Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, dahin ergänzt, daß gemäß § 263 Abs. 2 StPO dem öffentlichen Ankläger die selbständige Verfolgung des Angeklagten Erwin M*** wegen des in der Anzeige des Dr. Herbert P***, ON 45=51, geschilderten, in der Anklageausdehnung dem § 159 Abs. 1 Z 2 StGB subsumierten Sachverhalts vorbehalten wird.
Den Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
In das gegen den am 10.Jänner 1935 geborenen Kaufmann Erwin M*** auf Grund der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wien vom 13.März 1987 zunächst nur wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren Betruges nach §§ 146, 147
Abs. 3 und 15 StGB geführte Strafverfahren wurden in der Folge mehrere Nachtragsanzeigen (ON 27, 28, 36, 41, 45=51, 56) wegen allenfalls betrügerischer Aufnahme von (weiteren) Darlehen einbezogen und in der Hauptverhandlung zum Gegenstand einer Erörterung (§ 263 Abs. 1 StPO - vgl LSK 1979/150 ua) gemacht. Der Staatsanwalt nahm diese neuen Beschuldigungen zum Anlaß, die (schriftliche) Betrugsanklage um zwei Punkte (I/3 und 4) zu erweitern und dehnte den Anklagevorwurf im übrigen auf die Vergehen der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs. 1 Z 1 und 2 StGB aus (S 212/I, S 293 f/II).
Nach Schluß der Verhandlung faßte der Schöffensenat hinsichtlich des in einer der erwähnten Nachtragsanzeigen (des Dr. Herbert P*** - ON 45=51) geschilderten, ersichtlich von der Anklageausdehnung wegen Vergehens der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs. 1 Z 2 StGB erfaßten (S 293 f/II iVm S 565/I) Sachverhalts den gemeinsam mit dem Urteil verkündeten Beschluß auf "Ausscheidung des Faktums möglicher Betrug an Dr. Herbert P*** gemäß § 57 StPO" (S 297 f/II) und begründete dies damit, daß eine vollständige Beurteilung des allenfalls als Betrug zu qualifizierenden Verhaltens des Angeklagten ohne persönliche Vernehmung des (bei der Hauptverhandlung nicht erschienenen) Geschädigten nicht möglich sei. Ein Vorgehen nach § 263 (Abs. 2) StPO habe der Staatsanwalt nicht verlangt, dies sei ihm auch gar nicht möglich gewesen, weil er diesfalls nur von einer Fahrlässigkeitsschuld des Angeklagten ausgehe. Es entspreche demnach nur eine Ausscheidung nach § 57 StPO der Sach- und Rechtslage, wodurch der Ankläger die Möglichkeit hätte, entsprechende Verfolgungsanträge zu stellen. In erster Linie gegen das Unterbleiben des urteilsmäßigen Ausspruchs eines Verfolgungsvorbehalts wegen der hinzugekommenen Tat (Faktum Dr. P***) richtet sich die auf den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 7 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, in der sie subsidiär auch jenen der Z 10 dieser Gesetzesstelle geltend macht.
Rechtliche Beurteilung
Schon der Vorwurf der Nichterledigung der Anklage ist berechtigt. Nach dem klaren Wortlaut des § 263 StPO hat das Gericht nach einer Ausdehnung der Anklage in der Hauptverhandlung drei Möglichkeiten:
die sofortige gemeinsame Erledigung der schriftlichen und der mündlich ausgedehnten Anklage mit Urteil, die Vertagung der Hauptverhandlung zur gemeinsamen Aburteilung aller Anklagepunkte und schließlich den Verfolgungsvorbehalt im Urteil. Im letztgenannten Fall ist dem Ankläger nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes auf sein Verlangen die selbständige Verfolgung wegen der neu hinzugekommenen Tat urteilsmäßig vorzubehalten, wobei - der Auffassung des Erstgerichts zuwider - schon die Ausdehnung der Anklage in der Hauptverhandlung auf die neue Anschuldigung - unabhängig von der darin vorgenommenen Subsumtion des Sachverhalts - begrifflich das Begehren eines Ausspruches gemäß § 263 Abs. 2 StPO für den Fall in sich schließt, daß das Gericht nicht sogleich darüber entscheidet (Mayerhofer-Rieder2, E 42 zu § 263 StPO). Ein Beschluß auf Ausscheidung einzelner strafbarer Handlungen und abgesonderte Verfahrensführung gemäß § 57 StPO kommt nur bezüglich solcher Taten in Betracht, die bereits Gegenstand einer vor der Hauptverhandlung eingebrachten schriftlichen Anklage waren; eine Ausscheidung des Verfahrens wegen eines in der Hauptverhandlung neu hervorgekommenen Faktums entspricht nicht dem Gesetz. Hat daher die Staatsanwaltschaft die Anklage in der Hauptverhandlung auf eine Tat, wegen der eine Anklage nicht erhoben wurde, ausgedehnt und das Gericht weder darüber entschieden, noch dem Staatsanwalt die selbständige Verfolgung vorbehalten, ist die Anklage nicht erledigt, sodaß die Anklagebehörde bei sonstigem Verlust ihres Verfolgungsrechtes (§ 263 Abs. 2 Ende StPO "... außer welchem Falle wegen dieser Tat eine Verfolgung nicht mehr zulässig ist") das Urteil wegen Nichtigkeit gemäß § 281 Abs. 1 Z 7 StPO anfechten muß (Mayerhofer-Rieder2 E 112 zu § 263 StPO). Wenn das Gericht das Verfahren wegen der neuen Anschuldigungen durch Beschluß bloß ausscheidet (§ 57 StPO), hat es dem (ausdrücklichen oder mittelbaren) Verlangen des Anklägers, ihm die Verfolgung vorzubehalten, nicht in der im § 263 StPO vorgeschriebenen Weise entsprochen, sodaß dessen Recht auf Verfolgung der dem Angeklagten weiter angelasteten strafbaren Handlungen, entgegen der von der Generalprokuratur vertretenen Auffassung, nicht mehr "gesichert" ist (vgl RZ 1987/77).
Es war daher in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft dieser die selbständige Verfolgung des Angeklagten wegen des in der Nachtragsanzeige ON 45=51 geschilderten, in der Ausdehnung der Anklage - allerdings nicht bindend (§ 267 StPO) - dem § 159 Abs. 1 Z 2 StGB unterstellten Sachverhalts vorzubehalten (§ 263 Abs. 2 StPO).
Unter der Prämisse, daß das Faktum Dr. P*** Gegenstand der Verurteilung des Angeklagten wegen Vergehens der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs. 1 Z 2 StGB (II des Urteilssatzes) sei, solcherart aber der (schon an sich verfehlte) Ausscheidungsbeschluß gemäß § 57 StPO unzulässigerweise (Mayerhofer-Rieder2 E 13 zu § 57 StPO) nur eine weitere rechtliche Beurteilung derselben Tat beträfe, weshalb auch der begehrte Ausspruch nach § 263 Abs. 2 StPO rechtlich nicht mehr möglich wäre und insoweit der Nichtigkeitsbeschwerde ein Erfolg nicht beschieden sein könnte, wendet die Beschwerdeführerin subsidiär ein (Z 10), daß im angefochtenen Urteil Feststellungen tatsächlicher Natur darüber fehlen, warum die Erlangung eines Darlehens von einer Million Schilling am 25.November 1986 durch den Angeklagten - neben dem diesfalls idealkonkurrierenden (LSK 1976/331) Kridavergehen - nicht auch als Betrug zum Nachteil des Dr. Herbert P*** zu beurteilen gewesen sei.
Diesem Einwand ist indes der Boden entzogen, weil der Ausscheidungsbeschluß nach dem Wortlaut seiner Begründung eindeutig den der Anzeige Dris. P*** zugrundeliegenden Sachverhalt als solchen und nicht bloß einen Teilaspekt seiner rechtlichen Beurteilung betrifft, sodaß die ihm von der Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerde ersichtlich nur aus Gründen prozessualer Vorsicht unterlegte Bedeutung als Voraussetzung ihrer Eventualrüge eben nicht zutrifft. Auf sie war daher - nachdem schon das Primärbegehren zum Erfolg führte - nicht mehr einzugehen.
Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten nach dem höheren Strafsatz des § 148 StGB unter Anwendung der §§ 28 Abs. 1 und 29 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Bei der Strafbemessung wertete es die einschlägigen Vorstrafen, die verstärkte Tatbildmäßigkeit bei der Krida (II) und das Zusammentreffen zweier strafbarer Handlungen als erschwerend und berücksichtigte demgegenüber den Umstand, daß es in zwei Fällen beim Versuch geblieben ist sowie die teilweise Schadensgutmachung als mildernd.
Mit ihren Berufungen streben die Staatsanwaltschaft eine Erhöhung, der Angeklagte dagegen die Reduzierung des Strafausmaßes an. Keines der beiden Rechtsmittel ist begründet.
Wenngleich Tatwiederholung und einschlägige Vorstrafen erfahrungsgemäß bei gewerbsmäßig handelnden Tätern gegeben zu sein pflegen und diese Umstände demnach bei Annahme gewerbsmäßiger Tatbegehung keine besonders erschwerende Bedeutung haben (LSK 1978/70), kann ihnen - der Ansicht des Angeklagten zuwider - diese Auswirkung nicht gänzlich abgesprochen werden, weil Gewerbsmäßigkeit auch bei unbescholtenen Tätern vorkommt und auch keine Tatwiederholung voraussetzt (Leukauf-Steininger2 RN 1 zu § 148 StGB iVm RN 4 zu § 130 StGB; ferner RN 6 zu § 70 StGB).
Da auch die vom Angeklagten zusätzlich reklamierten Milderungsumstände - fleißige Mitarbeit; Bestreben, Absatzmärkte zu erlangen; Mangel persönlicher Bereicherung - teils für die Strafbemessung belanglos, teils urteilsfremd sind (Bereicherung!) und andererseits auch die Anklagebehörde keine weiteren Erschwerungsmomente ins Treffen zu führen vermag, bedürfen die angeführten Strafzumessungsgründe keiner Korrektur. Geht man aber davon aus, erscheint die geschöpfte Unrechtsfolge als durchaus tatschuldgerecht und keiner Änderung bedürftig.
Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.
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