OGH 9ObA29/89

OGH9ObA29/898.2.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Karl Hennrich und Werner Fendrich als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Gertrude E***, Angestellte, Wien 2., Wehlistraße 131/8/8, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) P. D*** Gesellschaft mbH & Co KG, Wien 6., Linke Wienzeile 38, 2.) P. D*** Gesellschaft mbH, Innsbruck, Wilhelm Greil-Straße 21, beide vertreten durch Dr. Rudolf Schuh, Rechtsanwalt in Linz, wegen 19.631,40 S brutto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30.September 1988, GZ 31 Ra 81/88-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 15.Februar 1988, GZ 5 Cga 2279/87-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin war bei der erstbeklagten Partei, deren persönlich haftende Gesellschafterin die zweitbeklagte Partei ist, ab 19. November 1986 als Lohnverrechnerin beschäftigt. Ab 16.März 1987 konsumierte sie einen Tag Zeitausgleich und anschließend eine Woche Urlaub. Am 16.März 1987 kündigte die beklagte Partei das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30.Juni 1987 auf und stellte sie mit sofortiger Wirkung dienstfrei. Das Kündigungsschreiben wurde der Klägerin von ihrer Mutter an den Urlaubsort nachgesandt. Die Klägerin begehrt die Zahlung des der Höhe nach nicht bestrittenen Betrages von 19.631,40 S brutto sA an Urlaubsentschädigung für 25 Werktage. Der Verbrauch des Urlaubes in der Zeit zwischen dem Ausspruch der Kündigung und dem Ende des Arbeitsverhältnisses sei nicht zumutbar gewesen, weil die Klägerin die Zeit für die Arbeitssuche benötigt habe und überdies ihre pflegebedürftigen Eltern versorgen habe müssen.

Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung der Klage. Der Urlaubsverbrauch sei in der Zeit bis 30.Juni 1987 zumutbar gewesen. Das Erstgericht wies das Begehren der Klägerin ab. Vom Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses sei der Klägerin ein Zeitraum von über 3 Monaten zur Verfügung gestanden, während dessen sie dienstfrei gestellt gewesen sei. Abgesehen davon, daß das Erfordernis der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle allein nicht ausreiche, die Unzumutbarkeit des Urlaubsverbrauches während der Kündigungsfrist zu begründen, wäre der Klägerin selbst bei Verbrauch des Urlaubes in dieser Zeit ab Beginn der Dienstfreistellung noch eine weitere Freizeit von über 2 Monaten zur Postensuche zur Verfügung gestanden; sie sei damit günstiger gestellt gewesen als ein Dienstnehmer, der bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiterbeschäftigt werde und nur einzelne Postensuchtage verbrauchen dürfe. Der Wanderurlaub, den die Klägerin üblicherweise im September verbracht habe, hätte in den Mai verlegt werden können. Auch die Pflegebedürftigkeit der Eltern habe den Urlaubsverbrauch nicht unzumutbar gemacht, da der Gesundheitszustand der Eltern eine kontinuierliche Anwesenheit der Klägerin nicht erfordert habe und überdies die Möglichkeit bestanden hätte, während einer urlaubsbedingten Abwesenheit die Versorgung der Eltern durch medizinische und soziale Hilfsdienste sicherzustellen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Eine Prüfung der Behauptung der Klägerin, daß während ihrer Abwesenheit im März Bekannte ihre Eltern betreut hätten und diese später dazu nicht in der Lage gewesen wären, sowie ob sich der Zustand der Eltern der Klägerin nach der Kündigung verschlechtert habe, sei nicht erforderlich, weil die Notwendigkeit der Versorgung und Betreuung der Eltern im Hinblick auf deren im wesentlichen gleichbleibenden Zustand unabhängig von der zeitlichen Lagerung des Erholungsurlaubes bestanden habe. Der Klägerin wäre durchaus zumutbar gewesen, einen Wanderurlaub im Mai zu konsumieren. Auch bei Verbrauch des Urlaubes während der Dienstfreistellung wäre ihr ausreichend Zeit zur Postensuche zur Verfügung gestanden. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die beklagten Parteien beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinn des Eventualantrages berechtigt. Gemäß § 9 Abs 1 Z 4 UrlG gebührt dem Arbeitnehmer eine Entschädigung in der Höhe des noch ausstehenden Urlaubsentgeltes, wenn das Arbeitsverhältnis nach Entstehung des Urlaubsanspruches, jedoch vor Verbrauch des Urlaubes durch Kündigung seitens des Arbeitgebers endet, die Kündigungfrist mindestens 3 Monate beträgt und der Urlaub während der Kündigungsfrist nicht verbraucht werden konnte, oder dem Arbeitnehmer der Urlaubsverbrauch während der Kündigungsfrist nicht zumutbar war. Der Gesetzgeber geht davon aus, daß in Fällen, in denen die Kündigungsfrist mindestens 3 Monate beträgt, der Urlaub grundsätzlich während der Kündigungsfrist zu verbrauchen ist. Der Arbeitnehmer muß den vom Arbeitgeber angebotenen Urlaub konsumieren, wenn für ihn eine Erholungsmöglichkeit besteht (Dusak, Ausgewählte Probleme des Urlaubsrechtes, ZAS 1985, 54 ff, insbesonders 63). Unter Kündigungsfrist iS dieser Bestimmung ist nicht die gesetzliche (vertragliche) Mindestfrist, sondern jener Zeitraum zu verstehen, der dem gekündigten Dienstnehmer zwischen dem Ausspruch der Kündigung durch den Dienstgeber und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses tatsächlich zur Verfügung steht (SZ 58/30). Für diese Fälle besteht daher eine vom § 4 Abs 1 UrlG, welche Bestimmung grundsätzlich vom Vorliegen einer Urlaubsvereinbarung ausgeht, abweichende Regelung. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 Abs 1 Z 4 UrlG ist der Verbrauch des Urlaubes während der Kündigungsfrist als Regelfall vorgesehen.

Zu prüfen war daher, ob der Klägerin ein Urlaubsverbrauch während der Kündigungsfrist zumutbar war oder nicht. Das Kriterium für diese Beurteilung bildet die Erholungsmöglichkeit des Arbeitnehmers während der für den Urlaubsverbrauch zur Verfügung stehenden Zeit. Ansatzpunkte für die Beurteilung der Erholungsmöglichkeit des Arbeitnehmers sind vor allem dessen Urlaubspläne (Reisetermin, Buchungen), die Ferienzeit der Kinder, die Situation des berufstätigen Ehegatten, Familienangelegenheiten; ferner bei Mehrfach- oder Teilzeitbeschäftigten die Möglichkeit der Freistellung in anderen Arbeitsverhältnissen, Fortbildungsinteressen und wohl auch ein Befürfnis einer gewissen Regelmäßigkeit des Urlaubsverbrauches (Arb. 9721; 9 Ob A 171/88).

Der Umstand, daß die Klägerin wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes gezwungen war, eine neue Arbeitsstelle zu suchen, macht für sich allein den Verbrauch des Urlaubes bis zum 30.Juni 1987 noch nicht unzumutbar. Die Notwendigkeit, einen neuen Arbeitsplatz zu suchen, ergibt sich in jedem Fall der Auflösung des bisherigen Arbeitsverhältnisses; dieser Umstand ist bei der Regelung des § 9 Abs 1 Z 4 UrlG bereits berücksichtigt. Im übrigen betrug die gesetzliche Kündigungsfrist der Klägerin im Hinblick auf die Dauer der Beschäftigung bei der beklagten Partei 6 Wochen. Der Gesetzgeber geht daher davon aus, daß dieser Zeitraum für die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz ausreicht. Der Klägerin, die bereits über 3 Monate vor Ende des Arbeitsverhältnisses dienstfrei gestellt war, stand selbst bei Verbrauch des Urlaubes in dieser Zeit ein 6 Wochen und daher die gesetzliche Kündigungsfrist übersteigender Zeitraum zum Aufsuchen eines neuen Arbeitsplatzes zur Verfügung. Daß im Hinblick auf die jahreszeitliche Lagerung des für den Urlaubsverbrauch während des aufrechten Dienstverhältnisses in Frage kommenden Zeitraumes der Erholungswert eines in dieser Zeit konsumierten Urlaubes in Frage gestellt gewesen wäre, hat die Klägerin nicht geltend gemacht.

Relevanz kommt allerdings dem Vorbringen der Klägerin zu, daß sie wegen der erforderlichen Betreuung ihrer pflegebedürftigen Eltern nicht in der Lage gewesen sei, ihren Urlaub in der fraglichen Zeit zu verbrauchen. So wie etwa Ferienzeiten der Kinder oder die Situation des berufstätigen Ehegatten unter Umständen gegen die Möglichkeit des Urlaubsverbrauches während einer bestimmten Zeit sprechen, können auch andere familiäre Gründe - so auch die Notwendigkeit der Betreuung naher Angehöriger - der Möglichkeit des Verbrauches eines dem Erholungszweck dienenden Urlaubes während eines bestimmten Zeitraumes entgegenstehen. Mögen auch die Eltern der Klägerin ständig pflegebedürftig sein und eine Änderung dieses Zustandes in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sein, so muß doch der Klägerin die Möglichkeit eingeräumt werden, ihren Urlaub so einzuteilen, daß während ihrer Abwesenheit die Betreuung ihrer Eltern auf andere Weise, etwa durch nahe Verwandte oder Bekannte, sichergestellt ist. Hätte diese Möglichkeit nur während eines nach dem 30.Juni 1987 liegenden Zeitraumes bestanden, so wäre der Klägerin der Verbrauch des Urlaubes in der Zeit bis zum Ende des Dienstverhältnisses tatsächlich unzumutbar gewesen, zumal sie nicht darauf verwiesen werden kann, soziale Hilfseinrichtungen dafür in Anspruch zu nehmen, um ihren Urlaub während einer ganz bestimmten Zeit zu verbrauchen, wenn während einer anderen Zeit die Möglichkeit bestanden hätte, die Obsorge für die pflegebedürftigen Eltern Personen aus dem Verwandten- oder Bekanntenkreis zu übertragen. Ob es der Klägerin in der Zeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglich gewesen wäre, die Versorgung ihrer Eltern während einer urlaubsbedingten Abwesenheit durch andere Personen zu gewährleisten bzw. wann diese Möglichkeit bestanden hatte, wurde nicht geprüft. In dieser Richtung erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.

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