OGH 6Ob698/88

OGH6Ob698/8810.11.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als Richter in der Vormundschaftssache des mj. Kindes Emil L***, geboren am 12. November 1979, Schüler, im Haushalt seiner Mutter und Vormünderin Renate L***, Dipl.Krankenschwester, Matrei am Brenner, Sportplatzsiedlung 124, vertreten durch Dr. Johann Paul Cammerlander, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterhaltsleistungen des Vaters Gustav G***, Friseurmeister, Matrei am Brenner Nr. 77, vertreten durch Dr. Christine Brandl, Rechtsanwalt in Innsbruck, infolge Revisionsrekurses des Kindes gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 2. September 1988, GZ 2 b R 110/88-38, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 11. Juli 1988, GZ 3 P 540/83-34, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird stattgegeben. Der angefochtene Beschluß und die Entscheidung erster Instanz in ihrem das monatliche Mehrbegehren von S 2.200,-- abweisenden Ausspruch werden aufgehoben. Dem Gericht erster Instanz wird in diesem Umfang eine neuerliche, nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung

Der am 12. November 1979 geborene Knabe ist ein uneheliches Kind. Der seinerzeitige Lebensgefährte seiner Mutter anerkannte die Vaterschaft. Die Mutter ist zur Vormünderin bestellt. Der Knabe blieb nach der Aufhebung der Lebensgemeinschaft seiner Eltern in der mütterlichen Obsorge. Der vom Vater zu leistende Unterhalt wurde zunächst durch eine vormundschaftsgerichtlich genehmigte Vereinbarung der Eltern geregelt, dann mit Beschluß vom 6. Oktober 1986 (ON 18) im Sinne eines Einvernehmens beider Elternteile gerichtlich festgesetzt. Danach hat der Vater seit 2. Oktober 1986 zum Unterhalt seines pflegebefohlenen Kindes einen monatlichen Unterhaltsbetrag von S 2.500,-- zu zahlen. Die Mutter arbeitet als Krankenschwester. Das Kind ist die Arbeitswoche über an einem Pflegeplatz untergebracht und hält sich an den Wochenenden und während der Ferien bei der Mutter auf. Der Vater ist selbständiger Gewerbetreibender.

Am 28. Januar 1988 stellte das Kind den Unterhaltserhöhungsantrag, seinen Vater ab 1. Februar 1988 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 5.000,-- zu verpflichten. Dazu führte es aus, seine Pflegeplatzunterbringung koste monatlich S 4.000,--; der Vater wäre als selbständiger Gewerbetreibender ohne weitere Sorgepflichten zur Leistung des begehrten Unterhaltes "leicht in der Lage". Der Vater sprach sich gegen jede einen monatlichen Betrag von S 2.800,-- übersteigende Unterhaltsfestsetzung mit der Behauptung aus, sein monatliches Einkommen betrage nur etwa S 12.000,--. Das Kind beharrte auf seinem Erhöhungsbegehren und beantragte, über einen Buchsachverständigen die Bilanzen sowie Gewinn- und Verlustrechnungen vom Vater einzuholen. Auftragsgemäß legte der Vater dem Gericht Ablichtungen der zwecks steuerlicher Gewinnermittlung erstellten Bilanzen für die Geschäftsjahre 1985 und 1986 samt Steuerbescheiden vor. Auf dieser Entscheidungsgrundlage gab das Vormundschaftsgericht dem Unterhaltserhöhungsbegehren des Kindes nur im Rahmen des vom Vater erklärten Einverständnisses statt und wies das den monatlichen Betrag von S 2.800,-- übersteigende Mehrbegehren ab. Dabei ging das Gericht von einem monatlichen Durchschnittseinkommen des Vaters von rund S 13.700,-- und einem monatlichen Nettoeinkommen der Mutter von rund S 17.900,-- aus.

Im Rekurs gegen die Abweisung seines Unterhaltsmehrbegehrens bemängelte das Kind vor allem, daß sich das Gericht bei der Einkommensermittlung mit den steuerlichen Bilanzen begnügt und es unterlassen habe, die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse des unterhaltspflichtigen Vaters zu erheben. Dazu stellte das Kind die Rekursbehauptung auf, es läge auf der Hand, daß sein Vater über erhebliche Schwarzgeldeinnahmen verfügen müsse. Darauf deute auch sein (privater) Aufwand und Lebensstil. Im einzelnen behauptete das Kind in seinem Rekurs den Erwerb eines Zweitwagens, den Besitz einer Segeljacht, regelmäßige Wochenendaufenthalte in anderen Hauptstädten und jährliche Urlaubsfernreisen seines Vaters. In diesem Zusammenhang bemängelte das Kind, daß das Gericht kein Gutachten eines Buchsachverständigen eingeholt habe, zumal die in den vorgelegten Bilanzen ausgewiesenen Personalkosten in keinem vernünftigen Verhältnis zu den angegebenen Einnahmen stünden. Das Kind behauptete ausdrücklich, sein Vater zahle den Beschäftigten über die nach den Lohnstreifen ausgewiesenen Beträge hinaus Zubußen "aus Schwarzgeld". Für diese Behauptung berief sich das Kind auf die Aussage seiner Mutter.

Das Rekursgericht bestätigte den erstinstanzlichen Unterhaltsfestsetzungsbeschluß.

Es verneinte das Vorliegen der im Rekurs gerügten Mängel der Stoffsammlung mit der Begründung, daß die gesetzliche Vertreterin des Kindes im Verfahren erster Instanz die Gelegenheit gehabt hätte, den Behauptungen des Vaters über seine Einkommensverhältnisse all das zu entgegnen, was nun erstmals im Rekurs dargelegt worden sei. Das Gericht erster Instanz habe mangels konkreter Behauptungen keine Veranlassung zu amtswegigen Nachforschungen in der Richtung der nunmehrigen Rekursausführungen gehabt. Wörtlich führte das Rekursgericht zum Rechtsmittelvorbringen des Kindes aus:

"Dem Rekurs ist zwar darin zu folgen, daß der darin behauptete Lebensstandard des Kindesvaters mit der sich aus den Bilanzen 1985 und 1986 ergebenden Einkommenssituation nicht in Einklang zu bringen ist. Bei Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung kann jedoch auf dieses unzulässige neue Tatsachenvorbringen nicht Bedacht genommen werden."

Das Kind ficht die bestätigende Rekursentscheidung unter Anführung aller im § 16 Abs. 1 AußStrG genannten Anfechtungsgründe mit einem Aufhebungsantrag an.

Rechtliche Beurteilung

Die Anfechtung der bestätigenden Rekursentscheidung über das auf die gesetzliche Unterhaltspflicht gegründete Unterhaltserhöhungsbegehren ist nach dem zweiten Fall des § 14 Abs. 2 AußStrG nicht ausgeschlossen. Nach der zitierten Regelung sind Rekurse gegen Entscheidungen der zweiten Instanz über die Bemessung gesetzlicher Unterhaltsansprüche unzulässig. Im Unterschied zu anderen Rechtsmittelbeschränkungen knüpft dieser Anfechtungsausschluß nicht an die Eigenart des Verfahrensgegenstandes (zB: Sachverständigengebühren) oder den Wert des Beschwerdegegenstandes oder an das Verhältnis zwischen dem Spruch der zweitinstanzlichen zu jenem der erstinstanzlichen Entscheidung an, sondern mit dem Ausdruck "Entscheidung über die Bemessung" an eine bestimmte gerichtliche Tätigkeit im Verfahren über ein Begehren auf Bestimmung eines auf Gesetz beruhenden Unterhaltes. Als Rechtsmittelbeschränkung ist die Regelung im Zweifel zwischen mehreren möglichen inhaltlichen Ausfüllungen eng auszulegen. Daher ist jenem Teil der Rechtsprechung zu folgen, der den Anfechtungsausschluß auf die wägende Beurteilung der zu berücksichtigenden Umstände und damit grundsätzlich auf einen Teil der rechtlichen Beurteilung beschränkt. Damit gehören die materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Fragen danach, ob sich das entscheidende Gericht in seiner konkreten Besetzung im gewählten Verfahren über das gestellte Begehren überhaupt sowie aufgrund der erhobenen Umstände schon einer bemessenden Sachbeurteilung unterziehen durfte, nicht dem vom Anfechtungsausschluß betroffenen Bemessungsbereich an, insbesondere nicht die Lösung der rein verfahrensrechtlichen Frage nach der Zulässigkeit neuen Tatsachenvorbringens und neuer Beweisanbote in einem gegen den erstinstanzlichen Beschluß erhobenen Rechtsmittel. In diesem Sinne hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, daß die Rüge der Nichtberücksichtigung im Rekurs neu vorgebrachter Umstände eine Verfahrensfrage und nicht den Unterhaltsbemessungskomplex betreffe (EFSlg. 35.023, 37.339, 42.312, 52.648 u.a.). Anders wäre es, würde das Gericht zweiter Instanz einem im Rekurs neu vorgebrachten Umstand die Beachtlichkeit für die Unterhaltsbemessung mit der Begründung absprechen, daß der neu vorgebrachte Umstand, seine Richtigkeit unterstellt, keinen Einfluß auf das Bemessungsergebnis nehmen würde.

Die Zulässigkeit des Rekurses gegen die bestätigende Rekursentscheidung hängt daher davon ab, ob ein nach § 16 Abs. 1 AußStrG beachtlicher Anfechtungsgrund schlüssig ausgeführt wurde.

Die Nichtbeachtung von Neuerungen stellt als Verletzung des § 10 AußStrG einen Verfahrensmangel dar. Ob ihm das Gewicht einer Nichtigkeit beizulegen ist, ist nach den konkreten Auswirkungen des Verfahrensverstoßes auf das anhängige Verfahren zu beurteilen. Das Rekursgericht hat in seiner inhaltlichen Beurteilung des Neuvorbringens dieses unzweifelhaft als beachtlich erklärt, die Nichtberücksichtigung aber damit begründet, daß das Rekursvorbringen bereits im erstinstanzlichen Verfahren möglich gewesen wäre. Es folgerte daraus, daß dem Gericht erster Instanz kein Stoffsammlungsfehler zur Last gelegt werden könne. Im Ergebnis stellt die verfahrensrechtliche Beurteilung des Rekursgerichtes aber eine Art Säumnisstrafe dar, die nicht nur ohne jede gesetzliche Deckung bleibt, sondern der positiven Regelung nach § 10 AußStrG geradezu widerspricht. Die vom Rekursgericht in Mißachtung der genannten Regelung zum Grundsatz erhobene Unzulässigkeit solchen neuen Vorbringens im Rekurs, das bereits im Verfahren erster Instanz hätte vorgebracht werden können, kann zu einer derartigen Verschiebung der gesamten Entscheidungsgrundlagen führen, daß eine den Grundsätzen des § 2 Abs. 2 Z 5 AußStrG entsprechende Beurteilungsgrundlage nicht mehr gewährleistet ist. Das begründet Nichtigkeit.

Da das Rekursgericht bereits die inhaltliche Beachtlichkeit des zu Unrecht als unzulässig bezeichneten Rekursvorbringens bejahte, ist im Sinne dieser Wertung nach dem dem Rekursgericht unterlaufenen, nichtigkeitsbegründenden Verfahrensverstoß eine Ergänzung des Verfahrens erster Instanz unter Berücksichtigung des im Rekurs enthaltenen neuen Sachvorbringens unumgänglich.

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