OGH 13Os24/89 (13Os25/89)

OGH13Os24/89 (13Os25/89)30.3.1989

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. März 1989 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hörburger (Berichterstatter), Dr. Brustbauer, Dr. Kuch und Dr. Markel als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Telfser als Schriftführers in der Strafsache gegen Evelyne K*** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 StGB. über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Strafbezirksgerichts Wien vom 4. November 1987, GZ. 12 U 3616/86-32, und des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Berufungsgerichts vom 18. Mai 1988, AZ. 13 b Bl 520/88, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Jerabek, des Privatanklagevertreters Dr. Villgrattner und des Verteidigers Dr. Schnatke, jedoch in Abwesenheit der freigesprochenen Angeklagten Evelyne K***, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Es verletzen

1. das Urteil des Strafbezirksgerichts Wien vom 4. November 1987, GZ. U 3616/86-32, den § 111 Abs. 2 und 3 StGB.;

2. das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Berufungsgerichts vom 18. Mai 1988, AZ. 13 b Bl 520/88, den § 467 Abs. 2 StPO.

Text

Gründe:

I. Evelyne K*** wurde mit Urteil des Strafbezirksgerichts Wien vom 4. November 1987 von der Privatanklage, am 10. November 1986 in Wien in einem im Massenherstellungsverfahren vervielfältigten Rundschreiben des Vereins "A***" die Privatankläger Gerhard N*** und Ingeborg V*** durch verschiedene Vorwürfe eines unehrenhaften Verhaltens bzw. verächtlicher Eigenschaften geziehen und hiedurch das Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs. 1 StGB. begangen zu haben, im Hinblick auf den als gelungen erachteten Beweis des guten Glaubens gemäß § 259 Z. 3 StPO. freigesprochen. Eine die Gerichtshofzuständigkeit bedingende (siehe den Strafsatz des § 111 Abs. 2 StGB. und § 41 Abs. 2 MedienG.) und damit die Anwendung des angeführten Strafausschließungsgrunds nicht ermöglichende, qualifiziert öffentliche Tatbegehung nach § 111 Abs. 2 StGB. wurde vom Strafbezirksgericht verneint. Es hat die Frage, ob ein "Druckwerk" i.S. des ersten Qualifikationsfalls des § 111 Abs. 2 StGB. vorliegt, ersichtlich nicht erörtert; eine "breite Öffentlichkeit" i.S. des dritten Falls der genannten Gesetzesstelle hielt es bei Feststellung der Übersendung des vervielfältigten Schreibens an 700 bis 800 Vereinsmitglieder für nicht gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Qualifizierte Öffentlichkeit der üblen Nachrede liegt nach § 111 Abs. 2 StGB. dann vor, wenn die Tat in einem Druckwerk, im Rundfunk oder sonst auf eine Weise begangen wird, wodurch die üble Nachrede einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird. Aus dem Wortlaut des § 111 Abs. 2 StGB. ergibt sich, daß die Zugänglichkeit für eine breite Öffentlichkeit außerhalb des dritten Qualifikationsfalls höchstens bei Begehung im Rundfunk vom Gesetzgeber vorausgesetzt wird, weil das Wort "sonst" in der dritten Qualifikationsvariante jedenfalls nur an die zweite (Rundfunk) sprachlich anschließt; ob es auch einen begrifflichen Anschluß bedeutet, kann hier dahingestellt bleiben. Die erste und die zweite Tatqualifizierung (Druckwerk und Rundfunk) sind der dritten Qualifikationsform ("sonst auf eine Weise begangen") gleichberechtigt an die Seite gestellt. Keinesfalls ist aus dem Gesetzeswortlaut zu entnehmen, daß die Begriffe "Druckwerk" und "Rundfunk" nur beispielhafte Mittel zur "sonst auf eine Weise" möglichen Verwirklichung dieses besonderen Grads der Öffentlichkeit darstellen. Die dritte Qualifikationsnorm ist vielmehr als eine Generalklausel anzusehen (Kienapfel BT I2 § 111 StGB. RN 59) und erfaßt alle jene Fälle, in welchen die üble Nachrede, etwa durch Plakatierung an belebten Orten oder in einer großen Stückzahl, in Massenversammlungen und Theateraufführungen, jedenfalls mit großer Streuung verbreitet wird (vgl. Foregger in WK. § 111 StGB., Rz. 31). Daraus folgt, daß die "Begehung in einem Druckwerk" einer von den beiden anderen Qualifikationsvarianten getrennten, eigenständigen Beurteilung unterzogen werden kann.

Für den Begriff "Druckwerk" gilt nunmehr in der ganzen Rechtsordnung die Legaldefinition des § 1 Abs. 1 Z. 4 MedienG., welche auf den Begriff des Medienwerks verweist (Foregger a.a.O.:

"Der Begriff des Druckwerkes ist derzeit noch im § 2 Abs. 1 PresseG. ... definiert. An die Stelle dieses Begriffs soll der Begriff des Medienwerkes nach dem MedienG. treten"). Das Medienwerk wiederum muß gemäß § 1 Abs. 1 Z. 3 MedienG. zur Verbreitung an einen größeren Personenkreis bestimmt sein. Deshalb ist bei Tatbegehung durch ein "Druckwerk" (§ 111 Abs. 2 StGB., erster Fall) auf den Begriff der breiten Öffentlichkeit gar nicht einzugehen. Diese Auffassung erfährt eine weitere Stütze in der Begriffsbestimmung des § 1 Abs. 1 Z. 12 MedienG., wonach ein Medieninhaltsdelikt in einer an einen "größeren Personenkreis" gerichteten Mitteilung oder Darbietung besteht.

Nach den Urteilsfeststellungen hat Evelyne K*** ein hektographiertes Rundschreiben an 700 bis 800 Vereinsmitglieder übersandt. Es handelt sich um ein "Druckwerk" i.S. des § 1 Abs. 1 Z. 4 MedienG., weil "Mitteilungen ausschließlich in Schrift verbreitet" wurden und weil zwecks Versendung an die erwähnte Personenzahl ein "Massenherstellungsverfahren" in der Bedeutung des § 1 Abs. 1 Z. 3 MedienG. verwendet worden ist (Hartmann-Rieder, Kommentar zum MedienG., 1985, § 1 Anm. I 5). Daß die Voraussetzung der Verbreitung an einen "größeren Personenkreis" gegeben ist, bedarf bei der Tatsache, daß dieses Druckwerk an 700 bis 800 Vereinsmitglieder übersandt wurde, keiner Erhärtung; nimmt doch das Schrifttum die Erreichung eines größeren Personenkreises schon mit 50 Exemplaren an (Hartmann-Rieder Anm. 4 zu § 1 MedienG.). Da die Tat bei rechtsrichtiger Einordnung nach § 111 Abs. 2 StGB. beschwert war, hat das Strafbezirksgericht Wien zu Unrecht seine sachliche Zuständigkeit gemäß § 111 Abs. 1 StGB. angenommen und demzufolge auch zu Unrecht den Beweis des guten Glaubens als zulässig erachtet (§ 111 Abs. 3, zweiter Satz, StGB.). Damit wurden die Bestimmungen des § 111 Abs. 2 und 3 StGB. verletzt. II. Die Privatankläger Gerhard N*** und Ingeborg V*** bekämpften den Freispruch mit Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld. Unter Anrufung des Nichtigkeitsgrunds nach "§§ 468 Z. 2, 281 Abs. 1 Z. 9 a StPO." machten sie u.a. (und zwar in diesem Punkt auf der Grundlage des Urteilssachverhalts) geltend, daß die unter Anklage gestellte üble Nachrede infolge der Zusendung an mindestens 700 Vereinsmitglieder einer breiten Öffentlichkeit im Sinn des § 111 Abs. 2 StGB. zugänglich gemacht wurde und deshalb der Beweis des guten Glaubens zur Straflosigkeit nicht ausreichte (S. 177, 178). Das Landesgericht für Strafsachen Wien hat mit Urteil vom 18. Mai 1988 die Berufung der Privatankläger punkto Nichtigkeit als unbegründet zurückgewiesen und ihrer Schuldberufung nicht Folge gegeben. Dabei hat das Berufungsgericht den Standpunkt eingenommen, daß die Privatankläger eine im Sinn des § 111 Abs. 2 StGB. qualifizierte Tatbegehung "zielführend" nur mit dem (indes nicht angerufenen) Nichtigkeitsgrund nach § 468 Abs. 1 Z. 2 StPO. hätten geltend machen können, dessen amtswegige Wahrnehmung ausgeschlossen wäre. Da ferner der eventualiter gestellte Berufungsantrag, die Privatanklagesache nach Urteilsaufhebung erneut an die erste Instanz zu verweisen (statt gemäß § 475 Abs. 2 StPO. zu verfahren), nur das Verlangen der Privatankläger nach einer Verurteilung wegen der nicht qualifizierten üblen Nachrede im Sinn des ersten Absatzes des § 111 StGB. zum Ausdruck bringe, erachtete das Berufungsgericht auch unter diesem Gesichtspunkt die Erbringung des Beweises des guten Glaubens als zur Exkulpierung ausreichend (S. 196, 197).

Auf Grund des Vorbringens der Privatankläger im Rahmen ihrer Berufung wegen Nichtigkeit (die übrigens ohnehin auch auf "§ 468 Z. 2" StPO. gestützt war: S. 162) hatte das Berufungsgericht die materiellrechtliche Prüfung vorzunehmen, ob ein Vergehen nach § 111 Abs. 2 StGB. vorliegt (§§ 468 Abs. 1 Z. 4, 281 Abs. 1 Z. 10 StPO.). Eine Bejahung der Qualifikation hätte zur Annahme der Gerichtshofzuständigkeit führen müssen (§§ 41 Abs. 2 mit 1 Abs. 1 Z. 12 MedienG., § 111 Abs. 2 StGB. mit §§ 9 Abs. 1 Z. 1, 10 Z. 2 StPO.). Mit der Geltendmachung der materiellen Nichtigkeit der Sache nach haben die Berufungswerber aber dem Erfordernis des § 467 Abs. 2 StPO. (siehe dort namentlich den zweiten Satz) vollauf genügt und unzweifelhaft erklärt, daß sie sich infolge des Übergehens der Öffentlichkeitsqualifikation im Ersturteil beschwert finden. Es wäre sodann die Aufgabe des Berufungsgerichts gewesen, aus der materiell richtigen Beurteilung (§ 1 Abs. 1 Z. 4 MedienG., § 111 Abs. 2 StGB.) die prozessualen Konsequenzen zu ziehen (§§ 468 Abs. 1 Z. 2, 475 Abs. 2 StPO.). Daß die Nichtigkeitswerber die vom Berufungsgericht vermißte Antragstellung in der Richtung des § 475 Abs. 2 StPO. unterlassen haben, war sonach ohne Bedeutung; eine derartige Verpflichtung zur konkreten Antragstellung, welche Entscheidung das Rechtsmittelgericht zu fällen habe, ist dem Gesetz gar nicht zu entnehmen. Damit hat das Berufungsgericht den zweiten Satz des § 467 Abs. 2 StPO. unrichtig angewandt (§ 33 Abs. 2 StPO.). III. Da sich die aufgezeigten Gesetzesverletzungen nicht zum Nachteil der freigesprochenen Evelyne K*** ausgewirkt haben, kommt eine Maßnahme gemäß § 292, letzter Satz, StPO. nicht in Betracht.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte