OGH 13Os140/88

OGH13Os140/8824.11.1988

Der Oberste Gerichtshof hat am 24.November 1988 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Felzmann (Berichterstatter), Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Manquet als Schriftführers in der Strafsache gegen Dipl.Ing. Franz S*** wegen des Vergehens der Geschenkannahme durch Beamte nach § 304 Abs 1 StGB. über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengerichts vom 15.Juni 1988, GZ 12 b Vr 9851/87-26, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Jerabek, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Obendorfer zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelsverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 20.November 1920 geborene pensionierte Bundesbeamte Dipl.Ing. Franz S*** wurde des Vergehens der Geschenkannahme durch Beamte nach § 304 Abs 2 StGB. schuldig erkannt. Darnach hat er in Wien als Beamter der Bundesgebäudeverwaltung I Wien von der Unternehmerin Margarethe K*** für die pflichtgemäße Vornahme oder Unterlassung von Amtsgeschäften für sich Vermögensvorteile angenommen, und zwar

a/ am 16.Dezember 1976 7.100 S

sowie

b/ zu einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt im Jahr 1978 1.050 S.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs 1 Z. 3, 5, 5 a und 9 lit. a StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Dem Einwand zum erstangeführten Nichtigkeitsgrund, der Urteilsspruch schaffe keine Klarheit über die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat und lasse demzufolge die gemäß § 260 Abs 1 Z. 1 StPO. gebotene Individualisierung vermissen, ist zu erwidern, daß die angeführte Gesetzesbestimmung keine erschöpfende, sondern nur eine soweit ins einzelne gehende Tatbeschreibung (Individualisierung) im Urteilsspruch verlangt, daß die Tat nicht mit einer anderen verwechselt werden kann (Mayerhofer-Rieder2, E. 21 ff. zu § 260 StPO.). Diesem Erfordernis entspricht der gegenständliche Urteilssatz, der die Tathandlungen mittels Anführung des Täters, seiner Amtseigenschaft, der Geschenkgeberin, des Tatorts, der Tatzeit und insbesondere auch der detaillierten Höhe der Zuwendungen bezeichnet. Ob die die Gegenleistung des Täters (nicht: die Tathandlung) in der Vornahme oder in der Unterlassung eines Amtsgeschäfts bestanden hat, ist wegen der schon hergestellten Verwechslungsfreiheit nicht mehr von Bedeutung. Dies ganz abgesehen davon, daß den Entscheidungsgründen durchaus zu entnehmen ist, daß der Vermögensvorteil jeweils für die (pflichtgemäße) Vornahme von Amtsgeschäften gegeben (und angenommen) wurde.

Der behauptete Verstoß gegen die Bestimmung des § 260 Abs 1 Z. 1 StPO. ist nicht gegeben; für die weitere Behauptung einer Verletzung auch der Bestimmung der Z. 2 leg. cit. aber bleibt die Beschwerde überhaupt jede Begründung schuldig.

Mit der Mängelrüge (Z. 5) versucht der Beschwerdeführer einen Widerspruch zwischen der erstgerichtlichen Konstatierung, Margarethe K*** sei zum Zeitpunkt der (auch Dipl.Ing. S*** belastenden) Eintragungen in die in Rede stehenden Kassabücher, Hefte und Schmierzettel zurechnungsfähig gewesen (S. 296/II), und dem diesbezüglichen, im Urteil angeblich aktenwidrig wiedergegebenen Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen in der Hauptverhandlung vom 15.Juni 1988 zu konstruieren. Ein solcher Widerspruch (oder eine Aktenwidrigkeit) liegt in Wahrheit nicht vor, hat doch der Sachverständige unmißverständlich erklärt, daß er zum Eintragungszeitpunkt "eine Zurechnungsunfähigkeit" (der Margarethe K***) "nicht feststellen" konnte (S. 268/II). Angesichts dieses eindeutigen Gutachtens kann der in diesem Zusammenhang besonders hervorgehobene Umstand, daß der Sachverständige auf die unmittelbar folgende (offensichtlich der Klarstellung dienende) Frage des Vorsitzenden nach der Zurechnungsfähigkeit der Margarethe K*** im Zeitpunkt der Eintragungen nicht noch einmal gleichlautend antwortete, sondern darlegte, weshalb er den psychischen Zustand der Frau zum Zeitpunkt ihrer Vorsprache im Bundesministerium für Justiz anders beurteilte, nicht als Widerspruch angesehen werden.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat sich das Erstgericht aber bei seinen Erwägungen, die gegenüber Mag. H*** am 21.März 1980 gemachten Angaben der Margarethe K*** als taugliches Beweismittel zur Widerlegung der leugnenden Verantwortung des Angeklagten zu werten, auch nicht über die darauf Bezug nehmenden Ausführungen des Sachverständigen hinweggesetzt, sondern diese in ihrer Gesamtheit einer eingehenden beweiswürdigenden Prüfung unterzogen. Dabei hat das Gericht - zum Unterschied vom Beschwerdeführer - auch berücksichtigt, daß der Sachverständige die in der Beschwerde zitierte (auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit abgestellte) Angabe einer "wahrscheinlichen" Unzurechnungsfähigkeit der Margarethe K*** im Zeitpunkt der Unterredung mit Mag. H*** richtiggestellt und eine (wenngleich eingeschränkte) Aussagefähigkeit dieser Zeugin durchaus anerkannt hat (S. 268 oben, 269 oben/II). Die Mängelrüge erschöpft sich somit in diesem Punkt ebenso wie in den abschließend gegen die Beweiskraft der Aufzeichnungen der Margarethe K*** ins Treffen geführten Einwänden in einer bloßen Bekämpfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung, ohne einen formalen Begründungsmangel dartun zu können.

Im Ergebnis läuft darauf auch der sowohl im Rahmen der Mängelrüge (Z. 5) als auch der Tatsachenrüge (Z. 5 a) erhobene Einwand hinaus, die Tatrichter hätten es unterlassen, sich mit dem einen gleichartigen Sachverhalt beinhaltenden, aber mit Freispruch abgeschlossenen Strafverfahren AZ. 6 a Vr 9926/81 (11 Os 190/82 = EvBl 1983/146) des Landesgerichts für Strafsachen Wien auseinanderzusetzen. Eine Urteilsnichtigkeit im Sinn der Z. 5 kann nämlich immer nur in einer unvollständigen Würdigung der aufgenommenen Beweise, nicht aber in einer mangelnden Ausschöpfung möglicher Beweisquellen gelegen sein. Der Einwand der abweichenden Beurteilung desselben Sachverhalts in einer anderen Entscheidung könnte unter der - hier nicht gegebenen - formellen Voraussetzung einer entsprechenden Antragstellung in der Hauptverhandlung den Nichtigkeitsgrund nach Z. 4 bilden, nicht aber jenen der Z. 5, weil das erkennende Gericht jeweils eigenständig sich seine Überzeugung über den Wahrheitsgehalt der ihm vorliegenden Beweismittel zu verschaffen hat (§§ 3, 258 StPO.). Eine wechselseitige Präjudizialität ist dem österreichischen Prozeßsystem jedenfalls fremd (SSt. 26/68, 43/41, 13 Os 170/82 = EvBl 1983/136 u.v.a.; vgl. Nowakowski, Die materielle Rechtskraft des Schuldspruchs ÖJZ. 1948 S. 550). Gibt es also im österreichischen Prozeßrecht keine Bindung an Präjudizien, dann kann ein früheres, in einem anderen Verfahren ergangenes Urteil auch keine "entscheidende" Tatsache sein. Aus eben diesem Grund kommt auch den Ausführungen zur Z. 5 a unter wörtlicher Bekanntgabe der Begründung des hier nicht aktenkundigen Urteils in der Strafsache 6 a Vr 9926/81 des Landesgerichts für Strafsachen Wien nicht die in diesem Kriminalfall "entscheidende" (siehe Z. 5 a) Bedeutung zu, wie dies die Beschwerde wahrhaben will. Diese und die weiteren, auf allgemeine Glaubwürdigkeitserwägungen abgestellten Beschwerdeausführungen vermögen daher beim Obersten Gerichtshof, der - wenn auch noch auf der Basis des § 362 Abs 1 Z. 1 StPO. - die Beweislage in den gleichgelagerten, ebenfalls Beamte der Bundesgebäudeverwaltung I Wien betreffenden Strafverfahren als tragfähig beurteilt hat, keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld dieses Angeklagten zugrundegelegten entscheidenden Tatsachen zu erwecken.

In der Rechtsrüge (Z. 9 lit. a) wirft der Beschwerdeführer dem Erstgericht vor, nicht festgestellt zu haben, welche Amtsgeschäfte er vorgenommen (oder unterlassen) hat, sodaß der erforderliche ursächliche Konnex zwischen der Erlangung des Vermögensvorteiles und der vom Empfänger ausgeübten Amtstätigkeit nicht feststehe. Den unter dem aufgezeigten Gesichtspunkt maßgebenden Urteilsfeststellungen zufolge wurde Margarethe K*** als Inhaberin eines Gewerbebetriebs von der Bundesgebäudeverwaltung I Wien, in welcher der Angeklagte als hoher (ersichtlich auch für die Auftragsvergabe mitzuständiger) Beamter tätig war, häufig mit Aufträgen betraut, die umsatzmäßig einen Großteil ihrer Geschäftstätigkeit ausmachten. Um sich diese demnach besonders wichtige Geschäftsverbindung (d.h. weitere Aufträge) zu sichern und gleichzeitig das Wohlwollen der damit befaßten Beamten zu erhalten, leistete Margarethe K*** u.a. auch an den Angeklagten die beiden inkriminierten Zahlungen von 7.100 S und 1.050 S, deren genaue Höhe - wie sich aus dem System der von Margarethe K*** insgesamt erbrachten Leistungen eindeutig ergibt - durch einen Prozentsatz der jeweils zugrundeliegenden Auftragssumme ermittelt wurde. Schon diese Feststellung einer engen Beziehung zwischen der jeweiligen Auftragssumme und der Höhe der geleisteten Zuwendung läßt den vom Beschwerdeführer vermißten ursächlichen Zusammenhang zwischen den gewährten Vermögensvorteilen und der konkreten Amtsführung unmißverständlich erkennen.

Im übrigen ergibt sich dieser Zusammenhang auch mit hinreichender Deutlichkeit aus der Identität der Geschenkgeberin mit jener Partei, deren Angelegenheiten vom beschenkten Beamten zu bearbeiten waren und aus dem Fehlen jeglicher anderen Motivation für die Gewährung und die Annahme der keinesfalls bloß geringfügigen Zuwendungen (siehe EvBl 1983/96, ferner Leukauf-Steininger2 RN. 6 zu § 304 StGB.). Einer darüber hinausgehenden Präzisierung des mit dem Geschenk von 7.100 S relevierten Amtsgeschäfts - hinsichtlich der Zuwendung von 1.050 S wurde der Zusammenhang mit einer das Bauvorhaben Wien 5., Geigergasse 5-9 betreffenden Rechnung ohnehin konstatiert (S. 286/II) - bedurfte es bei der gegebenen Sachverhaltskonstellation, wo das Geschenk einem Spitzenbeamten der in jahrelanger Geschäftsverbindung mit dem Unternehmen der Geschenkgeberin stehenden Dienststelle gegeben wurde, nicht (s. nochmals EvBl 1983/96, weiters SSt. 41/3, RZ. 1981/11, LSK. 1984/32 u. v.a.).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verurteilte Dipl.Ing. Franz S*** nach § 304 Abs 2 StGB. zu einer zweimonatigen, unter Setzung einer Probezeit von zwei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe und wertete als erschwerend die Wiederholung der Tat und den Mißbrauch der Vorbildfunktion, wogegen als mildernd der bisher ordentliche Lebenswandel und der Umstand berücksichtigt wurden, daß sich der Angeklagte seit den bereits länger zurückliegenden Taten wieder wohlverhalten hat.

Mit seiner Berufung stellte der Angeklagte schriftlich den Antrag "gemäß § 37 StGB. auf eine Geldstrafe zu erkennen" (S. 353/II). Im Gerichtstag beantragte der Verteidiger, "von der Bestimmung des § 37 StGB. Gebrauch zu machen, allenfalls auch von § 43 Abs 1 StGB.".

Da bei der gegebenen Sachverhaltskonstellation nur die Verhängung einer unbedingten Geldstrafe in Frage kam, hatte das Berufungsgericht zunächst zu prüfen, ob die prozessualen Voraussetzungen für die Änderung der Strafart bei der Anfechtung des Ausspruchs einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe durch den Angeklagten gegeben sind.

Schon auf der Grundlage der bis 1.März 1988 in Kraft gestandenen Bestimmungen und ihrer Auslegung durch den Obersten Gerichtshof (SSt. 43/58; 46/82) wurde ausgesprochen, daß jeder Rechtsmittelwerber die Möglichkeit haben muß, aus seiner wirtschaftlichen, familiären und gesellschaftlichen Situation heraus den Strafausspruch des Erstgerichts zu akzeptieren, auch wenn dieser bei objektiver und abstrahierender Betrachtung als strenger zu beurteilen wäre, vom Angeklagten aber weniger schwerwiegend empfunden wird (SSt. 55/89 = EvBl 1985/115). Diesem Gedanken, der auch in der kritischen Auseinandersetzung mit der zitierten Rechtsprechung zum Verschlechterungsverbot wiederholt Ausdruck fand, trug der Reformgesetzgeber bei der Novellierung des § 295 Abs 2 StPO. durch Art. II Z. 46 des Strafrechtsänderungsgesetzes 1987, BGBl. 1987/605, voll Rechnung. Demnach kann das Berufungsgericht an Stelle einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe nur dann eine unbedingte Geldstrafe verhängen, wenn der Angeklagte dies beantragt oder hiezu seine Zustimmung erteilt. Aus dem Bericht des Justizausschusses (359 der Beilagen, XVII. GP. S. 46) geht hervor, daß es einer "diesbezüglichen Erklärung des Rechtsmittelwerbers" bedarf. Eine derartige ausdrückliche Erklärung wurde aber im Gerichtstag nicht abgegeben. Die oben wiedergegebene, verklausulierte Antragstellung entbehrt jedenfalls der entsprechenden Deutlichkeit, um ihr die Qualität einer ausdrücklichen Zustimmung zu einer - den Angeklagten allenfalls belastenden - Strafartänderung zuzuerkennen. Der Berufung war daher der Erfolg zu versagen.

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