Spruch:
Im Verfahren zum AZ 6 U 1857/86 des Strafbezirksgerichtes Wien hat das Landesgericht für Strafsachen Wien als Berufungsgericht mit dem Urteil vom 30.Oktober 1987 (ON 29), AZ 13 d Bl 997/87, soweit es damit in teilweiser Stattgebung der von der Staatsanwaltschaft erhobenen Nichtigkeits- und Schuldberufung den mit dem erstgerichtlichen Urteil vom 6.April 1987 (ON 20) gefällten Freispruch des Herbert S*** (auch) vom Anklagevorwurf, er habe im Oktober 1986 in Wien fahrlässig eine verfälschte "Klare Ochsenschwanz-Suppe" in Verkehr gebracht, aufhob und den genannten Angeklagten auf Grund dieser Anklage des Vergehens nach § 64 (mit Beziehung auf § 63 Abs. 1 Z 2) LMG schuldig erkannte, das Gesetz 1. im objektiven Tatbestand dieser Strafbestimmung sowie 2. in deren subjektivem Tatbestand iVm § 6 StGB verletzt.
Das bezeichnete Urteil des Berufungsgerichtes, welches im übrigen unberührt bleibt, wird in der beschriebenen teilweisen Kassierung des erstgerichtlichen Freispruchs und im statt dessen gefällten Schuldspruch sowie demgemäß auch im Straf- und im Kostenausspruch aufgehoben; im Umfang der Aufhebung wird nach § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:
Auch in Ansehung des Freispruchs des Herbert S*** von der Anklage, er habe im Oktober 1986 in Wien fahrlässig eine verfälschte "Klare Ochsenschwanz-Suppe" in Verkehr gebracht und er habe hiedurch das Vergehen nach § 64 (mit Beziehung auf § 63 Abs. 1 Z 2) LMG begangen, wird die Nichtigkeitsberufung zurückgewiesen und der Schuldberufung nicht Folge gegeben.
Text
Gründe:
I. Das Strafbezirksgericht Wien ging bei dem im Tenor relevierten Freispruch von der Ansicht aus, daß selbst dann, wenn die verfahrensgegenständliche Ochsenschwanz-Suppe - auf Grund einer Codex-Bestimmung (gemeint: Kap B 14, Abschn B IV Abs. 39 der III. Aufl des ÖLMB), die es in Ansehung ihrer Stichhältigkeit als vorweggenommenes Sachverständigen-Gutachten über die Verbrauchererwartung (vgl RZ 1981/78) bezweifelte - wegen zu geringer Fleischeinwaage als verfälscht zu beurteilen sei, diese Verfälschung doch jedenfalls durch den auf dem Etikett im unmittelbaren Zusammenhang mit der Sachbezeichnung der Ware (und nicht bloß in der Bestandteilsdeklaration) angebrachten Hinweis "Weniger Fleischeinwaage als in Österreich üblich" deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht werde; außerdem habe der Beschuldigte zwei Gutachten der hiezu autorisierten Lebensmittel-Versuchsanstalt (in 1190 Wien, Blaasstraße 29) eingeholt, nach denen das Produkt auf Grund des erwähnten Hinweises keinen Anlaß zu einer Beanstandung gebe: mehr Sorgfalt könne von einem Importeur nicht verlangt werden.
Dementgegen vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, der in Rede stehende Zusatz entspreche seiner Form nach keinesfalls den Erfordernissen einer deutlichen und allgemein verständlichen Kenntlichmachung der - infolge der Unbedenklichkeit der betreffenden Codex-Bestimmung sehr wohl anzunehmenden - Verfälschung, weil er wegen der Zerrissenheit der Gesamtbezeichnung in mehrere Teile in Verbindung mit der Diskrepanz seiner Schriftgröße (von nur 2 mm) zur Buchstabenhöhe der Sachbezeichnung (bis zu 12 mm) keinen hinreichenden Auffälligkeitswert besitze, und in subjektiver Hinsicht sei die Unrichtigkeit der (dementsprechend überflüssigerweise eingeholten) Anstaltsauskunft wegen eben jener Diskrepanz für jeden anfragenden gewissenhaften Importeur erkennbar. Mit ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde pflichtet die Generalprokuratur der Berufungsentscheidung zwar in der Annahme bei, daß die beanstandete Ochsenschwanz-Suppe wegen zu geringer Fleischeinlage als verfälscht (§ 8 lit e LMG) anzusehen sei und daß der Hinweis auf diese Verfälschung mangels eines ausreichenden Auffälligkeitswertes nicht den Voraussetzungen einer deutlichen und allgemein verständlichen Kenntlichmachung (§§ 7 Abs. 1 lit b, 63 Abs. 1 Z 2 aE LMG) entspreche, doch erblickt sie darin, daß das Landesgericht für Strafsachen Wien dem Angeklagten in bezug auf das Nichterkennen jenes Mangels zu Unrecht nicht einen entschuldbaren Verbotsirrtum zugebilligt habe, eine Verletzung des Gesetzes in den Bestimmungen des § 9 StGB sowie des § 64 (iVm § 63 Abs. 1 Z 2) LMG.
Rechtliche Beurteilung
II. Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
1. Der vom Berufungsgericht als maßgebendes Kriterium für die Beurteilung des hier interessierenden Auffälligkeitswertes hervorgehobenen Unterschied in der Schriftgröße zwischen dem (unbestrittenermaßen allgemein verständlichen) Hinweis "Weniger Fleischeinwaage als in Österreich üblich" und der Sachbezeichnung "Klare Ochsenschwanz-Suppe" beträgt, wie den im Akt erliegenden Fotokopien des Etiketts (S 11, 19, 25, 29 in ON 10) zu entnehmen ist (vgl Mayerhofer-Rieder StPO2 § 288 ENr 18, 21 ua), entgegen den (darnach aktenwidrigen) Urteilsannahmen des Landesgerichtes nicht 2 : 12, sondern bloß 2 : 7 mm. Beide Schriftzüge befinden sich über der bildlichen Darstellung einer mit Suppe gefüllten Tasse innerhalb eines ansonsten unbeschrifteten, annähernd ellipsenförmigen Freiraumes mit einer Achsenlänge von etwa 10 x 3 cm, wobei sich die Bezeichnung "Ochsenschwanz-Suppe" in gerader Schriftlage (mit einer maximalen Buchstabenhöhe von 7 mm) über eine Länge von rund 8,8 cm erstreckt und unmittelbar darüber in Schrägschrift (mit einer maximalen Höhe von 6 mm) das Wort "Klare" sowie unmittelbar darunter gleichfalls in gegenüber dem Untergrund konstrastreicher Schrägschrift (mit einer Höhe von 2 mm) über eine Länge von 6,1 cm der in Rede stehende Hinweis "Weniger Fleischeinwaage als in Österreich üblich" angebracht sind.
Bei einer derartigen Kenntlichmachung der Verfälschung - die sich inhaltlich nur auf diesen Umstand, nicht aber auch auf das Ausmaß derselben erstrecken muß (§ 7 Abs. 1 lit b LMG) - kann von einer ihren Auffälligkeitswert beeinträchtigenden "Zerrissenheit der Gesamtbezeichnung" nicht gesprochen werden; im Gegenteil: innerhalb der durch ihre Placierung tatsächlich als solche ins Auge springenden dreizeiligen Gesamtbezeichnung zieht der zu beurteilende Hinweis infolge seiner Länge und seines unterschiedlichen, sich vom Untergrund deutlich abhebenden Schriftbildes die Aufmerksamkeit des an der Beschaffenheit der Ware interessierten Konsumenten geradezu auf sich. Der dadurch erzielte Auffälligkeitswert trägt, der Rechtsansicht des Landesgerichtes zuwider, sehr wohl auch dem Informationsbedarf alterssichtiger Personen zur Genüge Rechnung, denen dann, wenn sie eine etwa 2 mm hohe Schrift aus einer entsprechenden Distanz nicht mehr einwandfrei zu lesen in der Lage sind, die Verwendung einer Brille beim Einkauf gewiß zugemutet werden kann.
Entgegen der in der Wahrungsbeschwerde vertretenen Auffassung hat demnach der Angeklagte - wie das Bezirksgericht zutreffend erkannte - schon den objektiven Tatbestand des § 64 (mit Bezug auf § 63 Abs. 1 Z 2 zweite Fallgruppe) LMG nicht verwirklicht, weil der (nach dem Gesagten vom Berufungsgericht zu Unrecht bemängelte) Hinweis auf die Verfälschung des Produkts auch den Erfordernissen einer deutlichen Kenntlichmachung im Sinn der §§ 7 Abs. 1 lit b, 63
Abs. 1 Z 2 aE LMG entspricht. Zunächst war daher die dem Landesgericht für Strafsachen Wien dadurch, daß es der Aufhebung des erstgerichtlichen Freispruchs und dem Schuldspruch primär die gegenteilige Ansicht zugrunde legte, unterlaufene - von der Generalprokuratur nicht als solche angesehene - Gesetzesverletzung gemäß § 290 Abs. 1 StPO von Amts wegen festzustellen (vgl Mayerhofer/Rieder aaO § 290 ENr 20).
2. Darüber hinaus war aber die Berufungsentscheidung selbst unter der ihr vom Landesgericht rechtsirrig zugrunde gelegten Annahme, durch das inkriminierte Verhalten des Angeklagten sei das in Rede stehende Vergehen auf der objektiven Tatseite verwirklicht worden, auch darin rechtlich verfehlt, daß das Berufungsgericht die Erfüllung des subjektiven Tatbestands des § 64 LMG durch ihn gleichfalls bejahte: insoweit ist der Beschwerdeauffassung beizupflichten, daß jene Rechtsansicht, wonach die (in zweiter Instanz angenommene) Unrichtigkeit der vom Angeklagten eingeholten Gutachten der zur Untersuchung und Begutachtung von Lebensmitteln und Waren im Sinn des LMG befugten Lebensmittel-Versuchsanstalt (in 1190 Wien, Blaasstraße 29) über die Deutlichkeit des umstrittenen Hinweises (auf die Verfälschung der verfahrensgegenständlichen Ochsenschwanzsuppe) für jeden gewissenhaften Importeur erkennbar sei, und der darauf beruhende Fahrlässigkeitsvorwurf mit dem Gesetz nicht im Einklang stehen.
Kann doch zum einen das Vertrauen in die Richtigkeit der Auskunft einer verläßlichen, fachlich kompetenten Stelle, wie es dem Angeklagten in beiden Instanzen der Sache nach zugebilligt wurde, im Regelfall nicht als Verstoß gegen eine Sorgfaltspflicht beurteilt werden, weil für den Auskunftsempfänger diesfalls mangels einer konkreten Ursache, an der Verläßlichkeit der ihm zugekommenen Mitteilung zu zweifeln, zu deren Überprüfung kein Anlaß besteht (vgl hiezu - mit Bezug auf die Vorwerfbarkeit eines darauf zurückzuführenden Verbotsirrtums - Kienapfel ÖJZ 1976, 118 f.;
Leukauf-Steininger StGB2 § 9 RN 21; Schick ÖJZ 1980, 598 f 601;
Triffterer AT 435); und zum anderen weist - wie aus den unter Pkt 1. dargestellten Erwägungen erhellt - im hier aktuellen Fall das Schriftbild der Sachbezeichnung einerseits sowie des Hinweises auf die vom Üblichen abweichenden Beschaffenheit der Ware anderseits entgegen der Auffassung des Landesgerichtes keinesfalls eine derartige Diskrepanz auf, daß letztere nach dem Sorgfaltsmaßstab eines pflichtbewußten Importeurs Zweifel an der Richtigkeit der Anstaltsgutachten hätte nach sich ziehen müssen.
Durch die dem Berufungsgericht auch insoweit unterlaufene, mit der Wahrungsbeschwerde zutreffend aufgezeigte weitere Fehlbeurteilung ist allerdings, der von der Generalprokuratur vertretenen Ansicht zuwider, das Gesetz nicht in den Bestimmungen des § 9 StGB, sondern in jenen des § 64 LMG iVm § 6 StGB verletzt worden. Denn der dem Angeklagten als einziger Fahrlässigkeitsvorwurf unterstellte Irrtum über eine (vom Landesgericht wie schon hervorgehoben zu Unrecht angenommene) Unrichtigkeit der Anstaltsauskünfte - dem er nach dem unter Pkt 1. Gesagten infolge deren Richtigkeit in Wahrheit gar nicht unterlag - würde ein normatives Tatbestandsmerkmal (des § 63 Abs. 1 Z 2 zweite Fallgruppe LMG) betroffen haben, und zwar die Frage, ob die Kenntlichmachung der Verfälschung der hier interessierenden Ware (nicht nur "allgemein verständlich", sondern auch) "deutlich" war, also die faktische Eignung des umstrittenen Hinweises, am Kauf interessierte Konsumenten mit einer zum Erwecken ihrer Aufmerksamkeit ausreichenden Intensität über die vom Üblichen abweichende Beschaffenheit des ihnen angebotenen Lebensmittels zu informieren. Eine - solcherart einen Teilaspekt des tatsächlichen Geschehens verhüllende - derartige Fehleinschätzung wäre daher richtigerweise als ein (nach § 5 StGB arg. e contr. den Vorsatz ausschließender) Tatbildirrtum zu beurteilen und nicht, wie in der Beschwerde angenommen, als ein (auch auf der subjektiven Seite die Tatbestandsverwirklichung voraussetzender, die abstrakte Tragweite der Verbotsnorm betreffender und bloß die Schuld ausschließender) Verbotsirrtum im Sinn des § 9 StGB (vgl Kienapfel AT Z 18 RN 29). Dementsprechend könnte sie zwar dann, wenn sie auf einer (hier vom Berufungsgericht rechtsirrig angenommenen) Fahrlässigkeit beruhen würde, gewiß zur Verwirklichung eines entsprechenden Fahrlässigkeitsdelikts (hier: § 64 mit Beziehung auf § 63 Abs. 1 Z 2 LMG) führen (vgl Kienapfel AT Z 16 RN 11 f.), doch ginge es dabei eben nicht um die Vorwerfbarkeit eines (nach dem soeben Gesagten insoweit nicht in Betracht kommenden) Verbotsirrtums im Sinn des § 9 Abs. 2 StGB (mit den materiellrechtlichen Konsequenzen des § 9 Abs. 3 StGB: Haftung für vorsätzliches Handeln), sondern um die Prüfung der subjektiven Tatseite des betreffenden Delikts in bezug auf das Vorliegen der Fahrlässigkeitskriterien nach § 6 StGB, auf welche die Wahrungsbeschwerde im übrigen eingangs ihrer Argumentation ohnehin abgestellt zu sein scheint.
In Ansehung der subjektiven Tatseite war dementsprechend die unter Punkt 2. erörterte Gesetzesverletzung wohl in Stattgebung der Beschwerde, jedoch mit der ihren Sitz betreffenden Maßgabe festzustellen.
III. Die von den aufgezeigten Fehlbeurteilungen zu Lasten des Angeklagten betroffenen Teile der Berufungsentscheidung waren nach § 292 letzter Satz StPO aufzuheben; da nach der Aktenlage eine andere Beurteilung der Sache ausgeschlossen ist, war der von der Staatsanwaltschaft erhobenen Berufung auch in diesem Umfang sogleich ein Erfolg zu versagen (vgl Mayerhofer/Rieder aaO § 292 ENr 93 f.).
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