OGH 10ObS68/89

OGH10ObS68/899.5.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Göstl (Arbeitgeber) und Otto Tiefenbrunner (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ernestine B***, Pensionistin, 4020 Linz, Am Windflachweg 29, vertreten durch Dr. Johannes Grund und Dr. Wolf D. Polte, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei P*** DER L***

E***-, F***- UND V***-Aktiengesellschaft,

4020 Linz, Schillerstraße 9, vertreten durch Dr. Christian Beurle, Dr. Hans Oberndorfer und Dr. Ludwig Beurle, Rechtsanwälte in Linz, wegen Witwenpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. November 1988, GZ 13 Rs 97/88-29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 13. April 1988, GZ 13 Cgs 85/87-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit 1.414,88 S (darin 128,63 S Umsatzsteuer und keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 28.6.1923 geborene Klägerin ist die Witwe eines am 6.7.1985 verstorbenen Versicherten des beklagten P*** DER L*** E***-, F***- UND

V***-Aktiengesellschaft. Ihre Ehe wurde am 10.5.1979 gemäß § 55 Abs 3 EheG geschieden, wobei gemäß § 61 Abs 3 EheG ausgesprochen wurde, daß der Ehegatte die Zerrüttung der Ehe allein verschuldet hat. In einem am 28.8.1979 geschlossenen gerichtlichen Vergleich verpflichtete sich der geschiedene Ehegatte der Klägerin, ihr 33 % seiner jeweiligen Nettobezüge aus seinem Dienst- oder Arbeitsverhältnis, berechnet jeweils ohne Abzug der Beiträge an die beklagte Partei, und außerdem die Beiträge für die Selbstversicherung der Klägerin in der Krankenversicherung in der Höhe von damals 810 S (monatlich) zu bezahlen. In Abänderung des Vergleiches vereinbarten die Parteien später die Bezahlung eines Betrages von 810 S im Monat als zusätzlichen Unterhalt, den der geschiedene Ehegatte der Klägerin bis zu seinem Tod leistete. Mit Bescheid vom 3.10.1985 entschied die beklagte Partei, daß der Klägerin ab 1.8.1985 eine Witwenzuschußpension von 750,60 S monatlich gebührt. Dabei wurde unter Berufung auf § 64 Abs 9 der Satzung der beklagten Partei der monatliche Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren geschiedenen Ehegatten mit 9.896,20 S errechnet und hievon die ihr nach dem ASVG gebührende Witwenpension von 9.145,60 S abgezogen.

Die Klägerin stellte zuletzt das Begehren, die beklagte Partei sei schuldig, ihr die Witwenpension im gesetzlichen Ausmaß zu bezahlen, wobei sie hiezu im wesentlichen vorbrachte, daß sie einer Witwe in aufrechter Ehe gleichgestellt sei und unabhängig vom Unterhaltsanspruch gegen ihren geschiedenen Ehegatten Anspruch auf 60 % der Pension habe, die ihr geschiedener Ehegatte von der beklagten Partei bezog.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei im zweiten Rechtsgang schuldig, der Klägerin an Witwenpension im Monat ab 1.8.1985 750,60 S, ab 1.1.1986 779,12 S, ab 1.1.1987 794,70 S und ab 1.1.1988 805,03 S zu bezahlen. Es errechnete das Nettoeinkommen des geschiedenen Ehegatten der Klägerin, der von der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten und von der beklagten Partei jeweils eine Alterspension bezog, für 1985 mit 379.611,70 S. 33 % hievon seien 125.271,86 S. Hiezu komme der Betrag von 810 S monatlich und somit 9.720 S im Jahr, woraus sich ein Unterhaltsanspruch der Klägerin von 134.991,86 S für das Jahr und 11.249,32 S für den Monat ergebe. Gemäß § 64 Abs 9 der Satzung der beklagten Partei dürfe die Witwenpension den Unterhaltsanspruch der Witwe nicht übersteigen und es sei außerdem die auf Grund des ASVG gebührende Witwenpension anzurechnen. Da diese bei der Klägerin 10.669,87 S im Monat betrage, habe sie gegen die beklagte Partei einen Anspruch auf Witwenpension in der Höhe von 579,45 S im Monat (= 11.249,32 - 10.669,87). Die Klägerin dürfe aber nicht schlechter als durch den bekämpften Bescheid gestellt werden, weshalb sie Anspruch auf Bezahlung der darin festgesetzten Witwenpension habe. Die angeführte Bestimmung der Satzung sei nicht gesetzwidrig, weil § 264 Abs 5 lit a ASVG nicht zu den gemäß § 479 Abs 2 dieses Gesetzes sinngemäß anzuwendenden Bestimmungen gehöre. Das Berufungsgericht wies den Antrag der Klägerin, das Verfahren zu unterbrechen und § 64 der Satzung der beklagten Partei beim Verfassungsgerichtshof anzufechten, zurück und gab ihrer Berufung nicht Folge. Gemäß § 479 Abs 2 ASVG müsse die beklagte Partei bei der Regelung der Witwenpension in ihrer Satzung nur ihre finanzielle Leistungsfähigkeit und die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Versicherten, nicht aber die Bestimmungen des ASVG über die Witwenpension beachten. Die angeführte Gesetzesstelle sei inhaltlich ausreichend bestimmt und enthalte nicht eine verfassungsrechtlich bedenkliche bloß formalgesetzliche Delegation. Sie gebe der beklagten Partei aber für die Erlassung ihrer Satzung einen Spielraum, der sie nicht zwinge, die Regelungen des ASVG bis ins Detail nachzuvollziehen, zumal es sich bei den von ihr zu erbringenden Leistungen um Zuschußleistungen zu den Leistungen der gesetzlichen Pensionsversicherung handle. Die anzuwendende Bestimmung der Satzung sei deshalb nicht gesetzwidrig. Sie sei auch nicht gleichheitswidrig, weil bei einer Zusatzpension nicht mehr ein so großes wirtschaftliches Bedürfnis nach einer völlig gleichen Regelung bestehe, daß die im § 479 Abs 2 ASVG für die Satzung festgelegten Kriterien in den Hintergrund treten müßten. Die Rechtsansicht der Klägerin, bei der Ermittlung der ihr von der beklagten Partei gebührenden Witwenpension müsse die ihr nach dem ASVG zustehende Pension außer Betracht bleiben, widerspreche der ausdrücklichen Anordnung im § 64 Abs 9 der Satzung der beklagten Partei.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Verfahren zu unterbrechen und beim Verfassungsgerichtshof die Überprüfung des § 479 ASVG und des § 64 der Satzung der beklagten Partei zu beantragen und das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß ihr die beklagte Partei die Witwenpension ohne Begrenzung auf den von ihrem geschiedenen Ehegatten zu leistenden Unterhalt im gesetzlichen Ausmaß zu bezahlen habe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die beklagte Partei beantragt, den Antrag auf Unterbrechung und Anrufung des Verfassungsgerichtshofes zurückzuweisen und der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die beklagte Partei ist einer der im § 479 Abs 1 ASVG erwähnten Träger der zusätzlichen Pensionsversicherung. Gemäß dem nachfolgenden Absatz 2 ist bis zum Inkrafttreten einer besonderen bundesgesetzlichen Regelung die zusätzliche Pensionsversicherung unter Bedachtnahme auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der Versicherungsträger und auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Versicherten durch die Satzung der Versicherungsträger zu regeln, wobei mehrere im einzelnen angeführte Bestimmungen des ASVG entsprechend anzuwenden sind; die Bestimmungen über die Witwenpension (§§ 258, 264 f) gehören nicht dazu. In der Satzung der beklagten Partei wird der Anspruch auf Witwenpension im § 59 geregelt. Für den Fall der Scheidung wird darin im Abs 4 bestimmt, daß die Witwenpension, sofern nicht ein - hier nicht in Betracht kommender - Ausschließungsgrund nach Abs 2 im Zusammenhalt mit Abs 3 vorliegt, auch der Frau gebührt, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden worden ist, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt (einen Unterhaltsbeitrag) auf Grund eines gerichtlichen Urteiles, eines gerichtlichen Vergleiches oder einer vor Auflösung der Ehe eingegangenen vertraglichen Verpflichtung zu leisten hatte, und zwar sofern und solange die Frau nicht eine neue Ehe geschlossen hat. Gemäß § 64 Abs 9 der Satzung darf die Witwenpension nach § 59 Abs 4 den gegen den Versicherten zur Zeit seines Todes bestehenden Anspruch auf Unterhalt (Unterhaltsbeitrag) sowie die der hinterbliebenen Witwe aus demselben Versicherungsfall gebührende Witwenpension nicht übersteigen. Auch sind die der geschiedenen Witwe gebührenden anderweitigen Versorgungsansprüche nach § 215 Abs 3 und § 258 Abs 1 ASVG anzurechnen. Eine vertraglich oder durch gerichtlichen Vergleich übernommene Erhöhung des Unterhalts (Unterhaltsbeitrages) bleibt außer Betracht, wenn seit dem Abschluß des Vertrages (Vergleiches) bis zum Tod nicht mindestens ein Jahr vergangen ist. Eine dem § 264 Abs 5 ASVG entsprechende Regelung, wonach bei Scheidung der Ehe mit einem Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG die im vorangehenden Absatz 4 vorgesehene, der wiedergegebenen Bestimmung der Satzung entsprechende Beschränkung der Höhe der Witwenpension entfällt, fehlt in der Satzung.

Das Schwergewicht der Revision liegt in der Auffassung, daß § 479 Abs 2 ASVG verfassungs- und § 64 Abs 9 der Satzung der beklagten Partei gesetzwidrig sei. Der Oberste Gerichtshof vermag jedoch die von der Klägerin geäußerten Bedenken nicht zu teilen. Wohl ist richtig, daß Satzungen von Selbstverwaltungsträgern Verordnungen im Sinne des Art.18 Abs 2 B-VG sind (VfSlg. 3709) und nur aufgrund von Gesetzen erlassen werden dürfen, durch die ihr Inhalt in wesentlichen Zügen vorherbestimmt ist (vgl. etwa VfSlg. 3265; allgemein zum Prinzip der Vorausbestimmung des Verordnungsinhalts durch das Gesetz aus jüngerer Zeit etwa VfSlg. 10.296 mwN). Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist die Grenze zwischen einer noch ausreichenden materiellen Bestimmtheit des Gesetzes und einer formalen Delegation in einzelnen Fällen nicht immer leicht zu bestimmen. Entscheidungskriterium ist stets die Frage, ob die im Verordnungsweg getroffene (Durchführungs-)Regelung auf ihre innerliche Gesetzmäßigkeit überprüft werden kann (VfSlg. 10.296 mwN). Der Gesetzgeber hat im § 479 Abs 2 ASVG den Inhalt der Satzung zum Teil dadurch genau bestimmt, daß er einzelne Bestimmungen des ASVG für "entsprechend" anwendbar erklärte. Für die Höhe der aus der zusätzlichen Pensionsversicherung gebührenden Leistungen trifft dies allerdings nicht zu. Hiefür sind nur die im Gesetz allgemein festgelegten Kriterien, also die finanzielle Leistungsfähigkeit des Versicherungsträgers und die Bedürfnisse der Versicherten, maßgebend. Dies kann dadurch gerechtfertigt werden, daß es sich um Pensionsleistungen handelt, die zusätzlich zu der nach dem ASVG gebührenden Pension erbracht werden, weshalb es durchaus sinnvoll sein kann, eine vom ASVG abweichende Regelung zu erlassen. Die für den Inhalt der Satzung maßgebende finanzielle Leistungsfähigkeit des Versicherungsträgers und die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Versicherten, bei denen es nur auf den Durchschnitt ankommen kann, lassen sich gegebenenfalls ermitteln, weshalb diese Kriterien nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs noch der Forderung entsprechen, daß sie es ermöglichen müssen, die Satzung auf ihre Gesetzmäßigkeit zu überprüfen. Der Oberste Gerichtshof hat deshalb gegen § 479 Abs 2 ASVG keine verfassungsrechtliche Bedenken.

Die Satzung der beklagten Partei und deren für den Anspruch der Klägerin maßgebende Bestimmungen wurden somit auf Grund einer ausreichenden und unbedenklichen gesetzlichen Grundlage erlassen. Daß diese Bestimmungen den durch das Gesetz festgelegten Kriterien widersprechen, wurde von der Klägerin nicht einmal behauptet, geschweige denn dargetan. Der Oberste Gerichtshof hat unter diesen Umständen auch gegen die Gesetzmäßigkeit dieser Bestimmungen keine Bedenken. Schließlich vermag er sich der Meinung der Klägerin nicht anzuschließen, daß hiedurch der Gleichheitsgrundsatz verletzt sei, weil alle anderen in Betracht kommenden Versicherungsträger in ihren Satzungen eine dem § 264 Abs 5 ASVG entsprechende Bestimmung über den begünstigten Pensionsanspruch geschiedener Witwen ausgenommen hätten. Der Gleichheitsgrundsatz verpflichtete die einzelnen Versicherungsträger nur, in ihrer Satzung die eigenen Versicherten und deren Angehörigen ohne sachlichen Grund nicht ungleich zu behandeln; im Verhältnis zu Personen, deren Ansprüche in anderen Satzungen geregelt sind, besteht diese Verpflichtung hingegen nicht. Da somit die Ausführungen der Klägerin nicht ausreichen, um Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 479 Abs 2 ASVG und die Gesetzmäßigkeit der in Betracht kommenden Bestimmungen der Satzung der beklagten Partei hervorzurufen, sieht sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlaßt, gemäß § 139 Abs 1 und Art.140 Abs 1 B-VG beim Verfassungsgerichtshof den Antrag zu stellen, auf Verfassungswidrigkeit der angeführten Gesetzesstelle und Gesetzwidrigkeit des § 64 Abs 9 der Satzung der beklagten Partei zu erkennen.

In der Sache meint die Klägerin, es dürfe bei der Ermittlung ihres Pensionsanspruchs die ihr nach dem ASVG gebührende Witwenpension nicht berücksichtigt werden. Dies steht aber mit dem eindeutigen Wortlaut des § 64 Abs 9 Satz 2 der Satzung der beklagten Partei im Widerspruch, wonach für die von der beklagten Partei zu zahlende Witwenpension die der geschiedenen Witwe gebührenden anderweitigen Versorgungsansprüche nach § 215 Abs 3 und § 258 Abs 1 ASVG anzurechnen sind. Im übrigen wird gegen die vom Erstgericht vorgenommene Berechnung der Höhe der der Klägerin gebührenden Pension nichts vorgebracht, weshalb hierauf nicht weiter eingegangen werden muß.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Im Hinblick auf die rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens erschien es gerechtfertigt, der Klägerin die Hälfte der auf der Grundlage des § 77 Abs 2 ASGG berechneten Kosten zuzusprechen.

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