OGH 10ObS69/89

OGH10ObS69/8921.3.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Rudolf Dezelt (Arbeitgeber) und Mag.Michael Zawodsky (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Maria P***, Rosenthal 6, 5500 Bischofshofen, vertreten durch Dr.Herbert Troyer, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei P***

DER A***, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. Dezember 1988, GZ 12 Rs 172/88-30, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 15. Juli 1988, GZ 37 Cgs 1161/87-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 23. Oktober 1987 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab. Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Es stellte fest, daß die am 21. September 1936 geborene Klägerin jugoslawische Staatsbürgerin ist und in ihrer Heimat nur vier Jahre Grundschule besuchte. Anschließend war sie als Landarbeiterin tätig. Von 1962 bis 1965 arbeitete sie in einer Schuhfabrik in Jugoslawien. 1965 kam sie nach Österreich und war ab diesem Zeitpunkt durchgehend bis Juli 1987 Industriearbeiterin in einer Schuhfabrik. Zunächst war sie dort etwa sechs Jahre als Stanzerin tätig. Sie mußte mit Hilfe von Schablonen Lederteile für Bergschuhe vorfertigen. In den letzten 15 Jahren war sie Näherin. Zuletzt wurde sie vorwiegend für das Nähen von Sportschuhen eingesetzt.

Die Klägerin ist auf Grund des medizinischen Leistungskalküls noch in der Lage, leichte und mittelschwere Arbeiten zu leisten, letztere jedoch mit längerdauernden Unterbrechungen, etwa 15 Minuten pro Arbeitsstunde. Die Arbeiten müssen in trockenem Milieu durchgeführt werden, dürfen nicht unter Zeitdruck auszuüben sein, Feinarbeiten mit den Händen und Fingern scheiden aus. Das gleiche gilt auch für Verrichtungen an schnell laufenden Maschinen. Das Heben und Tragen von Lasten ist bis zu einem Gewicht von 5 kg, teilweise auch bis zu 10 kg zumutbar. Bückbelastungen sollten nur gelegentlich erfolgen müssen. Die Geh- und Stehbelastungen sollten zusammen die Hälfte der Arbeitszeit nicht überschreiten. Hinsichtlich des Anmarschweges zur Arbeitsstätte bestehen keine Beschränkungen.

Aus berufskundlicher Sicht kann die Klägerin die Tätigkeit einer Garderobierin ausüben. Diese Tätigkeit besteht in der Entgegennahme und Verwahrung von Oberbekleidung, Schirmen und Taschen in Museen, Sportstätten udgl. sowie im Abstellen dieser Gegenstände nach einem bestimmten Ordnungssystem. Sie gibt Garderobescheine aus und kassiert kleine Geldbeträge für die Aufbewahrung. Diese Tätigkeit bedingt nur leichte Hebe- und Tragebelastungen (bis 5 kg). In der Regel wird die Möglichkeit bestehen, ca. die Hälfte der Arbeitszeit zu sitzen, da nicht laufend Kundenverkehr gegeben ist. Weiters ist der Beruf der Museumsaufseherin der Klägerin zumutbar. Diese Tätigkeit besteht im Öffnen und Schließen der Schauräume, in der Beobachtung der Besucher, um die Exponate vor Diebstahl oder Beschädigung zu schützen, in der Prüfung von Sicherheitseinrichtungen und in der Erteilung von einfachen Auskünften. Hiebei handelt es sich um eine körperlich leichte Arbeit. Ein abwechselndes Gehen, Stehen und Sitzen ist möglich. Voraussetzung für diese Arbeit ist ein zumindest annähernd durchschnittliches Wahrnehmungs- und Beobachtungsvermögen. Die genannte Tätigkeiten sind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in nennenswerter Zahl vorhanden. Die Klägerin könnte bei Antritt einer dieser Arbeiten zumindest die gesetzliche Lohnhälfte erzielen. In rechtlicher Hinsicht erachtete das Erstgericht die Klägerin im Hinblick auf diese noch zumutbaren Verweisungstätigkeiten nicht als invalid im Sinne des § 255 Abs. 3 ASVG.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Klägerin keine Folge. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln und billigte die Feststellungen des Erstgerichtes, insbesondere jene über die in den Berufen Garderobiere und Museumsaufseherin gestellten körperlichen und geistigen Anforderungen. Da die Klägerin danach jedenfalls auf den Beruf einer Garderobierin verwiesen werden könne und ihr kein Berufsschutz zukomme, weil die durch praktische Arbeit erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten jenen eines Lehrberufes auch nicht annähernd entsprächen, sei sie nicht invalid im Sinne des § 255 Abs. 3 ASVG.

Rechtliche Beurteilung

Der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision der Klägerin kommt keine Berechtigung zu.

Soweit die Klägerin in der Revision das Berufsbild einer Garderobiere abweichend von den Vorinstanzen darstellt und meint, sie sei nicht mehr in der Lage, diesen Beruf auszuüben, weicht sie von den Feststellungen der Vorinstanzen ab und bekämpft damit in Wahrheit in unzulässiger Weise deren Beweiswürdigung. Das Berufungsgericht hat aber auch zutreffend dargelegt, daß der Klägerin kein Berufsschutz im Sinne des § 255 Abs. 2 ASVG zukommt. Ein angelernter Beruf liegt nur vor, wenn die qualifizierten, in der Praxis erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten an Qualität und Umfang jenen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten sind (SSV-NF 1/70). Es genügt nicht, wenn die Kenntnisse und Fähigkeiten des Versicherten nur ein Teilgebiet eines Tätigkeitsbereiches umfassen, der von gelernten Arbeitern ganz allgemein in viel weiterem Umfang beherrscht wird (SSV-NF 1/48). Die Tätigkeit einer Stanzerin in einer Schuhfabrik, die nur mit Hilfe von Schablonen Lederteile für Schuhe vorfertigt oder einer Näherin, die vorgefertigte Lederteile zusammenfügt, sind Hilfsarbeitertätigkeiten, die nur ein kleines Teilgebiet der vielfältigen praktischen und theoretischen Kenntnisse des Lehrberufes Schuhmacher (vgl. hiezu die Ausbildungsvorschriften für Schuhmacher BGBl. 1973/492 idF 1980/15 und die Prüfungsordnungen BGBl. 1976/214 idF 1982/183) umfassen. Es seien hier nur die theoretischen Kenntnisse aller Roh-, Werk- und Hilfsstoffe, ihrer Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten und die praktischen Kenntnisse der Verfertigung kompletter Schuhe einschließlich Maßarbeit und Anfertigung von Leisten erwähnt.

Richtig haben daher die Vorinstanzen das Vorliegen von Invalidität der Klägerin nach den Bestimmungen des § 255 Abs. 3 ASVG geprüft. Ist aber der Versicherte noch in der Lage, eine auf dem Arbeitsmarkt noch bewertete Tätigkeit zu verrichten, ist er nicht invalide im Sinne dieser Gesetzesstelle.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Revisionskosten beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG.

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