OGH 15Os111/88

OGH15Os111/8821.10.1988

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.Oktober 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Knob als Schriftführerin in der Strafsache gegen Bernhard B*** wegen des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Strafverfügung des Strafbezirksgerichtes Wien vom 16. März 1987, GZ 15 U 3.384/86-6, nach der am 13.September 1988 begonnenen und am 21.Oktober 1988 fortgesetzten öffentlichen Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Aus dem Akt 15 U 3384/86 des Strafbezirksgerichtes Wien ergibt sich folgender Sachverhalt:

Mit (in Rechtskraft erwachsener) Strafverfügung vom 16.März 1987 wurde Bernhard B*** des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt, die er am 31. August 1987 bezahlt hat (S 29, 30 und 49).

Nach dem Inhalt der Strafverfügung hat er am 28.April 1986 in Wien mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, den Postbeamten Helmut W*** durch die Vorgabe, ein zahlungsfähiger und -williger Postkunde zu sein, dazu verleitet, ihm die Benützung einer Fernsprechanlage zu gestatten, wodurch der Bund an seinem Vermögen um die aufgelaufene Fernsprechgebühr in der Höhe von 65,80 S geschädigt wurde. Den Angaben des Anzeigers (S 5/6) zufolge hatte Bernhard B*** zunächst mit einem Scheck bezahlen wollen; er hatte jedoch keine Scheckkarte bei sich und hinterließ daher neben dem auf sein Konto bei der E*** Ö*** S***-C*** lautenden Scheck auch

sein Wehrdienstbuch, wobei er versprach, die Scheckkarte im Laufe der nächsten 24 Stunden nachzureichen, obwohl ihm in Wahrheit eine solche seitens der Bank noch gar nicht ausgefolgt worden war (S 19); als er in der Folge weder die versprochene Scheckkarte überbrachte, noch den offenen Betrag bar beglich, erstattete W*** - ersichtlich ohne den Scheck bei der Bank präsentiert zu haben - am 7. Mai 1986 die Anzeige.

Bei seiner polizeilichen Vernehmung am 15.Oktober 1986 (S 13) bekannte sich B*** der Sache nach eines Betruges nicht schuldig und behauptete, auf die Abdeckung seiner Verbindlichkeit bloß vergessen zu haben. Nach einer vom Gericht eingeholten Auskunft der E*** Ö*** S***-C*** wies sein seit Ende März 1986

geringfügig überzogenes Konto am 5.Mai 1986 nach der Gutschrift von 2.562 S einen Guthabenstand von 2.485 S auf (S 19, 21). Ferner ergab eine Befragung des Postbeamten W***, daß die aufgelaufenen Gebühren von B*** unmittelbar nach dessen polizeilicher Befragung vollständig entrichtet worden sind (S 13, 27).

Als der Beschuldigte in einer Eingabe, in der er auch erwähnte, daß er infolge langer Arbeitslosigkeit "finanziell am Ende" sei und noch "Schulden von einigen Jahren" zu begleichen habe, darauf hinwies, daß es ihm nur schwer möglich sei, von seinem nunmehrigen Arbeitsplatz in Tirol nach Wien zu kommen (S 21), sah das Bezirksgericht von der Durchführung einer bereits anberaumt gewesenen Hauptverhandlung ab (S 22) und erließ in der Folge die eingangs relevierte Strafverfügung.

Rechtliche Beurteilung

Die Generalprokuratur erblickt in der Erlassung dieser Strafverfügung eine Verletzung des § 460 Abs. 1 StPO und führt aus:

"Nach der zur Zeit der Erlassung der Strafverfügung in Geltung gestandenen (zu ergänzen: Fassung der) Vorschrift des § 460 Abs. 1 StPO konnte der Richter, falls er nur eine Geldstrafe von nicht mehr als 60 Tagessätzen zu verhängen fand, die Strafe ohne vorausgehendes Verfahren durch Strafverfügung festsetzen, wenn ein auf freiem Fuß befindlicher Beschuldigter von einer Behörde oder von einem Sicherheitsorgan auf Grund eigener dienstlicher Wahrnehmungen oder eines Geständnisses angezeigt wurde oder wenn die durchgeführten Erhebungen zur Beurteilung aller für die Entscheidung maßgebenden Umstände ausreichen. Im gegenständlichen Fall beschränkten sich die "eigenen dienstlichen Wahrnehmungen" des Meldungslegers Polizeiinspektor Andreas N*** auf die Sicherstellung der von Bernhard B*** beim Postbeamten Helmut W*** hinterlegten Gegenstänce und umfaßten nicht auch den Tathergang. Überdies fehlte es an einem umfassenden Geständnis des Angezeigten, das auch die subjektive Tatseite zum Gegenstand haben müßte (insbesondere SSt 38/39; EvBl 1968/435 und 9 Os 199/82 = ÖJZ-LSK 1983/85). Ebensowenig reichten die dem Strafbezirksgericht Wien zum Zeitpunkt der Erlassung der Strafverfügung vorgelegenen (sonstigen) Erhebungsergebnisse zur zweifelsfreien Beurteilung aller für einen Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 146 StGB erforderlichen subjektiven und objektiven Tatbestandsmerkmale aus (vgl insbesondere RZ 1982/23 und neuerlich ÖJZ-LSK 1983/85). Die der Strafverfügung zugrundegelegte erstrichterliche Auffassung, der Angezeigte habe mit Täuschungs- und Schädigungsvorsatz gehandelt, ist nämlich derzeit aktenmäßig nicht gedeckt, läßt sie doch den - eine baldige Einlösung des übergebenen Schecks ermöglichenden - Eingang auf dessen Konto unmittelbar nach dem tatgegenständlichen Telefonat unberücksichtigt. Da demzufolge aber auch ungeklärt geblieben ist, ob der Beschuldigte diesen Eingang schon zur Tatzeit erwarten konnte, liegen derzeit auch sonst keine Beweisergebnisse vor, welche geeignet wären, die Verantwortung des Beschuldigten zu widerlegen, auf die - ursprünglich beabsichtigte - Begleichung der (durch den schließlichen Kontostand bei weitem abgedeckten) Gebührenforderung bloß vergessen zu haben. Somit ergeben sich nicht alle für die rechtliche Beurteilung relevanten Umstände aus den vorliegenden Erhebungen, weshalb dem Strafbezirksgericht Wien die Erlassung einer Strafverfügung ohne weitere Sachverhaltsüberprüfung verwehrt gewesen ist. Vielmehr wäre das Gericht bei diesen Gegebenheiten verpflichtet gewesen, entweder weitere Erhebungen durchzuführen oder gemäß § 454 StPO eine Hauptverhandlung anzuberaumen (vgl RZ 1976, 49 und abermals ÖJZ-LSK 1983/85). Die Erlassung der gegenständlichen Strafverfügung verstößt deshalb gegen die Bestimmung des § 460 Abs. 1 StPO und hat sich nach dem Gesagten auch zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt."

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Beizupflichten ist der Generalprokuratur darin, daß mangels einer eigenen dienstlichen Wahrnehmung des Tatherganges durch eine Behörde oder ein Sicherheitsorgan und mangels eines Geständnisses des Beschuldigten vorliegend die ersten beiden Fälle des § 460 Abs. 1 StPO zur Begründung der Zulässigkeit einer Strafverfügung ausscheiden. Die hier aktuelle Frage aber, ob die vorgenommenen Erhebungen, die nicht gerichtliche sein müssen (ÖJZ-LSK 1977/15), zur Beurteilung aller für die Entscheidung maßgebenden Umstände - also auch der subjektiven Tatbestandsmerkmale (ÖJZ-LSK 1983/85 ua) - ausreichen (dritter Fall des § 460 Abs. 1 StPO), fällt (im Rahmen der Denkgesetze und allgemeiner Lebenserfahrung) in den Bereich richterlicher Beweiswürdigung; diese Annahme ist sonach einer Anfechtung nach § 33 Abs. 2 StPO nur insoweit zugänglich, als es darum geht, ob dem Grundsatz des beiderseitigen Gehörs in einer der Erforschung der materiellen Wahrheit dienlichen Weise Rechnung getragen wurde (ÖJZ-LSK 1977/16 = ZVR 1977/89, EvBl 1981/215, Rz 1983/38 ua, zuletzt 13 Os 120,121/88).

Eine derartige Verletzung des (verfassungsmäßig abgesicherten) Gehörszwanges (Art 6 MRK) indessen wird im vorliegenden Verfahren gar nicht behauptet (und ist, wie eingangs dargestellt, auch tatsächlich nicht unterlaufen). In jenem Ergebnis der durchgeführten Erhebungen hingegen, demzufolge der Beschuldigte nach der Benützung einer staatlichen Fernmeldeanlage, somit nach Inanspruchnahme einer entgeltlichen Leistung einen ungedeckten Scheck ausstellte, den Besitz einer Scheckkarte vortäuschte und sodann etwa fünfeinhalb Monate lang weder eine (zur amtlichen Entgegennahme des Schecks vorgeschriebene) Scheckkarte nachreichte noch Zahlung leistete, konnte das Bezirksgericht in Verbindung mit dessen damals beengter finanzieller Lage - ungeachtet einer anderen Beurteilungsmöglichkeit - doch logisch und empirisch mängelfrei eine ausreichende Grundlage auch für die Annahme eines nach § 146 StGB tatbestandsmäßig vorgefaßten Bereicherungs-, Täuschungs- und Schädigungsvorsatzes erblicken. Es wäre dem Beschuldigten freigestanden, eine Überprüfung dieser Beweiswürdigung im Weg des ordentlichen Verfahrens herbeizuführen.

Da sohin eine im gerügten Vorgehen des Strafbezirksgerichtes Wien gelegene Verletzung des Gesetzes in den Bestimmungen des § 460 StPO nicht zu erkennen ist, mußte die unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes verworfen werden.

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