OGH 7Ob716/88

OGH7Ob716/8815.12.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ernst M***, geboren am 4. Juni 1940 in Langau, Maurer, Gänserndorf-Süd, Buchengasse 12, vertreten durch Dr. Friedrich Weber, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Katharina M***, geb. M***, geboren am 22. November 1942, in Bugac, Hausfrau, Wien 2., Stuwerstraße 43/21, vertreten durch Dr. Hans Otto Schmidt, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 5. August 1988, GZ 43 R 2010/88-19, womit infolge Berufungen beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 14. Jänner 1988, GZ 17 C 513/87-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die Hälfte der mit S 9.094,85 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten S 38,-- Barauslagen und S 823,35 Umsatzsteuer), d.s. S 4.547,42 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht schied die zwischen den Streitteilen am 24. Dezember 1964 geschlossene Ehe mit dem Ausspruch, daß das überwiegende Verschulden die Beklagte trifft. Nach seinen Feststellungen spricht die Beklagte seit dem Jahre 1979 in steigendem, schließlich in exzessivem Ausmaß dem Alkohol zu. Sie hatte wiederholt in der Ehewohnung ehebrecherische Beziehungen zu anderen Männern. Aus diesen Gründen zog der Kläger im Mai 1984 aus der Ehewohnung aus. Bis zu diesem Zeitpunkt hat er die Beklagte "in begreiflicher Erregung nach vorangegangenen Provokationen in geringfügiger Weise" geschlagen. Ehewidrige Beziehungen des Klägers nahm das Erstgericht nicht als erwiesen an.

Nach der Auffassung des Erstgerichtes rechtfertigten schon die festgestellten Ehebrüche der Beklagten die Scheidung der Ehe. Hinzu käme, daß der Beklagten ihr Alkoholismus als schwere Eheverfehlung anzulasten sei. Das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe die Beklagte, weil im Vergleich zu ihren schwerwiegenden Eheverfehlungen die geringfügigen Tätlichkeiten des Klägers bei der Verschuldensabwägung zurückträten.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, daß es das Alleinverschulden der Beklagten an der Scheidung der Ehe aussprach. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte auch dessen Rechtsansicht bei der Beurteilung des festgestellten Verhaltens der Beklagten. Entgegen der Meinung des Erstgerichtes sei jedoch der Ausspruch des Alleinverschuldens der Beklagten gerechtfertigt. Nach § 60 Abs. 2 EheG sei ein überwiegendes Verschulden eines Ehegatten nur dann auszusprechen, wenn dieses erheblich schwerer wiege als das des anderen. Die Tätlichkeiten des Klägers gegen die Beklagte seien jeweils in Erregung und aufgrund vorangegangener Provokationen der Beklagten erfolgt. Diese Eheverfehlungen seien nicht so schwerwiegend, daß sie nicht im Vergleich zu den von der Beklagten gesetzten Eheverfehlungen gänzlich in den Hintergrund treten könnten.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der Beklagten ist zum Teil berechtigt.

Auf die Revisionsausführungen zur Streitanhängigkeit braucht nicht eingegangen zu werden. Hat nämlich das Berufungsgericht, wie hier, die Streitanhängigkeit von Amts wegen geprüft und - wenn auch nur in den Entscheidungsgründen - verneint, ist der Oberste Gerichtshof daran gebunden (SZ 54/190).

Beizupflichten ist der Revision darin, daß die Feststellungen des Erstgerichtes über die Tätlichkeiten des Klägers unpräzise sind. Aus den Ausführungen des Erstgerichtes zur Beweiswürdigung ergibt sich jedoch zweifelsfrei, daß das Erstgericht als erwiesen annahm, daß der Kläger der Beklagten einmal, nach der Geburt des gemeinsamen Kindes, eine Ohrfeige gab, nachdem sie ihn angespuckt hatte, und daß er sie in der Folge öfter deshalb schlug, weil sie in der Nacht betrunken nach Hause kam. Insoweit die Rechtsrüge davon ausgeht, daß der Kläger die Beklagte schon seit dem Jahre 1965 grundlos geschlagen hat und ein Zusammenhang zwischen den Mißhandlungen des Klägers und dem Verhalten der Beklagten besteht, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt.

Es trifft zwar zu, daß bei der Verschuldensabwägung zu berücksichtigen ist, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe begonnen hat. Ebenso ist jedoch auch maßgeblich, wer den entscheidenden Beitrag zur Zerrüttung der Ehe geleistet hat und durch wessen Eheverfehlungen die Zerrüttung der Ehe unheilbar wurde (EFSlg. 51.643, 48.825 uva). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen kann es aber nicht zweifelhaft sein, daß die Beklagte durch ihren zunehmenden Alkoholmißbrauch, der eine schwere Eheverfehlung darstellt (EFSlg. 51.581 mwN), die Zerrüttung der Ehe eingeleitet und durch die mehrfachen Ehebrüche den entscheidenden Beitrag dazu geleistet hat, daß die Zerrüttung der Ehe unheilbar wurde. Der Hinweis der Revision darauf, daß im Zeitpunkt des beginnenden Alkoholismus der Beklagten und ihrer Ehebrüche die Ehe bereits unheilbar zerrüttet gewesen sei, hat im festgestellten Sachverhalt ebensowenig eine Grundlage wie die Behauptung, daß zwischen den Ehebrüchen der Beklagten und den Mißhandlungen des Klägers ein Zusammenhang bestehe. Selbst grundlose und wiederholte Tätlichkeiten des Klägers könnten überdies die mehrfachen Ehebrüche der Beklagten nicht rechtfertigen.

Aus dem Grundsatz, daß ein überwiegendes Verschulden nur dann auszusprechen ist, wenn die Schuld des einen Ehegatten erheblich schwerer ist als die des anderen (EFSlg. 51.658), läßt sich aber nicht ableiten, daß Eheverfehlungen des einen Ehegatten die im Vergleich zu den schwerwiegenden Eheverfehlungen des anderen in den Hintergrund treten, zum Ausspruch des alleinigen Verschuldens des anderen Ehegatten führen. Der Ausspruch eines Mitverschuldens ist immer gerechtfertigt, wenn der beklagte Ehegatte aufgrund der betreffenden Umstände auf Scheidung wegen Verschuldens klagen hätte können (EFSlg. 51.655). Nur ein Verhalten, das als entschuldbare Reaktionshandlung zu qualifizieren wäre, hätte außer Betracht zu bleiben. Eine entschuldbare Reaktionshandlung liegt aber nur dann vor, wenn sich ein Ehepartner als unmittelbare Folge eines grob ehewidrigen Verhaltens des anderen dazu hinreißen läßt, in einer verständlichen Gemütsbewegung, die die Zurechnung seines Verhaltens als Verschulden ausschließt, eine Eheverfehlung zu setzen (EFSlg. 48.723 ua). Bei wiederholter Verletzung der Pflicht zur anständigen Begegnung durch einen längeren Zeitraum schließt schon das zeitliche Moment aus, diese als entschuldbare Reaktion auf ein ehewidriges Verhalten des anderen Partners zu qualifizieren (EFSlg. 51.571, 43.604, 33.897). Nach diesen Grundsätzen ist es dem Kläger anzulasten, wenn er die Beklagte durch einen längeren Zeitraum öfter schlug, wenn sie betrunken nach Hause kam. Demgemäß ist der Revision teilweise Folge zu geben. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 43 Abs. 1 und 50 ZPO. Da das Verschulden der Beklagten jedenfalls erheblich überwiegt, scheint eine Kostenteilung im Verhältnis von 3 : 1 gerechtfertigt. Für die erfolglose Berufung gebührt dem Kläger jedoch kein Kostenersatz.

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