OGH 10ObS342/88

OGH10ObS342/8810.1.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Heinrich Basalka (Arbeitgeber) und Leopold Smrcka (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Lycina A***, Malfattigasse 7/2/3, 1120 Wien, vertreten durch Dr. Karin Stöhr, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A*** U***, Adalbert

Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Versehrtenrente infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. September 1988, GZ 32 Rs 132/88-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 11. Jänner 1988, GZ 13 Cgs 1251/87-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 9. September 1987 entzog die beklagte Partei die der Klägerin für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 30. November 1985 gewährte vorläufige Versehrtenrente von 20 % der Vollrente ab 1. November 1987 und sprach aus, daß ein Anspruch auf Dauerrente nicht bestehe.

Das Erstgericht wies das Begehren, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, der Klägerin aus Anlaß des Arbeitsunfalles vom 30. November 1985 eine Versehrtenrente im Ausmaß von 20 % der Vollrente als Dauerrente ab 1. November 1987 zu gewähren, ab. Es stellte fest, daß die Klägerin am 30. November 1985 bei einem Sturz einen Bruch des rechten Schenkelhalses erlitten hat. Es wurde eine operative Versorgung durchgeführt, die Metallteile liegen noch. Im übrigen besteht bei der Klägerin unabhängig von diesem Unfall ein Zustand nach Amputation des rechten Unterschenkels, welche bereits in der Kindheit durchgeführt wurde. Der knöchern konsolidierte Bruch des rechten Schenkelhalses ist in guter Stellung geheilt. Die Klägerin hat eine geringe Bewegungseinschränkung in der Hüfte und glaubhafte subjektive Beschwerden, welche jedoch in erster Linie durch die Oberschenkelprothese und die noch implantierten Metallteile hervorgerufen werden. Eine Verschlechterung im Zustand ist nicht zu erwarten.

Weil damit die Minderung der Erwerbsfähigkeit das gemäß § 203 Abs.1 ASVG erforderliche Mindestausmaß von 20 % nicht erreiche, sei das Klagebegehren abzuweisen.

Das Berufungsgericht gab der wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Tatsachenfeststellung und unrichtiger Beweiswürdigung erhobenen Berufung der Klägerin keine Folge. Es verneinte aus rechtlichen Gründen das Vorliegen der gerügten angeblichen Verfahrensmängel, billigte die Beweiswürdigung des Erstgerichtes und dessen rechtliche Beurteilung, da die Minderung der Erwerbsfähigkeit abstrakt und nicht berufsbezogen zu bemessen sei. Das Erstgericht habe die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit durch den Sachverständigen mit 10 % zu Recht seiner rechtlichen Beurteilung zugrundegelegt, weil auch kein Härtefall vorliege.

Rechtliche Beurteilung

In ihrer gegen dieses Urteil erhobenen Revision macht die Klägerin Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend.

Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens rügt die Revisionswerberin angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz - das Unterbleiben der Einholung eines unfallchirurgischen Sachverständigengutachtens sowie Verletzung der Pflicht, die Klägerin zur Stellung eines solchen Beweisantrages sowie dazu anzuleiten, den Bescheid des Landesinvalidenamtes über die Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit vorzulegen - die in der Berufung nicht geltend gemacht wurden. Solche allfällige Mängel des Verfahrens erster Instanz können auch in Sozialrechtssachen mit Revision nicht mehr geltend gemacht werden (SSV-NF 1/68). Die in der Berufung behauptete "Verletzung der Anleitungspflicht" wurde aber nicht näher ausgeführt.

Das Erstgericht hat auf Grund des eingeholten Sachverständigengutachtens festgestellt, daß eine Verschlechterung im Zustand der Klägerin nicht zu erwarten ist. Die Ausführungen in der Revision, es sei im Gegensatz hiezu mit höchster Wahrscheinlichkeit mit künftigen Komplikationen zu rechnen, stellen eine unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung dar. Im übrigen ist bei Beurteilung des Gesundheitszustandes auf den Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz abzustellen, sodaß allfällige künftige Verschlechterungen nur zu einer neuen Antragstellung berechtigen könnten.

Selbst wenn man in den Berufungsausführungen, das Erstgericht habe Feststellungen über die Auswirkungen der künftig vorzunehmenden Entfernung der implantierten Metallteile unterlassen, noch eine Rechtsrüge als Voraussetzung für die Möglichkeit einer Bekämpfung der Rechtsansicht der Unterinstanzen mit Revision erblicken will - eine formelle Rechtsrüge wurde nämlich nicht erhoben und dementsprechend auch nur ein Aufhebungsantrag gestellt - sind die Rechtsausführungen des Berufungsgerichtes zutreffend (§ 48 ASGG). Da die Unfallversicherung keine Berufsversicherung darstellt, kann die Unmöglichkeit, den bisherigen Beruf weiterhin ausüben zu können, noch keinen Härtefall darstellen ähnlich die deutsche Rechtsprechung: Brackmann, Handbuch III 56. Nachtrag 569. Nur wenn die besonderen Umstände des Einzelfalles, etwa eine so spezialisierte Berufsausbildung, die eine anderweitige Verwendung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt praktisch gar nicht zuläßt oder in weit größerem Umfang einschränkt als in durchschnittlichen Fällen mit vergleichbaren Unfallfolgen, könnten von einem besonders zu berücksichtigenden Härtefall gesprochen werden. Die allgemeine Situation auf dem Arbeitsmarkt oder mangelnde Deutschkenntnisse, die nur auf die konkrete Möglichkeit, einen Arbeitsplatz zu finden, abzielen und damit in den Bereich der Arbeitslosenversicherung fallen, stellen keine geeigneten Kriterien für die Annahme eines Härtefalles dar. Davon kann auch bei dem Alter der Klägerin von 45 Jahren nicht gesprochen werden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Revisionskosten beruht auf § 77 Abs.1 Z 2 lit.b ASGG (SSV-NF 1/19).

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