OGH 7Ob670/88

OGH7Ob670/8829.9.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz R***, geboren am 16. August 1936 in Heinreichs, Landwirt, Raisdorf Nr. 47, vertreten durch Dr. Josef Lentschig und Dr. Heinrich Nagl, Rechtsanwälte in Horn, wider die beklagte Partei Johanna Maria R***, geboren am 20. Dezember 1938 in Gars am Kamp, Landwirtin, Raisdorf Nr. 6, vertreten durch Dr. Franz Obenaus, Rechtsanwalt in Horn, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Berufungsgerichtes vom 22. Juli 1988, GZ R 235/88-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Horn vom 9. Mai 1988, GZ 1 C 10/88-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.397,35 (darin enthalten S 308,85 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen am 4. Oktober 1961 die Ehe, der eine am 9. April 1962 geborene Tochter entstammt. Für beide Teile handelte es sich um die erste Ehe. Zur Aufnahme eines gemeinsamen Haushaltes ist es nie gekommen. Die Beklagte schlug dem Kläger zunächst vor, in eine Stadt zu ziehen und dort eine Arbeit anzunehmen. Der Kläger lehnte dies jedoch ab, weil er seine Mutter nicht allein lassen wollte und gern in der Landwirtschaft arbeitete. Auch den weiteren Vorschlag der Beklagten, in die Ausgedingswohnung im - bescheidenen - Anwesen der Pflegeeltern der Beklagten zu ziehen, lehnte der Kläger ab, weil dort erst Wasser und Strom hätten eingeleitet werden müssen und sich der Kläger außerdem mit der Pflegemutter der Beklagten nicht verstand. Bei den Eltern des Klägers konnten die Streitteile wegen der dort herrschenden engen räumlichen Verhältnisse nicht wohnen. Den Vorschlag des Klägers, in der Heimatgemeinde eine Wohnung um einen monatlichen Zins von S 50 zu mieten, lehnte die Beklagte ab, weil sie wegen der im Haus ihrer Pflegeeltern vorhandenen, leerstehenden Ausgedingswohnung kein Geld für eine Mietwohnung ausgeben wollte. So blieb der Kläger im Haus seiner Eltern, die Beklagte im Haus ihrer Pflegeeltern. Bis zur Geburt der ehelichen Tochter nächtigte der Kläger immer wieder bei der Beklagten. Danach schlief er aber regelmäßig im Haus seiner Eltern und suchte die Beklagte immer seltener bloß tagsüber auf. Der letzte Geschlechtsverkehr liegt ca. 15 Jahre zurück. In den ersten Jahren der Ehe versuchte der Kläger noch, mit der Beklagten die häusliche Gemeinschaft herzustellen. Unter Mitwirkung eines Pfarrers kam es am 19. Jänner 1963 zu einer Niederschrift, in der die Streitteile vereinbarten, für die Eltern des Klägers eine Ausgedingswohnung zu suchen. Nach deren Auszug sollte die Beklagte in das Elternhaus des Klägers ziehen. Die Eltern des Klägers zogen aus ihrem Haus jedoch nicht aus. Die Beklagte versuchte nach der Geburt ihrer Tochter nicht mehr, den Kläger zum Umzug in das Haus ihrer Pflegeeltern zu bewegen.

Die Streitteile arbeiteten jeweils in der Landwirtschaft ihrer (Pflege-)Eltern und halfen einander jeweils bei landwirtschaftlichen Arbeiten aus. Der Beklagte übernahm im Jahre 1965 die Landwirtschaft seiner Eltern. Die Pflegemutter der Beklagten starb im Jahre 1970. Danach versuchte der Kläger, mit dem Pflegevater der Beklagten einen Übergabsvertrag über dessen Landwirtschaft abzuschließen. Die Verhandlungen scheiterten jedoch an den Taschengeldforderungen des Pflegevaters der Beklagten. Die Beklagte forderte den Kläger damals nicht mehr auf, zu ihr zu ziehen. Im Jahre 1971 starb die Mutter des Klägers, im Jahr 1979 der Vater des Klägers. Im Jahr 1980 übernahm die Beklagte die Landwirtschaft ihres Pflegevaters. Da sich die Eheleute schon derart auseinandergelebt hatten, forderte sie den Beklagten auch danach nicht mehr auf, zu ihr zu ziehen. Der Kläger hat weder für die Beklagte noch für die gemeinsame eheliche Tochter Unterhaltsleistungen erbracht. Die Beklagte hat derartige Zahlungen nie gefordert. Die Streitteile lebten jeweils von den kargen Erträgnissen der genannten Landwirtschaften. Aus Anlaß der Hochzeit der ehelichen Tochter zahlte der Kläger ihr ein Heiratsgut von S 50.000. Er half den Brautleuten auch beim Stallbau und stellte dafür Maschinen zur Verfügung.

Der Kläger begehrt die Scheidung der Ehe nach § 55 Abs 3 EheG. Die häusliche Gemeinschaft sei seit rund 26 Jahren "aufgehoben". Die Ehe sei tiefgreifend und unheilbar zerrüttet, so daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr erwartet werden könne. Er habe die Zerrüttung der Ehe keinesfalls allein oder überwiegend verschuldet. Die Beklagte beantragte die Abweisung der Scheidungsklage. Falls die Ehe zerrüttet sein sollte, träfe den Kläger daran das Alleinverschulden. Daher werde beantragt, dies im Urteil auszusprechen.

Das Erstgericht gab der Scheidungsklage statt und wies den auf einen Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG gerichteten Antrag der Beklagten ab. Die Ehe der Streitteile sei unheilbar zerrüttet. Die Streitteile selbst hätten seit mindestens 10 Jahre jede Hoffnung verloren, eine dem Wesen der Ehe entsprechende Lebensgemeinschaft herstellen zu können. Daran, daß kein gemeinsamer Haushalt gegründet worden sei, treffe beide Streitteile das gleiche Verschulden. Daß der Kläger keinen Unterhalt für die Beklagte und die eheliche Tochter gezahlt habe, habe die Zerrüttung der Ehe nicht bewirkt. Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes. Beiden Teilen habe es am erforderlichen Ehewillen gemangelt, weshalb es nicht einmal zur Aufnahme eines gemeinsamen Haushaltes gekommen sei. Eine Verletzung des Unterhaltsanspruches der Beklagten falle dem Kläger nicht zur Last, weil die Beklagte mangels der Voraussetzungen des § 94 (alt) ABGB keinen Unterhaltsanspruch gehabt habe. Da aber die Beklagte vom Kläger für sich nie Unterhalt verlangt habe, müsse davon ausgegangen werden, daß sie dieses Verhalten des Klägers nicht als ehezerstörend empfunden habe. Hätte aber die Beklagte deshalb gemäß § 56 EheG das Scheidungsrecht verwirkt, müßte dies auch bei der Beurteilung des Verschuldensantrages nach § 61 Abs 3 EheG entsprechend berücksichtigt werden. Die Verletzung der Unterhaltspflicht gegenüber der ehelichen Tochter habe aber ebenfalls nicht zur Zerrüttung der Ehe der Streitteile beigetragen.

Nur gegen die Bestätigung der Abweisung ihres Antrages nach § 61 Abs 3 EheG richtet sich die - erkennbar - wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag, das alleinige oder überwiegende Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe festzustellen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Beklagte führt in der Revision im wesentlichen aus, der Kläger habe nach der Geburt der ehelichen Tochter einseitig die Trennung herbeigeführt. Er sei nicht bereit gewesen, in die Ausgedingswohnung im Haus der Pflegeeltern der Beklagten zu ziehen und habe auch bestehende Unterhaltspflichten verletzt. Diese Umstände würden den begehrten Ausspruch begründen. Daß sie die Unterhaltsansprüche - sei es aus Rechtsunkenntnis oder bloß aus dem Bestreben heraus, den Kläger nicht zu verärgern - niemals geltend gemacht habe, dürfte ihr nicht zum Nachteil gereichen. Beim Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG kommt es jedoch nicht darauf an, ob der Kläger einen Ehescheidungstatbestand verwirklicht hat. Entscheidend ist allein, ob ihm eine Schuld an der Zerrüttung vorzuwerfen ist (Koziol-Welser8 II 215; Aicher in Floretta, Das neue Ehe- und Kindschaftsrecht 124; EFSlg 41.289) und ob, falls beiden Eheleuten ein Verschulden an der Zerrüttung vorzuwerfen ist, seine Schuld deutlich überwiegt (EFSlg 43.699). Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich aber, daß es beiden Eheleuten schon von allem Anfang an am erforderlichen Ehewillen gemangelt hat und beide Teile durch ihr Verhalten dazu beigetragen haben, daß es nie zur Aufnahme eines gemeinsamen Haushaltes gekommen ist. Dies - nicht aber die Verletzung von Unterhaltspflichten durch den Kläger - hat zur gänzlichen Zerrüttung der in Wahrheit nie aufgenommenen Ehe geführt. Vom alleinigen oder überwiegenden Verschulden des Klägers an dieser Zerrüttung kann daher keine Rede sein. Dem Kläger (allenfalls) vorzuwerfende Unterhaltsverletzungen würden aber gegenüber dem Verschulden der Beklagten an der Zerrüttung derart zurücktreten (SZ 58/165), daß sein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe dennoch nicht deutlich überwiegen würde. Soweit die Beklagte in der Revision ausführt, daß der Kläger die Trennung einseitig herbeigeführt habe und es nur ihm am erforderlichen Ehewillen gemangelt habe, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Der Revision war sohin ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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