OGH 9ObA242/88 (9ObA243/88, 9ObA244/88, 9ObA245/88)

OGH9ObA242/88 (9ObA243/88, 9ObA244/88, 9ObA245/88)12.10.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Jeitschko und Helga Kaindl als weitere Richter in den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien 1) mj Michael B***, Kellnerlehrling, Graz, Ghegagasse 27a, vertreten durch die Mutter Ingrid B***, Hausfrau, ebendort, 2) Gerhard D***, Koch- und Kellnerlehrling, Graz, Dr. Theodor Pfeifferstraße 79,

3) mj Wolfgang P***, Koch- und Kellnerlehrling, Graz, Obere Weid 29, vertreten durch den Vater Adolf P***, Angestellter, ebendort, 4) mj Thomas W***, Koch- und Kellnerlehrling, Graz, Eggenbergergürtel 10, vertreten durch die Mutter Anna W***, Hausfrau, ebendort, sämtliche vertreten durch Werner L***, Referent der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark, Graz, Hans-Reselgasse 8-10, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach dem am 2. Mai 1988 verstorbenen Josef T***, Gastwirt, Graz, Am Sonnenhang 6, vertreten durch Ursula P***, erbl. Tochter und Verlassenschaftskurator, diese vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wegen 1) S 19.231,- brutto sA, 2) S 21.791,-

brutto sA, 3) S 21.441,- brutto sA und 4) S 26.561,- brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Juni 1988, GZ 7 Ra 35-38/88-11, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 8. Jänner 1988, GZ 36 Cga 1244, 1245, 1247, 1248/87-6, bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird zum Teil dahin Folge gegeben, daß das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird.

Beide Teile haben die Kosten des Berufungsverfahrens, die beklagte Partei überdies die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger waren bei Josef T***, der Konzessionsinhaber und Lehrberechtigter war, als Koch- und Kellnerlehrling beschäftigt. T*** stellte den Gastwirtschaftsbetrieb am 2. September 1987 ein und meldete der zuständigen Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft das Ruhen der Gewerbeausübung. Er übermittelte allen Klägern ein von der Kammer der gewerblichen Wirtschaft aufgelegtes, vorgedrucktes Formular mit der Überschrift "Vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses", das aber nicht nur für die Auflösungsarten des § 15 Abs 3 und 4 BAG, sondern auch für eine einvernehmliche Auflösung und für die Mitteilung des Endes des Lehrverhältnisses gemäß § 14 Abs 2 BAG vorgesehen war. Diesem Formular war nach der Ausfüllung zu entnehmen, daß das jeweilige Lehrverhältnis "vorzeitig mit 1. September 1987 gelöst bzw. beendet wird". Als Grund war angeführt: "Endigung gemäß § 14 Abs 2 BAG - Betriebsauflösung". Am 7. Oktober 1987 legte T*** die Konzession zurück.

Mit der Behauptung, der Lehrberechtigte habe ihre Lehrverhältnisse mit 1. September 1987 ohne wichtigen Grund vorzeitig aufgelöst, begehren die Kläger die Abgeltung von Zeitausgleich, Kündigungsentschädigung in Höhe dreier Monatsentgelte gemäß § 1162 b ABGB, Jahresremuneration und Urlaubsentschädigung in Höhe von 1) S 19.231,-, 2) S 21.791,-, 3) S 21.441,- und

4) S 26.561,- jeweils brutto sA.

Die beklagte Partei beantragte, die Klage abzuweisen. T*** habe die Lehrverhältnisse nicht aufgelöst, sondern den Klägern nur mitgeteilt, daß die Lehrverhältnisse gemäß § 14 Abs 2 BAG beendet seien, wobei die Ex lege-Beendigung schon mit der Ruhendmeldung des Gewerbes eingetreten sei. Da es allen Beteiligten nach dem Tod der Gattin T*** klar gewesen sei, daß der Gastwirtschaftsbetrieb nicht fortgeführt werde, hätten die Kläger diese Benachrichtigung nicht mißverstehen können. Jedenfalls hätten die Lehrverhältnisse der Kläger aber spätestens mit 7. Oktober 1987 geendet. Das Erstgericht sprach dem Erstkläger S 12.135,05, dem Zweitkläger S 13.403,03, dem Drittkläger S 13.558,03 und dem Viertkläger S 18.014,04 jeweils brutto sA zu und wies das Mehrbegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß T*** den Klägern gemäß § 9 Abs 4 BAG nur eine Wissenserklärung über die kraft Gesetzes eintretende Beendigung der Lehrverhältnisse zukommen habe lassen. Dies ergebe sich aus dem Text des dazu verwendeten Formulars, das zwar eine mißverständliche Überschrift aufweise, in dem aber eine "Endigung gemäß § 14 Abs 2 BAG" angeführt und als Grund für das Ende der Lehrverhältnisse "Betriebsauflösung" angegeben sei. Dabei sei aber zu beachten, daß weder die Einstellung des Gastwirtschaftsbetriebes noch die Ruhendmeldung, sondern erst die Zurücklegung der Konzession zur rechtlichen Unfähigkeit des Lehrberechtigten geführt habe, seiner Verpflichtung gegenüber den Klägern nachzukommen. Die Lehrverhältnisse seien daher noch bis 7. Oktober 1987 aufrecht gewesen; den Klägern stünden die der Höhe nach unbestrittenen Ansprüche bis zu diesem Zeitpunkt zu. Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung mit Ausnahme der Abweisung eines geringfügigen Zinsenmehrbegehrens im Sinne der Klagebegehren ab und sprach aus, daß die Revision hinsichtlich jeder einzelnen der verbundenen Arbeitsrechtssachen zulässig sei. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die Kläger der ihnen zugekommenen Mitteilung T*** gemäß § 915 ABGB entnehmen hätten können, daß der Lehrberechtigte nicht mehr willens sei, das Lehrverhältnis mit ihnen fortzusetzen. Seine Vertragserklärung sei damit auf die vorzeitige Auflösung der Lehrverhältnisse gerichtet gewesen. Auch wenn diese Willenserklärung vorerst nicht wirksam geworden und das Vertragsverhältnis in einem Schwebezustand geraten sei, habe die letztlich durch Klageerhebung getroffene Wahl der Kläger, einen Schadenersatzanspruch geltend zu machen, die Unwirksamkeit der Erklärung rückwirkend geheilt. Zufolge der Bindung T*** an seine Erklärung über den 7. Oktober 1987 hinaus, habe er in die schwebende Rechtssache durch einseitiges Verhalten, etwa durch Zurücklegen der Gewerbeberechtigung, nicht mehr eingreifen können. Die Ansprüche der Kläger seien daher zur Gänze berechtigt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtliche Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne einer Abweisung der Klagebegehren. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Kläger haben sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zum Teil berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Wie das Berufungsgericht richtig erkannte, kommt es für die Endigung eines Lehrverhältnisses nach § 14 Abs 2 lit d BAG nicht auf die tatsächliche, sondern allein auf die rechtliche Unfähigkeit des Lehrberechtigten zur Erfüllung seiner Verpflichtungen gegenüber dem Lehrling an (Arb 10.182, 10.246, 10.308, 10.567 ua je mwH). Die Lehrverhältnisse der Kläger endeten daher entgegen der Ansicht der Revisionswerberin weder durch die faktische Betriebseinstellung noch durch die Meldung des Ruhens der Gewerbeausübung, die eine Wiederaufnahme des Gastbetriebes nicht ausgeschlossen hätten, sondern kraft Gesetzes mit der Zurücklegung der gewerberechtlichen Befugnis durch den Konzessionsinhaber T*** am 7. Oktober 1987. Dem Berufungsgericht kann jedoch nicht beigepflichtet werden, daß die Verständigung der Kläger vom 3. September 1987 über die Betriebsauflösung als eine auf die vorzeitige Auflösung der Lehrverhältnisse gerichtete Willenserklärung anzusehen sei. Der vom Erstgericht festgestellte Inhalt der schriftlichen Erklärung des Beklagten bezieht sich ausdrücklich auf die Betriebsauflösung als Endigungsgrund gemäß § 14 Abs 2 BAG, während der unter anderem ebenfalls vorgedruckte Grund "Auflösung durch den Lehrberechtigten gemäß § 15 Abs 3 BAG" weder angekreuzt noch begründet wurde. In den Fällen des § 14 Abs 2 BAG endet aber das Lehrverhältnis schon kraft Gesetzes, ohne daß es dazu einer (unterstellten) Willenserklärung des Lehrberechtigten bedurft hätte (Arb 10.567). Soweit T*** daher seiner gesetzlichen Verpflichtung zur Verständigung der Kläger vom Eintritt der Endigung der Lehrverhältnisse nach § 9 Abs 4 BAG nachkam, übte er kein auf die Beendigung der Lehrverhältnisse abzielendes Gestaltungsrecht aus, sondern gab lediglich eine Mitteilung über die seiner - allerdings rechtsirrigen - Ansicht nach durch die Betriebsauflösung herbeigeführte Rechtslage und damit nur eine rechtlich bedeutungslose Wissenserklärung ab. Sein Schreiben war sohin nicht geeignet, die Lehrverhältnisse der Kläger in das Auflösungsstadium zu versetzen (vgl Arb 9.919 ua). Daran kann auch der Einwand der Kläger, die beklagte Partei habe außer Streit gestellt, daß die Lehrverhältnisse jeweils mit 1. September 1987 wegen Betriebsauflösung gemäß § 14 Abs 2 BAG vorzeitig aufgelöst worden seien, nichts ändern, da nur streitige Tatsachen Gegenstand einer Außerstreitstellung sein können (vgl Fasching ZBR Rz 844), nicht aber ohnehin weiter strittig gebliebene Rechtsfragen. Abgesehen davon ergibt sich schon aus der Argumentation des Berufungsgerichtes, daß den Klägern im vorliegenden Fall keine über den 7. Oktober 1987 hinausreichenden Ansprüche zustehen können. Wenn den Klägern nämlich ein Wahlrecht zwischen der Ablehnung und der Annahme der Vertragsauflösung zustand (vgl Arb 9.896 = DRdA 1982/5 !Jabornegg ; Arb 10.176), hätten sie im Falle der Ablehnung ihre Lehrverhältnisse nur bis zur Endigung ex lege fortsetzen können. Dieselbe Befristung muß aber auch für die Bemessung der Kündigungsentschädigung nach § 1162 b ABGB gelten, so daß ihnen auch aus diesem Grunde nur das vertragsgemäße Entgelt bis zu dem durch Gesetz bestimmten Ablauf der Lehrzeit gebührt (Arb 9.919). Eine weiterreichende analoge Anwendung des § 1162 b ABGB kommt bei einer Auflösung eines Lehrverhältnisses kraft Gesetzes (§ 14 Abs 2 BAG) nicht in Betracht (Arb 10.567 mwH).

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 40, 43 Abs 1 und 50 ZPO begründet. Beide Parteien haben die Kosten ihrer im Ergebnis erfolglosen Berufungen selbst zu tragen. Im Revisionsverfahren blieben die Kläger zum überwiegenden Teil erfolgreich. Sie erstatteten jedoch keine Revisionsbeantwortung.

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