Ausmaß hinausgehende Pause zu gewähren. Nach etwa ein- bis eineinhalbstündiger Arbeit mit solchen Anforderungen braucht die Klägerin eine Ruhepause von 20 Minuten. Das Heben und Tragen von Lasten bis 5 kg ist zumutbar. Bückbelastungen und Arbeiten im vorgebeugter Körperhaltung sind zu vermeiden. Auch der psychische Zustand und die intellektuelle Leistungsfähigkeit der Klägerin sind beeinträchtigt. Sie ist nicht mehr voll intellektuell und emotional belastbar. Sie kann nur mehr solche Tätigkeiten ausüben, deren Anforderungen in geistig-psychischer Hinsicht gewisse Grenzen nicht übersteigen. Dabei handelt es sich um einfache bis leicht gehobene Arbeiten wie z.B. als Postexpedientin, Karteikraft oder Buchhaltungshilfkraft. Diese Tätigkeiten stellen körperlich leichte Arbeiten dar, bei denen Sitzen bei weitem überwiegt unterbrochen von Stehen und Gehen bis zu einer halben Stunde. Durchschnittliche geistig-psychische Leistungen sind ausreichend, die leicht unterdurchschnittliche Genauigkeit der Klägerin ist bei diesen Arbeiten durch Aufmerksamkeit und Übung auszugleichen. Die genannten Verweisungsberufe sind in die Verwendungsgruppe 2 des Kollektivvertrages einzustufen.

In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht zu dem Ergebnis, die genannten Verweisungsberufe seien der Klägerin nicht zumutbar, eine Verweisung auf diese Berufe würde im Vergleich zu der bisher ausgeübten Tätigkeit einen unzumutbaren sozialen Abstieg bedeuten, weil für deren Ausübung kaum eine Einschulung erforderlich sei und im wesentlichen Fähigkeiten genügten, die schon in der Volksschule erworben würden. Die Klägerin sei daher als berufsunfähig anzusehen.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei keine Folge und setzte lediglich den Beginn der vorläufigen Leistung mit dem 15. Dezember 1988 - dem Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz - fest.

Rechtliche Beurteilung

Bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit nach § 273 ASVG sei zwar auch eine Verweisung auf eine geringer entlohnte Tätigkeit innerhalb der bisherigen Berufsgruppe möglich und einem Angestellten ein gewisser sozialer Abstieg zumutbar, im vorliegenden Fall sei aber mit den möglichen Verweisungstätigkeiten in den Augen der Umwelt ein wesentlich geringeres Ansehen verbunden. Die Rechtsansicht des Erstgerichtes sei daher zutreffend. Die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei ist berechtigt. Alle Tätigkeiten, die die Klägerin bei der Firma M*** zu verrichten hatte, entsprechen der Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrages für Handelsangestellte und gehen nicht darüber hinaus. In diese sind Angestellte einzureihen, die auf Anweisung schwierige Tätigkeiten selbständig ausführen. Mit der selbständigen Ausführung "auf Anweisung" ist nicht gemeint, daß in jedem Einzelfall eine gesonderte Weisung und nachfolgende Überprüfung der durchgeführten Arbeit erfolgen muß, es soll damit lediglich eine Abgrenzung zur Beschäftigungsgruppe 4 - Angestellte mit selbständiger Tätigkeit - vorgenommen werden, die in größerem Umfang Entscheidungs- und Verfügungsbefugnisse und besonders qualifizierte eigenverantwortliche Arbeiten umfaßt. Die wesentlichen Tätigkeiten der Klägerin waren jene einer Fakturistin, die nach allgemeinen Angaben oder Unterlagen (z.B. Preislisten, Konditionsrahmen) Fakturen und Ausgangsrechnungen prüft, weiters die einer Angestellten im Einkauf (Verkauf), die im Rahmen allgemeiner Richtlinien selbständig Anbote einholt, (erteilt) und/oder bearbeitet, Waren bestellt (verkauft) oder nach vorangegangener Dispositionen abruft, einschließlich der Überwachung von Fristen und Konditionen und die einer Stenotypistin, die überwiegend nach allgemeinen Angaben Schriftverkehr selbständig erledigt. Schon diese Darstellung zeigt, daß in der Praxis Bürotätigkeiten nicht in nur einer, im Kollektivvertrag nur schematisiert angeführten Form, sondern vielmehr als "Mischtätigkeiten" vorkommen. Dies trifft in gleicher Weise für die in Beschäftigungsgruppe 2 des Kollektivvertrages der Handelsangestellten einzureihenden Tätigkeiten zu. Es kann keineswegs gesagt werden, daß darunter nur Tätigkeiten fallen, für die der Abschluß einer Volksschule und eine kurze Anlernzeit genügen, es seien hier nur die im Kollektivvertrag genannten Tätigkeiten eines Fakturisten, Stenotypisten, in der Kalkulation oder Kartei oder Hilfskräfte in der Datenverarbeitung und technische Hilfskräfte in EDV-Vertriebsfirmen beispielsweise genannt. Da der Klägerin nach dem medizinischen Leistungskalkül nur Arbeiten nicht mehr zugemutet werden können, die überdurchschnittliche geistig-psychische Leistungen, verbunden mit sehr hohen Anforderungen an Tempo, Konzentrations- und Auffassungsvermögen erfordern, kommen für sie eine ganze Reihe von - kombinierten - Bürotätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 2 in Betracht, die in den Augen der Öffentlichkeit gegenüber der bisher ausgeübten Tätigkeit kein so erheblich geringeres Ansehen genießen, daß von einem unzumutbaren sozialen Abstieg gesprochen werden kann, mag es sich dabei auch um Arbeiten mit weniger Eigenverantwortung handeln. Gewisse Einbußen an Entlohnung und Sozialprestige aber muß ein Versicherter im Rahmen der Verweisbarkeit hinnehmen, sodaß in der Regel Angestellte, die in der Verwendungsgruppe 3 des Kollektivvertrages der Handelsangestellten einzureihen sind, auf Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 2 verwiesen werden können (10 Ob S 344/88). Die Unzumutbarkeitsgrenze wurde im vorliegenden Fall nicht überschritten, sodaß Berufsunfähigkeit im Sinne des § 273 Abs.1 ASVG nicht vorliegt.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz beruht ebenso wie jene über die Kosten der Revisionsbeantwortung auf § 77 Abs.1 Z 2 lit.b ASGG.

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