OGH 4Ob601/88

OGH4Ob601/8815.11.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Margit V***, geboren am 14. März 1966 in Bludenz, Arbeiterin, Bludenz, Beim Kreuz 40, vertreten durch Dr. Anna Jahn, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagte Partei Johannes V***, geboren am 30. Juli 1963 in Wagna, Bezirk Leibnitz, Arbeiter, Rankweil,

In der Schaufel 61, vertreten durch Dr. Gerold Hirn und Dr. Burkhard Hirn, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 21. Juni 1988, GZ 1 a R 258/88-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 25. März 1988, GZ 9 C 1234/87z-11, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.397,35 (darin enthalten S 308,85 Umsatzsteuer und keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen am 6. Juni 1986 die - für beide Teile erste - Ehe, der keine Kinder entstammen. Die Ehegatten hatten damals schon ca. 2 Jahre lang im gemeinsamen Haushalt gelebt. Als sie einander kennengelernt hatten, hatte der Beklagte aus Autokäufen ca. S 120.000,-- Schulden. Kurz vor der Eheschließung beliefen sich diese Schulden auf ca. S 277.000,--; die Klägerin hatte die Mithaftung übernommen. Nach der Eheschließung nahmen die Streitteile weitere Kredite im Gesamtbetrag von S 100.000,-- auf. Beide Ehegatten waren berufstätig und wirtschafteten gemeinsam. Wegen der Kreditverbindlichkeiten herrschte ständig Geldknappheit. Schon vor der Eheschließung war es zwischen den Streitteilen zu wörtlichen Auseinandersetzungen gekommen, insbesondere dann, wenn der Beklagte - zumeist an den Wochenenden - alkoholisiert vom Fußballspielen heimkam. Dennoch verlief die Ehe der Streitteile bis etwa April 1987 mehr oder weniger gut. Seit Ende März 1987 kam es jedoch nicht mehr zum Geschlechtsverkehr, weil beide Teile kein Interesse mehr daran hatten.

Am 30. April 1987 nahm die Klägerin im Einverständnis mit dem Beklagten allein an einem - von den Streitteilen nach dem Namen des Dienstgebers der Klägerin als "H***-Treffen"

bezeichneten - Treffen von Arbeitskollegen teil, von dem sie gegen

3.30 Uhr früh nach Hause zurückkehrte. Auch am darauffolgenden Wochenende ging die Klägerin ohne den Beklagten aus; damals suchte sie mit Bekannten eine Diskothek auf. Von diesem Lokalbesuch kehrte sie zwischen 5.00 Uhr und 5.30 Uhr früh nach Hause zurück. In der Folge machte der Beklagte der Klägerin laufend, ohne jedoch konkrete Anhaltspunkte dafür zu haben, den Vorwurf, Beziehungen zu einem anderen Mann zu unterhalten. In den folgenden Wochen und Monaten kam es wegen dieser Vorwürfe des Beklagten, aber auch wegen der Geldprobleme der Streitteile wiederholt zu - mitunter auch tätlichen - Auseinandersetzungen und gegenseitigen Beschimpfungen. Um diesen Auseinandersetzungen aus dem Wege zu gehen, verbrachte die Klägerin dann die Wochenenden bei ihrer Mutter oder bei ihrer Schwester. Am 20. Juli 1987 zog sie ohne weiteren konkreten Anlaß aus der Ehewohnung aus. Der Beklagte beobachtete die Klägerin danach mehrmals, um ihren Aufenthaltsort zu erfahren. Im August 1987 umschlich er das Wohnhaus der Eltern der Klägerin und schrie, daß er die Klägerin umbringen werde; sie möge sich nicht mehr bei ihm sehen lassen, sonst tue sie ihm leid.

Mit ihrer am 6. Juli 1987 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrt die Klägerin die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten. Der Beklagte sei seit April 1987 krankhaft eifersüchtig, beschuldige die Klägerin grundlos, ehewidrige Beziehungen zu einem anderen Mann zu unterhalten, und habe sie wiederholt beschimpft, bedroht und mißhandelt. Auch die - hauptsächlich für Autokäufe eingegangenen - Geldschulden des Beklagten und sein häufiger Alkoholkonsum hätten die Streitigkeiten veranlaßt. Der Beklagte habe öfters den Arbeitsplatz gewechselt und kein Geld zur Wirtschaftsführung beigesteuert. Er habe der Klägerin daher das Zusammenleben verleidet und dadurch die Ehe tief zerrüttet. Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und stellte einen Mitverschuldensantrag. Bis Ende April 1987 habe das beste Einvernehmen geherrscht. Dann sei aber die Klägerin jedes Wochenende allein ausgegangen und habe nächtliche Lokalbesuche bis zum frühen Morgen unternommen. Sie habe nahezu jedes Wochenende mit einem anderen Mann verbracht und sich nicht mehr um den Beklagten gekümmert. Schließlich sei sie aus der Ehewohnung ausgezogen. Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile aus beiderseitigem gleichteiligen Verschulden. Beide Ehegatten hätten schwere Eheverfehlungen zu verantworten, die zur Zerrüttung der Ehe geführt hätten; es könne jedoch nicht gesagt werden, daß der Verschuldensanteil eines der Streitteile erheblich schwerer wiege als der des anderen.

Das Berufungsgericht änderte das - nur von der Klägerin im Ausspruch über das gleichteilige Verschulden bekämpfte - Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß das Verschulden des Beklagten überwiege. Dem Erstgericht sei zwar beizupflichten, daß auch die Klägerin durch das Verbringen der Wochenenden außerhalb der ehelichen Gemeinschaft und durch Beschimpfungen und Handgreiflichkeiten zur Zerrüttung der Ehe beigetragen habe. Aus der Ehewohnung sei sie jedoch erst nach dem Eintritt der vollständigen Zerrüttung der Ehe ausgezogen, so daß dieses Fehlverhalten für die Beurteilung des Mitverschuldensgrades nicht mehr wesentlich sei. Das - einleitende - Verschulden des Beklagten sei für die Zerrüttung der Ehe von ausschlaggebender Bedeutung; sei es doch vor allem wegen seiner unbegründeten Vorwürfe und seines Alkoholkonsums zu den Streitigkeiten gekommen. Gegen dieses Urteil richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision des Beklagten mit dem Antrag, den Verschuldensausspruch des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Beklagte führt im wesentlichen ins Treffen, daß das Verhalten der Klägerin nach dem sogenannten "H***-Treffen" seine Zweifel an ihrer ehelichen Treue ausgelöst habe; die Klägerin habe diese Zweifel nicht beseitigt sondern durch ihre ausweichende Art noch verstärkt. Seine ständigen Vorwürfe der Untreue seien daher eine Reaktion auf die Abwesenheiten der Klägerin gewesen; dabei hätte auch seine damalige psychische Lage berücksichtigt werden müssen. Seinem Alkoholkonsum und den ihm angelasteten Beschimpfungen könne dagegen kein besonderer Stellenwert beigemessen werden; diese "Eigenschaften" seien der Klägerin schon vor der Ehe bekannt gewesen. Diesen Ausführungen kann nicht beigepflichtet werden. Bei der Verschuldensabwägung nach § 60 Abs 2 und 3 EheG ist das Gesamtverhalten beider Ehegatten maßgebend (EFSlg 51.642 ua); zu berücksichtigen ist vor allem, wer mit der schuldhaften Zerstörung der Ehe begonnen und wer einen entscheidenden Beitrag zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe geleistet hat (EFSlg 51.643 ua). Wesentlich ist also, wessen Verfehlungen die erste Ursache für die weiteren waren, wie weit sie andere bedingt und schließlich zum Scheitern der Ehe geführt haben (EFSlg 51.644 ua), nicht so sehr aber der Grad der Verwerflichkeit der einzelnen Eheverfehlungen (EFSlg 51.648 ua). Nach unheilbarer Ehezerrüttung begangene Eheverfehlungen spielen bei der Verschuldensabwägung allerdings keine entscheidende Rolle mehr (EFSlg 51.650; EFSlg 51.653 ua). Überwiegendes Verschulden darf nur dann ausgesprochen werden, wenn die Schuld des einen Gatten erheblich schwerer ist und das Verschulden des anderen fast völlig in den Hintergrund tritt; dieser Unterschied muß offenkundig hervortreten (EFSlg 51.658 bis 51.661 ua); subtile Abwägungen über das Verschuldensausmaß der Partner sind dabei allerdings nicht anzustellen (EFSlg 51.662). Im Verschuldensausspruch des Berufungsgerichtes kann kein Rechtsirrtum erblickt werden. Das Berufungsgericht hat unter Beachtung der dargestellten Grundsätze richtig erkannt, daß in erster Linie die Eheverfehlungen des Beklagten zur Zerrüttung der Ehe beigetragen und die Verfehlungen der Klägerin - Fernbleiben an den Wochenenden von der Ehewohnung, Beschimpfungen und Tätlichkeiten - erst bedingt haben. Daß die Klägerin schließlich aus der gemeinsamen Wohnung auszog, hat zur Zerrüttung der Ehe nicht mehr entscheidend beigetragen. Dies bezweifelt auch der Revisionswerber selbst nicht. Unter diesen Umständen muß aber von einem offenkundigen Überwiegen der Verfehlungen des Beklagten ausgegangen werden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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