OGH 14Os176/88 (14Os177/88)

OGH14Os176/88 (14Os177/88)21.12.1988

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.Dezember 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Burianek als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Franz M*** wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127 ff sowie 15 StGB und anderer strafbarer Handlungen, über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Bezirksgerichtes Hartberg vom 6. Juni 1988, GZ U 116/88-25, und des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 16.Mai 1988, GZ 4 Vr 676/88-22, sowie mehrerer mit der Anwendung des § 494 a StPO zusammenhängende Vorgänge, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Gesetz ist verletzt

a/ durch den Vorgang, daß das Landesgericht für Strafsachen Graz mit Urteil vom 16.Mai 1988, GZ 4 Vr 676/88-22, die Strafe unter Einbeziehung eines nachträglichen Ausspruches der Strafe (§ 13 JGG) für den Schuldspruch durch das Bezirksgericht Hartberg im Urteil vom 12. Dezember 1985, GZ U 878/85-9, bemaß, ohne in den Akt des Bezirksgerichtes Hartberg über dieses frühere Urteil oder eine Abschrift der dortigen Entscheidung Einsicht zu nehmen, in der Bestimmung des § 494 a Abs. 3 StPO;

b/ durch das Unterbleiben eines Ausspruches des Landesgerichtes für Strafsachen Graz darüber, daß im Verfahren U 878/85 des Bezirksgerichtes Hartberg ein nachträglicher Strafausspruch nicht mehr in Betracht kommt, in der Bestimmung des § 494 a Abs. 1 Z 3 StPO;

c/ durch den Vorgang, daß das Landesgericht für Strafsachen Graz von seiner im Urteil vom 16.Mai 1988, GZ 4 Vr 676/88-22, enthaltenen Entscheidung nach § 494 a Abs. 1 Z 3 StPO nicht unverzüglich das Bezirksgericht Hartberg verständigte, in der Bestimmung des § 494 a Abs. 7 StPO;

d/ durch das Urteil des Bezirksgerichtes Hartberg vom 6. Juni 1988, GZ U 116/88-25, in dem im XX. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der materiellen Rechtskraft.

Das letztgenannte Urteil wird aufgehoben.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 16. Mai 1988, GZ 4 Vr 676/88-22, wurde der Jugendliche Franz M*** neben zwei anderen strafbaren Handlungen des Verbrechens des teils versuchten und teils vollendeten Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 und Z 2 sowie 15 StGB und des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB "in Verbindung mit § 12, zweite Alternative StGB" schuldig erkannt.

Das Gericht verhängte über Franz M*** einschließlich des nachträglichen Ausspruches der Strafe (§ 13 JGG) zum Schuldspruch durch das Bezirksgericht Hartberg mit Urteil vom 12.Dezember 1985, GZ U 878/85-9, gemäß § 494 a Abs. 1 Z 3 StPO unter Bedachtnahme gemäß §§ 31 und 40 StGB auf das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 29.Februar 1988, GZ 4 Vr 4137/87-27, eine zusätzliche Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten. Dieses Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz blieb unangefochten und erwuchs mit Ablauf des 19.Mai 1988 in Rechtskraft. Die getrennte Erfassung von Diebstahlsfakten widerspricht zwar dem im § 29 StGB vorgesehenen Zusammenrechnungsprinzip und stellt einen der Nichtigkeitssanktion der Z 10 des § 281 Abs. 1 StPO unterliegenden Fehler dar. Dieser wirkte sich aber vorliegend nicht zum Nachteil des Angeklagten aus, weil insoweit keine Verurteilung mit einem qualitativ höheren Unrechtsgehalt zum Ausdruck kam als bei rechtsrichtiger Unterstellung der Tat (15 Os 141/87, 13 Os 19/88), weshalb er auf sich beruhen kann. Bei der Strafzumessung ging das Jugendschöffengericht nämlich zutreffend nur von der Verübung eines Verbrechens (des Diebstahls) und zweier Vergehen (der Urkundenunterdrückung und des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen) aus.

Rechtliche Beurteilung

Bei der Anwendung des § 494 a StPO sind jedoch Gesetzesverstöße unterlaufen, die es erfordern, Maßnahmen zu treffen:

Zunächst unterließ es das Gericht, entsprechend dem § 494 a Abs. 3 StPO vor der Entscheidung in den Akt U 878/85 des Bezirksgerichtes Hartberg oder wenigstens in eine Abschrift des dortigen Urteils Einsicht zu nehmen. Ferner unterblieb der im § 494 a Abs. 1 Z 3 StPO vorgesehene (beschlußmäßige) Ausspruch, daß in dem früheren Verfahren des Bezirksgerichtes Hartberg, in dem die bedingte Verurteilung ergangen war, ein nachträglicher Strafausspruch nicht mehr in Betracht kommt. Schließlich entsprach das Landesgericht für Strafsachen Graz auch nicht dem in § 494 a Abs. 7 StPO enthaltenen Gebot unverzüglicher Verständigung jener Gerichte, deren Vorentscheidungen von einer im Sinne des § 494 a Abs. 1 StPO ergangenen Entscheidung betroffen sind. Diese hier gegenüber dem Bezirksgericht Hartberg bestandene Pflicht zur Verständigung von Entscheidungen nach § 494 a Abs. 1 StPO soll sicherstellen, daß das ohne Eingreifen der Regelung des § 494 a StPO zuständige Gericht von einer erfolgten Zuständigkeitsverschiebung sowie einer seine Vorentscheidung betreffenden Verfügung Kenntnis erhält und keine diesbezügliche Zuständigkeit mehr in Anspruch nimmt. Zur Erreichung dieses Zieles hat die vorgeschriebene Verständigung sogleich nach der jeweiligen Entscheidung ohne Rücksicht darauf zu erfolgen, ob das Erkenntnis schon ausgefertigt ist und ob es rechtskräftig ist. Die Verständigung muß insbesondere dann mit besonderer Dringlichkeit vorgenommen werden, wenn - wie im vorliegenden Fall - dem erkennenden Gericht jene Vorakten über andere Verfahren gar nicht zur Verfügung stehen und demgemäß in dieser Hinsicht kein manipulatives Hindernis dagegen wirksam ist, daß das andere Gericht in Unkenntnis von der gemäß § 494 a Abs. 1 StPO ergangenen Entscheidung und des demgemäß eingetretenen Verlustes der eigenen Entscheidungsbefugnis in diesem Umfang Rechtsprechungsakte setzt. Daher wurde mit der erst in der Endverfügung (ON 23) getroffenen, am 1.Juni 1988 in der Gerichtskanzlei eingelangten und am 8.Juni 1988 abgefertigten richterlichen Anordnung, eine Ausfertigung des schon am 16.Mai 1988 gefällten Urteils dem Bezirksgericht Hartberg zu dessen Verfahren U 878/85 zu übermitteln, der gesetzlichen Vorschrift einer unverzüglichen Verständigung nicht entsprochen.

Das Unterbleiben der Verständigung hatte zur Folge, daß das Bezirksgericht Hartberg - bei welchem die Urteilsausfertigung des Landesgerichtes für Strafsachen Graz erst am 13.Juni 1988 einlangte - in seinem Verfahren U 878/85 (fortgesetzt unter dem Aktenzeichen U 116/88) ohne Kenntnis von dem im Sinne des § 494 a Abs. 1 Z 3 StPO ergangenen einbeziehenden Strafausspruch seinerseits mit (rechtskräftigem) Urteil vom 6.Juni 1988 (ON 25) gemäß § 46 Abs. 4 JGG eine nachträgliche Festsetzung der Strafe vornahm und über Franz M*** eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Wochen verhängte.

Zu diesem Strafausspruch sei nur am Rande erwähnt, daß nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Straffestsetzung gemäß §§ 31 und 40 StGB auf Verurteilungen in früheren Verfahren Rücksicht zu nehmen gewesen wäre (SSt 56/3 ua) und ferner die im § 13 Abs. 2 JGG vorgesehene Vollziehung einer Strafe deren bedingte Nachsicht begrifflich ausschließt (EvBl 1976/266).

Das Ergänzungsurteil des Bezirksgerichtes Hartberg betraf eine bereits verbrauchte Strafklage, über die schon zuvor das Landesgericht für Strafsachen Graz mit Urteil vom 16.Mai 1988, GZ 4 Vr 676/88-22, rechtskräftig abgesprochen hatte, weshalb das neuerliche Erkenntnis gegen den sich aus dem XX. Hauptstück der StPO ergebenden Grundsatz der materiellen Rechtskraft derartiger gerichtlicher Entscheidungen und ihre darauf beruhende, üblicherweise mit den Begriffen "res judicata" oder "ne bis in idem" charakterisierte Sperrwirkung verstieß. Da sich diese im Ergebnis als Doppelverurteilung wirksame Straffestsetzung durch das Bezirksgericht Hartberg zum Nachteil des Franz M*** auswirkt, war in Stattgebung der vom Generalprokurator gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Beschwerde mit einer Kassierung des zuletzt erwähnten Urteils vorzugehen, wogegen es in den übrigen Punkten mit der Feststellung der unterlaufenen Gesetzesverletzungen sein Bewenden haben konnte.

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