OGH 3Ob522/89

OGH3Ob522/8912.4.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hule, Dr.Warta, Dr.Klinger und Dr.Angst als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Margaretha V***, Hausfrau, Wels, Birkenstraße 6, vertrteen durch Dr.Hermannfried Eiselsberg und Dr.Wilhelm Granner, Rechtsanwälte in Wels, wider die beklagte Partei R*** Salzburg-Liefering reg.Gen.m.b.H., Salzburg,

Münchner Bundesstraße 1, vertreten durch Dr.Wolfgang Zimmermann und Dr.Klaus Kauweith, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Vertragsaufhebung (Streitwert S 320.000), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 22.November 1988, GZ 1 R 173/88-23, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 13.April 1988, GZ 4 Cg 246/86-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 12.705 (darin S 1.957,50 an Umsatzsteuer und S 960 an Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin stellte das Begehren, die Bürgschaftsverträge zwischen den Streitteilen vom 10.12.1981 über die Höchstbeträge von S 9,500.000 und S 5,500.000 aus Krediten der Gerald V*** Gesellschaft mbH & W*** I***

K***-S***-Gesellschaft mbH Salzburg, seien nichtig oder würden sonst doch als rechtsunwirksam aufgehoben. Die genannten Verträge seien "wegen mangelnder Einwilligung, infolge listiger Irreführung sowie Sittenwidrigkeit und aus den sonstigen gesetzlichen Bestimmungen nichtig, rechtsunwirksam und anfechtbar". Die Klägerin sei bei der Unterfertigung nicht zurechnungsfähig gewesen. Sie sei über Inhalt und Tragweite der Verträge insoweit listig in Irrtum geführt worden, als ihr ohne Bekanntgabe des Inhalts der Verträge vorgetäuscht worden sei, es handle sich um eine mit ihrer Firma abgesprochene, unbedeutende Angelegenheit. Die Klägerin stützte ihr Begehren auch auf einen berechtigten Rücktritt gemäß § 3 KSchG; sie habe die Bürgschaftsverträge nicht in ihrer Funktion als Geschäftsführerin, sondern als Privatperson unterschrieben.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin sei bei Unterfertigung der Bürgschaftsverträge weder zurechnungsunfähig gewesen, noch sei sie über den Inhalt der Verträge in Irrtum geführt worden.

Das Erstgericht erkannte zu Recht, daß die Bürgschaftsverträge aufgehoben werden, und traf folgende Feststellungen:

Die Gerald V*** Speditions-Gesellschaft mbH (im folgenden: GmbH Wels) wurde am 30.5.1967 gegründet. Die Klägerin war bis zum 4.2.1982 alleinzeichnungsberechtigte Geschäftsführerin dieser Gesellschaft.

Am 28.4.1970 wurde die Gerald V*** Gesellschaft mbH & W*** I*** K***-S***-Gesellschaft mbH (im folgenden: GmbH Salzburg) mit Sitz in Salzburg protokolliert; ihre Gesellschafter waren die GmbH Wels und Albert W*** mit je 50 %. Von Mai 1977 bis zum 1.3.1982 waren Albert W***, Norbert V*** und Volker S*** einzelvertretungsbefugte Geschäftsführer der GmbH Salzburg. Am 11.5.1982 wurde über das Vermögen der GmbH Salzburg der Konkurs eröffnet.

Die am 21.9.1921 geborene Klägerin war bis zu ihrer Eheschließung mit Norbert V*** im Jahr 1947 als Schuhverkäuferin tätig. In der Folge war sie Hausfrau und kümmerte sich um ihren Mann und ihre drei Kinder. Über Wunsch ihres Mannes war die Klägerin bis zum 31.12.1981 nicht nur Geschäftsführerin, sondern auch alleinige Gesellschafterin der GmbH Wels; sie entfaltete jedoch keine Aktivitäten in der Gesellschaft. Die Geschäfte führte vielmehr ihr Mann und - als dieser in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre erkrankte - ihr Schwiegersohn Volker S***. Auch Ingrid A***, die Tochter der Klägerin und geschiedene Frau des Volker S***, arbeitete seit 1972 in der GmbH Wels; mit 1.1.1982 wurde sie Geschäftsführerin und in der Folge auch Gesellschafterin.

Unterschriften für die GmbH Wels leistete die Klägerin regelmäßig zu Hause. Die Schriftstücke wurden ihr zu diesem Zweck zunächst von ihrem Mann, später von ihrem Schwiegersohn oder ihrer Tochter, allenfalls auch von einem der beiden Prokuristen, in die Wohnung gebracht, wobei die Klägerin jeweils kurz über den Inhalt der Schriftstücke informiert wurde. War etwas auf einer Bank zu unterschreiben, wurde die Klägerin regelmäßig von einem Mitarbeiter der Gesellschaft dorthin begleitet.

Ende der Sechzigerjahre lernte die Klägerin Albert W*** kennen, der zwei Jahre bei der GmbH Wels angestellt war, bis die GmbH Salzburg gegründet wurde. Die Klägerin hatte zu ihm ein sehr gutes Verhältnis. Albert W*** besuchte die Klägerin gelegentlich zu Hause; öfters kam es auch zu gemeinsamen Mittagessen zwischen ihm, der Klägerin und deren Mann in Salzburg. Gelegentlich mußte die Klägerin Unterschriften auch für die GmbH Salzburg leisten; in solchen Fällen brachte Albert W*** die Unterlagen entweder persönlich ins Büro der GmbH Wels oder er übermittelte sie im Postwege dorthin, oder ein Mitarbeiter der GmbH Wels leitete die Schriftstücke an die Klägerin weiter. Kam Albert W*** ausnahmsweise mit einem Schriftstück direkt zur Klägerin, wurde dies vorher mit dem Geschäftsführer Volker S*** abgestimmt, der die Klägerin über den Inhalt aufklärte.

1977 oder 1978 erkrankte der Mann der Klägerin an endogenen Depressionen; er wurde von der Klägerin betreut und gepflegt. Durch diese ständige Belastung verschlechterte sich das psychische Befinden der Klägerin im Jahr 1980 deutlich, sie stand deswegen auch in ärztlicher Behandlung. Seelische Belastungen ergaben sich für die Klägerin auch durch die Trennung von ihrer jüngsten Tochter, die nach Deutschland heiratete, sowie durch die im Scheitern begriffene Ehe der älteren Tochter. Im Herbst 1981 übernahm die Klägerin zusätzlich die Betreuung des gerade eingeschulten Enkelkindes, wenn dieses von der Schule nach Hause kam.

1980 lernte Albert W*** den zweiten Geschäftsleiter der beklagten Partei, Karl H***, kennen. Er brach die bestehenden Bankverbindungen der GmbH Salzburg ab und wechselte zur beklagten Partei, die der GmbH Salzburg schließlich Kredite bis zu einem Höchstbetrag von insgesamt 15 Millionen S gewährte. Ein Kreditvertrag bis zum Höchstbetrag von 6 Millionen S wurde am 11.7.1980 abgeschlossen, zwei weitere Verträge über Höchstbeträge von S 3,500.000 und S 5,500.000 kamen am 27.11.1980 zustande. In allen Verträgen wurden als Sicherheiten die Bürgen- und Zahlerhaftungen des Albert W*** und der Klägerin sowie die Abtretung von Buchfoderungen gemäß separatem Mantelzessionsvertrag vereinbart. Die Kreditverträge wurden für die Kreditnehmerin von Albert W*** allein vereinbart, obwohl Volker S*** auch gegenüber der beklagten Partei die kollektive Zeichnung der Kreditunterlagen durch die Geschäftsführer W*** und S*** verlangt hatte. In der Folge forderte Karl H*** Albert W*** mehrmals auf, die Bürgschaftserklärungen der Klägerin beizubringen. Albert W*** fand immer wieder Ausreden und erklärte auch, daß es ihm lieber wäre, wenn die Klägerin nicht unterschreiben bräuchte. Auch als Karl H*** Albert W*** dezidiert beauftragt hatte, die Klägerin zur Unterschrift zu bewegen, redete sich Albert W*** dahin aus, daß er die Klägerin nicht habe antreffen können oder keine Zeit mehr gehabt habe.

Am Morgen des 10.12.1981 rief Albert W*** die Klägerin in ihrer Wohnung in Wels an, teilte ihr mit, daß er dringend ihre Unterschrift benötige, und erwähnte, daß er im Büro der GesmbH Wels niemanden habe erreichen können. Als die Klägerin fragte, wofür Albert W*** die Unterschriften benötige, meinte dieser, es handle sich nur um eine pro-forma-Sache für das Büro, die Klägerin habe derartige Schriftstücke schon öfters unterfertigt. Die Klägerin, die Albert W*** vertraute, erklärte sich daraufhin zur Unterschriftsleistung bereit, und es wurde ein Treffen in einem Welser Kaffeehaus in unmittelbarer Nähe der Wohnung der Klägerin vereinbart. Albert W*** informierte die Klägerin davon, daß er einen Freund mitbringen werde.

Als Albert W*** und Karl H*** im Kaffeehaus eintrafen, befand sich die Klägerin schon dort. Albert W*** stellte der Klägerin Karl H*** namentlich vor. Die Klägerin erklärte den beiden Männern, daß sie sehr unter Zeitdruck stehe und sofort wieder nach Hause müsse. Es wurden ihr daraufhin zwei Bürgschaftsverträge, und zwar einer über S 9,500.000 und einer über S 5,500.000, jeweils samt Wechselverpflichtung und Blankowechsel, kommentarlos zur Unterfertigung vorgelegt. Die Klägerin unterschrieb insgesamt sechsmal mit "Margarethe V***", ohne die Schriftstücke durchgelesen zu haben, da sie so in Eile war. Es wurde nicht darüber gesprochen, ob die Klägerin als Privatperson oder als Geschäftsführerin der GmbH Wels unterschreiben soll. Die Bürgschaftsverträge wurden der Klägerin von vornherein mit der Rückseite vorgelegt, sodaß sie die Überschriften "Bürgschaftsvertrag" nicht sah. Die Klägerin bemerkte auch nicht, daß sie zwei Blankowechsel unterschrieb. Sie hatte vorher noch nie mit Wechseln zu tun gehabt. Die beiden Blankowechsel befanden sich auf einem Blatt mit den jeweiligen Wechselverpflichtungserklärungen, und zwar in der Längsrichtung jeweils rechts neben der Verpflichtungserklärung angeordnet. Die Klägerin dachte nicht daran, daß sie Unterschriften für Bankforderungen leiste. Hätte sie erkannt, daß ihr Bürgschaftsverträge über S 15,000.000 vorgelegt wurden, hätte sie nicht unterschrieben. Sie hätte sich auf Grund ihrer Vermögensverhältnisse gar nicht in diesem Ausmaß verpflichten können. Nach etwa fünf bis zehn Minuten verließ die Klägerin das Kaffeehaus.

Hätte die Klägerin die Schriftstücke durchgelesen, so hätte sie auf Grund ihrer überdurchschnittlich hohen Intelligenz den Inhalt der Urkunden erkannt. Auf Grund ihrer schlechten nervlichen Situation und der aktuell bedingten Eile, in der sie sich befand, unterblieb die Überprüfung offenbar. Durch ihre Gesundheitsstörung war ihre Fähigkeit, die volle Tragweite und Bedeutung ihrer Unterschriftsleistung zu erkennen, sicherlich beeinträchtigt, doch erreichte die Beeinträchtigung kaum ein solches Maß, daß aus psychiatrischer Sicht Geschäftsunfähigkeit anzunehmen wäre. Am Samstag, dem 12.12.1981, teilte die Klägerin der Prokuristin Maria Elsa R*** telefonisch mit, daß Albert W*** dagewesen sei und daß sie Unterschriften geleistet habe. Sie konnte jedoch nicht sagen, was sie unterschrieben hatte. Maria Elsa R*** informierte hievon Volker S***, doch konnten zunächst weder dieser noch seine Frau oder die beiden Prokuristen in Erfahrung bringen, welche Schriftstücke die Klägerin unterfertigt hatte. Die Klägerin gab nur an, es habe sich laut Mitteilung des Albert W*** um eine pro-forma-Sache gehandelt.

Am darauffolgenden Montag fuhr Volker S*** zur beklagten Partei nach Salzburg und verlangte von Karl H*** Aufklärung. "Erst nach massivem Druck" legte ihm Karl H*** die von der Klägerin unterfertigten Bürgschaftsverträge vor. Als Volker S*** Karl H*** Vorhaltungen wegen des Zustandekommens der Unterschriften machte, erklärte Karl H***, er habe die Bürgschafserklärungen benötigt, um den Kreditakt abschließen zu können, und versicherte, daß die Verträge "nicht aus den vier Wänden hinausgehen werden" und daß er sich bemühen werde, daß die Verträge der Klägerin zurückgestellt werden.

Nachdem die Verträge auch von der beklagten Partei unterfertigt worden waren, übermittelte die beklagte Partei Durchschläge der Verträge mit Schreiben vom 11.12.1981 an die Klägerin. Mit Schreiben vom 22.12.1981 teilte der Klagevertreter namens der Klägerin der beklagten Partei mit, daß die Klägerin körperlich und seelisch in keiner Weise verpflichtungsfähig gewesen sei, sodaß ihren Unterschriften keine Rechtswirksamkeit zukomme.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, Albert W*** habe die Klägerin bewußt getäuscht, indem er vorgegeben habe, er benötige von ihr nur pro-forma-Unterschriften für das Büro in Angelegenheiten, in denen sie bereits mehrmals Unterschriften geleistet habe. Für dieses Verhalten habe die beklagte Partei einzustehen, weil Albert W*** bei der Vorbereitung der Bürgschaftsverträge und bei ihrem Abschluß für die beklagte Partei tätig gewesen sei. Die beklagte Partei habe sich des Albert W*** als Hilfsperson bedient, sodaß dieser nicht "Dritter" im Sinne des § 875 ABGB sei. Daß die Klägerin die Verträge ungelesen unterfertigt habe, schade ihr nicht, da eine solche Erklärung wie jede andere Erklärung anfechtbar sei, wenn die Vorstellung des Unterfertigenden mit dem Inhalt nicht übereinstimme. Die Klägerin sei der Überzeugung gewesen, sie unterfertige unbedeutende Schriftstücke für das Büro der GmbH Salzburg.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und sprach aus, daß die Werte der Streitgegenstände, über welche es entschied, hinsichtlich eines jeden der beiden Bürgschaftsverträge S 300.000 übersteigt. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und vertrat rechtlich die Ansicht, es seien keine wirksamen Bürgschaftsverträge zustandegekommen, weil ihnen keine Vertragsgespräche vorausgegangen seien und sich die beklagte Partei nicht nach Treu und Glauben auf einen entsprechenden Kenntnisstand der Klägerin und auch nicht auf einen bereits ausgehandelten Vertragsinhalt habe verlassen dürfen. Werde dennoch von einem Vertragsabschluß im Sinne des § 869 Satz 1 ABGB ausgegangen, werde er von der Klägerin gerechtfertigt und fristgerecht nach den §§ 870, 871 ABGB angefochten. Zumindest das Verhalten von Albert W*** sei als Irreführung und Veranlassen eines Irrtums nach § 871 ABGB zu werten. Dieses Verhalten aber sei der beklagten Partei zuzuordnen, weil Albert W*** nicht Dritter im Sinne des § 875 ABGB, sondern Gehilfe der beklagten Partei gewesen sei. Zwar sei in der Regel der Schuldner gegenüber dem Bürgen nicht gleichsam von vornherein als Gehilfe des Gläubigers zu betrachten; es müßten in dem Sachverhalt Besonderheiten liegen, die eine Zuordnung des Schuldners zum Gläubiger gegenüber dem Bürgen rechtfertigen. Solche Besonderheiten aber seien hier gegeben. H*** und W*** seien zumindest miteinander gut bekannt gewesen und hätten in der Angelegenheit der Kredite und ihrer Sicherung zusammengearbeitet. Da entsprechende Kreditbeträge bereits ausbezahlt gewesen seien, habe es dem Schuldner nicht sonderlich angelegen sein müssen, die in den Kreditverträgen festgelegten Sicherheiten der beklagten Partei vollständig zur Verfügung zu stellen. Für Karl H*** dagegen sei es recht unangenehm gewesen, daß die Kreditbeträge ausbezahlt wurden, ohne daß alle bedungenen Sicherheiten beigebracht worden seien. Schließlich sei die Klägerin von den Verträgen gemäß den §§ 1 und 3 KSchG wirksam zurückgetreten.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt. Die beklagte Partei wendet sich gegen die Ansicht der zweiten Instanz, es sei nicht zu einem wirksamen Vertragsabschluß gekommen, ein allenfalls doch zustandegekommener Vertrag werde zu Recht nach den §§ 870, 871 ABGB angefochten und die Klägerin sei von den Verträgen überdies wirksam nach den §§ 1, 3 KSchG zurückgetreten. Das Revisionsgericht teilt im Ergebnis die Ansicht der Vorinstanzen, daß die Anfechtung der Bürgschaftsverträge durch die Klägerin im Sinne des § 871 ABGB berechtigt ist. Es erübrigt sich daher, zu den anderen Punkten Stellung zu nehmen.

Nach den Feststellungen besteht kein Zweifel daran, daß die Klägerin über den Inhalt der von ihr abgegebenen Erklärung in einem Irrtum befangen war, der "die Hauptsache oder eine wesentliche Beschaffenheit derselben betrifft, worauf die Absicht vorzüglich gerichtet und erklärt wurde", weil sie nach den Umständen, unter denen sie die Unterschrift leistete, insbesondere auf Grund der Mitteilung des Albert W*** der Meinung war, es handle sich um eine belanglose "pro-forma-Sache für das Büro", wie sie sie "schon öfters unterfertigt habe", nicht aber um Bürgschaftsverträge über einen Betrag von insgesamt S 15,000.000, sodaß von "belanglos", "pro-forma", und "schon öfters unterfertigt" keine Rede sein kann. Es steht auch fest, daß der Irrtum der Klägerin über das Geschäft kausal war, und daß ohne diesen Irrtum das Geschäft nicht abgeschlossen worden wäre (Rummel in Rummel, ABGB, Rz 4 zu § 871). Nun macht allerdings, wer eine Urkunde unterfertigt, den durch die Unterschrift gedeckten Text zum Inhalt seiner Erklärung auch dann, wenn er den Text der Urkunde nicht gekannt oder verstanden hat (HS 4358 ua). Im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehrs muß derjenige, der eine Urkunde ungelesen unterschreibt, grundsätzlich deren Inhalt als seine Erklärung gegen sich gelten lassen (HS 6459/3). Dennoch ist auch in diesem Fall eine Anfechtung wegen Irrtums oder Betruges möglich, wenn die Voraussetzungen hiefür gegeben sind (Rummel aaO Rz 8; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 117; HS 6459/3 ua), wenn also der Irrtum durch den anderen veranlaßt war, diesem aus den Umständen offenbar auffallen mußte oder noch rechtzeig aufgeklärt wurde (EvBl 1973/15).

Es ist keine Frage, daß der Irrtum der Klägerin zunächst und in erster Linie durch das Verhalten des Albert W*** veranlaßt wurde, und daß dieses Verhalten als eine arglistige Täuschung im Sinne des § 870 ABGB zu werten ist. Doch ist es nach Ansicht des Revisionsgerichtes nicht erforderlich zu prüfen, ob Albert W*** als "Dritter" im Sinne des § 875 ABGB gehandelt hat oder ob sein Verhalten der beklagten Partei zuzurechnen ist, weil sie sich bei den Verhandlungen mit der Klägerin seiner Person als eines Gehilfen bediente. Die Anfechtung der Verträge ist nämlich auch dann gerechtfertigt, wenn Albert W*** als "Dritter" angesehen wird. Der Irrtum der Klägerin wurde nämlich vom Geschäftsleiter der beklagten Partei Karl H*** mitveranlaßt. Durch den anderen veranlaßt ist der Irrtum nach herrschender Ansicht, wenn der andere für den Irrtum ursächlich war; entscheidend ist die Frage, ob der andere soviel zur Entstehung des Irrtums beigetragen hat, daß sein Vertrauen auf die Erklärung nicht schutzwürdig ist (Rummel aaO Rz 15 zu § 871).

Bei Irrtumserregung durch Unterlassen, insbesondere Nichtaufklärung - die Tätigkeit des Geschäftsleiters der beklagten Partei in dem Welser Kaffeehaus hat sich nach den Feststellungen darauf beschränkt, der Klägerin kommentarlos die Bürgschaftsverträge zur Unterfertigung vorzulegen - stellt sich die Frage danach, ob und in welcher Form der Erklärungsgegner zu einem Handeln verpflichtet gewesen wäre, also nach Aufklärungs- bzw Sorgfaltspflichten, die am Verkehrsüblichen zu orientieren sind (Rummel aaO; Gschnitzer aaO 128 f; SZ 46/84).

Im vorliegenden Fall sollte die Klägerin nach den Vorstellungen der Vertragspartner der Kreditverträge vom 11.7.1980 und 27.11.1980, jedenfalls aber nach den Wünschen der beklagten Partei Bürgschaften über insgesamt S 15,000.000 übernehmen. Das hinhaltende Verhalten des Albert W*** durch eineinhalb Jahre, der ausdrücklich erklärte, es wäre im lieber, wenn die Klägerin nicht unterschreiben bräuchte, und immer wieder "Ausreden" (gegenüber Karl H***) dafür fand, weshalb er die Bürgschaftserklärung der Klägerin noch nicht habe beibringen können, sodaß ihn Karl H*** schließlich "dezidiert beauftragte", die Klägerin "zur Unterschrift zu bewegen", mußte Karl H*** bedenklich erscheinen und es tat dies auch, denn er war am 10.12.1981 "nicht gewillt...., die Unterlagen aus der Hand zu geben" (seine Aussage im Strafakt S 66), sondern fuhr mit nach Wels, weil er "ja sehen mußte und wissen mußte, wer unterschreibt" (als Zeuge S 70). Ist es schon als ungewöhnlich anzusehen, daß die Bürgschaftsverträge weder in den Geschäftsräumen der beklagten Partei noch auch in jenen der Welser GmbH oder der Salzburger GmbH, sondern in einem Kaffeehaus unterschrieben wurden, so mußte es für Karl H*** noch erstaunlicher sein, daß die Klägerin, deren Unterschrift unter die Bürgschaftsverträge (und also deren Einverständnis mit der Übernahme einer Bürgschaft) Albert W*** durch eineinhalb Jahre nicht beizubringen in der Lage war, die Verträge nun auf einmal in höchster Eile und ohne irgendwelche Fragen unterfertigte, als ob es sich um Bagatellen handle, obwohl doch die Höhe der damit übernommenen Bürgschaften Überlegungen und Erwägungen der verschiedensten Art gerechtfertigt hätten. Die Hast, mit der die Klägerin die Urkunden ungelesen unterschrieb, ohne daß über den Inhalt der Urkunden gesprochen wurde, hätte den Geschäftsleiter der beklagten Partei dazu veranlassen müssen, im Rahmen der ihm obliegenden vorvertraglichen Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten (vgl hiezu Koziol-Welser, Grundriß I8 195 f mwN) die Klägerin zumindest zu fragen, ob sie wisse und sich darüber im Klaren sei, was sie unterschreibe. Schon diese Frage hätte offensichtlich genügt, die Klägerin erkennen zu lassen, daß es sich keineswegs um eine belanglose Formalität handelt, die ihre Unterschrift erfordere. Hat der Geschäftsleiter der beklagten Partei aber nicht einmal soviel getan, um Klarheit über den Vertragswillen der Klägerin zu erhalten, obwohl es ihm nicht entgehen konnte, daß die Klägerin sich die unterfertigten Urkunden nicht näher ansah, und auch Albert W*** sich in keiner Weise hiezu äußerte, so hat er durch sein Schweigen eine ihm nach den Umständen obliegende Aufklärungspflicht verletzt und damit den Geschäftsirrtum der Klägerin mitveranlaßt. Sein Vertrauen und damit das der beklagten Partei (§ 26 GenG) auf die Erklärung der Klägerin ist daher nicht schutzwürdig.

Dazu kommt, daß nach den dargelegten Umständen auch ein von Albert W*** allein veranlaßter Irrtum dem Geschäftsleiter der beklagten Partei hätten offenbar auffallen müssen. Nicht auffallen mußte dem Geschäftsleiter der beklagten Partei bloß, daß die Klägerin das von ihr unterschriebene, auf der Wechselverpflichtungserklärung aufgedruckte Wechselformular nicht als solches erkannte. Da es sich um einen Blankowechsel handelte, konnte die Klägerin aber auch diese Unterschriften als routinemäßig im Zusammenhang mit einer geschäftlichen Tätigkeit zu leistende und daher "bedeutungslos" ansehen.

Für die Klägerin entstand daher gemäß § 871 Abs 1 ABGB keine Verbindlichkeit. Mit Recht haben die Vorinstanzen dem Klagebegehren stattgegeben.

Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

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