OGH 7Ob44/88

OGH7Ob44/8823.11.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Z*** K*** Versicherungs-AG, Wien 1., Schwarzenbergplatz 15, vertreten durch Dr. Friedrich Flendrovsky, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Heinz K***, Elektromeister, Imst, Majötz 1, vertreten durch Dr. Paul Demetz, Rechtsanwalt in Imst, wegen 142.424 S s.A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 20. Mai 1988, GZ 2 R 146/88-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 29. Dezember 1987, GZ 8 Cg 313/86-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wieder hergestellt wird. Die klagende Partei ist schuldig, dem Beklagten die mit 5.187,60 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 471,60 S Umsatzsteuer) und die mit 6.225,45 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 565,95 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Veronika F*** hat bei der Klägerin bezüglich des PKW Opel Ascona mit polizeilichem Kennzeichen T 313.051 eine Kaskoversicherung abgeschlossen. Am 1.November 1984 verursachte der Beklagte als Lenker dieses PKW einen Verkehrsunfall, auf Grund dessen die Klägerin an Veronika F*** 142.424 S zahlen mußte. Der Beklagte war damals der Lebensgefährte der Veronika F***. Während das Erstgericht das auf Zahlung von 142.424 S s.A. gerichtete, auf § 67 VersVG gestützte Regreßbegehren der Klägerin mit der Begründung abgewiesen hat, ein Lebensgefährte sei als Familienangehöriger im Sinne des § 67 Abs. 2 VersVG anzusehen, hat das Berufungsgericht der Klägerin den begehrten Betrag zugesprochen und hiebei ausgeführt, der Familienangehörigenbegriff der erwähnten Gesetzesstelle könne nicht auf Lebensgefährten ausgedehnt werden. Das Berufungsgericht hat die Revision für zulässig erklärt.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Beklagten gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist gerechtfertigt.

§ 67 Abs. 2 VersVG spricht nicht von Verwandten, sondern von Familienangehörigen. Diese Bestimmung verwendet demnach einen Begriff, aus dem sich nicht notwendig die Identität mit dem Verwandtschaftsbegriff ergibt. Diese Vorschrift bezweckt in erster Linie nicht den Schutz des Angehörigen, sondern den Schutz des Versicherungsnehmers er soll nicht darunter leiden, daß durch die Ersatzleistung des Angehörigen wirtschaftlich die Hausgemeinschaft - und damit mittelbar der Versicherungsnehmer - belastet wird (Bruck-Möller-Sieg VVG8 II, Anm. 105). In konsequenter Verfolgung dieses Gedankens wurde daher in der Bundesrepublik Deutschland allgemein die Rechtsansicht vertreten, daß auch Stief- und Pflegekinder, sohin Personen, die mit dem Versicherungsnehmer nicht verwandt sind, zu den Familienangehörigen im Sinne des § 67 Abs. 2 VersVG gehören (Bruck-Möller-Sieg VVG8 II, Anm. 105 zu § 67 VersVG Prölss-Martin VVG24, 459; Stiefel-Hofmann AKB und AVSB13, 658). Die Familienangehörigen müssen nicht blutsverwandt sein (Stiefel-Hofmann aaO). Richtig ist, daß nach der deutschen Lehre allgemein Verlobte nicht zu den Familienangehörigen gerechnet werden. Dies wird jedoch damit begründet, daß bei ihnen nach der Verkehrsauffassung die im § 67 Abs. 2 VersVG vorausgesetzte Vermögensgemeinschaft noch nicht zu bestehen pflegt (Stiefel-Hofmann aaO).

Charakteristisch für die Lebensgemeinschaft ist, daß zwei Personen verschiedenen Geschlechtes eine in wirtschaftlicher Hinsicht gleich einer Ehe eingerichtete Haushaltsgemeinschaft bilden, wozu auch die Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft gehören (MietSlg 25.321, 21.519, 34.454 ua). Geht man also von einer echten Lebensgemeinschaft in diesem Sinne aus, so ist auf jeden Fall eines der Erfordernisse des § 67 Abs. 2 VersVG, nämlich die häusliche Gemeinschaft mit dem Versicherungsnehmer, erfüllt. Ferner wird in der Regel von einer Wirtschaftsgemeinschaft auszugehen sein. Besteht aber eine solche Wirtschaftsgemeinschaft, so ist klar, daß die finanzielle Inanspruchnahme eines der Teile indirekt auch den anderen Teil trifft. Ein Regreß am Lebensgefährten würde daher, ebenso wie ein Regreß an sonstigen Familienangehörigen im Sinne des § 67 Abs. 2 VersVG, indirekt den Versicherungsnehmer treffen. Wie dies bei einer im gemeinsamen Haushalt lebenden Familie im allgemeinen der Fall ist, geht auch hier ein Eingriff in das gemeinsame Budget zu Lasten des gesamten Vermögens. Gerade eine solche indirekte Belastung des Versicherungsnehmers will aber § 67 Abs. 2 VersVG vermeiden. Ziel des § 67 Abs. 2 VersVG ist es, den Regreß überall dort zu vermeiden, wo im Normalfall wegen der engen Beziehungen zwischen Schädiger und Geschädigtem ohne die Versicherung kein Schadenersatzanspruch erhoben werden würde. Die Versicherung, die im Interesse des Versicherungsnehmers abgeschlossen wird, soll nicht dazu führen, daß Personen, die der Versicherungsnehmer nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge von wirtschaftlichen Belastungen verschonen will, von solchen betroffen werden. Diesfalls würde nämlich der Abschluß der Versicherung, entgegen dem damit verfolgten Zweck, die Interessen des Versicherungsnehmers schwer beeinträchtigen. Dieser Umstand spricht für eine Auslegung des § 67 Abs. 2 VersVG dahin, daß unter Familienangehörigen im Sinne dieser Bestimmung auch der Lebensgefährte zu verstehen ist.

Es ist richtig, daß seinerzeit in einer Entscheidung (SZ 34/75) der gegenteilige Rechtsstandpunkt auch in Österreich vertreten worden ist. Es darf allerdings nicht die inzwischen eingetretene Wandlung der allgemeinen Rechtsauffassung übersehen werden. Zum damaligen Zeitpunkt hatte der Gesetzgeber Lebensgemeinschaften überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Dies hat sich inzwischen grundlegend geändert. So wurde in mehreren Gesetzen (beispielsweise § 14 Abs. 3, § 30 Abs. 2 Z 4 bis 6 und 13 MRG, § 32 Abs. 1 KO, § 4 Abs. 1 AnfO, verschiedene sozialversicherungsrechtliche Bestimmungen) der Lebensgefährte als Angehöriger bezeichnet. Damit hat der Gesetzgeber nur Rücksicht auf die tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse genommen. Es wäre auch lebensfremd, ausgerechnet den Lebensgefährten von der Angehörigeneigenschaft auszuklammern, dagegen zu derselben Person ebenfalls nicht blutsverwandte Personen, wie Pflegekinder oder Stiefkinder, darunter zu subsumieren, obwohl vielfach die Bindung zum Lebensgefährten eine wesentlich engere ist als die Bindung zu den letztgenannten Personen. Das in der Revisionsbeantwortung herangezogene Argument, es solle die Ehe geschützt werden, schlägt hier nicht durch, weil Zweck des § 67 Abs. 2 VersVG nicht Schutz der Institution der Ehe, sondern der Schutz des Versicherungsnehmers vor einer vermögensrechtlichen Belastung ist. Daß bei echten Lebensgemeinschaften die nach dem Willen des Gesetzgebers zu vermeidende Belastung im Falle des Regresses ebenfalls zu erwarten ist, wurde bereits oben dargelegt.

Daraus ergibt sich aber, daß bei sachgerechter Auslegung des § 67 Abs. 2 VersVG der Lebensgefährte entgegen der in der Bundesrepublik Deutschland vielfach vertretenen Ansicht ebenfalls dem Kreis der Familienangehörigen zugerechnet werden muß. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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