OGH 2Ob161/88

OGH2Ob161/8824.1.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Kurt P***, ÖBB-Bediensteter, Swikerstraße 32, 8051 Graz, vertreten durch Dr. Bernd Fritsch und Dr. Klaus Kollmann, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagten Parteien 1) Karl F***, ÖBB-Bediensteter, 8321 St. Margarethen/Raab 123, und 2) Z*** K*** Versicherungen-AG, Schwarzenbergplatz 15, 1015 Wien, beide vertreten durch Dr. Helmut Destaller und Dr. Gerald Mader, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 859.000,-- sA (Revisionsstreitwert S 90.000,--), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 10. Mai 1988, GZ 1 R 85/88-24, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 25. Jänner 1988, GZ 6 Cg 214/86-19, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger wurde am 27.9.1984 in Graz bei einem vom Erstbeklagten als Halter und Lenker eines bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW verschuldeten Verkehrsunfall verletzt. Die Schadenersatzpflicht der Beklagten ist dem Grunde nach unbestritten.

Der Kläger begehrte im vorliegenden Rechtsstreit aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 859.000,-- sA. Der Klagsbetrag umfaßt unter anderem ein Schmerzengeld von S 600.000,--.

Die Beklagten wendeten ein, daß dieses vom Kläger verlangte Schmerzengeld überhöht sei.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 778.000,-- sA und wies das auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 81.000,-- sA gerichtete Mehrbegehren des Klägers ab. Der Zuspruch des Erstgerichtes umfaßt unter anderem einen Betrag von S540.000,-- aus dem Rechtsgrund des Schmerzengeldes.

Das Erstgericht stellte im wesentlichen folgenden für die Schmerzengeldbemessung erheblichen Sachverhalt fest:

Der Kläger erlitt bei dem Unfall vom 27.9.1984 ein Schädelhirntrauma im Sinne einer Gehirnerschütterung, eine Zerreißung der Hauptschlagader des rechten Armes mit kompletter Lähmung des Armnervengeflechtes, eine Verrenkung der rechten Hüfte sowie eine schwere offene Verrenkung des rechten Kniegelenkes mit Zerreißung sämtlicher Bandstrukturen. In der ersten Zeit nach dem Unfall bestand für den Kläger akute Lebensgefahr. Er befand sich vom Unfallstag bis 22.10.1984 und vom 11.12. bis 21.12.1984 in stationärer Behandlung im LKH Graz, wo die notwendigen operativen Maßnahmen durchgeführt wurden. Vom 6.11. bis 22.11.1984 befand er sich im Rehabilitationszentrum Tobelbad.

Die sehr schweren Verletzungen des Klägers bewirkten Dauerfolgen, nämlich eine komplette Lähmung des rechten Armes (motorisch und sensibel) mit sekundären negativen Auswirkungen auf die gesamte Wirbelsäule, eine Verkürzung des rechten Beines mit Versteifung des Kniegelenkes und eine Schwellneigung des rechten Beines im Sinne eines venösen Durchblutungsschadens. Auch die Beinverkürzung wird sich auf lange Sicht negativ auf die Wirbelsäule auswirken.

Durch die Operationsnarben ist auch ein schwerer kosmetischer Dauerschaden eingetreten.

Auch bei einem Ausgleich der Beinlängendifferenz durch eine Schuherhöhung ist das im Kniegelenk versteifte rechte Bein in der Schwungphase stark beeinträchtigt. Dieser sehr untypische Gang ist auffallend und stellt eine Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung des Klägers beim Gehen dar.

Die Lähmung des rechten Armes ist auch beim Tragen eines Kleidungsstückes insofern sichtbar, als keine Spontanbewegungen durchgeführt werden können. Diese Lähmung fällt auch einem medizinischen Laien auf. Der Kläger ist wegen der Armlähmung nicht in der Lage, festere Speisen zweihändig zu zerkleinern oder zu zerschneiden. Beim Ankleiden, insbesondere beim Anziehen der Beinkleider, ist der Kläger nicht nur durch diese Lähmung, sondern auch noch durch die Versteifung des rechten Kniegelenkes behindert; er bedarf daher einer Hilfe.

Nach dem Unfall und nach den operativen Eingriffen litt der Kläger an sehr starken bis qualvollen Schmerzen; danach traten starke Schmerzen intermittierend auf. Zwischendurch und anschließend mußte er mittelstarke und leichte Schmerzen mit abklingender Intensität erdulden. Auch in Zukunft werden fallweise intermittierend mittelstarke und häufiger leichte Schmerzen im Bereich des rechten Armes und des rechten Beines auftreten. Unter der Voraussetzung eines weiterhin komplikationslosen Normverlaufes ergeben sich komprimiert folgende Schmerzperioden: 5 Tage sehr starke bis qualvolle, 35 Tage starke, 70 Tage mittlere und 180 Tage leichte körperliche Schmerzen.

Die beim Kläger eingetretene unfallsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 90 bis 100 %.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß dem Kläger ein Schmerzengeld von S 540.000,-- gebühre.

Der gegen diese Entscheidung des Erstgerichtes gerichteten Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht teilweise Folge. Es bestätigte mit Urteil die Entscheidung des Erstgerichtes, die in ihrem klagsabweisenden Teil und im Umfang des Zuspruches eines Betrages von S 451.000,-- sA als nicht in Beschwerde gezogen in Rechtskraft erwuchs, bezüglich des Zuspruches eines Betrages von S 140.000,-- sA, hob sie aber im übrigen, nämlich im Umfang des Zuspruches eines Betrages von S 187.000 sA (Ersatz von Pflegekosten), mit Beschluß ohne Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Das Berufungsgericht billigte, ausgehend von den unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Erstgerichtes über die dem Kläger zugefügten Verletzungen und ihre Folgen, die Schmerzengeldbemessung des Erstgerichtes.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten. Sie bekämpfen es im Umfang des Zuspruches eines Betrages von S 90.000,-- sA (Schmerzengeld) an den Kläger aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, "daß vom Klagebegehren ein weiterer Betrag von S 90.000,-- samt 4 % Zinsen seit 7.10.1986 abgewiesen werde und dem Kläger daher insgesamt unter Einbeziehung der unbekämpften Zusprüche erster und zweiter Instanz nicht mehr als einen Betrag von S 501.000,-- sA zuerkannt werde". Der Kläger hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision der Beklagten keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Hinblick auf die Höhe des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht entschieden hat, ohne die im § 503 Abs 2 ZPO normierte Einschränkung der Revisionsgründe zulässig, sachlich aber nicht berechtigt. Die Beklagten versuchen in ihrer Rechtsrüge darzutun, daß dem Kläger nur ein Schmerzengeld von S 450.000,-- gebühre. Dem ist nicht zu folgen.

Der Kläger hat gemäß § 1325 ABGB Anspruch auf ein den erhobenen Umständen angemessenes Schmerzengeld. Das Schmerzengeld ist die Genugtuung für alles Ungemach, das der Geschädigte infolge seiner Verletzungen und ihrer Folgen zu erdulden hat. Es soll den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und die Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzung und auf das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes abgelten, die durch die Schmerzen entstandenen Unlustgefühle ausgleichen und den Verletzten in die Lage versetzen, sich als Ersatz für seine Leiden und anstelle der ihm entzogenen Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen. Hieraus folgt einerseits, daß bei der Bemessung des Schmerzengeldes auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, andererseits aber zur Vermeidung von Ungleichmäßigkeiten in der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen ist (ZVR 1987/124, 125 mwN uva). Die bei der Schmerzengeldbemessung gebotene Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles läßt fast immer einen Vergleich mit Zusprüchen in anderen Fällen als problematisch erscheinen. Die von den Beklagten in ihrer Revision zitierte oberstgerichtliche Entscheidung bietet im Hinblick auf die Zeit ihrer Fällung und die Art der ihr zugrundeliegenden Körperschäden keine wesentliche Entscheidungshilfe für den vorliegenden Fall.

Hier steht im Vordergrund, daß der Kläger bei dem Unfall vom 27.9.1984 eine Vielzahl von schweren Verletzungen erlitt, die nicht nur den Kläger in Lebensgefahr brachten und zu teilweise qualvollen Schmerzen führten, sondern auch mehrere Operationen erforderlich machten. Der Kläger hat sehr weitgehende gesundheitliche Dauerfolgen erlitten (nach dem Akteninhalt handelt es sich im wesentlichen um eine komplette Lähmung des rechten Armes und um eine mit einer wesentlichen Verkürzung und Durchblutungsstörung des rechten Beines verbundene Versteifung des rechten Kniegelenks) und ist körperlich durch die verbliebenen Operationsnarben, die Lähmung seines rechten Armes und die verbliebene Gangstörung entstellt. Er ist durch die Verletzungsfolgen in seiner Lebensführung in hohem Maße beeinträchtigt; so bedarf er etwa beim Ankleiden und fallweise auch bei der Nahrungsaufnahme der Hilfe anderer. Diese sehr schwerwiegenden Verletzungsfolgen und die dadurch zweifellos bedingte psychische Beeinträchtigung des Klägers können durch ein Schmerzengeld in der in der Revision der Beklagten zugestandenen Höhe von S 450.000,-- nicht angemessen abgegolten werden. Im Hinblick auf die Vielzahl der Verletzungen des Klägers, den teilweise qualvollen Heilungsverlauf, die Art und die Dauer der dem Kläger zugefügten Schmerzen und die Schwere der verletzungsbedingt verbliebenen Dauerfolgen ist vielmehr in der Bemessung des dem Kläger zustehenden Schmerzengeldes mit S 540.000,-- durch die Vorinstanzen ein Rechtsirrtum nicht zu erkennen.

Der Revision der Beklagten muß daher ein Erfolg versagt bleiben. Der Vorbehalt der Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 Abs 2 ZPO.

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