OGH 6Ob565/89

OGH6Ob565/8918.5.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Leo S***, Hotelier, 8636 Seewiesen 11, vertreten durch Dr. Gerhard Delpin, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei T*** L*** Gesellschaft mbH & Co KG, 8262 Loipersdorf, vertreten durch Dr. Max Keimel, Rechtsanwalt in Fürstenfeld, wegen S 40.000,-- und Feststellung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 11. Jänner 1989, GZ 6 R 220/88-31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 24. August 1988, GZ 8 Cg 159/87-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.087,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 514,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei ließ für ihre Badeanlage eine Großwasserrutschbahn errichten, bei welcher, da es darüber in Österreich keine Vorschriften gibt, die strengen Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland (DIN 7939 und TÜV-Vorschriften) eingehalten wurden. Aufgrund dieser Vorschriften wurden am Aufgang der Rutschbahn und im Bereich des Startes Tafeln mit der Regelung der Benützung der Rutschbahn montiert. Diese Regelung enthält unter anderem, daß am Bahnende sofort wegzutreten ist und die Benützung der Anlage auf eigenes Risiko erfolgt. Eine Ampelanlage zur Absicherung der Rutsche ist in den deutschen Vorschriften nicht vorgesehen und wurde daher auch von der Lieferfirma nicht angebracht. Die Beklagte installierte jedoch selbst eine Ampelanlage. Als weitere in den deutschen Vorschriften nicht vorgesehene Sicherungsmaßnahme wurde der Rutscheneinstieg eng ausgeführt, so daß die Rutschenbenützer nur hintereinander zum Beginn der Rutsche gelangen und dort unter einem starren Querbügel einsitzen konnten, um loszurutschen. Der Einstieg war dabei so geregelt, daß die Ampelanlage mit Rot-Grün-Phase mit 10 bis 12 Sekunden Intervall die Benützung für den Nachrutschenden derart gestattete, daß bei Beachtung der Ampelphasen ein ausreichender Sicherheitsabstand zwischen den einzelnen Rutschenden gewährleistet war. Die Anlage wurde allerdings vor allem von Jugendlichen unter Mißachtung der Ampelphasen und der Rutschordnung durch hintereinandersitzendes Rutschen und Übersteigen der Absperrung benützt. Der Bademeister konnte von seiner Kabine aus den Eintauchbereich beobachten, nicht aber den Einstieg. Er hatte auch keine Sicht auf die in der röhrenförmigen Rutsche befindlichen Badegäste. In der im Bad an mindestens 10 Stellen angeschlagenen Badeordnung ist angeführt, daß für Unfälle, Verletzungen oder gesundheitliche Schädigungen, die sich der Badegast durch eigenes oder fremdes Verschulden zuzieht, die beklagte Partei in keiner Weise haftet.

Am 28. August 1985 benützte der Kläger mehrmals die Wasserrutsche. Er hatte die Rutschordnung gesehen und rutschte, als er an der Reihe war, sitzend über die Rutsche. Er vernahm hinter sich einen Überraschungsruf des Nachrutschenden und spürte, als er selbst gerade beim Eintauchen in das Wasser war, schon unter Wasser einen Tritt von hinten gegen seine Kniekehle und spürte sofort starke Schmerzen, weshalb er einige Sekunden nicht auf den Nachrutschenden achtete, der dann verschwunden war. Anfang Juli 1986 ereigneten sich innerhalb kurzer Zeit mehrere Unfälle bei der Rutsche, wobei jeweils das Aufprallen des Nachrutschenden auf den Vorausrutschenden die Ursache war. Die meisten Unfälle gingen glimpflich aus, in zwei Fällen kam es aber zu Wirbelbrüchen bzw. Wirbelprellungen. Bisher haben ca. 1,5 Mill. Badegäste die Rutschanlage benützt. Wegen eines der beiden Unfälle mit Wirbelverletzungen wurden weitere Sicherheitseinrichtungen errichtet, und zwar ein Sperrbalken, der erst dann aufgeht, wenn der Vorausrutschende eine Lichtschranke 5 m vor dem Rutschenende passiert hat, sowie eine Seitenströmanlage, welche den in das Wasser eintauchenden Badegast sofort seitlich wegspült und aus dem Gefahrenbereich bringt. Selbst diese Einrichtungen können es aber nicht verhindern, daß Badegäste den Sperrbalken gewaltsam öffnen und gegen die Rutschordnung verstoßend hintereinander oder in kurzen Abständen rutschen. Vor der Errichtung der neuen Sicherheitseinrichtungen informierte sich die beklagte Partei in der Bundesrepublik Deutschland über Sicherheitsmaßnahmen von Wasserrutschen und stellte dabei fest, daß in der Bundesrepublik Deutschland die Rutschanlagen ohne die bereits bei der beklagten Partei vorhandenen Sicherheitsmaßnahmen betrieben werden. Der Kläger brachte vor, er habe eine Eintrittskarte gelöst gehabt. Die beklagte Partei wäre verpflichtet gewesen, die Rutsche so zu sichern, daß Benützer keinen Schaden nehmen könnten. Der Kläger habe bei dem Vorfall eine schwere Knieverletzung erlitten. Er begehrte ein Schmerzengeld von S 40.000 sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für künftige Schäden.

Die beklagte Partei wendete ein, die Anlage entspreche der Benützungsbewilligung und den deutschen Vorschriften, es liege weder ein Konstruktions- noch ein Sicherheitsmangel vor. Es handle sich um eine der sichersten Anlagen Europas. Es seien alle für einen Massenbetrieb maßgeblichen und zumutbaren Vorsichtsmaßnahmen getroffen worden. Die Benützung der Anlage stelle eine typische Sport-, Spiel- und Freizeittätigkeit dar, welche mit einem nicht dem Betreiber der Anlage zurechenbaren Risiko verbunden sei. Der Benützer gehe das Risiko bewußt selbst ein. Nach der Badeordnung hafte die beklagte Partei nicht für das Verschulden eines Badegastes. Die Knieverletzung sei durch den vom Kläger geschilderten Unfallshergang nicht erklärbar, weshalb auch die Kausalität bestritten werde.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es führte aus, aufgrund des durch die Lösung der Eintrittskarte zustande gekommenen Vertrages sei der Kläger berechtigt gewesen, die Wasserrutsche zu benützen. Die beklagte Partei sei hingegen verpflichtet gewesen, auf die mit der Benützung der Wasserrutsche verbundenen Gefahren hinzuweisen und dafür Sorge zu tragen, daß diese Gefahren hintangehalten würden. Dieser Verpflichtung sei die beklagte Partei nachgekommen, weil sie sich an die deutschen Vorschriften gehalten und noch zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen installiert habe. Wohl hafte der Inhaber eines Betriebes, dessen Betriebsgegenstand Freizeitgestaltung kombiniert mit sportlichen Aktivitäten sei, für die mit dem Betrieb notwendig verbundenen spezifischen Betriebsgefahren, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob ihm selbst oder seinen Angestellten im konkreten Fall der Vorwurf schuldhaften Handelns gemacht werden könne. Die Haftung müsse aber dort ihre Grenze finden, wo der Schaden auf ein Selbstverschulden oder auf ein vom Betreiber nicht zu vertretendes Verschulden eines Dritten zurückzuführen sei. Die Verkehrssicherungspflicht sei im Hinblick darauf, daß es sich um einen Massenbetrieb handle, nur im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu betrachten, zumal typische Freizeiteinrichtungen üblicherweise auch mit einem nicht dem Betreiber der Anlage zurechenbaren Risiko verbundenen seien, welches Risiko der Benützer bewußt eingehe. Würde man die Verkehrssicherungspflicht derart eng fassen, wäre ein Massenbetrieb überhaupt nicht möglich. Daß ein Rutschenbenützer auf den Vorausrutschenden "auffahre", könne nur darauf zurückzuführen sein, daß einer der beiden die Rutschordnung nicht eingehalten habe. Dies könne keine Haftung der beklagten Partei begründen, zumal durch die Rutschregeln ausdrücklich auf die Benützung der Anlage auf eigene Gefahr hingewiesen worden sei und auch in der Badeordnung ein Ausschluß der Haftung der beklagten Partei für Schäden, die sich der Badegast durch eigenes oder fremdes Verschulden zuziehe, von jedem Badegast habe zur Kenntnis genommen werden können.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Im Gegensatz zum Erstgericht vertrat es die Ansicht, eine Haftung der beklagten Partei habe nicht durch Hinweistafeln ausgeschlossen werden können. Auch darauf, daß ihr von der Behörde keine Auflagen erteilt worden seien, könne sich die beklagte Partei nicht mit Erfolg berufen. Die beklagte Partei treffe die Verkehrssicherungspflicht. Sie müsse beweisen, daß sie die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen ergriffen habe. Allerdings müsse der Inhaber einer Badeanstalt nur jene Maßnahmen ergreifen, die von ihm nach der Verkehrsauffassung verlangt werden könnten. Ein darüber hinausgehendes Verlangen würde die Verkehrssicherungspflicht überspannen und auf eine im Gesetz nicht vorgesehene verschuldensunabhängige Haftung hinauslaufen. Die von der beklagten Partei zur Unfallszeit getroffenen Sicherungsnahmen (Engstelle vor dem Zugang, Querbügel, Ampelanlage mit Rot-Grün-Phase in 10 bis 12 Sekunden-Intervallen, Hinweistafeln) müßten vom damals gegebenen Erfahrungsstand aus betrachtet als ausreichend angesehen werden. Die beklagte Partei habe nicht nur den in der Bundesrepublik Deutschland an solche Anlagen gestellten Sicherheitsanforderungen entsprochen, sondern noch zusätzliche Maßnahmen getroffen. Es dürfe auch nicht übersehen werden, daß die Anlage erst kurz vorher in Betrieb genommen worden sei und es sich beim Unfall des Klägers offensichtlich um den ersten im Zusammenhang mit der Rutschanlage gehandelt habe. Es könne der beklagten Partei daher nicht angelastet werden, daß sie die nach schweren Unfällen später getroffenen zusätzlichen Maßnahmen nicht bereits zur Unfallszeit vorgesehen gehabt habe. Nur wenn sich - wofür es keinen Anhaltspunkt gebe - bereits vor dem gegenständlichen Vorfall Unfälle ereignet hätten, aus denen für die beklagte Partei schon damals erkennbar gewesen wäre, daß die Sicherheitsmaßnahmen im Hinblick auf die Disziplinlosigkeit von Badegästen keine ausreichende Sicherung böten, hätte die beklagte Partei schon damals weitere Maßnahmen treffen müssen. Richtig sei zwar, daß sich die Verkehrssicherungspflicht auch auf Gefahren erstrecke, die erst durch unerlaubte und vorsätzliche Eingriffe Dritter entstünden. Voraussetzung sei allerdings immer, daß die Möglichkeit eines solchen Eingriffes von Dritten bei objektiv sachkundiger Betrachtung zu erkennen sei und dieser Gefahr durch zumutbare Maßnahmen vorgebeugt werden könne. Selbst wenn man davon ausgehe, für die beklagte Partei wäre schon zur Unfallszeit erkennbar gewesen, daß sich nicht alle Badegäste an die Benützungsordnung halten, müßte man angesichts der schon damals getroffenen Sicherungsmaßnahmen zum Ergebnis kommen, daß diese vorerst ausreichend gewesen seien. Der Kläger bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, macht den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung sind die Inhaber von Badeanstalten verpflichtet, die ihren Badegästen zur Verfügung gestellten Anlagen und Einrichtungen (wozu auch die Wasserrutschanlage gehört) in einen solchen Zustand zu versetzen und zu erhalten, daß die Badegäste bei der Benützung keinen Schaden leiden können (EvBl 1974/248 ua.). Ob diese Verkehrssicherungspflicht der Inhaber von Badeanstalten aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen (Ingerenzprinzip) abzuleiten (Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 4 zu § 1294 mwN) oder als eine Nebenverpflichtung des mit dem Badegast abgeschlossenen Vertrages zu betrachten ist, kann dahingestellt bleiben. Denn in beiden Fällen muß der Inhaber der Badeanstalt beweisen, daß er die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen zur Abwehr der seinen Badegästen drohenden Gefahren ergriffen hat (vgl. EvBl 1969/322; MietSlg 33.216), ebenso 3 Ob 559/81). Der Inhaber einer Badeanstalt hat aber im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht grundsätzlich nur jene Maßnahmen zu ergreifen, die von ihm nach der Verkehrsauffassung verlangt werden können. Ein darüber hinausgehendes Verlangen würde die Verkehrssicherungspflicht überspannen und letztlich auf eine vom Gesetz nicht vorgesehene, vom Verschulden unabhängige Haftung hinauslaufen (JBl 1965, 474; MietSlg 33.216; ebenso 3 Ob 559/81). Auch die Benützer der zur Verfügung gestellten Einrichtungen sind zur Anwendung der verkehrsüblichen Aufmerksamkeit und bei Vorliegen besonderer Umstände zu erhöhter Aufmerksamkeit verpflichtet (EvBl 1974/248 ua; ebenso 3 Ob 559/81).

Entscheidend ist, ob für die beklagte Partei bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennbar war, daß durch die Anlage eine Gefahrenquelle geschaffen wurde (JBl 1979, 485; 8 Ob 567/84 ua.). Bei Beurteilung dieser Frage ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, daß es in Österreich keine Vorschriften für derartige Anlagen gibt, die beklagte Partei aber nicht nur die in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Vorschriften beachtete, sondern darüber hinaus noch zusätzliche Sicherungsmaßnahmen installieren ließ, insbesondere eine Ampelanlage mit Rot-Grün-Phase. Diese Einrichtungen waren geeignet, eine Gefährdung der Benützer der Rutsche hintanzuhalten, wenn die "Rutschordnung", insbesondere die Ampelphasen beachtet werden. Unter diesen Umständen kann es der beklagten Partei nicht zum Vorwurf gemacht werden, nicht schon bei Inbetriebnahme der Wasserrutsche erkannt zu haben, daß die Anlage, die besser abgesichert war, als es in der Bundesrepublik Deutschland vorgeschrieben und üblich ist, eine Gefahr für die Benützer schafft, die über jene hinausgeht, die bei einer derartigen Sport- und Freizeiteinrichtung von den Benützern in Kauf genommen werden muß. Die Notwendigkeit weiterer Sicherungsmaßnahmen zeigte sich erst beim Auftreten von Unfällen, die auf Mißachtung der "Rutschordnung" durch Benützer der Wasserrutsche zurückzuführen waren. Daß zur Zeit des Unfalles die später installierten weiteren Sicherungseinrichtungen noch nicht vorhanden waren und auch kein Bademeister den Einstieg der Rutsche überwachte, vermag daher eine Haftung der beklagten Partei nicht zu begründen.

Aus diesen Gründen mußte der Revision ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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