Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Text
Gründe:
Die am 1. September 1954 geborene Hausfrau Edda Z*** wurde von der Anklage, das Verbrechen der falschen Beweisaussage vor Gericht nach § 288 Abs 2 StGB. (sie habe "sonst einen in den Gesetzen vorgesehenen Eid vor Gericht falsch geschworen", darum nicht Abs 1) begangen zu haben, gemäß § 259 Z. 3 StPO. freigesprochen. Ihr lag zur Last, daß sie am 22. Dezember 1987 in Graz vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen im Verfahren 24 Cg 24/87 als klagende Partei wegen Ehescheidung bei ihrer förmlichen Vernehmung zur Sache eine falsche Beweisaussage unter Eid ablegte wie folgt: "Ich habe mit keinem anderen Mann Geschlechtsverkehr gehabt, insbesondere nicht mit dem Mann, von dem ich eben sprach" (gemeint: Mag. Gerhard E***). "Es hat niemand bei mir in der Wohnung übernachtet."
Rechtliche Beurteilung
Das Schöffengericht hielt Z*** den Schuldausschließungsgrund des Aussagenotstands (§ 290 StGB.) zugute, weil sie vom Zivilrichter nicht belehrt worden war, daß ihr ein Aussageverweigerungsrecht (siehe den Wortlaut des § 321 Abs 1 ZPO. iVm. § 380 Abs 1 ZPO.) zusteht, wenn ihr die wahrheitsgemäße Beantwortung einer Frage zur Schande gereiche oder ihr die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung zuzöge (§ 321 Abs 1 Z. 1 ZPO.).
Diesen Freispruch ficht die Staatsanwaltschaft mit Nichtigkeitsbeschwerde aus § 281 Abs 1 Z. 9 lit b StPO. an. Unzutreffend ist, daß - wie die Beschwerdeführerin
behauptet - die Angeklagte gar nicht in die Situation des Aussagenotstands gelangen konnte, weil - im Gegensatz zum Zeugen - eine Verpflichtung der Partei zur Aussage im Zivilprozeß nicht bestehe. Es ist zwar richtig, daß die Partei grundsätzlich nicht einmal zum Erscheinen vor Gericht gezwungen werden kann (§ 380 Abs 3 ZPO.). Erscheint die Partei aber und erklärt sich zur Aussage bereit, dann steht ihr das Recht der Aussageverweigerung bezüglich einzelner Fragen und Tatsachen im Rahmen des § 321 ZPO. wie einem Zeugen zu. Das ergibt sich klar aus der Verweisungsnorm des § 380 Abs 1, erster Satz, ZPO. An dieser Rechtslage ändert auch die in Ehesachen (§ 49 Abs 2 Z. 2b JN.) geltende bloße Sollvorschrift des § 460 Z. 1 ZPO. nichts, weil selbst bei Anwendung des § 87 Abs 1 GOG. die Entscheidung der Partei, aussagen oder nicht aussagen zu wollen, lediglich auf den späteren Zeitpunkt des Erscheinens vor dem Richter verschoben ist: Dort kann die Partei noch immer die Aussage überhaupt ablehnen, weil § 460 Z. 1 ZPO. nur die Durchsetzung des "Erscheinens der Parteien" (erforderlichenfalls mittels § 87 GOG.) in Ehesachen ermöglicht; dadurch bleibt im übrigen § 380 Abs 3 ZPO. ("Die Anwendung von Zwangsmaßregeln, um eine Partei ... zur Aussage zu verhalten, ist unstatthaft") unberührt. Sagt die Partei nun - freiwillig - aus, so hat sie das Recht des § 321 ZPO. auf Verweigerung der Beantwortung einzelner Fragen (mit der hier nicht aktuellen Ausnahme des § 380 Abs 1, zweiter Satz, ZPO.), sei die Aussage beeidet oder unbeeidet (vgl. Fasching, Lehrbuch, 1984, Rz. 1024, insbes. vorletzter Absatz). Aus dem Gesagten folgt zwingend, daß die aussagewillige Partei wie ein Zeuge über das Recht der Verweigerung nach § 321 ZPO. (mit der Ausnahme des Abs 1 Z. 2) belehrt werden muß. Das schreibt übrigens § 339 Abs 1 ZPO. (mit § 380 Abs 1, erster Satz, ZPO.) ausdrücklich vor.
§ 290 Abs 1 StGB. macht keinen Unterschied, ob die falsche Beweisaussage beeidet oder unbeeidet abgelegt worden ist. Sonach ist auch der falsche Parteieneid unter den Voraussetzungen des § 290 Abs 1 StGB. straflos. Darnach ist entscheidend, daß die Angeklagte, den Urteilsfeststellungen zufolge, vom Scheidungsrichter über ihr Recht, Fragen, deren Beantwortung ihr zur Schande gereichen würde, nicht zu beantworten (§ 321 Abs 1 Z. 1 ZPO.), in Mißachtung der Vorschrift des § 339 Abs 1 ZPO. (mit § 380 Abs 1 ZPO.) nicht belehrt wurde (S. 110).
Sofern in der Beschwerdeschrift behauptet wird, Aussagenotstand könne der Angeklagten deswegen nicht zugebilligt werden, weil sie nach den Urteilsfeststellungen lediglich befürchtet hätte, im Ansehen des Scheidungsrichters zu sinken und dadurch den Ausgang des Scheidungsverfahrens negativ zu beeinflussen, wird die Rechtsrüge nicht prozeßordnungsgemäß dargestellt, weil sie den Boden der Urteilskonstatierungen verläßt. Diese lauten wörtlich dahin, daß das Motiv für die falsche Aussage der Angeklagten war, daß sie sich vor dem Richter geniert hat, über Intimbeziehungen zu sprechen (S. 109). Die Anklagebehörde behauptet ferner, die Gefahr der Schande vor dem Gericht (und die Befürchtung eines ungünstigen Prozeßausgangs) könnten niemals Aussagenotstand begründen. Dem ist zu entgegnen:
Eine wirksame Entschuldigung wegen Aussagenotstands gemäß § 290 StGB. bezüglich der Delikte nach §§ 288 und 289 StGB. setzt voraus:
1. in subjektiver Hinsicht, daß der Täter die falsche Aussage (zumindest auch deswegen) ablegt, um von sich oder einem Angehörigen eine der im § 290 Abs 1 StGB. angeführten nachteiligen Folgen abzuwenden und
2. in objektiver Hinsicht, daß der Täter von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses (analog: einer Parteiaussage) befreit war oder hätte befreit werden können und entweder nicht wußte, daß dies der Fall war (§ 290 Abs 1 Z. 1 StGB.), oder daß einer der im § 290 Abs 1 Z. 2 und 3 StGB. bezeichneten, hier nicht aktuellen Umstände gegeben war.
Liegen nach dem zu 1 und 2 Gesagten die Voraussetzungen des Aussagenotstands gemäß § 290 Abs 1 StGB. vor, ist zusätzlich gemäß § 290 Abs 3 StGB. zu prüfen, ob es dem Täter insbesondere im Hinblick auf den aus der falschen Aussage einem anderen drohenden Nachteil dennoch zuzumuten war, eine wahrheitsgemäße Aussage abzulegen.
Auf Grund des mit dem Akteninhalt mängelfrei übereinstimmenden Urteilssachverhalts (S. 109) war ein Beweggrund der Angeklagten für den Falscheid, daß sie sich in der Streitverhandlung vor dem Richter geniert hat, über Intimbeziehungen zu sprechen (S. 101: "Hauptmotiv meiner falschen Aussage war, daß ich mich geniert habe", S. 102 oben: "Zusammenfassend war der Grund meiner falschen Zeugenaussage der, daß ich mich einerseits geniert habe, den Ehebruch zugeben zu müssen", S. 102 weiter unten: "Nein, ich habe mich vor dem Richter geniert"). Sieht man die Urteilsfeststellung Seite 109 im Licht der zitierten Verantwortung der Angeklagten, so kann kein Zweifel bestehen, daß sie den Falscheid auch leistete, weil sie dadurch Schande von sich abwenden wollte (Urteil S. 111 unten). Was als Schande anzusehen ist, bestimmt sich nach der von der Rechtsordnung gebilligten Auffassung des Lebens- und Gesellschaftskreises, dem der Betreffende angehört. Zur Schande gereicht sonach unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls, was das Ansehen der betreffenden Person in ihrer Umgebung in sittlicher Hinsicht empfindlich herabsetzen könnte. Nach der Aktenlage (vgl. etwa S. 27 oben, 48, 49, 54, 56 oben) verkehrten die Angeklagte und ihr damaliger Gatte, ein Tierarzt, in Graz in dem Beruf eines Akademikers entsprechenden Gesellschaftskreisen (vgl. Urteil S. 112 unten). Auch nach den Auffassungen einer modernen und aufgeklärten Gesellschaft wird man in diesen Kreisen bei verheirateten Frauen außer der Ehe gepflogenen geschlechtlichen Verkehr - selbst nach längerer Auflösung der ehelichen Gemeinschaft - als ihnen zur Schande gereichend ansehen müssen (vgl. Fasching, Kommentar III S. 392, 418 f., Pallin im WK, Rz. 7 zu § 290 StGB, Leukauf-Steininger2 S. 1498 Rz. 4). Die Annahme des Erstgerichts, die Angeklagte hätte im Scheidungsverfahren die inkriminierte Aussage verweigern dürfen, weil ihr die wahrheitsgemäße Fragenbeantwortung zur Schande gereichen würde (§§ 321 Abs 1 Z. 1, 380 Abs 1 ZPO.), trifft sonach - entgegen der Auffassung der Rechtsmittelwerberin und auch der Generalprokuratur - voll zu.
Nach dem sohin gewonnenen Ergebnis, daß der Fall des Aussagenotstands gemäß § 290 Abs 1 Z. 1 StGB. gegeben ist, erübrigt sich eine Erwiderung auf die Beschwerdeausführungen betreffend einen Putativnotstand. Ebenso sind Erörterungen darüber, ob die Befürchtung der Schlechterstellung einer Partei in einem Zivilprozeß einen Aussagenotstand zu begründen vermag, entbehrlich, weil der angefochtene Freispruch nicht darauf gestützt wird. Der Ansicht des Erstgerichts zuwider bestand für die Angeklagte allerdings keine Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung. Nach den Urteilsfeststellungen (S. 113) war im Zeitpunkt der ehewidrigen Beziehungen der Angeklagten die eheliche Gemeinschaft bereits seit drei Jahren aufgelöst. Gemäß § 194 Abs 2 StGB. ist der verletzte Ehegatte zu einem Verlangen nach strafgerichtlicher Verfolgung wegen Ehebruchs aber schon nicht mehr berechtigt, wenn die eheliche Gemeinschaft zur Zeit der Tat seit einem Jahr aufgehoben war. Letztlich geht aber auch der auf § 290 Abs 3 StGB. gestützte Beschwerdeeinwand fehl, daß im Hinblick auf die beträchtliche Wertigkeit des vom § 288 Abs 2 StGB. geschützten Rechtsguts (staatliche Rechtspflege), aber auch unter Bedachtnahme auf die Interessen des Prozeßgegners von einem maßstabgetreuen Menschen in der Position der Angeklagten eine wahrheitsgemäße Aussage zu erwarten gewesen wäre. Was zunächst den Prozeßgegner der Angeklagten anlangt, so hatte er mit ihr nach seinen eigenen Angaben (S. 46) zuletzt zu Beginn des Jahrs 1983 geschlechtlich verkehrt und hat sich aus der Tatsache, daß seine Gattin im Herbst 1987, also zur Zeit des bereits anhängigen Ehescheidungsverfahrens und drei Jahre nach der Auflösung der ehelichen Gemeinschaft, mit einem anderen Mann intime Beziehungen unterhielt, eine Besserstellung im Scheidungsverfahren erhofft. Wägt man diese "Interessen" mit jenen der Angeklagten ab, der das Eingeständnis des Ehebruchs zur Schande gereichte, so wiegen, zumal die Täterin durch die Wahrheitspflicht unter den geschilderten Umständen offensichtlich überfordert war, die vom Falscheid implizierten Nachteile keineswegs "unverhältnismäßig" schwerer als die durch ihn abgewendeten (vgl. Foregger-Serini, MKK.3, S. 594, Pallin im WK., Rz. 24 zu § 290 StGB.). Was schließlich das oft zitierte allgemeine Interesse an einer geordneten Rechtspflege anlangt, so ist unter dem "einem anderen drohenden Nachteil" (§ 290 Abs 3 StGB.) jedenfalls nicht ein Nachteil an einem abstrakten Vorstellungsinhalt zu verstehen (so auch Pallin im WK. Rz. 24 zu § 290 StGB.; Leukauf-Steininger2
S. 1501 oben: "Abwägung der Interessen der Personen"; LSK. 1977/215, 1979/44).
Zusammenfassend ergibt sich: Die Angeklagte hat - weil ihr die wahrheitsgemäße Parteiaussage zur Schande gereicht hätte - einen falschen Parteieneid geschworen. Sie hätte von der Verbindlichkeit zur Ablegung der Aussage befreit werden können (§§ 321 Abs 1 Z. 1, 339 Abs 1 iVm. 380 Abs 1, erster Satz, ZPO.) und wußte nicht, daß dies der Fall war, weil der Prozeßrichter die an ihn adressierte Vorschrift des § 339 Abs 1 (§ 380 Abs 1) ZPO. glatt mißachtet hat. Das Schöffengericht hat somit insgesamt zutreffend die Voraussetzungen für die Anwendung des Schuldausschließungsgrunds nach § 290 Abs 1 Z. 1 StGB. bejaht.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)