OGH 12Os33/89

OGH12Os33/8918.5.1989

Der Oberste Gerichtshof hat am 18.Mai 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Ofner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Franz T*** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Schöffengericht vom 25.November 1988, GZ 12 Vr 98/88-34, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gemäß § 285 i StPO werden die Akten zur Entscheidung über die Berufung dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des (bisherigen) Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der 34jährige Franz T*** wurde (zu A 1 und 2) des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB, (zu B) des Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 StGB und (zu C) des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 2 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er - zusammengefaßt wiedergegeben - von Oktober 1987 bis Anfang Jänner 1988 seine (1976 bzw 1978 geborenen) unmündigen (und damit auch minderjährigen) Töchter Sabine und Silvia A*** durch im Urteil näher bezeichnete Handlungen, darunter auch begleitende Masturbation bis zum Samenerguß, unter Mißbrauch eines Autoritätsverhältnisses zur Unzucht mißbraucht (A 1 und 2 sowie B); ferner hat er im Jänner 1988 seine Lebensgefährtin Christiane A*** und seine Tochter Sabine A*** vorsätzlich am Körper mißhandelt und fahrlässig verletzt, indem er der Christiane A*** mehrere Faustschläge ins Gesicht versetzte und der Sabine A*** den Daumen zurückdrehte und ihr mit dem Fingernagel eine tiefe, blutende Kratzwunde zufügte (C 1 und 2).

Die vom Angeklagten dagegen aus § 281 Abs. 1 Z 4 und 5 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht begründet.

Mit seiner Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich der Angeklagte gegen die Ablehnung des von ihm in der Hauptverhandlung am 25.November 1988 gestellten Antrages auf zeugenschaftliche Einvernahme seiner beiden Töchter zum Beweis dafür, daß er "Unzuchtshandlungen mit den Kindern bzw solche für die Kinder erkennbar nicht durchgeführt und daß er die Kinder auch nicht gezwungen habe, mit ihm das Ehebett aufzusuchen".

Die Rüge geht fehl.

Rechtliche Beurteilung

Streng genommen mangelte es der Beschwerde schon an der formellen Legitimation zur Geltendmachung des relevierten Nichtigkeitsgrundes, weil in der Zustimmung zur Verlesung einer im gerichtlichen Vorverfahren abgelegten Zeugenaussage ein Verzicht auf die unmittelbare Vernehmung des betreffenden Zeugen zu erblicken ist (siehe Mayerhofer-Rieder2 § 252 StPO Nr 63 und § 281 Z 4 StPO Nr 95), sofern nicht nach der Abgabe dieser Erklärung Umstände hervorkommen, die die persönliche Vernehmung des Zeugen im Interesse der Wahrheitsfindung erforderlich erscheinen lassen (Mayerhofer-Rieder aaO § 281 Z 4 StPO Nr 94). Vorliegend wurden nun nach Verkündung des abweisenden Zwischenerkenntnisses die vor dem Untersuchungsrichter abgelegten Aussagen der Zeuginnen Silvia und Sabine A*** (ON 10 und 11) einverständlich, also mit Zustimmung des Verteidigers, verlesen (siehe S 285); die damit gegebene Prozeßsituation ist nicht anders zu beurteilen, als in Fällen, in denen zunächst die Zustimmung zur Verlesung gegeben, dann aber, ohne daß einer Verlesung entgegenstehende Hindernisse nachträglich hervorgekommen wären, ein Antrag auf persönliche Vernehmung des betreffenden Zeugen gestellt wurde.

Selbst wenn man aber einen weniger formalen Standpunkt einnehmen wollte, wäre für den Angeklagten im Ergebnis nichts gewonnen. Geht man nämlich davon aus, daß der Beschwerdeführer schon vor der Sicherheitsbehörde und auch in der Hauptverhandlung zugestanden hatte, in Gegenwart seiner beiden unmündigen Töchter masturbiert und zu den Kindern bei erregtem Glied auch körperlichen Kontakt gehabt (S 59, 262, 266 und 273), sie bisweilen schon am Nachmittag als "Erziehungsmaßnahme" ins eheliche Schlafzimmer geschickt und sich selbst danach gleichfalls frühzeitig zu Bett begeben zu haben (S 59, 267), dann besteht zwischen dem vom Angeklagten zugegebenen objektiven Verhalten einerseits und dem von den Mädchen gegenüber der Sozialarbeiterin Gertrude S***, vor der Sicherheitsbehörde und vor Gericht, gegenüber dem behandelnden Arzt und auch gegenüber ihrer Mutter geschilderten Sachverhalt (S 17, 89, 91 ff, 103 ff, 125 ff, ON 10, 11 und 13, S 275 ff) in Ansehung der tatbestandsrelevanten äußeren Umstände - recht besehen - gar keine nennenswerte Diskrepanz. Inwieweit aber die Mädchen bezüglich der - vom Angeklagten zwar stets mit dem Hinweis auf die Unwillkürlichkeit allfälliger Berührungen im Sexualbereich bestrittenen, vom Erstgericht aber ersichtlich gerade aus dem (im wesentlichen) übereinstimmend geschilderten objektiven Geschehen erschlossenen (S 289/299, 305) - inneren Tatseite der ihm vorgeworfenen Unzuchtsdelikte dementgegen bei einer unmittelbaren Vernehmung vor dem Schöffensenat entlastende Angaben zu machen vermöchten, wurde im Beweisantrag nicht dargetan, obwohl dies nach der besonderen Lage des konkreten Einzelfalles erforderlich gewesen wäre, nachdem auch in den Akten keine Anhaltspunkte zu finden sind, wonach diesfalls von den kindlichen Zeuginnen eine andere - sogar der eigenen Einlassung des Beschwerdeführers widersprechende - Darstellung des objektiven Sachverhalts zu erwarten gewesen wäre. Nur der Vollständigkeit halber sei noch hinzugefügt, daß Anklagevorwurf und Schuldspruch einen auf die Kinder ausgeübten Zwang, mit ihm gemeinsam das Ehebett aufzusuchen, nicht umfassen, weshalb sich der Beweisantrag insoweit - ungeachtet dahin lautender Feststellungen (S 294, 301, 305) - auf keine entscheidungswesentliche Tatsache bezieht.

So gesehen ist daher - nach der spezifischen Sach- und Beweislage des zur Beurteilung stehenden Falles - unzweifelhaft erkennbar, daß die Formverletzung auf die Entscheidung keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluß üben konnte (§ 281 Abs. 3 StPO), weshalb der behauptete Nichtigkeitsgrund dem Urteil nicht anhaftet. Bei der geschilderten Beweislage erübrigt es sich aber auch, auf die vom Erstgericht angestellten und von der Beschwerde bekämpften, an sich zutreffenden Erwägungen über die schädigende und neurotisierende Wirkung einer neuerlichen Vernehmung der Opfer (siehe hiezu beispielsweise Reinhart Lempp "Sexualität und Kriminalität im Kinder- und Jugendalter" veröffentlicht im Herold-Verlag von Husslein, Olechowski, Rett in "Sexualität als Entwicklungsproblem") näher einzugehen. Die Verteidigung hat sich jedenfalls auch mit der Verlesung des Amtsvermerkes über die telefonisch geäußerten Bedenken des behandelnden Primararztes, eines Facharztes für Kinderheilkunde und Psychiatrie, einverstanden erklärt (S 81 iVm ON 9), ohne die persönliche Vernehmung dieses oder eines anderen Sachverständigen in der Hauptverhandlung zu beantragen. Bei dieser Verfahrenskonstellation ist sohin klar erkennbar, daß dem Erstgericht auch dahingehend (siehe EvBl 1988/89) kein dem Angeklagten nachteiliger Verfahrensverstoß (§ 281 Abs. 3 StPO) unterlaufen ist.

Fehl geht schließlich auch die Mängelrüge (Z 5), die eine Unvollständigkeit der Begründung darin erblickt, daß im Urteil die Angaben der Christiane A*** vor der Sicherheitsbehörde unerörtert geblieben seien, wonach der Angeklagte ihr Ohrfeigen und Fußtritte im Rausch versetzte und überhaupt fast täglich vollberauscht nach Hause zu kommen pflege. Denn Christiane A***

hat zwar bei der in Frage stehenden Vernehmung in Ansehung eines "letzten Vorfalles" am 18.Jänner 1988 davon gesprochen, daß der Angeklagte damals "ziemlich massiv betrunken" war, jedoch in unmittelbarem Anschluß daran erklärt, er habe dann mit ihr daheim einen Wortwechsel begonnen, der letztendlich wiederum in Schläge ausartete (S 23 = S 95); damit hat die Zeugin den Gesamtzustand des Angeklagten so dargestellt, daß an seiner (wenn auch allenfalls eingeschränkten, so doch nicht aufgehobenen) Dispositions- oder Diskretionsfähigkeit keine Zweifel erweckt werden. Hält man hinzu, daß der Angeklagte weder vor der Sicherheitsbehörde noch vor Gericht (S 39 = S 111; S 48; S 259; siehe auch S 157 oben in Verbindung mit S 285) Volltrunkenheit am 18.Jänner 1988 auch nur andeutete, sondern vor der Polizei erklärte, "ziemlich stark alkoholisiert" gewesen zu sein, während er in der Hauptverhandlung sich ausdrücklich "hinsichtlich des Punktes C" (der Anklage wegen § 83 Abs. 2 StGB) schuldig bekannte (S 258) und im Zuge seines bezüglichen Geständnisses deponierte, er sei, als er seine Lebensgefährtin geschlagen habe, "rauschig gewesen" (S 259), dann konnte der von der Beschwerde herangezogene Aussageteil der Christiane A*** - als weder für den Schuldspruch noch für den anzuwendenden Strafsatz bedeutsam - sanktionslos unerörtert bleiben.

Nach dem Gesagten war mithin die Nichtigkeitsbeschwerde als offenbar unbegründet gemäß § 285 d Abs. 1 Z 2 StPO bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

Die übrigen Entscheidungen fußen auf den bezogenen Gesetzesstellen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte