OGH 7Ob579/89

OGH7Ob579/8918.5.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Kodek und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rudolf R***, Pensionist, Rainbach, Hauzing 49, geboren 24. März 1922, vertreten durch Dr. Peter Bründl, Rechtsanwalt in Schärding, wider die beklagte Partei Maria R***, Pensionistin, Schärding, Bahnhofstraße 34, geboren 1. Jänner 1931, vertreten durch Dr. Gottfried Lindner, Rechtsanwalt in Linz, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgerichtes vom 10. Jänner 1989, GZ R 460/88-21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Schärding vom 15. September 1988, GZ 1 C 22/88-15, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.706,20 (darin S 617,70 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger beantragt die Scheidung der Ehe gemäß § 55 EheG. Die häusliche Gemeinschaft der Streitteile sei seit mehr als drei Jahren aufgelöst, die Ehe unheilbar zerrüttet. Die Beklagte sei krankhaft eifersüchtig und habe immer wieder unerträgliche Streitigkeiten verursacht. Der Kläger sei deshalb schon vor der endgültigen Auflösung der häuslichen Gemeinschaft wiederholt zu Verwandten und Bekannten gezogen. Die Beklagte sei weder in wirtschaftlicher Hinsicht, noch aus gesundheitlichen Gründen auf ihn angewiesen. Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage, für den Fall der Scheidung der Ehe den Ausspruch, daß der Kläger die Zerrüttung der Ehe allein oder zumindest überwiegend verschuldet habe. Der Kläger, der sie schon zuvor wiederholt verlassen habe, habe am 4. April 1985 die häusliche Gemeinschaft nur aufgelöst, um ehewidrige Beziehungen zu Maria F*** aufzunehmen. Er habe die Beklagte im Zuge einer Auseinandersetzung mißhandelt und schwer verletzt. Die Scheidung träfe die Beklagte schon mit Rücksicht auf ihr Alter und die Dauer der Ehe härter als den Kläger die Abweisung des Scheidungsbegehrens. Ohne Zahlungen des Klägers könne die Beklagte ihren Unterhalt nicht bestreiten; aus gesundheitlichen Gründen sei sie nicht in der Lage, ihr Haus und ihren Garten allein zu betreuen.

Das Erstgericht schied die Ehe; den Antrag der Beklagten, auszusprechen, daß der Kläger die Zerrüttung allein oder überwiegend verschuldet habe, wies es ab.

Die zweite Instanz gab der Berufung der Beklagten nach teilweiser Wiederholung der Beweise zum Teil Folge und sprach aus, daß das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe den Kläger treffe. Folgende Feststellungen liegen ihrer Entscheidung zugrunde:

Die Streitteile (der Kläger ist am 24. März 1922 geboren, die Beklagte am 1. Jänner 1931) haben am 26. November 1976 die Ehe geschlossen; es handelte sich beim Kläger um die dritte, bei der Beklagten um die zweite Ehe. Ihr letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt war in Schärding.

Der Kläger wurde am 1. Juli 1980 pensioniert. Von seiner damaligen Nettopension von S 6.265,-- verbrauchte er nur S 1.200,-- bis S 1.500,-- für seine persönlichen Bedürfnisse, den Rest stellte er als Wirtschaftsgeld und zur Erhaltung eines PKW's zur Verfügung. Der Kläger leistete nach seiner Pensionierung einen Großteil der Hausarbeiten, weil die Beklagte noch berufstätig war; er verrichtete in Haus und Garten auch handwerkliche Arbeiten. Dennoch konnte er der Beklagten nichts recht machen. Die Beklagte führte immer wieder Zwistigkeiten herbei. Sie war auch dagegen, ihren 26 Jahre alten Sohn, der etwa ein Jahr lang im Haushalt lebte, ohne hiefür eine Gegenleistung zu erbringen, entsprechend dem Wunsch des Klägers mit Hausarbeiten zu beschäftigen. Wiederholt erhob die Beklagte gegenüber dem Kläger den Vorwurf, er unterhalte ehewidrige Beziehungen zu anderen Frauen. Nach Streitigkeiten mit der Beklagten verließ der Kläger einige Male die Wohnung und hielt sich zum Teil mehrere Wochen oder Monate bei Verwandten, Bekannten oder in gemieteten Zimmern auf, kehrte aber nach Aussprachen mit der Beklagten immer wieder in die häusliche Gemeinschaft zurück. Auch Mitte Mai 1984 verließ der Kläger die häusliche Gemeinschaft und mietete bis Ende Juni 1984 ein Zimmer bei einer Berta E*** in Linz-Urfahr. Während dieser Zeit hat eine Bekannte des Klägers mit ihm in diesem Zimmer übernachtet. Über Einschaltung einer Detektei erlangte die Beklagte hievon Kenntnis und fuhr zum Kläger, um ihn zur Rede zu stellen. Dabei traf sie in den Morgenstunden auch die Bekannte des Klägers an, die sich ebenfalls in dem von ihm angemieteten Zimmer aufhielt.

Am 4. April 1985 verließ der Kläger endgültig die häusliche Gemeinschaft und übergab der Beklagten über deren Aufforderung auch den Wohnungsschlüssel. Er mietete ein Zimmer bei Maria F***, die er auf Grund ihrer Verwandtschaft mit der Beklagten kennengelernt hatte. Seit dem Spätsommer 1985 besteht zwischen dem Kläger und Maria F*** eine Lebensgemeinschaft.

Am 22. April 1985 fuhr die Beklagte zum Kläger, um ihn aufzufordern, wieder zu ihr zurückzukommen. Als der Kläger dies ablehnte und es deshalb zu einem Streit kam, wollte die Beklagte mit jenem PKW wegfahren, der von den Streitteilen während aufrechter Ehe angeschafft worden war. Der Kläger und ein Sohn der Maria F*** versuchten, die Beklagte unter Gewaltanwendung daran zu hindern. Sie verletzten dabei die Beklagte schwer am Körper (Bruch des rechten Ringfingers, Blutergüsse am linken Ober- und Unterschenkel, am Gesäß, über dem Steißbein und am linken Unterarm) und wurden deswegen rechtskräftig verurteilt, und zwar der Kläger wegen des Vergehens der Nötigung nach den §§ 105 Abs 1 und 15 StGB, des Vergehens der Körperverletzung nach dem § 83 Abs 1 StGB und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB. Der Kläger hat wegen dieses Vorfalls S 45.000,-- an Schmerzengeld an die Beklagte sowie eine Regreßforderung der Sozialversicherung von S 72.000,-- zu bezahlen.

Die monatliche Pension des Klägers beträgt derzeit S 8.724,90. Der Kläger ist gesundheitlich bereits stark angegriffen und kann schwere Arbeiten nicht mehr verrichten. Auch die Beklagte ist seit 1. Jänner 1986 pensioniert, ihre monatliche Nettopension beträgt S 8.558,90. Sie ist gesundheitlich, nicht zuletzt auf Grund der Verletzungen, die ihr der Kläger zugefügt hat, ebenfalls kaum mehr in der Lage, ihr Haus samt Garten, das sie seit 4. April 1985 allein bewohnt, ohne fremde Hilfe zu betreuen.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Berufungsgericht aus, es treffe zu, daß die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit mehr als drei Jahren aufgelöst, und daß die Ehe tiefgreifend unheilbar zerrüttet sei; denn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft der Streitteile habe zu bestehen aufgehört; mit der Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft könne nicht gerechnet werden. Bei der Verschuldensabwägung seien zwar einerseits die Zanksucht und die Vorwürfe der Beklagten gegenüber dem Kläger im Zusammenhang mit seiner Arbeitsleistung als ehewidriges Verhalten zu qualifizieren; doch sei keinesfalls eine Reaktion des Klägers dahin gerechtfertigt, daß er wochen- und monatelang die häusliche Gemeinschaft auflöste und mit einer anderen Frau gemeinsam in einem angemieteten Zimmer übernachtete. Ein derartiger Umgang des Klägers mit Personen des anderen Geschlechts sei nicht mehr als harmlos im Rahmen von Sitte und Anstand zu sehen, sondern stelle sich selbst dann, wenn ehebrecherische oder erotische Kontakte nicht stattgefunden haben, als eine Eheverfehlung dar, weil daraus für den anderen Ehegatten und objektiv auf eine mit dem Wesen der Ehe nicht zu vereinbarende Beziehung zu einer Person des anderen Geschlechts geschlossen werden könne. Es könne deshalb auch nicht gesagt werden, die Beklagte sei gegenüber dem Kläger grundlos eifersüchtig gewesen. Das Verhalten des Klägers sei vielmehr auch objektiv geeignet gewesen, Eifersucht hervorzurufen. Obwohl der Kläger die häusliche Gemeinschaft am 4. April 1985 letztlich endgültig aufgelöst habe, sei dies für die Beklagte anläßlich ihres Besuches am 22. April 1985 nicht eindeutig erkennbar gewesen, zumal der Kläger die häusliche Gemeinschaft schon mehrmals aufgelöst gehabt habe, sich aber immer wieder zu einer Rückkehr habe überreden lassen. Die Straftaten, die der Kläger bei dieser Gelegenheit der Beklagten gegenüber verübt habe, seien daher jedenfalls als ein grob ehewidriges Verhalten anzusehen, das dem Kläger trotz des Umstandes, daß die häusliche Gemeinschaft bereits aufgelöst gewesen sei, in einem hohen Maß vorzuwerfen sei. Es sei daher insgesamt von einem überwiegenden Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe auszugehen. Trotz des überwiegenden Verschuldens des Klägers könnte seinem Scheidungsbegehren gemäß § 55 Abs 2 EheG dann nicht stattgegeben werden, wenn die Beklagte durch die Scheidung härter betroffen wäre als der Kläger durch die Abweisung des Scheidungsbegehrens. Nur ganz besonders schwerwiegende Gründe könnten jedoch die Verweigerung des Scheidungsbegehrens rechtfertigen. Es müssen konkrete Umstände vorliegen, aus denen im Einzelfall eine besondere Härte für den die Scheidung ablehnenden Ehegatten abgeleitet werden kann. Die Ehe der Streitteile habe bis zur Auflösung der häuslichen Gemeinschaft weniger als 10 Jahre gedauert und sei kinderlos geblieben. Die Beklagte wohne in einem eigenen Haus und beziehe eine monatliche Pension von S 8.558,90 netto. Es könne daher keine Rede davon sein, daß die Beklagte auf Zahlungen des Klägers angewiesen wäre. Könne die Beklagte ihren Garten nicht mehr allein betreuen, würde die Aufrechterhaltung der Ehe daran nichts ändern, weil der Kläger nicht gezwungen werden könnte, in das Haus der Beklagten zurückzukehren. Besondere Gründe, die eine Aufrechterhaltung der Ehe zwingend erforderlich erscheinen ließen, lägen sohin nicht vor. Es sei daher der Scheidungsausspruch zu bestätigen, aber das überwiegende Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe auszusprechen gewesen.

Die Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Beklagte macht geltend, die Scheidung träfe sie härter als den Kläger die Abweisung des Scheidungsbegehrens. Sie sei durch die Trennung vom Kläger nervenleidend und depressiv geworden. Ihre Nervosität sei besonders bei den Streitverhandlungen deutlich zutage getreten. Die Härteklausel solle jenem Ehegatten, der die Scheidung nicht begehrt habe, die Möglichkeit geben, sich innerhalb einer gewissen Zeit damit abzufinden, daß die Ehe offenbar nicht mehr aufrecht erhalten werden könne. Diese Anpassungsfrist müsse der Beklagten vor allem wegen ihrer psychischen Probleme zugestanden werden. Die Lebensgemeinschaft mit dem Kläger habe schon 1971 begonnen und also 14 Jahre gedauert; die Beklagte sei nunmehr 58 Jahre alt. Da der Kläger seit 1985 in einer Lebensgemeinschaft mit Maria F*** lebe, würde ihn der weitere Bestand der Ehe (zumindest bis 1991) nicht besonders belasten. Der weitere Bestand der Ehe wäre für die Beklagte vor allem wegen ihrer wirtschaftlichen Situation von besonderer Wichtigkeit. Würde die Ehe jetzt geschieden, käme dies einer krassen Verschlechterung des Versorgungsanspruches der Beklagten gleich. Um sich Fremdhilfe leisten zu können, sei die Beklagte auf entsprechende Zahlungen des Klägers oder auf eine Witwenpension angewiesen.

Wie schon vom Berufungsgericht hervorgehoben wurde, setzt die Härteklausel des § 55 Abs 2 EheG das Vorliegen konkreter Umstände voraus, aus denen für den Einzelfall eine gegenüber dem Normalfall besondere Härte für den der Scheidung widersprechenden Ehegatten abgeleitet werden kann (SZ 52/29). § 55 Abs 3 EheG läßt erkennen, daß selbst die größte Härte für einen der Ehegatten nicht zur dauernden Verweigerung der Scheidung führen kann. Es können daher nur ganz besonders schwerwiegende Umstände die Verweigerung des Scheidungsbegehrens nach § 55 Abs 2 EheG rechtfertigen (EvBl 1981/10). Die in § 55 Abs 2 letzter Satz EheG angeführten Umstände sind für sich allein kein ausreichender Grund für die Abweisung des Scheidungsbegehrens; vielmehr werden diese Umstände nur im Fall des Vorliegens konkreter weiterer Tatsachen, die einen Schluß auf eine besondere Härte zulassen, eher zu deren Bejahung führen als ihr Fehlen (SZ 52/29).

Materielle Gründe, aus denen eine besondere Härte für die der Scheidung widersprechende Beklagte abgeleitet werden könnte, liegen nicht vor. Die Beklagte scheint im Gegenteil wirtschaftlich auch nach der Scheidung durchaus wohl abgesichert; denn sie besitzt ihr eigenes Haus und bezieht eine eigene Pension, die sich der Höhe nach kaum von jener des Beklagten unterscheidet und die zur Bestreitung des Lebensunterhalts als ausreichend anzusehen ist. Jener Vorteil, der entsteht, wenn zwei Personen in einem Haushalt mit zwei Arbeits- oder Pensionseinkünften leben, entgeht der Beklagten schon seit der Auflösung des gemeinsamen Haushalts vor nunmehr vier Jahren. Er könnte durch eine Abweisung des Scheidungsbegehrens im Hinblick auf die eigenen Einkünfte der Beklagten kaum vermieden werden. Sein Entgang stellt auch keineswegs eine besondere Härte dar. Auch die durch die Trennung vom Kläger entstandenen psychischen Probleme der Beklagten können nicht als eine besondere Härte iS des § 55 Abs 2 EheG angesehen werden. Sie bestehen nach den eigenen Ausführungen der Beklagten wegen der bereits vor vier Jahren erfolgten Trennung und würden sich offensichtlich durch eine Abweisung des Scheidungsbegehrens nicht verändern, weil die Trennung aufrecht bliebe. Eine psychische Belastung ist mit einer Scheidung, wird sie von einem Ehegatten nicht angestrebt, im übrigen wohl stets verbunden. Sie bildet daher nicht eine besondere Härte gegenüber dem Normalfall.

Die 10-jährige Dauer der Ehe, das schon etwas fortgeschrittene Alter und die altersbedingt reduzierte Gesundheit der Beklagten allein vermögen eine besondere Härte ohne Hinzukommen besonderer weiterer Umstände nicht zu begründen.

Die Revision erweist sich daher als unbegründet.

Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

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