OGH 1Ob504/89

OGH1Ob504/897.2.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Norbert S***, geboren am 12. Mai 1932 in Wien, Pensionist, Wien 15, Linke Wienzeile 276/1/24, vertreten durch Dr. Franz Bixner sen., Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Hedwig S***, geboren am 30. Juni 1929 in Wien, Pensionistin, Wien 11, Soesergasse 2/2, vertreten durch Dr. Norbert Schöner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 23. September 1988, GZ 13 R 155/88-24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 11. März 1988, GZ 10 Cg 146/86-16, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 308,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 12. Mai 1964 vor dem Standesamt Wien-Favoriten die beiderseits zweite Ehe geschlossen, der keine Kinder entstammen.

Der Kläger begehrte die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten. Seit 1977 hätten sich die Beziehungen zwischen den Streitteilen laufend verschlechtert. Die Beklagte habe den Kläger immer mehr beschimpft und dabei Ausdrücke wie "Kreatur", "Hurenkadaver" und "Warmer" verwendet. Sie habe ihm nach Arbeitsschluß wiederholt kein Essen zubereitet und ihn grundlos aus der Wohnung gewiesen. Bereits dreimal sei sie mit gezücktem Küchenmesser auf ihn losgegangen. Am 11. Februar 1986 habe sie ihm im Zuge einer Auseinandersetzung eine eiserne Skulptur, die er gerade angefertigt habe, auf den Kopf zu schlagen versucht. Er habe schwere Verletzungen nur dadurch vermeiden können, daß er den Schlag abgefangen habe; er habe dabei aber doch erhebliche Blutergüsse erlitten. Die Beklagte habe ihm ferner einen Stuhl nachgeworfen, wodurch es zum Bruch der rechten Mittelzehe gekommen sei. Sie habe ihn auch wiederholt mit dem Umbringen bedroht. Im März 1986 habe sie den abgestellten PKW des Klägers dadurch beschädigt, daß sie sämtliche Elektrokabel aus dem Armaturenbrett gerissen habe. Er habe einen Herzinfarkt erlitten und sich deshalb in das Rehabilitationszentrum Felbring begeben müssen. Selbst dort habe die Beklagte angerufen und ihn am Telefon beschimpft.

Die Beklagte bestritt das Vorliegen der behaupteten Scheidungsgründe und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens; nur für den Fall der Scheidung stellte sie einen Mitschuldantrag. Der Kläger habe sie lieb- und interesselos behandelt, sei aus der ehelichen Wohnung ausgezogen und habe zuletzt ehewidrige Beziehungen zu Adolfine P*** unterhalten, bei der er auch jetzt wohne. Das Erstgericht schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers. Es stellte fest: Zwischen den Streitteilen bestünden schon seit langem Differenzen, die immer wieder zu teils schweren Auseinandersetzungen geführt hätten. Der Kläger neige dem Alkohol zu, trinke täglich mindestens fünf bis sechs Flaschen Bier und an Wochenenden sogar noch mehr. Habe er Bier genossen, werde er aggressiv und rabiat und beginne dann ohne jeden Anlaß zu schreien und zu brüllen. Auch die Beklagte trinke gelegentlich, manchmal sogar schon zum Frühstück, mehr Bier, als ihr zuträglich sei. Der Beklagten sei es zur Gewohnheit geworden, den Kläger aufs Ordinärste zu beschimpfen. So nenne sie ihn "wamperte Sau", "Kreatur", "Hurenkadaver" und "Warmer", "Tepp", "Trottel", "Drecksau", "Hurentreiber", "Hängebauch" und "Fettsau". Als die Beklagte einmal im Fernsehen einen Bericht über den amerikanischen Filmschauspieler Rock Hudson verfolgt habe, habe sie den Kläger als "Aids-Beidel" beschimpft. Der Kläger habe auf die Beschimpfungen der Beklagten nicht in gleicher Weise reagiert. Gelegentlich sei es zwischen den Eheleuten auch zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen. So habe der Kläger Geschirr und Speisen durch die Wohnung geschleudert und auch die Beklagte geschlagen. Diese habe den Kläger wiederum mehrmals aus der Wohnung gewiesen. In zwei Fällen habe die Beklagte gegen den Kläger auch ein Küchenmesser erhoben. Wiederholt habe sie ihm gedroht, sie werde ihn umbringen. Nach seinem zweiten Herzinfarkt sei der Kläger in das Rehabilitationszentrum Felbring einberufen worden. Vor der Abfahrt sei es zu einer Auseinandersetzung gekommen, in deren Verlauf die Beklagte eine vom Kläger angefertigte Krokodilskulptur aus Stahl erfaßt und damit auf ihn eingeschlagen habe; bei der Abwehr habe sich der Kläger verletzt. Außerdem habe die Beklagte dem Kläger bei dieser Gelegenheit auch noch einen Stuhl nachgeschleudert; dabei habe sich der Kläger eine Zehe gebrochen. Als die Beklagte den Kläger vor mehr als einem Jahr aus der Wohnung gewiesen habe, habe dieser deren Schwester Adolfine P*** aufgesucht, um bei ihr zu nächtigen. Seither sei er nicht mehr in die eheliche Wohnung zurückgekehrt. Schließlich sei zwischen dem Kläger und Adolfine P*** auch eine sexuelle Beziehung entstanden.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im wesentlichen aus, beide Eheleute hätten seit vielen Jahren wechselweise und am laufenden Band schwere Eheverfehlungen begangen. Als solche seien die Neigung des Klägers zum Alkohol und die Mißhandlungen der Beklagten durch ihn ebenso zu beurteilen wie die wiederholten schweren Beschimpfungen des Klägers durch die Beklagte, die ihn zudem aus der ehelichen Wohnung geworfen, bedroht und das Küchenmesser gegen ihn erhoben habe. Die Ehe sei durch das Verhalten beider Streitteile vollständig zerrüttet. Das Verschulden des Klägers überwiege jedoch, weil er zuletzt aus der ehelichen Wohnung ohne Grund ausgezogen und mit der Schwester der Beklagten ein Verhältnis eingegangen sei. Dadurch habe er auch den in § 47 EheG genannten Scheidungsgrund zu verantworten.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung des Klägers Folge und sprach aus, daß die Parteien gleichteiliges Verschulden treffe. Der Ausspruch, daß die Schuld eines Ehegatten überwiege, sei nur dann zulässig, wenn dessen Verschulden erheblich schwerer wiege als das des anderen Ehegatten. Bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens seien nur Eheverfehlungen zu berücksichtigen, die der Kläger als Scheidungsgründe geltend machte bzw. die Beklagte zur Begründung ihres Mitschuldantrages vorbrachte; in diese Abwägung sei das gesamte Verhalten der Ehegatten einzubeziehen. Nur wenn sich ein sehr unterschiedlicher Grad erweise, sei das überwiegende Verschulden eines Ehegatten auszusprechen. Der Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile müsse sich augenscheinlich, also offenkundig hervorheben und das Verschulden des anderen Teiles fast völlig in den Hintergrund treten. Auch ein Ehebruch gebe den Verfehlungen des anderen Ehegatten gegenüber nicht den Ausschlag, wenn die Ehe bei dessen Begehung wegen des Verhaltens des anderen Ehegatten bereits unheilbar zerrüttet war. Eine Abwägung unter diesen Gesichtspunkten rechtfertige nicht den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens eines der Streitteile. Soweit das Erstgericht das überwiegende Verschulden des Klägers darin erblicke, daß er schließlich aus der ehelichen Wohnung eigenmächtig ausgezogen und mit der Schwester der Beklagten Adolfine P*** ein Verhältnis eingegangen sei, sei zu beachten, daß er dieses Verhältnis erst dann eingegangen sei, als die Ehe wegen des Verhaltens der Beklagten bereits unheilbar zerrüttet gewesen sei. Diese Zerrüttung habe die Beklagte herbeigeführt, weil sie den Kläger vor der Abreise ins Rehabilitationszentrum nach dessen zweitem Herzinfarkt mit einem eisernen Krokodil geschlagen und ihm einen Stuhl nachgeworfen habe, wodurch sich der Kläger eine Zehe gebrochen habe. Da somit die ehewidrige Beziehung des Klägers zu Adolfine P*** die schon bestehende Zerrüttung der Ehe keineswegs vertieft habe, könne dem Kläger nicht deswegen das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe angelastet werden. Stelle man seinen Eheverfehlungen - seiner Neigung zum Alkohol und den Mißhandlungen der Beklagten - deren Verfehlungen - die wiederholten schweren Beschimpfungen des Klägers, dessen Ausweisung aus der ehelichen Wohnung bzw. die Verweigerung des Einlasses in die Wohnung und die Bedrohung und Mißhandlung des Klägers - gegenüber, könne keine Rede davon sein, daß das Verschulden des Beklagten fast völlig in den Hintergrund trete. Die von der Beklagten erhobene Revision, mit der sie lediglich den Ausspruch, daß den Kläger das überwiegende Verschulden treffe, anstrebt, ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens von Ehegatten ist vor allem zu berücksichtigen, wer von ihnen die Zerrüttung der Ehe eingeleitet hat, aber auch von wem der entscheidende Beitrag dazu stammt, daß die Zerrüttung unheilbar wurde (EFSlg. 51.644, 51.646 f ua). Dabei sind die Umstände in ihrer Gesamtheit zu beurteilen (EFSlg. 51.642 ua). Hingegen sind Eheverfehlungen und selbst dem Ehebruch zu einer Zeit, da die Zerrüttung bereits unheilbar geworden ist und keiner der Ehegatten auf die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft mehr hoffen konnte, für die Frage, welchen der Ehegatten das überwiegende Verschulden trifft, keine entscheidende Bedeutung beizumessen (EFSlg. 51.652 ff ua). Das überwiegende Verschulden eines Ehegatten ist nur anzunehmen, wenn der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (EFSlg. 51.659 f uva); das Verschulden des einen Ehegatten muß also erheblich schwerer wiegen als das des anderen, so daß das Verschulden dieses Teils geradezu in den Hintergrund tritt (EFSlg. 51.658 ua).

Bei Bedachtnahme auf diese Grundsätze ist der Verschuldensabwägung des Gerichtes zweiter Instanz, das den von der Beklagten begehrten Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Klägers abgelehnt hat, beizupflichten. Die Neigung des Klägers zum Alkohol und die - gewiß daraus resultierenden - Mißhandlungen der Beklagten durch ihn sind ebenso als schwere Eheverfehlungen zu beurteilen wie die ordinären Beschimpfungen des Klägers durch die Beklagte, ihre verbalen und mit dem erhobenen Küchenmesser bewirkten Bedrohungen des Klägers durch die Beklagte sowie die wiederholten Ausweisungen des Klägers aus der Ehewohnung durch sie. Als sich der Kläger nach seinem zweiten Herzinfarkt in stationäre Pflege eines Rehabilitationszentrums begab, hat die Beklagte den Kläger trotz seines Herzleidens neuerlich attackiert, mit einer schweren Eisenskulptur nach ihm geschlagen und ihm schließlich sogar einen Sessel nachgeworfen und ihn dabei erheblich verletzt. Es kann kein Zweifel bestehen, daß die Ehe zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig zerrüttet war. Daß der Kläger nach der Ausweisung durch die Beklagte bei deren Schwester Zuflucht suchte und sich daraus, nachdem die eheliche Gemeinschaft ohnehin bereits aufgehoben war, sexuelle Beziehungen ergaben, mag ihm zwar noch als Eheverfehlung oder der besondere Scheidungsgrund des § 47 EheG zur Last fallen; es kann aber keine Rede davon sein, daß deshalb die Eheverfehlungen der Beklagten geradezu in den Hintergrund getreten wären. Soweit sich die Beklagte in der Revision auf eine bestimmte Aussage der Zeugin Regine W*** beruft, übersieht sie, daß dieser Teil ihrer Aussage vom Erstgericht nicht als Grundlage einer bestimmten Feststellung, sondern lediglich als Argument für ihre Glaubwürdigkeit herangezogen wurde.

Da das Verschulden des Klägers jedenfalls nicht erheblich schwerer wiegt als jenes der Beklagten, ist deren Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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