Spruch:
Die Urteile des Bezirksgerichts Ferlach vom 2.Dezember 1987, GZ. U 73/87-10, und des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgerichts vom 28.Februar 1988, AZ. 4 Bl 34/88, verletzen die Bestimmung des § 88 Abs. 1 und 4, erster Fall, StGB. Diese beiden Urteile werden aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Bezirksgericht Ferlach zurückverwiesen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Bezirksgerichts Ferlach vom 2.Dezember 1987, GZ. U 73/87-10, wurde die am 26.Jänner 1965 geborene Jutta B*** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4, erster Fall, StGB. schuldig erkannt. Nach den Urteilsfeststellungen hat sie am 31.Mai 1987 im Stadtgebiet von Ferlach als Lenkerin eines Personenkraftwagens bei Befahren der Neubaugasse die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit (§ 20 Abs. 2 StVO.) durch Einhalten einer Geschwindigkeit von mindestens 64 km/h überschritten und den aus der benachrangten Dollichgasse in den Kreuzungsbereich mit der Neubaugasse einfahrenden Radfahrer Martin K*** trotz sofortiger Bremsreaktion mit einer Geschwindigkeit von 59 km/h im Bereich des rechten (vorderen) Kotflügels des von ihr gelenkten Fahrzeuges erfaßt, wodurch der Radfahrer hochgehoben, gegen die Windschutzscheibe bzw. den Windschutzscheibenrahmen gedrückt und bis zum 20,4 m später erfolgten Stillstand des Wagens mitgenommen wurde. Martin K*** erlitt hiedurch schwere Verletzungen, nämlich Brüche von sechs Rippen, des Schlüsselbeins und Schulterblattes samt inneren Blutungen. Unter der Voraussetzung einer - nach Ansicht des Erstgerichts relativ überhöhten, absolut
zulässigen - Bremsausgangsgeschwindigkeit von 50 km/h wäre es bei unveränderter Annahme aller übrigen Umstände mit höchster Wahrscheinlichkeit zu einem Frontalkontakt des in diesem Fall auf eine Geschwindigkeit von nur mehr 33 km/h herabgebremsten Personenkraftwagens mit dem Fahrrad gekommen. Eine nähere Prüfung der gegenüber rechtmäßigem Alternativverhalten eingetretenen Risikoerhöhung hielt der erkennende Richter für entbehrlich, weil er die Auffassung vertrat, die Überschreitung der Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h um rund 30 % könne "nicht toleriert werden, auch wenn sie mit dem eingetretenen Unfall in keinerlei tatsächlichem Zusammenhang steht und der Unfall auch bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 50 km/h nicht vermieden hätte werden können" (ON. 10).
Das Landesgericht Klagenfurt als Berufungsgericht hat die gegen dieses Urteil wegen Nichtigkeit und Strafe erhobene Berufung der Angeklagten Jutta B*** mit Urteil vom 25.Februar 1988, AZ. 4 Bl 34/88, als unbegründet zurückgewiesen und dabei auf der Grundlage der Feststellungen des Erstgerichts den Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht ebenfalls dahin beurteilt, daß schon die "ganz wesentliche" Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, die zur Erhöhung der Gefahrenlage wesentlich beigetragen habe, zur Annahme der Fahrlässigkeitsschuld ausreiche und es nicht mehr zu erörtern sei, ob jene optimalen Verhältnisse herrschten, die ein Ausschöpfen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erlaubten (ON. 19).
Rechtliche Beurteilung
Die Urteile des Bezirksgerichts Ferlach und des Landesgerichts Klagenfurt stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang. Für die objektive Zurechnung eines fahrlässig herbeigeführten, im Kausal- und Risikozusammenhang stehenden Erfolgs ist nach der von der Rechtsprechung übernommenen Lehre von der Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigem Alternativverhalten erforderlich, aber auch ausreichend, daß das festgestellte (normwidrige) Verhalten des Täters, das den tatbestandsmäßigen Erfolg (hier: die schwere Verletzung des Radfahrers) herbeigeführt hat, das Risiko seines Eintritts gegenüber dem vorgestellten sorgfaltsgemäßen Verhalten zweifelsfrei erhöht hat. Die objektive Zurechnung eines Erfolgs setzt sohin den Nachweis voraus, daß das Risiko des Eintritts dieses Erfolgs, ex post betrachtet, beim tatsächlichen Geschehensablauf höher war als dies bei einem sorgfaltsgemäßen Verhalten der Fall gewesen wäre (Burgstaller im WK., Rz. 74, 75 zu § 6 StGB. und die dort zitierte Literatur und Judikatur).
Diesen Nachweis vermag die bloße Tatsache einer (wenngleich erheblichen) Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit für sich allein nicht zu erbringen (vgl. Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, S. 129 ff. insbes. S. 142), hätte doch der Unfall selbst bei Einhaltung der im Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h nach der gegebenen Fallgestaltung nicht vermieden werden können. Unter dieser Prämisse wäre einerseits der Zusammenstoß mit einer hypothetischen Kontaktgeschwindigkeit des Personenkraftwagens von 33 km/h im Verhältnis zur tatsächlichen Anprallgeschwindigkeit von 59 km/h, abstrakten Überlegungen zufolge, mit geringerer Verletzungsgefahr verbunden gewesen, doch muß andererseits der in diesem Fall mit höchster Wahrscheinlichkeit zustandegekommene Frontalkontakt samt seinem bekanntermaßen hohen Grad an Gefährlichkeit in Rechnung gestellt werden. Zur sicheren Klärung und konkreten Begründung der entscheidungswesentlichen Frage einer der Angeklagten allenfalls zur Last fallenden Risikoerhöhung bedarf es daher, weil die vorliegenden Verfahrensergebnisse dazu nicht ausreichten, einer zusätzlichen Beweisaufnahme, so insbesondere der Ergänzung des verkehrstechnischen Gutachtens und der Einholung eines gerichtsmedizinischen Gutachtens darüber, inwieweit das objektiv sorgfaltswidrige Täterverhalten für den Eintritt des unfallsgegenständlichen Erfolgs eine größere Wahrscheinlichkeit geschaffen hat als dies bei sorgfaltsgemäßem Verhalten der Fall gewesen wäre, wobei auch auf die Variante Bedacht zu nehmen wäre, daß allenfalls nur eine geringere Geschwindigkeit zulässig gewesen sein könnte.
In diesem Zusammenhang ist allerdings abschließend zu bemerken, daß die Angeklagte nach den bisherigen Beweisergebnissen entgegen der vom Bezirksgericht vertretenen (vom Rechtsmittelgericht nicht weiter erörterten) Auffassung zur Wahl einer (erheblich) unter 50 km/h liegenden Geschwindigkeit nicht verhalten war, weil bloß abstrakte Gefahrenquellen (wie hier die unvorhersehbare Nichtbeachtung der Nachrangtafel durch den Radfahrer auf einer unübersichtlichen Kreuzung) bei der Wahl der Geschwindigkeit im Ortsgebiet nach ständiger Rechtsprechung außer Betracht bleiben können (Dittrich-Veit-Schuchlenz, StVO.3, Anm. 55 a zu § 20). Es war daher in Stattgebung der von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs. 2 StPO. erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde spruchgemäß zu entscheiden.
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