OGH 8Ob653/88

OGH8Ob653/8810.11.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Schwarz und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Albert Ignaz L***, Werksarbeiter, 8430 Leibnitz, Augasse 11, vertreten durch Dr. Wilfried Stenitzer, Rechtsanwalt in Leibnitz, wider die beklagte Partei Hartmut L***, Gemeindebeamter, 8430 Leibnitz, Augasse 11, vertreten durch Dr. Leo Kaltenbäck, Rechtsanwalt in Graz, wegen Leistung einer Unterhaltsrente infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 7. April 1988, GZ 6 R 34,35/88-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 5. Jänner 1988, GZ 11 Cg 27/87-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Antrag des Klägers auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird abgewiesen.

Text

Begründung

Die Streitteile sind Adoptivsöhne des Ignaz L*** und mit diesem auch leiblich verwandt, da der Kläger dessen Enkel und der Beklagte dessen Großneffe ist. In der Zeit vom 29. Jänner 1970 bis 24. Mai 1970 wurde der Kläger wegen eines Delirium tremens im Landessonderkrankenhaus Graz angehalten. Am 22. Mai 1970 schloß Ignaz L*** als Übergeber mit dem Beklagten als Übernehmer einen Übergabsvertrag betreffend seine Liegenschaften im Ausmaß von mehr als 28 ha. In diesem Übergabsvertrag verpflichtete sich der Beklagte, als Entgelt für die Übergabe ua folgende Gegenleistungen zu erbringen:

"Punkt III 1) Der Übernehmer verpflichtet sich, dem weiteren Adoptivsohn des Übergebers, Herrn Albert Ignaz L***, geboren am 13. 8. 1945, Wirtschafter, wohnhaft beim Übergabsobjekt, anstelle seines Pflichtteiles den standesgemäßen Unterhalt gemäß §§ 672 ff ABGB und zwar für ihn allein in Labitschberg Nr. 4 zu leisten und beginnend ab 1. Juni laufenden Jahres monatlich im vorhinein ein Brauchgeld von S 600,- wertgesichert nach Maßgabe der unten näher angeführten Wertsicherungsvereinbarung zu bezahlen. Hiezu wird festgestellt, daß Herr Albert Ignaz L*** den Unterhalt nur in Labitschberg 4 geleistet erhält. Sollte er freiwillig vom Übergabsobjekt wegziehen, so erhält er nur das monatliche Brauchgeld von S 600,-. Diese Rechte werden über Wunsch des Übergebers nicht verbüchert.

5) Schließlich verpflichtet sich der Übernehmer, dem Übergeber auf dessen Lebensdauer und ohne besonderes Entgelt beim Haus Nr. 4 in Labitschberg zu leisten nachstehenden Auszug: Den vollständigen und standesgemäßen Lebensunterhalt im Sinne des §§ 672 ff ABGB .... "

Nach dem Willen der Vertragspartner erfolgte die Unterhaltsvereinbarung "auf Lebenszeit des Klägers". Mit Beschluß vom 6. Jänner 1970 wurde der Kläger über Antrag seines Vaters wegen gewohnheitsmäßigen Mißbrauches von Alkohol beschränkt entmündigt. Am 5. April 1972 erfolgte die Aufhebung dieser Entmündigung. Der Beklagte bestätigte die nunmehrige Abstinenz des seit 23. März 1981 wieder einer ständigen Beschäftigung nachgehenden Klägers und die beiden kamen überein, daß die auf der Liegenschaft Labitschberg Nr. 4 lastenden Auszugsrechte des Klägers auf der Liegenschaft Leibnitz Augasse 11 sichergestellt werden. Nach der Errichtung des Übergabsvertrages war der Übergeber, eine Wirtschafterin sowie der Kläger auf der Übergabsliegenschaft verblieben. Der Kläger wurde zuerst von der Wirtschafterin mit Frühstück, Mittag- und Abendessen versorgt und "ist dann zum Beklagten essen gekommen". Nach seiner Übersiedlung in die Augasse wurden die dort vom Kläger bewohnten Räumlichkeiten einmal wöchentlich von der Ehefrau des Beklagten gesäubert. Als diese ein Kind erwartete erklärte der Kläger, daß sie nicht kommen müsse. Derzeit erhält er kein Frühstück und keine Vormittagsjause, wohl aber die übrigen Mahlzeiten. Der Kläger hat sich seine Bekleidung und seinen Alltagsbedarf wie Toiletteartikel usw. selbst gekauft. Erst kurz vor der Klagseinbringung stellte er das der Klage zugrundeliegende Begehren an den Beklagten, dieser habe ihm für den aus Punkt III 1) des Übergabsvertrages hervorgehenden Anspruch auf Gewährung von Frühstück, Vormittagsjause und Bekleidung sowie Befriedigung der übrigen Bedürfnisse, also neben der sonstigen Verpflegung und Beistellung der Wohnung, ab 1. Oktober 1986 monatlich einen Betrag von S 2.000,- zu zahlen.

Der Beklagte stellte den eingeklagten Betrag von monatlich S 2.000,- der Höhe nach außer Streit, beantragte jedoch die Abweisung der Klage, weil der Kläger Kleidung und Befriedigung der sonstigen Bedürfnisse nie verlangt und solcherart einen stillschweigenden, auch für die Zukunft geltenden Verzicht hierauf abgegeben habe und im übrigen der Wille des Übergebers dahin gegangen sei, daß die vereinbarten Unterhaltsleistungen für den Kläger nur bis zu dessen Selbsterhaltungsfähigkeit erbracht werden sollten und im Zeitpunkt der Vertragserrichtung niemand mit einem künftigen geregelten Arbeitsverhältnis des Klägers gerechnet habe. Der Kläger verdiene als Werkarbeiter soviel, daß er sich selbst erhalten könne. Bei Bedachtnahme auf die Klageforderung müsse der beanspruchte Lebensbedarf im Verhältnis zur Leistungsfähigkeit des Beklagten als überhöht angesehen werden.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es verwies auf seine Feststellung eines eindeutigen Vertragswillens der Vertragsparteien dahin, daß der Unterhalt dem Kläger auf Lebenszeit eingeräumt werde und verneinte den vom Beklagten behaupteten stillschweigenden Unterhaltsverzicht. Aus dem Umstand, daß sich der Kläger Bekleidung, Toiletteartikel usw. selbst gekauft habe, könne im Sinne des § 863 ABGB kein grundsätzlicher Anspruchsverzicht abgeleitet werden. Auch auf die Reinigung der vertragsgemäß zur Verfügung gestellten Wohnräumlichkeiten habe der Kläger nicht für alle Zukunft verzichtet, weil sein diesbezügliches Verhalten nur der augenblicklichen Erschwernis der Erbringung dieser Leistung durch die schwangere Ehefrau des Beklagten Rechnung getragen habe. Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge und erklärte die Revision gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO für zulässig, weil die Frage, ob ein jahrzehntelanges Nichtfordern von Leistungen als Verwirkung eines Anspruches anzusehen ist, für die Rechtsentwicklung von Bedeutung sei. Es verwies darauf, daß die Feststellung, der Beklagte sei nach dem Vertragswillen auf Lebenszeit des Klägers verpflichtet, diesem den Unterhalt im Umfang des § 672 ABGB zu leisten, nicht wirksam bekämpft worden sei. Eine Feststellung, daß der Kläger auch für die Zukunft auf die klagegegenständlichen Leistungen verzichtet habe, sei nicht erfolgt. Aus dem festgestellten Sachverhalt könne ein solcher Verzicht auch nicht zwingend abgeleitet werden. Es wäre immerhin möglich, daß der Kläger sich lediglich für die Zeit seiner derzeitigen Erwerbstätigkeit und daher nur vorläufig mit dem gebotenen Unterhalt abgefunden habe, also nicht auch schon auf die umstrittenen Leistungen endgültig und selbst für den Fall des Verlustes seines Arbeitsplatzes habe verzichten wollen. Für einen derart weitgehenden, die vitalen Interessen des Klägers beeinträchtigenden Willensentschluß lägen keine zwingenden Gründe vor. Dem erstmals in der Berufung erfolgten Hinweis auf eine seit Vertragsabschluß eingetretene Änderung der Verhältnisse sei entgegenzuhalten, daß der Beklagte in erster Instanz diesbezügliches Vorbringen nicht erstattet, also nicht dargelegt habe, in welcher Hinsicht sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Streitteile in der Zwischenzeit konkret geändert hätten. Somit stelle sich auch gar nicht die Frage, ob die Umstandsklausel hier überhaupt angewendet werden könne und ob allenfalls eingetretenen Änderungen ein beachtliches Gewicht zukomme.

In seiner auf § 503 Abs 1 Z 4 ZPO gestützten, auf Abweisung des Klagebegehrens, allenfalls Urteilsaufhebung, gerichteten Revision führt der Beklagte aus, seine Einwendung des Unterhaltsverzichtes des Klägers sei nicht dahin zu verstehen, daß dieser durch seine mangelnde Forderung der ihm vertraglich zustehenden Leistung von Frühstück, Jause, Bekleidung usw. den Anspruch hierauf auf Lebenszeit verwirkt habe, sondern nur in dem Sinne, daß der Kläger für die Zeit seiner Arbeitsfähigkeit und Erwerbstätigkeit auf diese Leistungen verzichtet habe. Unter den derzeitigen günstigen Lebensverhältnissen brauche der Kläger die von ihm seit Jahrzehnten nicht in Anspruch genommenen Teilleistungen nicht und dies habe er durch die Unterlassung einer diesbezüglichen Einforderung selbst zum Ausdruck gebracht. Der Verzicht wäre daher bei Verschlechterung seiner Lebensverhältnisse natürlich wieder hinfällig. Die Frage eines immerwährenden Verzichtes bilde somit nicht den Gegenstand dieses Rechtsstreites und auch die Frage geänderter Verhältnisse stelle sich insoweit nicht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig, weil die Entscheidung entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes nicht von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO abhängt: Der Oberste Gerichtshof hat bisher in ständiger Rechtsprechung und in völliger Übereinstimmung mit der Lehre (SZ 39/210; EvBl 1977/125; JBl 1982, 426; JBl 1984, 213; RdA 1984, 233; uva; Koziol-Welser, Grundriß I8 175 mwH in FN 1) ausgesprochen, daß eine Rechtsverwirkung für den österreichischen Rechtsbereich nur insoweit anzuerkennen ist, als im Verhalten des Berechtigten ein stillschweigender Verzicht (§ 863 ABGB) auf das Recht erblickt werden kann. Die Vorinstanzen haben hier ganz im Sinne der Lehre und Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (SZ 52/104, SZ 54/83 uva; Koziol-Welser aaO 269) bei der Prüfung, ob ein schlüssiger stillschweigender Verzicht vorliegt, besondere Vorsicht walten lassen und diese Annahme im Zweifelsfalle verneint. Für eine solche Annahme ist nämlich unzweifelhafte Schlüssigkeit erforderlich, wie dies § 863 ABGB ausdrücklich gebietet. Der hier konkret zur Entscheidung gebrachte Sachverhalt weist keine Elemente auf, die eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung für die Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsfortentwicklung haben können. Weder das Berufungsgericht noch der Beklagte konnten in dieser Richtung Fragen von erheblicher Bedeutung aufzeigen. Aus diesem Grunde muß die außerordentliche Revision des Beklagten als unzulässig zurückgewiesen werden. Der Antrag des Kägers auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung war mangels Geltendmachung des gegebenen Zurückweisungsgrundes abzuweisen.

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