OGH 9ObS2/89

OGH9ObS2/8915.3.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Dietmar Strimitzer und Helga Kaindl als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Emmerich S***, Schönkirchen, Irisgasse 21, vertreten durch Dr.Wolfgang Waldeck und Dr.Hubert Hasenauer, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei A*** V*** WIEN,

Wien 4, Schwindgasse 5, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 22.100 S (Revisionsstreitwert 21.000 S), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4.November 1988, GZ 34 Rs 188, 189/88-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 6.April 1988, GZ 2 Cgs 501/88-7, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.966,40 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 494,40 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 13.Oktober 1987 beim A*** V***

eingelangte Antrag des Klägers auf Insolvenzausfallgeld wurde von der beklagten Partei mit Bescheid vom 11.Dezember 1987 zurückgewiesen, weil zu diesem Zeitpunkt die viermonatige Antragsfrist ab Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des früheren Arbeitgebers des Klägers P*** & P*** Baugesellschaft mbH mit Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 21.Mai 1987 bereits abgelaufen war.

Daraufhin brachte der Kläger fristgerecht die auf Zahlung von 22.100 S gerichtete Klage ein. Er habe erst nach Ablauf der viermonatigen Antragsfrist von der Konkurseröffnung erfahren. Die beklagte Partei beantragte Zurückweisung der Klage mangels Parteifähigkeit der beklagten Partei in eventu Abweisung der Klage. Der Kläger habe bereits einem ihm am 25.August 1987 zugestellten Beschluß des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien entnehmen können, daß über das Vermögen seines früheren Arbeitgebers am 21.Mai 1987 der Konkurs eröffnet worden sei. Die Unkenntnis von der Antragsfrist und die Rechtsunkundigkeit seien nicht als berücksichtigungswürdige Gründe im Sinne des § 6 Abs 1 IESG anzusehen. Das Erstgericht verwarf die Einrede der mangelnden Partei- und Prozeßfähigkeit der beklagten Partei und gab der Klage statt.

Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Am 17.Februar 1987 machte der Kläger einen Lohnrückstand von 21.000 S netto gegen seinen früheren Arbeitgeber, die P*** & P*** Baugesellschaft mbH, beim Arbeitsund Sozialgericht Wien geltend. Die vom Kläger auf Grund des vollstreckbaren Zahlungsbefehles vom 18. Februar 1987 am 29.Mai 1987 beim Arbeits- und Sozialgericht Wien beantragte Fahrnisexekution wurde mit Beschluß vom selben Tag bewilligt. Mit Beschluß des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 11. August 1987 wurde die Exekution für nichtig erklärt, weil sich herausgestellt hatte, daß die unter Angabe einer anderen Anschrift geklagte P*** & P*** Baugesellschaft mbH ident mit dem in Wien 3, Adamsgasse 7/2, betriebenen Unternehmen gleichen Namens war, über dessen Vermögen am 21.Mai 1987 der Konkurs eröffnet worden war. Dieser Beschluß wurde dem Kläger im Wege der Ersatzzustellung an die Mitbewohnerin Herta C*** am 25.August 1987 zugestellt. Herta C***, die ebenso wie der Kläger rechtsunkundig war, hatte es übernommen, für ihn die Behördenwege zu erledigen. Sie erhielt Anfang September 1987 beim Handelsgericht Wien vier Bogen des Formulars "Forderungsanmeldung". Ferner wurde sie dort darüber informiert, daß sie zum Arbeitsamt gehen solle; daß dies bald oder innerhalb einer bestimmten Frist zu geschehen habe, wurde ihr nicht gesagt. Am 8. September 1987 langte daraufhin die vom Kläger unterfertigte Anmeldung einer Forderung von 21.000 S beim Konkursgericht ein. Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, gemäß § 6 Abs 1 IESG seien die Folgen der Fristversäumung nachzusehen, weil weder der Kläger noch seine Vertreterin Herta C*** Informationen über die Antragsfrist erhalten hätten und rechtsunkundigen und im Umgang mit Behörden unerfahrenen Personen nicht zuzumuten sei, nachdrücklich Informationen über eine Frist zu verlangen.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil bezüglich des Zuspruches eines Betrages von 21.000 S, wies das Mehrbegehren von 1.100 S ab und sprach aus, daß die Revision zulässig sei. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und vertrat die Rechtsauffassung, daß im Hinblick darauf, daß keine Belehrung über die viermonatige Antragsfrist erteilt worden sei, die Unkenntnis des der deutschen Sprache nur unzulänglich mächtigen Klägers, der sich durch eine ebenfalls rechtsunkundige Person vertreten lassen mußte, ein berücksichtigungswürdiger Grund im Sinne des § 4 Abs 1 IESG sei. Mit der Änderung dieser Bestimmung durch die IESG-Novelle BGBl. 395/1986 sollten die wegen der überaus restriktiven Handhabung der Wiedereinsetzung nach § 71 AVG durch den Verwaltungsgerichtshof auftretenden Härtefälle vermieden werden. Die Kapitalforderung sei daher zuzuerkennen, nicht aber die im Konkurs nicht angemeldete Kostenforderung von 1.100 S.

Gegen den bestätigenden Teil des Berufungsurteils richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung abzuändern. Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zwar zulässig (§ 46 Abs 2 Z 1 ASGG); sie ist aber nicht berechtigt.

Wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat und auch die Revisionswerberin einräumt, wollte der Gesetzgeber mit der Novellierung des § 6 Abs 1 IESG die in der Praxis gelegentlich auftretenden sozialen Härtefälle bei Versäumung der Antragsfrist vermeiden, indem er die bisher vorgesehene, vom Verwaltungsgerichthof restriktiv gehandhabte Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist durch die Einführung einer Härteklausel ersetzte (siehe Holler, Neuerungen im Bereich der Entgeltsicherung bei Insolvenz, ZAS 1987, 152). Die Ansicht der Revisionswerberin, nach der Intention des Gesetzgebers seien berücksichtigungswürdige Gründe nur solche Umstände, die im Sinn der zu diesem Rechtsinstitut ergangenen Rechtsprechung auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ermöglichten, ist weder mit dem Wortlaut der Novelle, die die Verweisung auf die Wiedereinsetzung nach § 71 AVG durch einen anderen abweichenden Begriff ersetzte, noch mit den Gesetzesmaterialien (993 BlgNR 16.GP) und der sich daraus ergebenden Absicht des Gesetzgebers vereinbar. Geht man davon aus, daß der Gesetzgeber die sich bei Anwendung des § 71 AVG ergebenden Härtefälle vermeiden wollte, dann muß wohl ebenso wie die im Gesetz demonstrativ angeführte unverschuldete Unkenntnis von der Konkurseröffnung auch die unverschuldete Unkenntnis von der Antragsfrist als berücksichtigungswürdiger Grund angesehen werden, wenn die Antragstellung nicht übermäßig hinausgezögert wurde. Zieht man in Betracht, daß die Vertreterin des Klägers binnen wenigen Tagen nach Kenntnis vom Konkurs beim Handelsgericht Wien vorsprach und der Kläger dann seine Forderung unverzüglich im Konkurs anmeldete, kann dem rechtsunkundigen und im Zeitpunkt der Konkurseröffnung nicht mehr im Betrieb beschäftigten Kläger grobe Fahrlässigkeit nicht angelastet werden, daß er den Antrag beim Arbeitsamt erst fünf Wochen nach Anmeldung seiner Ansprüche im Konkurs stellte. Wendet sich ein nicht durch eine qualifizierte Person vertretener Arbeitnehmer mit seinen Ansprüchen an das Konkursgericht, dann muß er nicht damit rechnen, daß er zwar über die grundsätzliche Notwendigkeit der Antragstellung beim Arbeitsamt, nicht aber über die einzuhaltende Frist und deren knapp bevorstehenden Ablauf informiert wird. Daraus, daß der über die Frist nicht belehrte Kläger den Antrag beim Arbeitsamt nicht unverzüglich, sondern erst rund fünf Wochen später stellte, kann ihm ein ins Gewicht fallender Schuldvorwurf nicht gemacht werden, weil er nicht von vornherein damit rechnen mußte, daß ihm nur mehr eine verhältnismäßig kurze Frist zur Verfügung stand und er die fünf Wochen nach Forderungsanmeldung im Konkurs erfolgte Antragstellung beim Arbeitsamt auch nicht übermäßig lang hinausgezögert hat. Zutreffend haben die Vorinstanzen daher das Vorliegen eines berücksichtigungswürdigen Grundes im Sinne des § 6 Abs 1 IESG bejaht.

Der Revision war somit ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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