OGH 10ObS278/88

OGH10ObS278/888.11.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Wolfgang Dorner und Hermann Wachtberger in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gertrud L***, Gerstnerstraße 2, 4040 Linz, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei P*** DER A***, Friedrich

Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Erich und Dr. Richard Proksch, Rechtsanwälte in Wien, wegen Hilflosenzuschusses, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Juni 1988, GZ 12 Rs 78/88-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 3. März 1988, GZ 14 Cgs 2156/87-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß ab 7. Juli 1987 zu bezahlen, abgewiesen wird.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 13. Oktober 1987 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 7. Juli 1987 auf Zuerkennung des Hilflosenzuschusses ab.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der klagenden Partei ab 7. Juli 1977 den Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Im Vordergrund der krankhaften Veränderungen steht bei der am 5. Februar 1920 geborenen Klägerin eine hochgradige Übergewichtigkeit von 40 kg. Auf Grund ihres Zustandes kann die Klägerin allein essen und trinken, sie ist in der Lage, sich einfache Mahlzeiten selbst zuzubereiten. Sie kann das Geschirr abwaschen, mit einer Hand einen wassergefüllten Kochtopf mit 2 Liter Inhalt tragen, sich die Hände und das Gesicht allein waschen und sich auch allein frisieren. Beim Waschen erreicht sie in sitzender Stellung auch die unteren Körperpartien, die Füße besser unter Benützung einer Stielbürste, was angesichts der freien Beweglichkeit der Finger zumutbar ist. Einen zu Boden gefallenen Gegenstand kann sie mit Mühe im Sitzen aufheben. Zum Besteigen oder Verlassen einer Sitzbadewanne und zum Duschen benötigt sie fremde Hilfe. Die Klägerin kann allein auf das Klosett gehen, sich mit vermehrtem Zeitaufwand allein aus- und anziehen, einschließlich von Schlüpfschuhen, weil ihr das Knüpfen von Schuhbändern schwerfällt. Sie kann innerhalb der Wohnung langsam, jedoch frei gehen und stehen, es wären ihr daher mit vermehrtem Zeitaufwand leichte Aufräumarbeiten wie Zimmer zusammenkehren und notdürftiges Aufbetten, zumutbar. Sie kann auch den Feuerbrand in einem Holz- und Kohleofen allein unterhalten und einen solchen Ofen auch entaschen. Sie könnte sich in einem Waschgefäß die kleine Wäsche selbst waschen. Zum Waschen der Großwäsche, zum Herbeischaffen des Brennmaterials aus dem Vorratsraum und zum Tragen eines wassergefüllten Kübels benötigt sie fremde Hilfe. Die Klägerin kann auch nicht mehr ohne fremde Hilfe ihre Wohnung verlassen. Ein täglicher Einkaufsweg zum nächsten Kaufmann ist ihr daher nicht mehr möglich. Ihr geistiger Zustand ist so, daß sie zwar bewegungsscheu wirkt, sich aber über die Notwendigkeit der Durchführung aller der Hygiene dienenden Maßnahmen im klaren ist. Die Wohnung der Klägerin befindet sich im dritten Stockwerk eines Hauses ohne Lift. Sie wird mit einer Gasetagenheizung beheizt. Eine Bekannte der Klägerin kümmert sich um sie den ganzen Tag. Sie bekommt hiefür freie Verpflegung. Die Klägerin bezieht eine monatliche Pension von S 5.179.

Aus diesem Sachverhalt folgerte das Erstgericht rechtlich, die Klägerin sei so schwer gehbehindert, daß sie ohne fremde Hilfe ihre Wohnung nicht mehr verlassen könne. Sie bedürfe daher einer ganztägigen Betreuung, da sie sonst sterben oder verkommen würde. Hilflosigkeit liege daher vor.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei keine Folge und bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, daß das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß am 7. Juli 1987 zu bezahlen, dem Grunde nach zu Recht bestehe.

Aus den Feststellungen ergebe sich, daß die Klägerin fremde Hilfe zum Besteigen und Verlassen einer Sitzbadewanne oder Dusche benötige. Da speziell im Hinblick auf das Körpergewicht und die damit verbundene Schweißabsonderung ein tägliches Bad erforderlich sei, erwachse hiefür ein täglicher Zeitaufwand von mindestens einer halben Stunde, also etwa 15 Stunden im Monat. Für das Aufhängen der Wäsche seien 2 Stunden monatlich erforderlich. Die Großreinigung der Wohnung erfordere zumindest 12 Stunden monatlich, das nicht tägliche Einkaufen etwa 12 Stunden pro Monat. Gehe man von den Kosten einer Hilfskraft von 70 S pro Stunde aus, so erreichten die monatlich aufzuwendenden Kosten die Höhe des gesetzlichen Hilflosenzuschusses.

Rechtliche Beurteilung

Die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei ist berechtigt.

Das Berufungsgericht hat die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zum Hilflosenzuschuß zwar richtig wiedergegeben (SSV-NF 1/46; JBl. 1988, 64 ua) hieraus jedoch, bezogen auf den vorliegenden Fall, unrichtige Schlüsse gezogen.

Fest steht, daß die Klägerin fremde Hilfe lediglich zum Einkaufen, für die Großreinigung der Wohnung und der großen Wäsche sowie für die Benützung einer Badewanne oder Dusche benötigt. Das Herbeischaffen von Brennmaterial aus dem Vorratsraum ist nicht erforderlich, weil die Klägerin über eine Gasetagenheizung verfügt. Warum die Klägerin zum Aufhängen der Wäsche fremde Hilfe benötigen soll, ist in Anbetracht der allgemein üblichen niederen und leicht zusammenklappbaren Wäscheständer nicht erkennbar.

Die Unfähigkeit, lebensnotwendige Verrichtungen selbst auszuführen, kann nur in dem Umfang Hilflosigkeit im Sinne des § 105 a ASVG begründen, als der Ausfall der erforderlichen Wartung und Hilfe dazu führen würde, daß der Rentner oder Pensionist in absehbarer Zeit sterben oder verkommen oder gesundheitliche Schäden erleiden würde. Unabhängig davon, ob Baden und Duschen nicht durch auf eine andere Weise vorgenommene gründliche Reinigung des gesamten Körpers ersetzt werden kann und daher nicht zu den lebensnotwendigen Verrichtungen zählt, kann unter dem angeführten

Gesichtspunkt - abgesehen von einer allfälligen medizinischen Notwendigkeit - jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, daß der Rentner oder Pensionist täglich baden oder duschen muß (10 Ob S 146/87 ua). Daß aber eine medizinische Notwendigkeit für ein tägliches Bad bestünde, ist weder festgestellt noch ergibt sich eine solche aus dem Sachverständigengutachten.

Wegen der Ausstattung der Haushalte mit einem Kühlschrank ist auch das Einkaufen von Lebensmitteln nicht mehr täglich, sondern höchstens zwei- bis dreimal wöchentlich erforderlich. Die Großreinigung der Wohnung und der großen Wäsche aber ist unter dem oben dargelegten Gesichtspunkt nur in größeren Zeitabständen, keinesfalls aber in einem Ausmaß von 12 Stunden monatlich erforderlich, sodaß insgesamt auszuschließen ist, daß die für fremde Hilfe aufzuwendenden Kosten die Höhe des Hilflosenzuschusses auch nur annähernd erreichen könnten.

Da Hilflosigkeit im Sinne des § 105 a ASVG daher nicht vorliegt, war in Stattgebung der Revision das Klagebegehren abzuweisen.

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