Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei eine Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab Antragstellung (8. Juli 1986) zu gewähren, abgewiesen wird.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 6. Februar 1960 geborene Klägerin war nach dem Besuch der Sonderschule von Juli 1975 bis November 1981 ausschließlich im elterlichen Betrieb, vorwiegend im Haushalt, in der Küche und im landwirtschaftlichen Bereich tätig. Beiträge zur Pensionsversicherung wurden nur für den Zeitraum April 1978 bis November 1981 entrichtet. Ein anderes Dienstverhältnis außerhalb des familiären Betriebes bestand nie.
Die Klägerin leidet an hochgradiger Schwerhörigkeit und Grenzdebilität. Unter Berücksichtigung ihrer intellektueller Faktoren ist die Klägerin nicht imstande, eine Tätigkeit zu verrichten, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch bewertet wird. Infolge ihrer intellektuellen Minderbegabung, der ausgeprägten Antriebslosigkeit und der psychischen Verlangsamung ist sie nicht imstande, das auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erforderliche Arbeitstempo einzuhalten und eine im industriellen oder gewerblichen Milieu geforderte Leistung zu erbringen. Sie erreicht derzeit nicht einmal das geforderte Leistungsniveau einer geschützten Werkstätte. Das Erstgericht stellte in seinem Urteil fest, daß das Klagebegehren auf Gewährung der Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. August 1986 dem Grunde nach zu Recht bestehe, trug der beklagten Partei eine vorläufige Leistung von S 3.000,-- monatlich auf und wies das Mehrbegehren, die Beklagte schuldig zu erkennen, die Erwerbsunfähigkeitspension bereits ab Antragstag (8. Juli 1986) zu bezahlen, ab.
Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 124 Abs 1 BSVG liege vor. Der Einwand der beklagten Partei, ein seit Kindheit unverändertes Gebrechen, das die bisherige Berufsausübung nicht gehindert habe, könne nicht Grundlage des Versicherungsfalles der dauernden Erwerbsunfähigkeit sein, sei zwar grundsätzlich richtig. Die Klägerin habe aber überhaupt nie unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig werden müssen, es wäre ihr dies auch gar nicht möglich gewesen. In der elterlichen Landwirtschaft habe sie nach allgemeiner Erfahrung damit rechnen können, daß der Arbeitgeber auf ihre Einschränkungen Rücksicht nehmen werde, was offenbar auch geschehen sei. Da mit einer solchen Rücksichtnahme durch Arbeitgeber unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht gerechnet werden könne, sei die Klägerin dauernd außerstande, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nur insoweit Folge, als es dieser eine vorläufige monatliche Zahlung von nur S 1.958,-- auferlegte. Den Ausspruch, daß das Klagebegehren auf Gewährung der Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. August 1986 dem Grunde nach zu Recht bestehe, hat es hingegen bestätigt.
Nach § 124 Abs 1 BSVG gelte als erwerbsunfähig der Versicherte, der infolge Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außerstande sei, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen. Dies treffe für die Klägerin zu, weil sie auf Grund ihrer Behinderungen während der gesamten Dauer ihrer Beschäftigung auf das Entgegenkommen und die Nachsicht des Arbeitgebers angewiesen wäre, ihre Arbeitskraft nur dann verwertbar wäre, wenn Dienstgeber und Mitbeschäftigte auf ihre Behinderung Rücksicht nähmen und sowohl das Verhalten der Umgebung als auch die Art der Beschäftigung der Behinderung der Klägerin angepaßt würden. Solche Bedingungen seien nur an geschützten Arbeitsplätzen gegeben, die Klägerin erreiche nicht einmal das dafür erforderliche Leistungsniveau. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitspension seien ungeachtet der Tatsache gegeben, daß im Zustand der Klägerin seit der Jugend keine wesentliche Änderung eingetreten und ihre Arbeitsunfähigkeit gegenüber dem früher bestandenen Zustand praktisch unverändert sei. Daran ändere auch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 6. Oktober 1987, 10 Ob S 44/87 (= SSV-NF 1/33) nichts, weil dort über eine Berufsunfähigkeitspension zu entscheiden gewesen und der Oberste Gerichtshof vom Wortlaut des § 273 ASVG und dem darin verwendeten Begriff "herabgesunken" ausgegangen sei. Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitspension bestehe nur dann, wenn eine Person ursprünglich in der Lage gewesen sei, eine bestimmte Tätigkeit auszuüben und infolge einer negativen Veränderung des körperlichen und geistigen Zustandes außerstande gesetzt werde, nunmehr einer geregelten Beschäftigung, zu der sie früher in der Lage gewesen sei, nachzugehen. Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit habe zur Voraussetzung, daß eine zuvor bestandene Arbeitsfähigkeit, die zumindest die Hälfte der eines körperlich und geistig gesunden Versicherten erreicht haben müsse, durch nachfolgende Entwicklungen beeinträchtigt worden sei. Eine Übertragung dieser Rechtsauffassung auf den vorliegenden Fall erscheine nicht zwingend. Während § 273 Abs 1 ASVG und insoweit gleichlautend auch § 255 Abs 1 ASVG voraussetzten, daß die Arbeitsfähigkeit des Pensionswerbers auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten "herabgesunken" sei, komme es nach § 124 Abs 1 BSVG (wie auch nach § 133 Abs 1 GSVG) nur darauf an, daß der Versicherte infolge Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außerstande sei, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen. Diese Unterschiede in der gesetzlichen Diktion müßten kein Zufall sein, weil der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit in den einzelnen Systemen der österreichischen Pensionsversicherung nicht nur unter verschiedenen Bezeichnungen auftrete, sondern auch unter voneinander unterschiedlichen Begriffsinhalten.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Klagsabweisung abzuändern. Die Klägerin hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Es trifft zu, daß der erkennende Senat in seiner grundsätzlichen Entscheidung vom 6. Oktober 1987, 10 Ob S 44/87 (SSV-NF 1/33) bei der Beurteilung der dort in Frage gestandenen Berufsunfähigkeit des Versicherten vom Wortlaut des § 273 Abs 3 ASVG ausgegangen ist, um die Absicht des Gesetzgebers zu ermitteln, in der Folge jedoch zu dem Ergebnis gelangte (10 Ob S 116/88), daß der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit - also ganz allgemein und nicht nur jener der Berufsunfähigkeit - zur Voraussetzung hat, daß eine zuvor bestandene Arbeitsfähigkeit durch nachfolgende Entwicklungen beeinträchtigt wurde und daß auch die Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland bis zur Einführung von Sonderbestimmungen und zur teilweisen Neufassung des § 1247 RVO ganz allgemein den Standpunkt vertrat, daß eine Minderung oder der Verlust der Erwerbsfähigkeit eine Rentenleistung nur dann auslösen könne, wenn eine solche Einbuße an Erwerbsfähigkeit während des Erwerbslebens eingetreten sei.
Wenn auch in den einzelnen Systemen der österreichischen Pensionsversicherung der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit unter verschiedenen Bezeichnungen und unterschiedlichen Begriffsinhalt auftritt, so ist doch allen Bestimmungen gemeinsam, daß sie den Schutz des Versicherten vor den Auswirkungen einer körperlich oder geistig bedingten Herabsetzung der Arbeitsfähigkeit bezwecken (vgl. Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts, 360), also voraussetzen, daß eine die Versicherungspflicht auslösende Erwerbstätigkeit vorangegangen ist. Aus der Tatsache, daß in den §§ 273 Abs 3 und 255 Abs 1 ASVG die Formulierung "herabgesunken" oder in § 255 Abs 3 ASVG die Formulierung "nicht mehr imstande ist" gewählt wurde, während eine ähnliche Wortwahl, die auf eine zuvor vorausgesetzte Erwerbsfähigkeit hindeutet, in § 124 Abs 1 BSVG (und in § 133 Abs 1 GSVG) fehlt, kann noch nicht geschlossen werden, daß der Gesetzgeber für den Bereich des BSVG und des GSVG nicht die im Laufe der Erwerbstätigkeit eingetretene körperlich oder geistig bedingte Herabsetzung der Arbeitsfähigkeit sondern ganz allgemein die Unmöglichkeit zur Berufsausübung überhaupt unter den Versicherungsschutz der "geminderten" Arbeitsfähigkeit stellen wollte. Die im ASVG gewählten zitierten Formulierungen waren vielmehr erforderlich, weil bei Beurteilung der Berufsunfähigkeit oder Invalidität ein Vergleich zu gesunden Versicherten hergestellt werden muß und das Verweisungsfeld viel weiter eingeschränkt ist, während beim Begriff der Erwerbsunfähigkeit nach § 124 Abs BSVG und § 133 Abs 1 GSVG die Voraussetzungen viel strenger festgelegt sind als im ASVG, weil es keinen Berufsschutz gibt und die gänzliche Unfähigkeit, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen, nachgewiesen werden muß. Schon aus § 124 Abs 2 BSVG und § 133 Abs 2 GSVG durch welche auch versicherten Selbständigen in bestimmtem Umfang Berufsschutz zuerkannt wird, ergibt sich klar, daß der vom Berufungsgericht gezogene Umkehrschluß nicht möglich ist. Nach dieser Bestimmung gilt als erwerbsunfähig der Versicherte, der das 55. Lebensjahr vollendet hat und dessen persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen Konstitution oder geistigen Kräfte dauernd außerstande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordert, die der Versicherte zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat. Auch hier wird nicht wie in § 255 Abs 4 und § 273 Abs 2 ASVG die Formulierung "nicht mehr imstande ist" sondern nur ohne Hinweis auf die vorher bestandene Erwerbsfähigkeit die Wendung "außer Stande ist" gewählt, doch steht es, betrachtet man die Bestimmungen in ihrer Gesamtheit wohl außer Frage, daß der Versicherte in der Lage gewesen sein muß, durch persönliche Arbeitsleistung den Betrieb aufrechtzuerhalten und die dafür erforderliche Ausbildung und die erforderlichen Kenntnisse besessen haben muß und erst im Zuge der zunächst gegebenen Erwerbsfähigkeit eine gesundheitliche Verschlechterung eingetreten sein muß. Schließlich läßt sich dieser Schluß, wie die Revisionswerberin zutreffend ausführt, auch aus § 104 Abs 1 Z 2 BSVG ziehen. Danach gilt der Versicherungsfall der dauernden Erwerbsunfähigkeit mit deren Eintritt, wenn aber dieser Zeitpunkt nicht feststellbar ist, mit der Antragstellung als eingetreten. Die Erwerbsunfähigkeit kann aber nur "eintreten", wenn während der versicherten Tätigkeit Erwerbsfähigkeit bestanden hat. Da die Klägerin von vornherein erwerbsunfähig war und nicht durch spätere negative Veränderungen ihres körperlichen und geistigen Zustandes erst außerstande gesetzt wurde, einer geregelten Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen, zu der sie früher in der Lage war, liegt hier nicht der Versicherungsfall geminderter Arbeitsfähigkeit vor. Das Klagebegehren ist daher abzuweisen.
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