OGH 10ObS217/88

OGH10ObS217/8820.9.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Herbert Vesely (Arbeitgeber) und Leopold Hundstorfer (Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hans S***, Pfarrgasse 14, 8020 Graz, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wider die beklagte Partei A*** U***, Adalbert

Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. April 1988, GZ 8 Rs 50/88-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 11. November 1987, GZ 32 Cgs 1182/87-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger erlitt bei einem Arbeitsunfall am 14. Jänner 1981 eine schwere Verstauchung des rechten oberen Sprunggelenks. Mit Bescheid vom 28. September 1982 gewährte die beklagte Partei dem Kläger ab 1. Oktober 1982 eine Dauerrente im Ausmaß von 20 v.H. der Vollrente. Mit Bescheid vom 14. Juli 1987 sprach die beklagte Partei die Entziehung der dem Kläger gewährten Rente ab 1. September 1987 aus.

Der Kläger begehrte, die beklagte Partei zu verpflichten, die Dauerrente ab 1. September 1987 weiter zu gewähren; zufolge der noch vorhandenen Unfallfolgen bestünde nach wie vor eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 20 v.H.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Das Erstgericht gab dem Begehren des Klägers statt, wobei es seiner Entscheidung im wesentlichen nachstehenden Sachverhalt zugrundelegte:

Für die Zuerkennung der Rente war eine Bewegungseinschränkung des rechten Sprunggelenks nach Zerrung desselben maßgebend, wobei als unfallskausale Leidenszustände eine Beinverkürzung rechts sowie ein Hohl- und Spreizfuß beiderseits festgehalten wurden. Grundlage für die Zuerkennung der Dauerrente war das Gutachten der Fachärztin Dr. Traude W*** vom 7. September 1982. Festgestellt wurde, daß das untere Sprunggelenk endlagig behindert war; hinsichtlich des oberen Sprunggelenkes rechts wurde eine Bewegungseinschränkung festgestellt. Nach der im nunmehrigen Verfahren am 20. August 1987 durchgeführten Untersuchung ist die Verstauchung des rechten Sprunggelenks folgenlos abgeheilt. Die Beschwerden, die der Kläger angibt, resultieren aus einer funktionellen Spitzfußstellung, welche wiederum durch die Beinlängendifferenz hervorgerufen wird. Die Beinlängendifferenz ist auf die angeborene Hüftgelenksluxation zurückzuführen. Die Bewegungseinschränkung des rechten Hüftgelenkes beruht auf einer Deformation des Hüftkopfes mit gleichzeitig beginnenden degenerativen Veränderungen. Aufgrund der Außenrotationsfehlstellung des rechten Beines kommt es zu einer Fehlbelastung des Sprunggelenkes. Die Atrophie der Oberschenkelmuskulatur rechts ist als Inaktivitätsatrophie zu verstehen. Zufolge der Beinlängendifferenz und des Beckenschiefstandes kommt es zu einer skoliotischen Fehlhaltung der Brust- und Lendenwirbelsäule. Die unfallskausale Minderung der Erwerbsfähigkeit ist ab 1. September 1987 mit 0 % einzustufen. Beim Kläger lag zwar eine schwere Verstauchung des rechten Sprunggelenks vor; es waren aber am 20. August 1987 sowohl die Untersuchung hinsichtlich der Verstauchung als auch das Röntgen negativ. Die Verstauchung des Sprunggelenkes aus dem Jahr 1981 war daher abgeheilt. Die Kuren, die der Kläger im Moorbad Schwanberg absolvierte, hatten ihren Grund nicht in der gegenständlichen Verstauchung, sondern in seinem Hüftleiden. Normalerweise heilt die Verstauchung eines Sprunggelenkes in etwa 4 Wochen aus; hier kann der Heilungsprozeß länger gedauert haben, weil es durch die erwähnte Fehlstellung zu einer überhöhten Belastung des Sprunggelenkes kam. Nach einem Jahr und somit bei Zuerkennung der Dauerrente war die Verstauchung des Sprunggelenkes völlig ausgeheilt. Es waren daher bereits am 7. September 1982 keine wesentlichen Unfallfolgen nach der Verstauchung vorhanden. Eine zwischenzeitig eingetretene Besserung der Beweglichkeit des oberen Sprunggelenkes betraf nicht die unfallskausalen Leidenszustände.

Hiezu führte das Erstgericht aus, daß bereits im Zeitpunkt der Zuerkennung der Rente wesentliche Unfallsfolgen nach der im Jänner 1981 erlittenen schweren Verstauchung des rechten Sprunggelenkes nicht mehr bestanden hätten. Es sei damals ebenso wie heute eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht vorgelegen. Da seit dem für die Zuerkennung maßgeblichen Zeitpunkt eine Änderung der Unfallsfolgen nicht eingetreten sei, lägen die Voraussetzungen für die Entziehung der Rechte nicht vor. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge; es billigte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die klagende Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die klagende Partei vertritt die Ansicht, daß zur Entscheidung der Frage der Entziehung der Leistung ein Vergleich zwischen dem seinerzeit festgestellten Zustand und dem nunmehrigen Zustand anzustellen sei. Hievon ausgehend habe sich eine wesentliche Änderung ergeben. Dem kann nicht beigetreten werden. Gemäß § 183 Abs 1 erster Satz ASVG hat der Träger der Unfallversicherung auf Antrag oder von Amts wegen bei einer Änderung der Verhältnisse, die für die Feststellung der Rente maßgeblich waren, die Rente neu festzustellen. Diese Bestimmung hängt unmittelbar mit der Rechtskraft von Bescheiden im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung zusammen; es werden in dieser Norm bestimmte Voraussetzungen statuiert, unter denen die Rechtskraft von Bescheiden innerhalb von bestimmten Grenzen ihre Wirksamkeit verliert, wobei sich § 183 Abs 1 ASVG nicht nur auf durch Bescheide der Unfallversicherungsträger festgestellte Renten bezieht, sondern auch dann anzuwenden ist, wenn ein Urteil oder Vergleich im gerichtlichen Verfahren den Rechtsgrund der Rente bildet (Nagy, VersR 1967, 113 ff, insbesonders 114 f). Durch den Bescheid, mit dem die Dauerrente gewährt wurde, wurde über den zum Zeitpunkt der Entscheidung bestandenen Tatsachenkomplex rechtskräftig abgesprochen. Die materielle Rechtskraft bezieht sich daher auf die Sachlage, wie sie im Zeitpunkt der Entscheidung objektiv vorlag, nicht jedoch bloß auf den Sachverhalt, den der Versicherungsträger seiner Entscheidung zugrundelegte. Eine die Neufeststellung (Entziehung) der Rente rechtfertigende Änderung der Verhältnisse ist nur dann gegeben, wenn die der früheren Feststellung zugrunde liegenden tatsächlichen, d.h. objektiven Verhältnisse sich wesentlich geändert haben (Lauterbach, Unfallversicherung 39. Lfg, 622/1); es kommt nicht darauf an, von welchen Verhältnissen der Unfallversicherungsträger ausgegangen ist, was also subjektiv für ihn bei Erlassung des Bescheides maßgeblich war. Der Versicherungsträger bleibt an die bescheidmäßig erfolgte Zuerkennung einer Rente auch dann gebunden, wenn sich die dem Bescheid zugrunde liegende ärztliche Beurteilung als unrichtig erweist (Brackmann, Handbuch 56. Nachtrag, 582 h f). Ist in den tatsächlichen Verhältnissen seit dem Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides keine wesentliche Änderung eingetreten, so steht die Rechtskraft des Zuerkennungsbescheides einer Neufeststellung oder Entziehung der Rente entgegen (SSV-NF 1/7; vgl. SSV-NF 1/27 und 1/43). Die Voraussetzungen, unter denen § 183 Abs 1 ASVG die Durchbrechung der Rechtskraft des Bescheides vorsieht, sind in diesem Fall nicht gegeben.

Eine Kostenentscheidung entfiel, da Kosten nicht verzeichnet wurden.

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