OGH 12Os165/88 (12Os166/88)

OGH12Os165/88 (12Os166/88)23.2.1989

Der Oberste Gerichtshof hat am 23.Februar 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Tegischer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Michael R*** wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143, zweiter Fall, StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 4.November 1988, GZ 13 Vr 1.558/88-43, sowie über seine Beschwerde gegen den zugleich gemäß § 494 a Abs. 1 Z 4 StPO gefaßten Beschluß nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Jerabek, und des Verteidigers Dr. Dirnberger, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung und der Beschwerde wird nicht Folge gegeben. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 28.September 1964 geborene Michael R*** wurde auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB (I.1.) und der Notzucht nach § 201 Abs. 1 StGB (I.2.) sowie der Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs. 1 StGB (I.3.) und nach § 36 Abs. 1 Z 1 WaffG (II.) schuldig erkannt. Darnach hat er

I. am 6.Juni 1988 in Graz

1. unter Verwendung einer Waffe durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben anderen fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz (durch deren Zueignung sich unrechtmäßig zu bereichern) weggenommen oder abgenötigt, indem er mit vorgehaltener Pistole die Herausgabe von Geld und Schmuck forderte und Elfriede K*** und Hermine W*** zwang, ihm jeweils 2 Goldringe im Gesamtwert von 13.200 S auszuhändigen, weiters der Hermine W*** ein goldenes Collier im Wert von 12.000 S sowie einen Bargeldbetrag von 200 S und der Elfriede K*** einen Bargeldbetrag von 4.200 S wegnahm;

2. eine Person weiblichen Geschlechtes mit Gewalt gegen ihre Person und durch eine gegen sie gerichtete Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben widerstandsunfähig gemacht und in diesem Zustand zum außerehelichen Beischlaf mißbraucht, indem er ein gezücktes Messer gegen den Hals der Elfriede K*** richtete, ihr den Kopf an seinen Geschlechtsteil drückte, ihren Unterleib entblößte, mit seinem Penis in ihren Geschlechtsteil eindrang und bis zum Erguß mit ihr verkehrte;

3. die Hermine W*** widerrechtlich gefangengehalten, indem er sie nach der zu I.1. beschriebenen Tat in ein WC einschloß, aus dem sie erst nach der Flucht des Angeklagten von Elfriede K*** befreit werden konnte;

II. vom 31.Mai bis 12.Juni 1988 in Wien und Graz unbefugt eine Faustfeuerwaffe, nämlich eine Pistole Walther, Kaliber 6,35 mm, besessen und geführt.

Die Geschwornen hatten die darauf bezogenen anklagekonformen Hauptfragen I. bis IV. jeweils stimmeneinhellig bejaht. Die Zusatzfrage hingegen, ob der Angeklagte zum Zeitpunkt der Begehung der in den Hauptfragen I. bis III. (entspricht I.1. bis 3. der Schuldsprüche) beschriebenen Taten wegen einer Geisteskrankheit, einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer anderen schweren, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig war, das Unrecht seiner Tat zu erkennen oder nach dieser Einsicht zu handeln, hatten sie (wie der Niederschrift gemäß § 331 Abs. 3 StPO zu entnehmen ist: unter Berufung auf die - insoweit eindeutigen - Gutachten der Sachverständigen Dr. L*** und Dr. Z***) ebenso einstimmig verneint.

Dieses Urteil - mit Ausnahme des Schuldspruchs wegen Vergehens nach dem Waffengesetz (II.) - bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 345 Abs. 1 Z 6 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, in der er das Unterbleiben einer Eventualfrage nach Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung im Sinn des § 287 StGB in bezug auf die Hauptfragen I. bis III. bemängelt.

Rechtliche Beurteilung

Die Rüge ist - im Ergebnis - unbegründet.

Der Beschwerdeführer zeigt zwar an sich zutreffend auf, daß im Hinblick auf seine Verantwortung, wonach er zur Tatzeit selbstverschuldetermaßen durch den Konsum von Haschisch, Tabletten und Alkohol vollberauscht gewesen sei (S 411, 414), eine dem sogenannten "Drei-Fragen-Schema" entsprechende Fragestellung in Form einer für den Fall der Bejahung der Hauptfragen nach schwerem Raub, Notzucht und Freiheitsentziehung sowie der Zusatzfrage nach Zurechnungsunfähigkeit im Sinn des § 11 StGB überdies vorzusehenden Eventualfrage in Richtung des Vergehens nach § 287 StGB grundsätzlich geboten gewesen wäre (Melnizky JBl. 1973, 353 f; Mayerhofer-Rieder2 E 73 zu § 314 StPO, insb. EvBl. 1980/152 u.v.a.). Da jedoch die Geschwornen die an sie gestellten Hauptfragen I bis III bejaht und die korrespondierende Zusatzfrage nach Zurechnungsunfähigkeit gemäß § 11 StGB ebenso einstimmig (konform mit den vorliegenden Sachverständigengutachten) verneint haben, gereichte die unvollständige Fragestellung dem Angeklagten schon deshalb nicht zum Nachteil, weil bei der gegebenen Meinungsbildung der Geschwornen die vermißte Eventualfrage in Richtung des Vergehens nach § 287 StGB - wäre sie gestellt worden - als gegenstandslos gar nicht mehr zu beantworten gewesen wäre (SSt. 55/62). Hätten die Laienrichter aber Zurechnungsunfähigkeit zufolge Alkoholübergenuß und Medikamentenmißbrauch angenommen, dann wäre - worauf sie in der Rechtsbelehrung ausdrücklich hingewiesen wurden - ein Freispruch die Folge gewesen. Die von der Beschwerde gerügte Formverletzung hätte sohin nur einen die Anklage beeinträchtigenden Einfluß üben (§ 345 Abs. 4 StPO), nicht aber den Angeklagten benachteiligen können (§ 345 Abs. 3 StPO).

Die - demgemäß gar nicht zum Vorteil des Angeklagten ausgeführte - Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen. Das Geschwornengericht verhängte über den Angeklagten nach §§ 28 Abs. 1, 143, erster Strafsatz, StGB vierzehn Jahre Freiheitsstrafe, wobei es das Zusammentreffen von zwei Verbrechen mit zwei Vergehen, die rückfallbegründenden (§ 39 StGB) einschlägigen Vorstrafen und den besonders raschen Rückfall nach einer mehrjährigen Freiheitsstrafe (wegen Raubes)als erschwerend, als mildernd hingegen den Umstand wertete, daß ein geringer Teil der Raubbeute zustandegebracht werden konnte. Außerdem sprach es gemäß § 494 a Abs. 1 Z 4 StPO den Widerruf der bedingten Entlassung aus den zuletzt verbüßten Freiheitsstrafen mit einem Strafrest von einem Jahr, 7 Monaten und 12 Tagen aus.

Gegen den Strafausspruch richtet sich die Berufung des Angeklagten mit dem Antrag, die Freiheitsstrafe herabzusetzen. Den Widerrufsbeschluß bekämpft er mittels Beschwerde mit dem Begehren, vom Widerruf der bedingten Entlassung aus Anlaß der neuen Verurteilung abzusehen.

Weder die Berufung noch die Beschwerde sind berechtigt. Zwar ist dem Berufungswerber zuzubilligen, daß die Art seiner Einlassungen in bezug auf die Strafmilderungsvorschrift des § 34 Z 17 StGB nicht ganz unberücksichtigt bleiben kann, hat er doch Reue gezeigt und den Sachverhalt als solchen nicht bestritten (S 411 f). Freilich hat er dieses Eingeständnis durch die (unrichtige) Behauptung seiner rauschbedingten Zurechnungsunfähigkeit doch wieder so weit entwertet, daß es im Ergebnis nicht ins Gewicht fällt, zumal als erschwerend auch noch die Beraubung zweier Personen und der höhere Wert der Beute (vgl. § 128 Abs. 1 Z 4 StGB) in Ansatz zu bringen gewesen wären. Im übrigen vermag die Berufung keine zusätzlichen Milderungsgründe aufzuzeigen, denn neben dem erwähnten, in seiner Milderungswirkung relativierten Geständnis kommt ein (damit notwendig verbundener) Beitrag zur Wahrheitsfindung dem Angeklagten schon deshalb nicht zugute, weil angesichts der eindeutigen Verdachtslage die Beweisführung durch seine Verantwortung jedenfalls nicht wesentlich erleichtert wurde. Die angebliche Berauschung (vgl. aber S 427) schlägt bei der insoweit vorzunehmenden Vorwurfsabwägung (§ 35 StGB) nicht zugunsten des Angeklagten aus, weil ihm anzulasten ist, daß er es trotz günstiger Startbedingungen nach seiner Entlassung aus der Strafhaft vorgezogen hat, dem Müßiggang bei Alkohol und Spiel zu frönen (S 411). Eine bloße Bereitschaft zur Schadensgutmachung durch Anerkenntnis der privatrechtlichen Ansprüche der Tatopfer stellt den Milderungsgrund des § 34 Z 15 StGB nicht her (Leukauf-Steininger2 § 34 StGB RN 23). Von einer besonders verlockenden Gelegenheit zur Tat kann wohl ernsthaft nicht die Rede sein (Foregger-Serini4 Erl. zu § 34 Z 9 StGB).

Demgegenüber sind die vom Geschwornengericht zutreffend angeführten Erschwerungsgründe derart gewichtig, daß nicht nur eine Ausschöpfung des gesetzlichen Strafsatzes, sondern sogar eine Strafschärfung nach § 39 StGB auch im Hinblick darauf durchaus gerechtfertigt wäre, daß die rücksichtslose, im sexuellen Mißbrauch für eines der Tatopfer überdies mit einer besonders entwürdigenden Erniedrigung verbundene Ausführung der Taten, gegen die zudem keinerlei Vorsicht gebraucht werden konnte, eine gegenüber den rechtlich geschützten Werten nahezu beispiellos ablehnende Einstellung des Angeklagten deutlich sichtbar werden läßt (§ 32 Abs. 2 und 3 StGB).

Bei der Prüfung, ob das vom Erstgericht gefundene Strafmaß diesen Strafbemessungsgründen und solcherart der unrechtsbezogenen Schuld (§ 32 Abs. 1 StGB) des Berufungswerbers entspricht, war aber im Sinne des durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1987 normierten Konzepts einer Gesamtregelung der Straffrage (JAB zum StRÄG 1987 NR: GP XVII AB 359 S 54 1.Sp vorl. Abs.) auch die vom Geschwornengericht vorliegend getroffene Entscheidung über den Widerruf einer bedingten Entlassung gemäß § 494 a Abs. 1 Z 4 StPO und das Beschwerdevorbringen dagegen in die Beurteilung mit einzubeziehen. Dabei ist einerseits zu beachten, daß nach § 53 Abs. 1 StGB (nF) der Widerruf nur dann auszusprechen ist, wenn dies in Anbetracht der neuerlichen Verurteilung zusätzlich zu dieser geboten erscheint, um den Rechtsbrecher von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten; andererseits ist aus Gründen der Verfahrensökonomie ein aus diesem Anlaß ausgesprochener Widerruf - auch im wohlverstandenen Interesse des Verurteilten - durchaus wünschenswert, damit frühere Erkenntnisses nicht auch noch nach der neuen Verurteilung und der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe (§ 49, letzter Satz, StGB) in Schwebe bleiben und bei einem allfälligen weiteren Strafverfahren (gegebenenfalls außerhalb jedes vernünftigen zeitlichen Zusammenhanges mit der ersten Straftat) auch noch weiterhin berücksichtigt werden müssen. Diesen einander unter Umständen, namentlich - wie hier - bei hohen Freiheitsstrafen widerstreitenden Zielsetzungen kann aber - jeweils fallbezogen - dann Rechnung getragen werden, wenn das nunmehrige Urteilsgericht (oder das mit Berufung und allenfalls auch mit Beschwerde angerufene Rechtsmittelgericht) die neuen Unrechtsfolgen so bemißt, daß die Notwendigkeit eines zusätzlichen Vollzuges zu bejahen ist; maW das neue Urteilsgericht bei seinen Unrechtsfolgen (allenfalls auch unter Heranziehung der neuen Möglichkeiten bedingter Strafnachsicht nach §§ 43 Abs. 1, 43 a StGB) bei der Sanktionsbemessung soviel nachläßt, wie die in Vollzug zu setzenden alten Unrechtsfolgen ausmachen, wobei im Ergebnis freilich nur solche Unrechtsfolgen in Vollzug gesetzt werden dürfen, die nach Art und Ausmaß insgesamt einem realistischen kriminalpolitischen Konzept entsprechen (siehe Foregger-Serini MTA5 Anm. III zu § 494 a StPO).

Diesen Überlegungen wird die vom Geschwornengericht - trotz nicht bloß formell gegebener Voraussetzungen einer Strafschärfung nach § 39 StGB - noch innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens ausgemessene Freiheitsstrafe in Verbindung mit dem aus deren Anlaß verfügten Widerruf der bedingten Entlassung durchaus gerecht, sodaß sowohl der Berufung als auch der Beschwerde ein Erfolg versagt bleiben mußte.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte