OGH 8Ob692/88

OGH8Ob692/887.12.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Schwarz und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Firma L. L*** & Co, Zahnwarengroßhandlung, Spittelwiese 15, 4020 Linz, vertreten durch Dr. Alfred Haslinger, DDr. Heinz Mück und Dr. Peter Wagner, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei I*** Internationale Speditionsgesellschaft mbH, Hauptfrachtenbahnhof 4, 6010 Innsbruck vertreten durch Dr. Walter Waizer und Dr. Peter Waizer, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen S 77.583,49 sA infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 6. November 1987 GZ 4 R 135/87-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 4. Februar 1987, GZ 11 Cg 191/86-15, bestätigt und die Revision für unzulässig erklärt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Es wird der Revision Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zweiter Instanz zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Die klagende Partei betreibt eine Zahnwarengroßhandlung in Linz und hat u.a. in Innsbruck eine Zweigniederlassung. Die beklagte Partei betreibt ein Speditionsunternehmen.

Am 27. November 1985 wurde der beklagten Partei von der Zentrale der klagenden Partei in Linz fernschriftlich der Auftrag zur Einlagerung verschiedener Zahnarztausstattungsgegenstände erteilt; über die Versicherung der Güter, deren Wert und die Anwendbarkeit der Allgemeinen Österreichischen Spediteurbedingungen (AÖSp) erfolgte keine Absprache. Die Anwendung der AÖSp wurde zwischen den Parteien aber stillschweigend vereinbart. In der Folge wurden vom Lieferanten der klagenden Partei die späterhin zur Zahnarztordination des Dr. Xaver G*** in Rankweil zu befördernden Zahnarztausstattungsgegenstände im Lager der beklagten Partei in Rankweil abgeliefert; dem Lagerpersonal der beklagten Partei wurde ein Lieferschein übergeben, aus dem sich der angeführte Wert der beiden Zahnarbeitsplätze mit je S 171.407,- ergab. Die später beschädigten Zahnarztstühle hatten allein ohne Zubehör einen Wert von zumindest je S 100.000,-, sie hatten ein Gewicht von je 150 bis 200 kg, wozu noch an Verpackung rund je 5 bis 10 kg kamen. Die Zahnarztstühle waren mit mehreren Schichten Nylonmaterial von etwa 2 cm Stärke verpackt. Üblicherweise werden derartige Zahnarztstühle vom Lieferanten zusätzlich in Kartons verpackt, wenn sie nicht direkt durch den Lieferanten beim betreffenden Zahnarzt abgeliefert werden. Der Lieferant verfügt nämlich über LKWs mit speziellen Einrichtungen zur Verankerung der Zahnarztstühle auf der Ladefläche, so daß eine zusätzliche Verpackung über der Nylonumhüllung nicht erforderlich ist. Obwohl im vorliegenden Fall die Ware nicht direkt an den Zahnarzt geliefert, sondern von der beklagten Partei zwischengelagert und erst später weitertransportiert wurde, hielt der Innsbrucker Filialleiter der klagenden Partei eine zusätzliche Verpackung mit einem Karton nicht für erforderlich. am 13. Dezember 1985 wurden die beiden Zahnarbeitsplätze vereinbarungsgemäß von der beklagten Partei mit einem LKW zur Zahnarztordination des Dr. Xaver G*** in Frastanz befördert. Dabei befanden sich die beiden Zahnarztstühle jeweils auf einer sogenannten Europalette. Die Befestigung war aber derart mangelhaft beschaffen, daß die Stühle infolge der Bewegungen und Erschütterungen während der Fahrt zum Teil an einer Bordwand des LKWs, zum Teil aber auch einem mitbeförderten anderen Transportgut scheuern konnten. An den beiden Zahnarztstühlen entstanden dabei infolge Durchscheuerung der Nylonverpackung Schäden, deren Behebung den eingeklagten Betrag von S 77.583,49 erforderte. Die beklagte Partei hatte die vorliegenden Waren mittels eines Speditionsversicherungsscheines (SVS) über das Versicherungsbüro Dr. Ignaz F*** auf Rechnung der Klägerin versichert. Das Risiko einer Beschädigung der Zahnarztstühle durch schuldhaft mangelhafte Beförderung durch die beklagte Partei wäre durch diesen SVS gedeckt gewesen. Welchen Wert der Waren die beklagte Partei aber bei Abschluß der Versicherung gegenüber dem Versicherungsunternehmen angab, konnte vom Erstgericht nicht festgestellt werden. Mit Schreiben vom 8. Jänner 1986 wurde die beklagte Partei von der klagenden Partei zur Schadenersatzleistung aufgefordert. Sie meldete den Schaden an das Versicherungsunternehmen Dr. Iganz F***, welches bisher den Ersatz des Schadens wegen des fehlenden Nachweises eines Spediteurverschuldens ablehnte.

Die im vorliegenden Fall interessierenden Bestimmungen der AÖSp

sowie des SVS lauten:

AÖSp:

X. Speditionsversicherungsschein und Rollfuhrversicherungsschein (SVS und RVS):

§ 39. a) Der Spediteur ist, wenn der Auftraggeber es nicht ausdrücklich schriftlich untersagt hat, verpflichtet, die Schäden, die dem Auftraggeber durch den Spediteur bei der Ausführung des Auftrages erwachsen können, gemäß dem beigefügten "Speditionsversicherungsschein" (SVS), auf Kosten des Auftraggebers zu versichern. Die Versicherung soll bei denjenigen Versicherern gedeckt werden, die vom Fachverband der Spediteure hiezu beauftragt sind.

b) Nach Maßgabe der SVS werden auch Schäden versichert, die denjenigen Personen erwachsen können, denen das versicherte Interesse zur Zeit des den Schaden verursachenden Ereignisses zugestanden ist.

c) Es wird nachdrücklichst darauf hingewiesen, daß laut § 5 Z 1 SVS alle Schäden, die durch Transport- oder Lagerversicherung gedeckt sind oder üblicherweise gedeckt werden, von der Speditionsversicherung ausgeschlossen sind. Dagegen wird der Auftraggeber gegen die sogenannten Rollfuhrschäden gemäß dem beigefügten Rollfuhrversicherungsschein (RVS) versichert, soferne er diese Zusatzversicherung nicht ausdrücklich schriftlich untersagt hat.

§ 41. a) Hat der Spediteur infolge ausdrücklichen oder vermuteten Auftrages (§ 39) die Speditionsversicherung gedeckt, so ist er von der Haftung für jeden durch diese Versicherung gedeckten Schaden frei. Dies gilt insbesondere auch für den Fall, daß infolge fehlender oder ungenügender Wertangabe des Auftraggebers die Versicherungssumme hinter dem wirklichen Wert oder Schadensbetrag zurückbleibt.

  1. b) ...
  2. c) Hat der Spediteur entgegen dem § 39 a) die Speditionsversicherung nicht gemäß den Bedingungen des beigefügten SVS oder nicht bei den in § 39 a) bezeichneten Versicherern gedeckt, so darf er sich dem Auftraggeber gegenüber auf die AÖSp nicht berufen.

    ....

    XIII. Haftung des Spediteurs

    § 51 a): Der Spediteur haftet bei all seinen Verrichtungen (siehe § 2 a) grundsätzlich nur, soweit ihn ein Verschulden trifft. Die Entlastungspflicht trifft den Spediteur; ist jedoch ein Schaden am Gut äußerlich nicht erkennbar gewesen, oder kann aus sonstigen Gründen dem Spediteur die Aufklärung der Schadensursache nach Lage der Umstände billigerweise nicht zugemutet werden, so hat der Auftraggeber nachzuweisen, daß der Spediteur den Schaden verschuldet hat.

    Mit der vorliegenden Klage begehrte die klagende Partei den der Höhe nach unstrittigen Betrag als Schadenersatz vom beklagten Speditionsunternehmer, weil dieser durch unsachgemäße Beförderung den Schaden verschuldet und mangels Abschlusses einer "Transportversicherung gemäß § 39 AÖSp" für die eingetretenen Schäden voll hafte.

    Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte - soweit dies im Revisionsverfahren noch von Interesse ist - ein, sie sei von der Haftung gemäß § 41 a) AÖSp frei, weil sie ordnungsgemäß die Speditionsversicherung gedeckt habe. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es äußerte die Rechtsansicht, daß die beklagte Partei gemäß § 41 a) AÖSp von der Haftung für jeden durch den Speditionsversicherungsschein gedeckten Schaden frei sei, wenn sie - wie hier - ordnungsgemäß eine Speditionsversicherung gedeckt habe. Auf weitere Haftungsausschlüsse des Spediteurs oder Haftungsbeschränkungen sei daher nicht mehr einzugehen. Obwohl daher der Schaden erwiesenermaßen durch ein Verschulden auf Seiten der beklagten Partei eingetreten sei, nämlich durch den mangelhaften Transport von Rankweil nach Frastanz, treffe die beklagte Partei keine Haftung.

    Infolge Berufung der klagenden Partei bestätigte das Berufungsgericht das Ersturteil. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes, billigte auch dessen Rechtsansichten und führte ergänzend aus: Habe der Spediteur infolge ausdrücklichen oder vermuteten Auftrags eine Speditionsversicherung gedeckt, sei er von der Haftung für jeden durch diese Versicherung gedeckten Schaden frei. Dies gelte auch dann, wenn infolge fehlender oder ungenügender Bekanntgabe des Auftraggebers die Versicherungssumme hinter dem wirklichen Wert zurückbleibe. Es sei von der hiefür behauptungs- und beweispflichtigen klagenden Partei weder behauptet noch bewiesen worden, daß die beklagte Partei bei der Deckung der Speditionsversicherung im vorliegenden Fall einer Wertangabe durch die klagende Partei zuwider gehandelt hätte und die abgeschlossene Speditionsversicherung nicht den gesamten Schaden decke. Daß die Speditionsversicherung im vorliegenden Fall bisher die Schadensliquidierung abgelehnt habe, besage noch nichts darüber, daß eine Versicherungsdeckung aus der Speditionsversicherung etwa nicht bestehe.

    Obwohl die klagende Partei im Verfahren erster Instanz den Einwand, die beklagte Partei könne sich auf die AÖSp nicht berufen, weil sie den Schaden grob fahrlässig verschuldet habe, gar nicht erhoben hatte, ging das Berufungsgericht auf den von der klagenden Partei erstmals in der Berufung erhobenen diesbezüglichen Einwand ein. Es gelangte aber dabei zur Auffassung, daß der beklagten Partei grobe Fahrlässigkeit aus dem festgestellten Verhalten ihrer Leute beim Transport der Zahnbehandlungsstühle von Rankweil nach Frastanz, insbesondere auf Grund der Art der Sicherung der Ladung, nicht vorzuwerfen sei. Immerhin seien die in der Folge beschädigten Waren verpackt gewesen, hätten ein beträchtliches Eigengewicht und daher auch besondere Standfestigkeit aufgewiesen, seien auch auf einer Europalette - wenn auch nur ungenügend - befestigt und nur für eine kurze Strecke zu befördern gewesen, so daß aus dem Gesamtverhalten der Leute der beklagten Partei nicht geradezu der Eintritt eines Schadens zu erwarten gewesen wäre. Das Berufungsgericht erklärte die Revision für nicht zulässig, weil nur Rechtsfragen zu lösen gewesen seien, denen eine über den vorliegenden Rechtsfall hinausgehende erhebliche Bedeutung nicht zukomme.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes von der klagenden Partei erhobene außerordentliche Revision ist jedoch zulässig, weil das Berufungsgericht bei der Lösung der materiellrechtlichen Fragen der Verpflichtung eines Spediteurs, der den Wert des Speditionsgutes kennt, sonst jedoch vom Auftraggeber des Speditionsvertrages keine Weisungen hat, zur Deckung einer ausreichenden Speditionsversicherung (SVS) sowie zur Behauptungs- und Beweislast für den Abschluß einer ausreichenden Speditionsversicherung von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist. Der Oberste Gerichtshof hat nämlich in der Entscheidung HS 7.609 = HS VII (12) = VersR 1971, 679 ausgesprochen, daß die Behauptungs- und Beweislast dafür, daß der Spediteur infolge Deckung der Speditionsversicherung gemäß § 41 a) AÖSp von der Haftung frei sei, den Spediteur treffe. Diese Haftungsbefreiung habe eine schadendeckende Speditionsversicherung zur Voraussetzung. Es widerspräche den Grundsätzen des redlichen Verkehrs, wollte man den Spediteur auch dann schon von der Haftung befreien, wenn er nach den Umständen erkennen konnte, daß die von ihm abgeschlossene Speditionsversicherung den drohenden Schaden bei weitem nicht decke. Auch die Unterlassung eines gesonderten Auftrages auf Höherversicherung durch seinen Vertragspartner entbinde den Spediteur nicht von seiner Verpflichtung zum Abschluß einer höheren (ausreichenden) Versicherung, wenn ihm das höhere Versicherungsinteresse des Versenders klar erkennbar ist (HS VII

(12) mwH). Von einer fehlenden oder auch ungenügenden Wertangabe der klagenden Partei als Auftraggeber kann aber im vorliegenden Fall nicht die Rede sein, mußte doch die beklagte Partei - durch ihren Lagerverwalter - aus dem mit Eingang der Ware übernommenen Lieferschein eindeutig den Wert des Speditionsgutes entnehmen. Die Revision der klagenden Partei ist auch - mit ihrem Aufhebungsantrag - gerechtfertigt.

Der beklagten Partei ist im vorliegenden Verfahren für ihren Abwehreinwand, sie könne sich gemäß § 41 a) AÖSp auf Haftungsbefreiung wegen Abschlusses einer ausreichenden Speditionsversicherung berufen, bisher der Beweis nicht gelungen. Die Vorinstanzen haben die beklagte Partei auch nicht zum Nachweis ihrer diesbezüglichen Behauptung angehalten, weil sie rechtsirrtümlich den Beweis der Haftungsbefreiung nach § 41 a) AÖSp bereits als erbracht ansahen (Erstgericht) oder die Beweislast der klagenden Partei auferlegten (Berufungsgericht), so daß die Negativfeststellung zu ihren Lasten ginge. Im fortzusetzenden Verfahren wird daher die beklagte Partei aufzufordern sein, den Abschluß einer den vorliegenden Schaden voll deckenden Speditionsversicherung unter Beweis zu stellen. Gelingt ihr dies, wird neuerlich das Klagebegehren abzuweisen sein. Gelingt der beklagten Partei allerdings nicht der Nachweis einer ordnungsgemäßen Deckung der Speditionsversicherung, verbleibt es also bei der sogenannten normalen, betraglich begrenzten Speditionsversicherung, wird dem Klagebegehren, soweit es nicht durch eine Leistung des Speditionsversicherers Deckung findet, stattzugeben sein. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß nach der bisherigen Sachlage der Speditionsversicherer die Versicherungsleistung nur deshalb nicht zu erbringen bereit war, weil das Verschulden des Spediteurs noch nicht feststand. Dies ist aber nunmehr der Fall. Der Beurteilung des Berufungsgerichtes, wonach das Verhalten der (Leute der) beklagten Partei bei Durchführung des fraglichen Transportes nicht als grob fahrlässig (schon gar nicht vorsätzlich) angesehen werden kann, ist zu folgen. Das Gericht zweiter Instanz hat die Unterscheidungskriterien zwischen grober und leichter Fahrlässigkeit zutreffend hervorgehoben und belegt, so daß bloß aus der Behauptung der klagenden Partei, die beklagte Partei hafte ihr als Spediteur im Sinne des § 346 (gemeint wohl 347) HGB für die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes, noch nicht auf grobe Fahrlässigkeit bei jeder Sorgfaltsverletzung der beklagten Partei geschlossen werden kann. Bleibt es aber richtigerweise bei dieser Beurteilung des den vorliegenden Schaden verursachenden Fehlverhaltens der (Leute der) beklagten Partei, dann kann diese sich auf die AÖSp und damit auf den Haftungsbefreiungstatbestand des § 41 a) AÖSp berufen (Horak, AÖSp-Haftung und SVS, AnwBl. 1987, 515 f).

Zur Vervollständigung des Verfahrens im aufgezeigten Sinn bedarf es aber im Sinne des § 510 Abs 1 ZPO nur der Aufhebung des Berufungsurteils, weil die Voraussetzungen des § 496 Abs 3 ZPO hier vorliegen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte