OGH 14Os6/89

OGH14Os6/891.3.1989

Der Oberste Gerichtshof hat am 1.März 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Lachner, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Telfser als Schriftführer, in der Strafsache gegen Peter P*** wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach §§ 83 Abs 1, 85 Z 3 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Schöffengericht vom 10.Februar 1988, GZ 17 Vr 984/87-20, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer, des Angeklagten Peter P*** und des Verteidigers Dr. Hintermeier zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Den Berufungen wird dahin Folge gegeben, daß die Freiheitsstrafe auf 18 (achtzehn) Monate erhöht, jedoch gemäß § 43 a Abs 3 StGB ein Strafteil von 12 Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wird. Im übrigen wird der Angeklagte mit seiner Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 9.Dezember 1965 geborene Elektrikergeselle Peter P*** des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach §§ 83 Abs 1, 85 Z 3 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 6.Juni 1987 in Böhlerwerk den Helmut K*** durch Versetzen eines Schlages, wodurch der Genannte mit dem Kopf auf den Asphalt der Straße aufschlug, vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat für immer ein schweres Leiden des Helmut K***, nämlich eine Halbseitenlähmung links, verbunden mit einer Sehnervschädigung, Fehlen des Geruchssinnes, reduzierte Geschmacksempfindung, komplette Gesichtsnervlähmung links, einen Substanzverlust der rechten Hirnhälfte und (einen Verlust) der mit dem Gehirn zusammenhängenden Funktionen, zur Folge hatte.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf die Z 5, 5 a, 9 lit b und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt. Entgegen dem Standpunkt der Mängelrüge (Z 5) ist die Urteilsannahme (S 154, 156), daß die vom Angeklagten an Helmut K*** gerichtete Aufforderung "Gehen wir hinaus" die Austragung eines Raufhandels vor dem Lokal bezweckt hat, durch die Aussage der als Zeugin vernommenen Gastwirtin Erika K*** gedeckt, wonach es dabei nicht um eine indifferente Äußerung über ein Verlassen der Gaststätte, sondern um eine Reaktion in einer Streitsituation gegangen sei, weil der Angeklagte zuvor von K*** mißhandelt worden war und erklärt hatte, sich das nicht gefallen zu lassen (S 144). Der von den Tatrichtern daraus (gemäß § 258 Abs 2 StPO) abgeleitete Wille des Angeklagten zur Austragung eines Raufhandels steht mit allgemeiner Erfahrung oder der Logik in keinem Widerspruch.

Die Feststellung aber, daß der angestrebte Raufhandel vor dem Lokal dann auch tatsächlich stattgefunden hat, wird vom Erstgericht gar nicht allein mit der bezüglichen Aufforderung zum gemeinsamen Hinausgehen begründet, sondern primär aus den Angaben des Zeugen Gerhard W*** und des Angeklagten vor der Gendarmerie abgeleitet, weshalb der Beschwerdeeinwand insoweit nur eine von mehreren der Beweisführung zugrunde liegenden und einer Gesamtwürdigung unterzogenen Prämissen erfaßt. Auf diese Art geht der Vorwurf unzureichender Begründung nicht von sämtlichen gerichtlichen Erwägungen aus; die Mängelrüge gelangt daher insoweit nicht zu prozeßordnungsgemäßer Darstellung.

Die Tatsachenrüge (Z 5 a) befaßt sich zwar mit allen vom Schöffengericht für die Feststellung eines Raufhandels verwerteten Verfahrensergebnissen; sie vermag jedoch mit ihrer auf die einzelnen Hinweise gesondert abgestellten Argumentation keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des bekämpften Ausspruches aufzuzeigen. Die Beweiswürdigung hat sich nämlich nicht allein an der vom Beschwerdeführer angestrebten isolierten Betrachtung der Beweismittel zu orientieren, sondern auch an einer Prüfung nach ihrem inneren Zusammenhange (§ 258 Abs 2 StPO).

Aber auch die das Vorliegen des Rechtfertigungsgrundes der Notwehr reklamierende Rechtsrüge (Z 9 lit b) hält einer Überprüfung nicht stand:

Da sich der Angeklagte gewolltermaßen in eine durch gegenseitige Tätlichkeiten gekennzeichnete Auseinandersetzung mit Helmut K*** eingelassen hat, kann er gegenüber den für einen solchen Raufhandel typischen Aggressionshandlungen des Gegners keine Notwehr in Anspruch nehmen; denn dabei geht es nicht um einen Angriff und dessen Abwehr jeweils in der Bedeutung des § 3 StGB, sondern um ein unselbständiges Element eines mit dem zentralen Ziel des Sieges über den Widersacher angestrebten Kräftemessens durch aufeinanderfolgendes und ineinander übergehendes Attackieren und Verteidigen (Leukauf-Steininger Komm.2 RN 84; Nowakowski im WK Rz 31 je zu § 3). Es bleibt in diesem Zusammenhang ohne rechtliche Bedeutung, daß die beiden Gegner einander zunächst vom Beschwerdeführer als "belanglos" bezeichnete Stöße versetzt haben, weil dadurch weder der Vorgang die Eigenschaft eines Raufhandels verliert, noch die schließlich von - dem auch nach den eigenen Angaben (S 19, 141) des Angeklagten infolge Alkoholisierung nicht mehr standfesten - Helmut K*** unternommene Führung eines Fußtrittes eine völlig unübliche und außerhalb des Erwartungsbereiches bei Aufnahme der Auseinandersetzung gelegene einseitige Eskalation darstellt, welche den Angeklagten ausnahmsweise zur Notwehr berechtigt und seinem Hinschlagen den Charakter einer rechtmäßigen Abwehr verliehen hätte. Der Beschwerdemeinung zuwider waren daher keine weiteren Feststellungen über den Ablauf und die Intensität der wechselseitigen Tätlichkeiten geboten.

Das verbleibende Beschwerdevorbringen zu diesem Nichtigkeitsgrund kämpft gegen eine rechtliche Beurteilung an, welche im Ersturteil überhaupt nicht zum Ausdruck kommt. Das Schöffengericht billigte dem Angeklagten nämlich deshalb kein Notwehrrecht zu, weil er sich aktiv an einem Raufhandel mit Helmut K*** beteiligt hat. Bei dieser richtigen rechtlichen Beurteilung wurde keineswegs darauf abgestellt, daß der Angeklagte von dem Fußtritt des in der Folge zu Boden geschlagenen Helmut K*** gar nicht getroffen worden ist, sondern dieser Umstand vielmehr nur am Rande erwähnt (S 153). Somit kann den Darlegungen des Beschwerdeführers über die Unwesentlichkeit des Umstandes, daß der Fußtritt des Helmut K*** sein Ziel verfehlt hat, bloß mit dem Hinweis auf die zutreffenden rechtlichen Erwägungen des Erstgerichtes erwidert werden, welche bei unbefangenem Verständnis ohnehin keinerlei Aussage über die Erheblichkeit dieses Punktes enthalten.

Letztlich ist der Beschwerdeführer auch mit dem Einwand nicht im Recht, er habe mangels subjektiver Vorhersehbarkeit der schweren Dauerfolgen der Tat nur das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB zu verantworten (Z 10). An der bezeichneten Subsumtionsvoraussetzung könnte es nur dann fehlen, wenn der Angeklagte ungeachtet der objektiven Vorhersehbarkeit - also der einem besonnenen Menschen zugänglichen Einsicht in die von der Tathandlung bewirkte Gefahr eines solchen qualifizierenden Erfolges - nach seinen persönlichen geistigen Verhältnissen das Risiko des Erfolgseintrittes nicht zu erkennen vermocht hätte (SSt. 53/76). Eine solche untypische Fallgestaltung wird aber vom Beschwerdeführer der Sache nach nicht behauptet, weil das Vorbringen auf die individuellen Fähigkeiten des Täters gar nicht Bezug nimmt. Die Darlegungen darüber, daß Helmut K*** Tätlichkeiten zu setzen vermocht hat und dessen überschwere Verletzung durch einen bloß "durchschnittlichen" Stoß oder Schlag ausgelöst worden ist, betreffen nämlich inhaltlich keineswegs die subjektive Vorhersehbarkeit der Tatfolgen, sondern die objektive Ebene, stellen jedoch hier die Annahme einer Sorgfaltswidrigkeit in bezug auf den speziellen besonders gravierenden Erfolg schon deshalb nicht in Frage, weil die Beurteilung unter Einbeziehung des Wissens des Angeklagten um die erhebliche Beeinträchtigung der Standfestigkeit seines Widersachers erfolgen muß. Die auf eigene Wahrnehmung zurückgehende Kenntnis des Angeklagten davon, daß Helmut K*** kurz vor der späteren entscheidenden Auseinandersetzung ersichtlich zufolge Alkoholisierung mehrmals sogar ohne Fremdeinwirkung von einem Barhocker gefallen war (S 19, 141, 154, 156), bewirkte durchaus die Vorhersehbarkeit der mit der Attacke verbundenen Gefahr, daß der in seinem Gleichgewicht erheblich gestörte Gegner auf der Asphaltstraße stürzen, dabei in einer unglücklichen Weise aufprallen und sich schwerste - allenfalls sogar tödliche - Verletzungen zuziehen könne (SSt. 47/1). Für die ex ante zu beurteilende Vorhersehbarkeit des Erfolges bleibt es ohne Belang, daß eine in Verwirklichung der geschaffenen Gefahr erfolgte Verletzung nicht sogleich erkennbar gewesen oder zumindest nicht erkannt worden ist. Demgemäß betrifft auch der abschließende Beschwerdeeinwand, wonach die Beobachter des von ihm verschuldeten Sturzes des Helmut K*** den erfolgten Eintritt einer derartigen Schädelverletzung mit schweren Dauerfolgen nicht in Erwägung gezogen haben, keine für die Subsumtion maßgebliche Tatsache.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten nach § 85 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr. Dabei wertete es drei einschlägige Vorstrafen als erschwerend, hingegen die Provokation und damit das Mitverschulden des Verletzten (durch das grundlose Versetzen einer Ohrfeige) sowie das teilweise Geständnis als mildernd.

Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe und die Gewährung bedingter Strafnachsicht (§ 43 StGB) bzw. die bedingte Nachsicht eines Strafteils gemäß § 43 a StGB an, während die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung eine Erhöhung des Strafmaßes begehrt.

Den Berufungen kommt - jener des Angeklagten

teilweise - Berechtigung zu.

Zu Recht weist die Anklagebehörde in ihrer Berufungsschrift darauf hin, daß durch die Tathandlung des Angeklagten bei Helmut K*** eine Mehrzahl von Körperfunktionen vernichtet bzw. schwer beeinträchtigt wurden. Hinzu kommt, daß dem Angeklagten der rasche Rückfall als weiterer Erschwerungsgrund zur Last fällt. Hat er doch die vorliegende Straftat knapp zwei Monate nach Bezahlung der vom Bezirksgericht Waidhofen an der Ybbs über ihn zum AZ U 2/87 wegen des (im selben Lokal "R***-BAR" verübten) Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB verhängten Geldstrafe begangen. Wird dies bei Ausmessung der verwirkten Strafe gebührend berücksichtigt, so erweist sich - bei dem hier aktuellen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren - zur Erfassung der tat- und persönlichkeitsbezogenen Schuld (§ 32 StGB) des Angeklagten eine Erhöhung der Freiheitsstrafe auf achtzehn Monate jedenfalls als erforderlich. Soweit der Angeklagte mit seiner Berufung eine Strafherabsetzung anstrebt, war er darauf zu verweisen. Begründet ist sein Rechtsmittel hingegen in Ansehung des Bestrebens um eine bedingte Nachsicht eines Teiles der Strafe. Wenngleich eine gänzliche bedingte Nachsicht der Freiheitsstrafe angesichts des einschlägig belasteten Vorlebens des Angeklagten nicht mehr in Betracht kam, ist im Hinblick darauf, daß er bisher das Strafübel eines Freiheitsentzuges noch nicht erlitten hat und daß nunmehr erstmalig eine (längere) Freiheitsstrafe über ihn verhängt wurde, ungeachtet dessen, daß er bereits vorbestraft wurde, die Erwartung gerechtfertigt, daß die Strafzwecke (§ 20 Abs 1 StVG) durch die Anwendung der (durch das StRÄG 1987) neu geschaffenen Möglichkeiten einer teilbedingten Nachsicht der Freiheitsstrafe (§ 43 a Abs 3 StGB in Verbindung mit § 43 Abs 1 StGB) erreicht werden können.

Auf diese Entscheidung war der Angeklagte mit seinem weiteren Berufungsbegehren zu verweisen.

Es war daher spruchgemäß zu erkennen.

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