OGH 9ObA178/88

OGH9ObA178/8814.9.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Elmar A. Peterlunger und Mag. Wilhelm Patzold als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Komm.Rat Leopold S***, Kalenderverlag und Druckerei, Spillern, Wiener Straße 68, vertreten durch Dr. Erich Hermann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Maria R***, Hausfrau, Korneuburg, Hans Grubergasse 1, vertreten durch Dr. Georg Griesser, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 108.702,50 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. April 1988, GZ 32 Ra 6/88-68, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 1. September 1987, GZ 17 Cga 18/87-54, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 6.617,85 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 514,35 Umsatzsteuer und S 960,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

§ 3 des Mantelkollektivvertrages für das graphische Gewerbe Österreichs bestimmt unter anderem:

"Aufnahme und Lösung des Dienstverhältnisses

.......

2. Die Kündigung hat spätestens am Freitag, wenn dies ein Feiertag sein sollte, am vorhergehenden Werktag schriftlich zu erfolgen.

3. Erfolgt die Kündigung mittels Einschreibebriefes, so muß das Datum des Aufgabescheines spätestens der Kündigungstag sein. In diesem Fall beginnt die Kündigungsfrist mit dem Tag der Zustellung und verkürzt sich um die Tage des Postlaufes.

4. Die Kündigungsfristen für die Beendigung des Dienstverhältnisses, das länger als 4 Kalenderwochen gedauert hat, von Seiten des Dienstgebers oder Dienstnehmers betragen:

2 Wochen, wenn das Dienstverhältnis länger als 4 Wochen gedauert hat;

3 Wochen nach dem vollendeten 3. Dienstjahr;

6 Wochen nach dem vollendeten 10. Dienstjahr;

8 Wochen nach dem vollendeten 20. Dienstjahr;

10 Wochen nach dem vollendeten 25. Dienstjahr;

13 Wochen nach dem vollendeten 30. Dienstjahr.

......."

Die Beklagte war beim Kläger vom 25. Februar 1974 bis 6. Mai 1980 beschäftigt. Am 3. Dezember 1975 vereinbarten die Streitteile, daß das Arbeitsverhältnis - unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist - jeweils nur zum Jahresende gekündigt werden könne. Am 11. Oktober 1978 wurde vereinbart, daß das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist erstmals zum 31. Dezember 1979 und dann jeweils per 31. Dezember der folgenden Jahren gelöst werden könne. Weiters sicherte der Kläger der Beklagten jährlich im Dezember, erstmals im Dezember 1978, eine zusätzliche "Weihnachtsgabe" von S 3.000,-- brutto zu. Im Jahre 1979 wurde die Beklagte in den Betriebsrat gewählt. Daraufhin vereinbarten die Streitteile auf Initiative des Klägers am 2. November 1979, daß das Arbeitsverhältnis von beiden Vertragspartnern erst zum 31. Dezember 1983 unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist gelöst werden könne. Die Zusicherung der "Weihnachtsgabe" von S 3.000,-- wurde wiederholt. Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung eines Betrages von S 108.702,50 sA. Ein Schaden in dieser Höhe sei dem Kläger infolge der vorzeitigen unberechtigten Vertragsauflösung durch die Beklagte an Einschulungskosten anderer Arbeitnehmer sowie durch Minderleistungen der Arbeitnehmer, die den Tätigkeitsbereich der Klägerin übernommen hätten, entstanden.

Die Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Sie wandte ein, die Ansprüche seien nicht fristgerecht geltend gemacht worden, die Kündigung sei gegenüber den zwingenden Bestimmungen des Kollektivvertrages erschwert worden und mit der Vereinbarung sei auch gegen das Benachteiligungsverbot des § 115 Abs 3 ArbVG verstoßen worden. Überdies sei die Klägerin genötigt gewesen, das Arbeitsverhältnis vorzeitig aufzulösen. Ihr Gatte, der bei einem Montageunternehmen beschäftigt sei, sei im Jahre 1980 in den Libanon versetzt worden und sollte dort mehrere Jahre bleiben. Die Beklagte habe das unkündbare Arbeitsverhältnis in Unkenntnis dieser Tatsache geschlossen. Als sie im Februar 1980 von der Versetzung ihres Gatten erfahren habe, habe sie dem Kläger diese Umstände mitgeteilt und ihm erklärt, daß sie mit ihrem Mann gehen müsse und es ihr unmöglich sei, die vereinbarte Dienstzeit einzuhalten. Der Kläger habe dafür Verständnis gezeigt und sie gebeten, noch so lange zu bleiben, bis die Flugtickets da seien bzw. die Beklagte Flugtickets in der Hand habe. Dann könne sie gehen. Die Versetzung des Gatten der Beklagten habe sich dann noch bis Anfang Mai 1980 verschoben. Die Beklagte habe dem Kläger sodann mitgeteilt, daß sie nunmehr mit ihrem Mann abreisen müsse und im Sinne der Absprache nun ihr Arbeitsverhältnis beendet sei.

Das Erstgericht wies die Klage ab und stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Der Kläger betreibt eine Kalenderfabrik. Die Beklagte begann ihr Arbeitsverhältnis beim Kläger als ungelernte Buchbinderarbeiterin. Sie bediente Stanzautomaten, Effektbindungs-Halbautomaten, Drahtspiralmaschinen und Drahtspiralautomaten. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 5. Februar 1980 per 8. Februar 1980 auf und legte gleichzeitig ihre Funktion als Betriebsratsmitglied zurück. Die Beklagte wollte ihrem Mann nachreisen, der im Nahen Osten arbeitete und dessen Aufenthalt länger als vorgesehen dauerte. Dieses Kündigungsschreiben der Beklagten sowie ein weiteres Kündigungsschreiben wurden vom Kläger nicht zur Kenntnis genommen. Der Kläger erklärte, die Beklagte möge sich bei ihm melden, sobald sie die Flugtickets in der Hand habe. Der letzte Arbeitstag der Beklagten war der 6. Mai 1980. Im Jahre 1980 hatte der Kläger durch das Ausscheiden der Beklagten keinen Verdienstentgang und mußte auch keine Ersatzarbeitskräfte einstellen. Das Unternehmen des Klägers ist ein Saisonbetrieb. Erst gegen Ende des Jahres werden die Aufträge für das folgende Jahr erteilt. Die Drucklegung und Fertigstellung der Kalender erfolgt in der ersten Jahreshälfte, die Auslieferung von Juni bis Ende November. Die Einschulung von Arbeitskräften wird am Jahresanfang vorgenommen. Gegen Jahresende 1980 wurden die Großaufträge für das Jahr 1981 erteilt. Der Kläger bemühte sich, eine Ersatzarbeitskraft für die Beklagte zu finden. Die vom Arbeitsamt vermittelten und durch Inserate angeworbenen Personen erwiesen sich nach der Anlernzeit von 13 Wochen als unfähig. Es mußten mehrere Arbeitnehmer aufgenommen und eingeschult werden, es fielen Überstunden an und es kam dennoch zu einer Minderleistung der Arbeitskräfte.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Vereinbarung des Ausschlusses der Kündigung für die Dauer des Betriebsratsmandates die Beklagte gegenüber der kollektivvertraglichen Regelung schlechter stelle und daher gegen das Günstigkeitsprinzip verstoße. Die Initiative zu dieser Regelung sei vom Kläger ausgegangen, der sich für die Zeit des Betriebsratsmandates und der dadurch erschwerten Kündigungsmöglichkeit absichern wollte. Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und vertrat gleichfalls die Rechtsauffassung, die Erschwerung der Kündigung gegenüber dem Kollektivvertrag sei für die Beklagte nachteilig gewesen und damit nicht wirksam geworden. Aber selbst wenn man von der Wirksamkeit dieser Vereinbarung ausginge, sei die Beklagte zur vorzeitigen Kündigung berechtigt gewesen, wenn die Einhaltung der Bindung den Bestand ihrer Ehe gefährdet hätte. Schließlich stehe dem Kläger aus der Minderleistung einer anderen Person kein Ersatzanspruch gegenüber der Beklagten zu, weil diese nur zur Leistung angemessener Dienste verpflichtet gewesen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Entscheidend ist die Beurteilung der Frage, ob die auf Initiative des Klägers erfolgte Selbstbindung der Vertragsparteien durch den Kündigungsverzicht auf die Dauer von 4 Jahren für die Beklagte objektiv gesehen günstiger war als die kollektivvertragliche bzw. die im Wege der Individualvereinbarung vom 11. Oktober 1978 getroffene Regelung. Hiebei sind gemäß § 3 Abs 2 ArbVG nur jene Bestimmungen zusammenzufassen und gegenüberzustellen, die in einem rechtlichen und sachlichen Zusammenhang stehen. Soweit der Revisionswerber daher die angeblich nur aus Anlaß der Bindung gewährten zusätzlichen jährlichen "Weihnachtsgaben" von S 3.000,-- im Rahmen des Günstigkeitsvergleiches ins Treffen führt, ist ihm zu erwidern, daß die Erschwerung der Kündigungsmöglichkeit durch den Arbeitnehmer nicht durch eine völlig andersartige Gegenleistung des Arbeitgebers kompensiert werden kann (vgl. Firlei, Objektivierung des Günstigkeitsvergleiches RdA 1981, 10; Cerny Arbeitsverfassungsgesetz Anm. 7 zu § 3). Darüber hinaus stand der Beklagten diese Vergünstigung bereits auf Grund der Vereinbarung vom 11. Oktober 1978 zu und kann auch aus diesem Grund nicht als "Gegenleistung" des Klägers für die Verlängerung der Bindung der Beklagten auf 4 Jahre angesehen werden. Es sind daher der der Beklagten durch die gegenständliche Kündigungsbeschränkung erwachsende Nachteil und der Vorteil zu vergleichen, der der Beklagten daraus entstand, daß sich auch der Kläger eine derartige Kündigungsbeschränkung auferlegte. Prüft man das objektiv verstandene konkrete Interesse der Beklagten an diesem Vorteil im Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung (vgl. Spielbüchler in Spielbüchler-Floretta-Strasser Arbeitsrecht I3, 80 f; Krejci in Rummel, ABGB Rz 15 zu § 879), dann ist der Umstand zu berücksichtigen, daß der Beklagten während des Großteils des vom Kündigungsverzicht des Klägers betroffenen Zeitraumes der besondere Kündigungsschutz nach den §§ 120 und 121 ArbVG zustand (nach der Rechtslage vor der Arbeitsverfassungsgesetz-Novelle 1986 betrug die Funktionsdauer des Betriebsrates nur 3 Jahre). Dem Verzicht der Beklagten auf ihr freies, uneingeschränktes Kündigungsrecht stünde demnach ein Verzicht des Klägers auf ein weitgehend eingeschränktes Kündigungsrecht gegenüber, sodaß schon aus diesem Grund bei objektiver Abwägung ein erhebliches Überwiegen des Interesses des Klägers an dieser vom Kollektivvertrag abweichenden Regelung anzunehmen ist. Zieht man darüber hinaus in Betracht, daß die Initiative für die Vereinbarung vom Kläger ausging (vgl. Spielbüchler aaO 81), kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Vereinbarung einer rund vierjährigen Bindung im weitaus überwiegenden Interesse des Klägers lag. Die anläßlich der Wahl der Beklagten zum Betriebsratsmitglied auf Initiative des Klägers getroffene Vereinbarung hält daher im Hinblick auf die durch die Verbesserung des Bestandschutzes des ohnehin für einen Großteil des betroffenen Zeitraumes einen besonderen Kündigungsschutz unterliegenden Arbeitsverhältnisses nicht aufgewogenen Nachteile aus der Bindung der Beklagten für einen Zeitraum von immerhin 4 Jahren (bzw. weiteren drei Jahren, legt man die bisherige Individualvereinbarung zugrunde) einem Günstigkeitsvergleich gemäß § 3 Abs 2 ArbVG nicht stand und ist daher unwirksam. Da dem Kläger im Jahre 1980 infolge des Ausscheidens der Beklagten ein Mehraufwand nicht erwachsen ist, kann es dahingestellt bleiben, ob die eine Kündigung jeweils nur zum Jahresende gestattenden Vereinbarungen vom 3. Dezember 1975 bzw. 11. Oktober 1978 wirksam zustande gekommen sind und ob die von der Beklagten geltend gemachten, einen vorzeitigen Austritt nicht rechtfertigenden familiären Gründe zu einer vorzeitigen Lösung (außerordentlichen Kündigung) des Arbeitsverhältnisses trotz langfristigen Verzichtes auf die Kündigungsmöglichkeit berechtigten. Ebenso kann die Frage des Vorliegens eines von der Beklagten allenfalls zu ersetzenden Schadens auf sich beruhen. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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