OGH 9ObA223/88

OGH9ObA223/8814.9.1988

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialgerichtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier, sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Elmar A. Peterlunger und Mag. Wilhelm Patzold als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Johann K***, Angestellter, Ranggen Nr. 88, vertreten durch Dr. Heinz Mildner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Heinz S***, Tischlermeister, Unterperfuß Nr. 10 a, vertreten durch Dr. Hansjörg Mader, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 118.223,93 brutto sA, infolge Revisionsrekurses des Beklagten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. März 1988, GZ 5 Ra 57/88-15, womit infolge Rekurses des Beklagten der Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 23. Februar 1988, GZ 45 Cga 1078/87-12, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß dem Beklagten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen den Ablauf der Frist zur Erhebung der Berufung gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 6. Oktober 1987, 45 Cga 1078/87-9, bewilligt wird.

Text

Begründung

Das Erstgericht wies den aus dem Spruch ersichtlichen Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten mit der Begründung ab, daß die vom Wiedereinsetzungswerber vorgelegten eidesstättigen Erklärungen kein geeignetes Mittel zur Bescheinigung der geltend gemachten Wiedereinsetzungsgründe seien. Auch die Berücksichtigung dieser Bescheinigungsmittel würde aber zu keinem günstigeren Ergebnis führen. Der Ablauf der vom Beklagten versäumten Berufungsfrist sei ursprünglich im Terminkalender des Beklagtenvertreter richtig mit 29. Dezember 1987 eingetragen worden. Dann habe die Kanzleileiterin des Beklagtenvertreters Irene K*** nach Rücksprache mit dem Konzipienten des Beklagtenvertreters Rechtsanwaltsanwärter Dr. Christian K*** den Ablauf der Rechtsmittelfristen in allen Rechtssachen mit 4. Jänner 1988 neu eingetragen. Ihr sei nicht bekannt gewesen, daß es sich beim gegenständlichen Verfahren um eine Arbeitsrechtssache gehandelt habe, in der die Bestimmungen über die Gerichtsferien keine Anwendung finden. Darauf sei sie auch noch nie hingewiesen worden. Die vom Beklagten vorgebrachten Umstände seien kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis. Es handle sich auch nicht nur um einen minderen Grad des Versehens, weil der Beklagtenvertreter oder dessen Konzipient die Kanzleileiterin über die einschlägigen Bestimmungen nicht unterwiesen habe und die Angestellte eines rechtskundigen Parteienvertreters höhere Sorgfaltspflichten als rechtsunkundige Personen habe. Rechtsanwaltsanwärter Dr. Christian K*** habe sich - dem Inhalte seiner eidesstättigen Erklärung zufolge - vor der Erteilung der Anweisung, die Berufungsakten auf das Ende der Gerichtsferien zu kalendieren, davon vergewissert, daß es sich dabei um Ferialsachen gehandelt habe. Diese Behauptung stehe im Widerspruch zu den Angaben der Kanzleileiterin, die diese Umstände nicht erwähne. Selbst wenn die Erklärung von Rechtsanwaltsanwärter Dr. Christian K*** richtig wäre, hätte er entweder bei der Kontrolle den gegenständlichen Berufungsakt übersehen oder die Anweisung, diesen Akt so wie die übrigen Rechtsmittelakten weiter zu kalendieren, in Unkenntnis des § 39 Abs 4 ASGG erteilt; das Verschulden von Rechtsanwaltsanwärter Dr. Christian K*** übersteige daher auch den minderen Grad des Versehens.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Beklagten nicht Folge. Es teilte die Ansicht des Erstgerichtes, daß die eidesstättigen Erklärungen des Rechtsanwaltsanwärters Dr. Christian K*** und der Kanzleileiterin Irene K*** keine tauglichen Bescheinigungsmittel seien, nicht und hielt auch den vom Erstgericht angenommenen Widerspruch zwischen den eidesstättigen Erklärungen dieser Auskunftspersonen nicht für gegeben, weil beide auch den Inhalt des Wiedereinsetzungsantrages als richtig und vollständig bezeichnet hätten.

Die Einhaltung von Rechtsmittelfristen gehöre zu den grundlegenden, selbstverständlichen Anforderungen, die an Rechtsanwälte gestellt werden. Auch wenn man davon ausgehe, daß in der Kanzlei des Beklagtenvertreters grundsätzlich alle Rechtsmittelfristen ohne Berücksichtigung ihrer allfälligen Verlängerung durch Gerichtsferien eingetragen werden, sei es unverständlich, daß eine Kanzleileiterin nicht darüber Bescheid wisse, daß Arbeitsrechtssachen Ferialsachen seien und daher eine Verlängerung der Rechtsmittelfrist durch Gerichtsferien nicht eintrete. Wenn eine Kanzleileiterin zur Führung der Evidenz des Ablaufs der Rechtsmittelfrist bestellt worden sei, müsse von ihr die Kenntnis von Ferialsachen und deren Bedeutung erwartet werden. Es sei nicht unzumutbar, die Kanzleileiterin mit "komplizierten Ausnahmebestimmungen" zu belasten, zumal es sich lediglich um die Bestimmungen der §§ 224, 225 ZPO und § 39 Abs 4 ASGG handle. Die Unterlassung der Belehrung der Kanzleileiterin beruhe auf einer auffallenden Sorglosigkeit. Es liege daher ein Organisationsverschulden vor, das der Beklagte zu vertreten habe. Der Beklagte erhebt Revisionsrekurs mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist bewilligt werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist - ohne daß es eines Ausspruches im Sinne des an Stelle des § 528 Abs 2 ZPO anzuwendenden § 46 Abs 2 ASGG (Kuderna, ASGG 243 f) bedürfte, zulässig (§ 47 Abs 1 ASGG) und auch berechtigt.

Gemäß § 146 ZPO ist einer Partei, die durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für sie den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Dieser Satz wurde durch die ZVN 1983 in das Gesetz eingefügt, weil die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von den Gerichten gelegentlich sehr streng gehandhabt worden war und ein "unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis" vielfach nur dann angenommen wurde, wenn der säumigen Partei keinerlei Verschulden angelastet werden konnte. Der Verschuldensgrad ist dem § 2 DHG zu entnehmen (JA 1337 BlgNR 15. GP 10). Grobes Verschulden im Sinne des § 2 DHG liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn der Schädiger die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlicher und damit auffallender Weise vernachlässigt; es muß sich um ein Versehen handeln, das mit Rücksicht auf die Schwere und die Häufigkeit nur bei besonders nachlässigen und leichtsinnigen Menschen vorkommt und den Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich vorhersehbar macht (SZ 45/42; Arb. 9.328 uva).

Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen liegt grobe Fahrlässigkeit nicht vor. Nach den von der zweiten Instanz als tauglich befundenen Bescheinigungsmitteln ist davon auszugehen, daß die Kanzleileiterin Irene K*** den Konzipienten des Beklagten Rechtsanwaltsanwärter Dr. Christian K*** am 21. Dezember 1982 fernmündlich fragte, von wem die Akten bearbeitet würden, in denen während der Weihnachtsfeiertage Rechtsmittel zu verfassen seien. Sie erwähnte hiebei namentlich zwei andere Akten, in denen Rechtsmittelfristen liefen, und erhielt von Rechtsanwaltsanwärter Dr. Christian K*** die Antwort, daß die Berufungsfrist nicht vor dem Ablauf der Gerichtsferien ende; sie erhielt ferner den Auftrag, die Akten bis zum Ende der Gerichtsferien zu kalendieren. Die Kanzleileiterin trug hierauf den Ablauf sämtlicher Berufungsfristen mit 4. Jänner 1988 im Kalender ein und zwar auch für die gegenständliche Rechtssache, weil sie nicht wußte, daß es sich dabei um eine Arbeitsgerichtssache handelte, für die die Bestimmungen über die Gerichtsferien nicht gelten. Ursprünglich war das Ende der Berufungsfrist richtig mit 29. Dezember 1987 im Kalender eingetragen worden.

Das Versehen der beiden Rechtsanwaltsbediensteten ist darauf zurückzuführen, daß die Kanzleileiterin den Auftrag des Konzipienten auf alle für 29. Dezember 1987 eingetragenen Fristsachen bezog und der Konzipient, dem insbesondere zwei Fristsachen telefonisch namentlich genannt worden waren, nicht nachforschte, ob unter den übrigen im Fristvormerk eingetragenen Akten auch Ferialsachen seien. Der gesamte Geschehensablauf spricht für ein Mißverständnis, weil der Konzipient des Beklagten die Anweisung, die Fristakten weiter zu kalendieren, unter dem Eindruck der ihm namentlich genannten Akten, die keine Ferialsachen waren, gab und die Kanzleileiterin diesen Auftrag in Unkenntnis des Vorliegens einer Arbeitsrechtssache und der Bestimmung des § 39 Abs 4 ASGG auch in bezug auf den gegenständlichen arbeitsrechtlichen Berufungsakt vollzog. Gewiß hätte der von der Kanzleiangestellten telefonisch zu Rate gezogene Konzipient der Sache nachgehen und im einzelnen überprüfen müssen, um welche Arten von Rechtsmitteln es sich handelte, und sich nicht mit der Prüfung begnügen dürfen, daß die Berufungsfristen in diesen Sachen nicht schon vor dem Beginn der Gerichtsferien endeten. In seiner Säumnis liegt jedoch ebensowenig eine grobe Fahrlässigkeit begründende ungewöhnliche und auffallende Sorgfaltsverletzung wie in der Rechtsunkenntnis der Kanzleiangestellten, die ohnehin eine Weisung eingeholt hat, was sie bezüglich der zu Weihnachten ablaufenden Rechtsmittelfristen unternehmen solle.

Auch das Organisationsverschulden des Beklagtenvertreters infolge Unterlassung der Unterweisung der Kanzleileiterin übersteigt einen minderen Grad des Versehens nicht. Da die Kanzleileiterin die Terminübertragungen auf Grund einer Weisung vornahm, ist nicht feststellbar, ob sie bei gehöriger Einschulung anders vorgegangen wäre oder noch einmal zurückgefragt hätte.

Dem Rekurs ist daher Folge zu geben.

Eine Kostenentscheidung entfiel, da Kosten iS des § 154 ZPO nicht verzeichnet wurden.

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