OGH 4Ob502/89

OGH4Ob502/897.2.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Lothar H***, geboren am 15. Juni 1940 in Bregenz, Angestellter, Lochau, Pfänderstraße 11, vertreten durch Dr. Alfred Puchner und Dr. Manfred Puchner, Rechtsanwälte in Feldkirch, wider die beklagte Partei Herta H***, geboren am 12. September 1937 in Hard, Hausfrau, Hard, Fellentorweg 10, vertreten durch Dr. Wilhelm Winkler und Dr. G. Winkler-Heinzle, Rechtsanwälte in Bregenz, wegen Ehescheidung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 14. Oktober 1988, GZ 4 R 189/88-36, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 23. März 1988, GZ 3 Cg 22/88-30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.397,35 (darin enthalten S 308,85 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile habem am 9. April 1959 die - beiderseits erste - Ehe geschlossen, welcher zwei bereits volljährige und selbsterhaltungsfähige Töchter entstammen. Schon im Jahr 1976 zog der Kläger aus der Ehewohnung aus und lebte mit Sigrid R*** in Lebensgemeinschaft; im Jahre 1978 kehrte er jedoch in die Ehewohnung zurück. Im Jahr 1979 erneuerte er sein Verhältnis zu Sigrid R*** und unterhielt bis 1982 ehebrecherische Beziehungen zu ihr. Zwischen den Streitteilen kam es deshalb laufend zu Auseinandersetzungen. Seit dem Jahr 1981 kam es nicht mehr zu geschlechtlichen Beziehungen zwischen den Streitteilen. Im Jahre 1982 lernte der Kläger Dr. Hermine E*** kennen, mit der er ebenfalls ehebrecherische Beziehungen aufnahm. Im Dezember 1983 zog der Kläger neuerlich aus der gemeinsamen Ehewohnung aus; er lebt seither mit Dr. Hermine E*** in Lebensgemeinschaft und beabsichtigt, sie nach der Scheidung seiner Ehe zu heiraten. Der Kläger ist unter keinen Umständen mehr bereit, die Ehe mit der Beklagten fortzusetzen. Die Beklagte wäre allerdings bereit, die eheliche Gemeinschaft mit dem Kläger wieder aufzunehmen, wenn er seine anderen Verhältnisse aufgibt. Im März 1988 heiratete eine Tochter der Streitteile. Seither lebt die Beklagte nur noch mit einer Tochter in der vormaligen Ehewohnung. Dabei handelt es sich um ein Einfamilienhaus, welches auf einem ca. 2.500 m2 großen, im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstück steht. Die Beklagte war von 1974 bis 1987 teilzeitbeschäftigt, konnte seither aber keine Arbeit mehr finden. Sie erhält derzeit vom Kläger monatlich S 9.000 Unterhalt. Für eine eigene Pensionsversicherung zahlt sie monatlich S 900. Im Sommer verdient die Beklagte 6 Wochen lang durch Aufnahme von Ferienschülern zum Sprachunterricht.

Mit der bereits am 28. Juni 1985 beim Erstgericht eingelangten Klage hatte der Kläger unsprünglich die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten begehrt. In der Verhandlungstagsatzung vom 9. März 1988 stützte der Kläger sein Ehescheidungsbegehren nur noch auf § 55 EheG: Die Ehe sei seit dem Jahr 1981 nicht mehr vollzogen worden; die häusliche Gemeinschaft sei seit mehr als 3 Jahren aufgehoben; die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Gemeinschaft sei nicht mehr zu erwarten. Die Beklagte wendete gegen die Scheidung nach § 55 EheG ein, daß der Kläger die Zerrüttung der Ehe allein verschuldet habe und die Scheidung der Ehe die Beklagte ungleich härter träfe als den Kläger die Aufrechterhaltung der Ehe. Wegen ihres Alters finde sie keine Beschäftigung mehr; daher sei sie auf die Unterhaltsleistungen des Ehemannes angewiesen. Der Kläger habe auch angedeutet, im Fall der Scheidung im Rahmen der Vermögensauseinandersetzung erhebliche Beträge verlangen zu wollen. Um diese Ansprüche erfüllen zu können, müßte sie das Einfamilienhaus verkaufen. Dadurch würde sie nicht nur eine erhebliche Vermögenseinbuße erleiden; sie wäre auch der Obdachlosigkeit ausgesetzt. Diese Nachteile könnten durch eine längere Dauer der Ehe gemildert werden. Der Kläger habe jedoch durch die Aufrechterhaltung der Ehe überhaupt keinen Nachteil. Der Kläger replizierte auf diesen Widerspruch, daß die Beklagte in der Lage wäre, ihren erlernten Beruf auszuüben. Das auf der Liegenschaft der Beklagten errichtete Einfamilienhaus, in dem die Beklagte wohne, habe er zur Gänze finanziert; deshalb habe er auch angedeutet, daß er hiefür Ansprüche stellen werde. Auf Grund ihrer Vermögensverhältnisse sei die Beklagte in der Lage, diese Ansprüche zu erfüllen.

Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile gemäß § 55 Abs 1 EheG und sprach aus, daß der Kläger die Zerrüttung allein verschuldet habe. Wegen der tiefgreifenden unheilbaren Zerrüttung der Ehe und des mangelnden Ehewillens des Klägers sei die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten. Der gegen das Scheidungsbegehren des Klägers von der Beklagten gemäß § 55 Abs 2 EheG erhobene Widerspruch sei nicht berechtigt. Die unterhaltsrechtliche Stellung der Beklagten werde durch die Scheidung nicht verschlechtert. Auch wenn das früher als Ehewohnung dienende Haus in die nacheheliche Aufteilung einbezogen werde, sehe das Aufteilungsverfahren Möglichkeiten vor, Härten zu vermeiden. Die Folgen der Aufteilung könnten auch bei längerem Zuwarten für die Beklagte nicht günstiger werden. Es sei aber auch zu berücksichtigen, daß die Frist des § 55 Abs 3 EheG bereits in 1 3/4 Jahren ablaufen werde. Plausible Gründe, in welcher günstigeren Position sich die Beklagte dann befinden sollte, lägen nicht vor. Die Scheidung der Ehe treffe daher die Beklagte nicht härter als den Kläger die Abweisung des Scheidungsbegehrens, zumal der Kläger mit einer anderen Frau in Lebensgemeinschaft lebe und beabsichtige, diese zu heiraten.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes. Es behob die im Unterbleiben der Vernehmung der Beklagten erblickte Mangelhaftigkeit des Verfahrens durch Vernehmung beider Streitteile und traf ergänzende, eingangs bereits wiedergegebene Feststellungen. In rechtlicher Hinsicht bejahte auch das Berufungsgericht die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gemäß § 55 Abs 1 EheG und werte den gemäß § 55 Abs 2 EheG gegen das Scheidungsbegehren erhobenen Widerspruch der Beklagten als nicht beachtlich. Die von der Beklagten befürchteten Nachteile in einem auf die Scheidung folgenden Aufteilungsverfahren nach §§ 81 ff EheG bewirkten, selbst wenn diese zutreffen sollten, keine über die sonst mit der Scheidung einer Ehe verbundene hinausgehende Härte. Ihnen sei aber auch deshalb geringeres Gewicht beizumessen, weil die Frist des § 55 Abs 3 EheG bereits in ca. 1 1/4 Jahren ablaufen werde. Wegen der Dauer des Scheidungsverfahrens könne auch keine Rede davon sein, daß die Beklagte unerwartet mit den Folgen der Scheidung konfrontiert worden sei. Den Härten der nachehelichen Aufteilung würde aber duch die in einem solchen Verfahren vorgesehenen Billigkeitskriterien abgeholfen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidung im Sinne der Abweisung der Scheidungsklage abzuändern; hilfsweise stellt die Beklagte auch einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Revision wendet sich nur noch gegen die Auffassung, daß der Widerspruch der Beklagten gegen das Scheidungsbegehren unbeachtlich sei. Daß von der Liegenschaft der Beklagten ein Baugrund abgetrennt werden könnte und die Mutter der Beklagten Vermögen habe, das sie der Beklagten zumindest teilweise vererben wolle, beseitige nicht die mit der Auferlegung einer hohen Ausgleichszahlung im Aufteilungsverfahren verbundene Gefahr der Obdachlosigkeit. Allein der Umstand, daß die Folgen der Scheidung hinausgeschoben würden, die Beklagte also während dieser Zeit der aufrechten Ehe zu günstigeren Bedingungen in der Ehewohnung verbleiben könnte und erst danach die mit der Aufteilung verbundenen Lasten auf sich nehmen müßte, rechtfertige die Abweisung des Scheidungsbegehrens. Der Kläger hingegen sei finanziell voll abgesichert und würde durch die Abweisung des Scheidungsbegehrens nicht getroffen. Diesen Ausführungen kann jedoch nicht beigepflichtet werden:

Das Berufungsgericht hat bereits zutreffend - und von der Revision unbekämpft - darauf verwiesen, daß § 55 Abs 2 EheG idF des Art II Z 2 EheRÄndG gegenüber der früheren Rechtslage auf eine Erleichterung der Scheidung unheilbar zerrütteter Ehen abzielt, daß der frühere objektive Maßstab bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe nun im Verhältnis zu den konkreten Umständen des Einzelfalles zurücktritt und auch die Interessen des an der Zerrüttung schuldtragenden Ehegatten zu berücksichtigen sind, daß nur ganz besonders schwerwiegende Gründe die Verweigerung des Scheidungsbegehrens rechtfertigen (SZ 52/29 uva) und daß schließlich den für die Härteabwägung maßgebenden Umständen umso geringeres Gewicht beizumessen ist, je mehr sich die Dauer der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft der Frist des § 55 Abs 3 EheG nähert (RZ 1981/28 uva). Richtig ist auch, daß das Interesse des schuldlosen beklagten Ehegatten an der Alimentation durch den klagenden Ehepartner und an seiner sozialversicherungsrechtlichen Stellung als Ehegatte bei dieser Abwägung bedeutungslos sind, weil sich der Unterhaltsanspruch des gemäß § 55 Abs 1 EheG geschiedenen Ehegatten bei einem Ausspruch im Sinne des § 61 Abs 3 EheG durch die Scheidung nicht ändert (EFSlg. 41.253) und Art XIV bis XXI EheRÄndG den sozialversicherungsrechtlichen Schutz des gegen seinen Willen nach § 55 EheG geschiedenen schuldlosen Teiles sichern (916 BlgNR 14. GP 35 ff; RZ 1981/28). Die Beklagte hat keine Umstände vorgetragen, wonach die Voraussetzungen dieses Schutzes auf sie nicht zuträfen.

Aber auch die von der Revision noch aufrecht erhaltenen Gründe können den Widerspruch der Beklagten gemäß § 55 Abs 2 EheG nicht beachtlich erscheinen lassen. Der an der Zerrüttung nicht überwiegend schuldige oder schuldlose Ehegatte hat nicht schlechthin Anspruch auf die Einhaltung der Sechsjahres-Frist gemäß § 55 Abs 3 EheG. Daß die Beklagte im Fall der Scheidung der Obdachlosigkeit ausgesetzt wäre, ist angesichts ihres Liegenschaftsbesitzes und dessen Verwertbarkeit ausgeschlossen. Selbst wenn man aber annehmen wollte, daß die Beklagte bei der nachehelichen Aufteilung eine hohe Ausgleichszahlung an den Kläger entrichten und damit höhere Lasten für die Erhaltung der Ehewohnung tragen müßte, läge für sie keine gegenüber dem Normalfall besondere Härte vor. Das Scheidungsverfahren ist schon seit 28. Juni 1985 anhängig. Wenn auch der Scheidungsgrund nach § 55 Abs 1 EheG erst am 9. März 1988 geltend gemacht wurde, kann nicht davon gesprochen werden, daß die Beklagte unerwartet mit den Folgen einer Scheidung konfrontiert wurde; sie mußte vielmehr nach der Entwicklung der ehelichen Beziehungen und des Scheidungsverfahrens damit rechnen, daß auch dieser Scheidungsgrund geltend gemacht und zur Scheidung der Ehe führen würde. Darüber hinaus läuft die Frist des § 55 Abs 3 EheG im Dezember 1989, also in nicht einmal einem Jahr, ab; dann müßte die Beklagte auf jeden Fall die Folgen der Scheidung hinnehmen. Die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse nach §§ 81 ff EheG ist überdies nach Billigkeitsgrundsätzen (§ 83 EheG) vorzunehmen, so daß auf alle Umstände des Einzelfalles Bedacht zu nehmen ist. Daß die Durchführung eines solchen Verfahrens bereits in näherer Zukunft gegenüber seiner Durchführung in etwa einem Jahr für die Beklagte eine solche außergewöhnliche Härte bedeuten würde, die eine Verweigerung der Scheidung nach § 55 Abs 2 EheG rechtfertigen könnte, ist nach den vorliegenden Umständen nicht anzunehmen (vgl. EFSlg. 43.663; EFSl. 41.255).

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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