OGH 11Os30/89

OGH11Os30/8918.4.1989

Der Oberste Gerichtshof hat am 18.April 1989 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Ofner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Martin J*** wegen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Linz vom 15. Dezember 1988, GZ 28 Vr 1195/88-42, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Bassler, und des Verteidigers Dr. Prybila, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden Urteil wurde der am 26.März 1957 geborene (beschäftigungslose) Martin J*** des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB schuldig erkannt. Dem Schuldspruch zufolge tötete er am 1.Mai 1988 in Linz die Klaudia E*** vorsätzlich durch Versetzen von Faustschlägen und durch ca. 28 Stiche mit einem Messer. Die Geschwornen hatten die im Sinn des Anklagevorwurfes gestellte Hauptfrage in Richtung des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB stimmeneinhellig bejaht. Demgemäß war die Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlages (§ 76 StGB) unbeantwortet geblieben. Weitere Fragen waren nicht gestellt worden. Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer ausdrücklich auf die Nichtigkeitsgründe der Z 6, 9, 10 a und 12 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der in keinem Anfechtungspunkt Berechtigung zukommt. Überdies ficht er den Strafausspruch mit Berufung an.

Rechtliche Beurteilung

Eine Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (§ 345 Abs. 1 Z 6 StPO) erblickt die Beschwerde in dem Umstand, daß den Geschwornen die Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes, die "auf jeden Fall zu beantworten ist", vor der Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlages, die "nur für den Fall des Verneinens der Hauptfrage zu beantworten ist", gestellt wurde, weil solcherart mit Rücksicht auf die (beiden Fragestellungen inhärente und) nach Lage des Falles jedenfalls zu bejahende Frage nach vorsätzlicher Tötung die Geschwornen gar nicht die Möglichkeit gehabt hätten, auch dazu Stellung zu nehmen, ob der Angeklagte sich (bloß) in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen ließ, Klaudia E*** zu töten.

Mit diesem Einwand verkennt der Beschwerdeführer einerseits das Wesen der Eventualfrage in ihrem Verhältnis zur Hauptfrage und anderseits das Wesen des Totschlages, der ein formal selbständiges (privilegiertes) Delikt darstellt.

Gemäß dem § 312 Abs. 1 StPO ist die Hauptfrage darauf gerichtet, ob der Angeklagte schuldig ist, die der Anklage zugrundeliegende strafbare Handlung begangen zu haben. Die Hauptfrage muß daher die unter Anklage gestellte Tat betreffen. Die Eventualfrage nach dem § 314 Abs. 1 StPO hingegen soll den Geschwornen aufgrund eines konkreten Tatsachenvorbringens in der Hauptverhandlung die Möglichkeit bieten, ihrer Überzeugung Ausdruck zu verleihen, daß der Angeklagte sich einer anderen als der in der Anklage angeführten strafbaren Handlung (oder zwar derselben strafbaren Handlung, aber in einer anderen Erscheinungsform) schuldig gemacht habe. Die Stellung einer Eventualfrage setzt also voraus, daß es sich um rechtlich verschiedene Unterstellungen einer Tat handelt, von denen die in der Hauptfrage zum Ausdruck gekommene die in die Eventualfrage aufzunehmende ausschließt, dh daß bei Vorliegen einer Hauptfrage und einer Eventualfrage immer nur die eine oder die andere der beiden Fragen bejaht werden kann (Mayerhofer-Rieder, StPO2, ENr. 1, 2 und 15 zu § 314).

Dies trifft hier im Hinblick auf die formale Selbständigkeit des gegenüber Mord ein eigenes Delikt (und nicht etwa nur eine Strafzumessungsregel) bildenden Totschlages zu (vgl. hiezu Leukauf-Steininger, StGB2, RN 1, 2; Kienapfel BT I2, RN 1, 43; Moos im WK, Rz 3, 4 jeweils zu § 76 StGB und die dort zitierte Judikatur). Demgemäß hatten die Geschwornen zunächst durch Beantwortung der Hauptfrage abzuklären, ob der Angeklagte schuldig ist, das der Anklage zugrundeliegende Verbrechen des Mordes begangen zu haben. Nur bei einer - nach dem Gesagten entgegen der Beschwerdeansicht möglichen - Verneinung der (sohin jedenfalls und zuvor zu beantwortenden) Hauptfrage hätten die Geschwornen in Beantwortung der Eventualfrage weiter prüfen und beurteilen müssen, ob die dem Angeklagten in der Anklageschrift zur Last gelegte vorsätzliche Tötung der Klaudia E*** aufgrund eines vom Anklagevorwurf auf der inneren Tatseite abweichenden Sachverhaltes dem Tatbestand des § 76 StGB als Fall privilegierter vorsätzlicher Tötung eines Menschen zu unterstellen gewesen wäre. Von einer Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung wegen der (dem Gesetz entsprechenden; § 317 Abs. 3 StPO) Reihung der Eventualfrage nach der Hauptfrage (vgl. hiezu auch Mayerhofer-Rieder, StPO2, ENr. 3 zu § 314) kann darum keine Rede sein, zumal der Fassung der Eventualfrage klar zu entnehmen ist, welchen von der Hauptfrage abweichenden Sachverhalt die Geschwornen gegebenenfalls als erwiesen annehmen müßten, um die Hauptfrage (nach dem Verbrechen des Mordes) verneinen und die Eventualfrage (nach dem Verbrechen des Totschlages) bejahen zu können.

So gesehen ist der Wahrspruch der Geschwornen, welche die Hauptfrage wegen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB stimmeneinhellig bejahten und demgemäß die Eventualfrage wegen des Verbrechens des Totschlages nach dem § 76 StGB unbeantwortet ließen, dem Beschwerdevorbringen zuwider auch nicht unvollständig (§ 345 Abs. 1 Z 9 StPO). Denn in der Bejahung der Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes liegt - was die Geschwornen in der Niederschrift gemäß dem § 331 Abs. 3 StPO) unmißverständlich zum Ausdruck brachten - denknotwendig die Verneinung jener Umstände, die allenfalls eine Beurteilung des Verhaltens des Angeklagten (bloß) als Verbrechen des Totschlages zuließen.

In der Tatsachenrüge (§ 345 Abs. 1 Z 10 a StPO) versucht die Beschwerde, die dem Angeklagten in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K*** im Rahmen der Strafzumessung zugebilligte und unbestritten durch die Mitteilung der Klaudia E*** über ihre Aids-Infektion ausgelöste heftige Gemütsbewegung (unbeschadet seiner Kenntnis, daß die E*** der Suchtgiftszene, somit einer Risikogruppe angehörte und trotz des Umstandes, daß er mit ihr einen Geschlechtsverkehr ohne Verwendung eines Schutzmittels vollzogen hatte) als allgemein begreiflich darzustellen. Damit zeigt sie aber weder schwerwiegende, unter Außerachtlassung der Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung (§§ 3, 232 Abs. 2, 254, 302 StPO) zustandegekommene Mängel in der Sachverhaltsermittlung auf, noch gibt sie Hinweise auf aktenkundige Beweisergebnisse, die nach allgemeiner Erfahrung erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Beweiswürdigung in entscheidungswesentlichen Punkten aufkommen lassen. Vielmehr bekämpft der Angeklagte mit seinem Vorbringen bloß die sich aus der Bejahung der Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes in Verbindung mit der Niederschrift ergebende Rechtsansicht der Geschwornen, daß nach Lage des Falles die vorhandene heftige Gemütsbewegung nicht allgemein begreiflich war. Solcherart bringt er den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund nicht zu gesetzmäßiger Darstellung.

Es versagt aber auch die Rechtsrüge des Angeklagten (§ 345 Abs. 1 Z 12 StPO). Denn Voraussetzung für die gesetzmäßige Ausführung dieses Nichtigkeitsgrundes ist es, daß sich die behauptete unrichtige Gesetzesanwendung ausschließlich aus dem Vergleich der im Wahrspruch der Geschwornen enthaltenen und damit festgestellten (vgl. § 351 zweiter Satz StPO) Tatsachen mit dem vom Schwurgerichtshof angewendeten Strafgesetz ergibt. Der Beschwerdeführer leitet aber jene Wertung, derzufolge er sich angeblich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung zum Tatentschluß hinreißen ließ, nicht aus dem insoweit allein maßgebenden Wahrspruch ab, sondern bezeichnet ihn (infolge einer unrichtigen Rechtsauffassung der Geschwornen) als irrig. Die Stichhältigkeit des Beschwerdevorbringens kann jedoch nur unter Bindung an die im Wahrspruch getroffenen Feststellungen, und zwar auch zur subjektiven Tatseite, geprüft werden. Demgemäß verfehlt der Beschwerdeführer die gesetzmäßige Ausführung des geltend gemachten materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes, weil er in Wirklichkeit einen Rechtsirrtum bei der Subsumtion des im Wahrspruch umschriebenen Sachverhaltes gar nicht behauptet, sondern vielmehr eine Abänderung des Wahrspruches (Verneinung der Hauptfrage und Bejahung der Eventualfrage) anstrebt.

Der Beschwerdeführer erblickt schließlich in der Verlesung seines Einspruches gegen die Anklageschrift (ON 33) und des Erkenntnisses des Oberlandesgerichtes über diesen Einspruch (ON 36) gemäß dem § 252 Abs. 2 StPO (AS 158, Bd. II) in der Hauptverhandlung einen Nichtigkeit begründenden Verstoß gegen die EMRK (ersichtlich gemeint gegen Artikel 6 der EMRK). Auch hierin kann ihm nicht gefolgt werden. Kommt doch dieser Verlesung im Grund kein anderer Charakter als der einer Information darüber zu, daß die Anklage im Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch Bestand hatte. Im übrigen begründet ein (bloßer) Verstoß gegen die Bestimmung des § 252 Abs. 2 StPO keine Urteilsnichtigkeit (Mayerhofer-Rieder, StPO2, ENr. 129 zu § 252).

Allenfalls wäre es Sache des Beschwerdeführers bzw. seines Verteidigers gewesen, sich der Verlesung der in Rede stehenden Schriftstücke in geeigneter Form zu widersetzen und - sofern nicht bereits der Vorsitzende seinem Antrag, den Einspruch gegen die Anklageschrift und das darüber absprechende Erkenntnis des Oberlandesgerichtes nicht zu verlesen, stattgegeben hätte - gemäß dem § 238 Abs. 1 StPO die Entscheidung des Gerichtshofes einzuholen, um solcherart die prozessualen Voraussetzungen für eine Rüge unter dem Gesichtspunkt des Nichtigkeitsgrundes nach dem § 345 Abs. 1 Z 5 StPO zu schaffen. Dieses in der Hauptverhandlung unterlaufene Versäumnis kann im Rechtsmittelverfahren nicht mehr nachgeholt werden.

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war sohin zu verwerfen.

Das Erstgericht verhängte über den Angeklagten nach dem § 75 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von sechzehn Jahren. Es wertete bei der Strafbemessung als erschwerend den raschen Rückfall ("weil der Angeklagte zuletzt am 15.August 1988 wegen § 127 StGB verurteilt wurde"), ferner den hohen Grad der Grausamkeit der Tat, wobei der Angeklagte in einer für das Opfer höchst qualvollen Weise handelte, und den Mangel an Verbundenheit mit den rechtlich geschützten Werten, der daraus abgeleitet wurde, daß der Angeklagte das Opfer nach der Tat noch bestahl. Als mildernd wurde das Tatsachengeständnis, das wesentlich zur Wahrheitsfindung beitrug, der Umstand, daß sich der Angeklagte selbst stellte, ferner die heftige Gemütsbewegung in Anbetracht der Mitteilung nach dem Geschlechtsverkehr über die Aids-Infektion des Tatopfers und letztlich die Enthemmung durch Alkohol berücksichtigt. Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine Strafherabsetzung an.

Auch die Berufung ist nicht berechtigt.

Zwar trifft zu, daß der Erschwerungsgrund des raschen Rückfalles rechtsirrig herangezogen wurde. Denn der dafür ins Treffen geführten Vorverurteilung lag eine nicht auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Tat zugrunde. Dagegen konnte - ungeachtet des Umstandes, daß insoweit mangels Anklageerhebung kein Schuldspruch erging - die vom Angeklagten in der Hauptverhandlung selbst eingestandene Tatsache, daß er sich Wertgegenstände und Bargeld des Opfers zueignete, als erschwerend in Rechnung gestellt werden. Der überaus hohe Tatunwert läßt auch bei Bedachtnahme auf den durch die heftige Gemütsbewegung verminderten Schuldgehalt die in erster Instanz gefundene Sanktion als angemessen erscheinen. Mithin war insgesamt wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen. Die Kostenentscheidung beruht auf der zitierten Gesetzesstelle.

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