OGH 10ObS126/88

OGH10ObS126/886.9.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christian Kleemann (Arbeitgeber) und Dr. Josef Fellner (Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franz D***,

Rachenbach 1, 9852 Trebesing, vertreten durch Dr. Robert Steiner, Rechtsanwalt in Spittal an der Drau, wider die beklagte Partei S*** DER B*** (Landesstelle Kärnten),

Ghegastraße 1, 1031 Wien, vertreten durch Dr. Herbert Macher, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ausgleichszulage, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. Februar 1988, GZ 7 Rs 1139/87-26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Kärnten in Klagenfurt vom 22.Oktober 1986, GZ 13 C 38/86-7 (32 Cgs 131/87 des Landesgerichtes Klagenfurt) abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.829,75 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 257,25 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger steht seit 1.Oktober 1974 im Bezug einer Erwerbsunfähigkeitspension. Im Zeitpunkt der Zuerkennung dieser Leistung war er Eigentümer eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes mit einem Einheitswert (zum 1.Jänner 1971) von 17.000 S. Diesen Betrieb führte der Kläger vorerst weiter und übergab ihn am 4. Mai 1977 seiner Ehegattin Erna D***, die den Betrieb weiterführte. Erna D*** verpachtete den Betrieb am 1.Dezember 1984 an einen Sohn und bezieht seit diesem Zeitpunkt ebenfalls eine Erwerbsunfähigkeitspension. Am 24.März 1986 beantragte der Kläger die Neufeststellung der Ausgleichszulage. Mit Bescheid vom 24.Juni 1986 erkannte die beklagte Partei dem Kläger eine Ausgleichszulage zur Erwerbsunfähigkeitspension im Betrag von 3.416,40 S zu. Bei Berechnung dieser Ausgleichszulage wurde gemäß § 142 Abs 7 BSVG ein Betrag von 785 S als Einkommen des Klägers aus der Übergabe des Betriebes an seine Gattin sowie ein Betrag von 791 S als Einkommen der Ehegattin aus der Verpachtung des Betriebes an den Sohn berücksichtigt.

Der Kläger begehrte die beklagte Partei zur Gewährung der Ausgleichszulage in der gesetzlichen Höhe unter Abstandnahme der Doppelanrechnung des pauschal gemäß § 142 Abs 7 zu ermittelnden Einkommens zu verpflichten.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage; die dem Bescheid zugrundeliegende Berechnung entspreche der gesetzlichen Regelung.

Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers ab. Auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen sei bei der Ermittlung des Familieneinkommens sowohl die Pauschalanrechnung auf Grund der Übergabe des Betriebes durch den Kläger an seine Gattin wie auch die Pauschalanrechnung auf Grund der späteren Verpachtung des Betriebes durch die Gattin des Klägers an den Sohn vorzunehmen. Ausgehend hievon sei die mit dem angefochtenen Bescheid erfolgte Berechnung der Ausgleichszulage zutreffend.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und verpflichtete die beklagte Partei zur Leistung einer Ausgleichszulage im Betrag von 4.201,40 S ab 1.Dezember 1986. Wohl hätte nach dem Wortlaut des Gesetzes die Pauschalanrechnung des Ausgedinges bzw. Pachtschillings nach § 140 Abs 7 BSVG sowohl bei dem nach § 140 Abs 1 BSVG zu berücksichtigenden Nettoeinkommen des pensionsberechtigten Klägers wie auch bei dem nach § 140 Abs 2 BSVG hinzuzurechnenden gesamten Nettoeinkommens seiner Ehegattin zu erfolgen. Zu berücksichtigen sei allerdings, daß der fiktive Ausgedingsanspruch des Klägers sich gegen seine mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebende Ehegattin richte, deren gesamtes Nettoeinkommen bereits der Berechnung des Familieneinkommens zugrundeliege, wobei die Ausgedingsverpflichtung der Gattin des Klägers gegenüber dem Kläger auch nicht als Abzugspost von dem bei ihr pauschal zu berücksichtigenden Einkommen aus der Verpachtung der Liegenschaft berücksichtigt werden könne. Der Ausgedingsanspruch des pensionsberechtigten Klägers gegen seine im gemeinsamen Haushalt lebende Gattin müsse jedoch bei Prüfung des Ausgleichszulagenanspruches unberücksichtigt bleiben, zumal schon das gesamte Nettoeinkommen der Gattin, somit ihre gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, in der ihre Verpflichtung zur Ausgedingsleistung gegenüber ihrem Gatten bereits enthalten sei, bei der Ermittlung des Familieneinkommens nach § 140 Abs 2 BSVG Berücksichtigung finde. Der Gesetzgeber habe bei Schaffung der Bestimmung des § 140 Abs 2, 3 und 7 BSVG offensichtlich nur jene Fälle vor Augen gehabt, in denen sich der fiktive Ausgedingsanspruch, Pachtzinsanspruch usw. gegen einen außenstehenden Dritten richte. Der hier zu beurteilende besonders gelagerte Fall eines solchen Anspruches zwischen Ehegatten, die im gemeinsamen Haushalt leben, sei unberücksichtigt geblieben. Dies stelle eine unechte Lücke dar, die mit Hilfe der allgemeinen Auslegungsregeln zu schließen sei. Bei der gegebenen Lücke erfordere die ratio legis des § 142 Abs 1 lit a BSVG die Erstreckung der Rechtsfolgenanordnung der zitierten Bestimmung auf den gesetzlich nicht unmittelbar geregelten, hier zu beurteilenden Fall, zumal kein sachlicher Grund zu sehen sei, weshalb pauschalierte Unterhaltsansprüche im Sinn des § 142 BSVG und pauschalierte sonstige Ansprüche im Sinn des § 140 Abs 7 BSVG zwischen Ehegatten verschieden behandelt werden sollten. Es habe daher in einschränkender Interpretation des § 140 BSVG die Anrechung des pauschalierten Ausgedinges des pensionsberechtigten Klägers gegen seine Ehegattin, mit der er im gemeinsamen Haushalt lebe, auf sein nach § 140 Abs 1 BSVG zu berücksichtigendes Nettoeinkommen zu unterbleiben.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil in klageabweisendem Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Zutreffend ist das Berufungsgericht zum Ergebnis gelangt, daß aus § 140 Abs 3 BSVG für den Standpunkt des Klägers nichts abgeleitet werden kann. Die Revisionsbeantwortung vertritt den Standpunkt, daß die Leistungspflicht der Ehegattin des Klägers, welche ihre Entsprechung im Ausgedingsanspruch des Klägers finde, bei der Berechnung des Nettoeinkommens und damit des Familieneinkommens gemäß § 140 Abs 3 BSVG als Minus zu berücksichtigen sei; Ausgedingsleistungen der Ehegattin des Klägers stellten einen Verlust im Sinne dieser Gesetzesstelle dar, der das im Hinblick auf die Verpachtung an den Sohn für sie gemäß § 140 Abs 7 BSVG zu berücksichtigende Einkommen vermindere. Es handle sich um einen Aufwand zur Erzielung dieses fiktiven Einkommens und es könnte nur die nach Abzug des gemäß § 140 Abs 7 BSVG aus der Übergabe an sie anzurechnende Einkommen des Klägers - diese Leistung sei von ihr zu erbringen - verbleibende Differenz als ihr Einkommen in Anrechnung gebracht werden. Dem kann nicht gefolgt werden. § 140 Abs 3 BSVG stellt eine allgemeine Norm auf, die nach ihrem Wortlaut (arg. "soweit im folgenden nichts anderes bestimmt") nur dann Platz zu greifen hat, wenn die weiteren Normen Sonderbestimmungen nicht vorsehen. § 140 Abs 5 bis 7 BSVG stellen durch die Anordnung der Anrechnung der dort bestimmten Pauschalbeträge eine solche Sondernorm auf. Liegen die Voraussetzungen dieser Gesetzesstellen vor, so ist die Pauschalanrechnung in der dort normierten Form vorzunehmen, ohne daß besondere, im Einzelfall allenfalls damit verbundene Verbindlichkeiten einkommensmindernd berücksichtigt werden könnten; das Gesetz schließt durch die unbedingte Anordnung der Pauschalanrechnung eine davon abweichende Einkommensermittlung für Einzelfälle aus.

Auch im übrigen ist der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes beizutreten.

Die beklagte Partei führt dagegen ins Treffen, daß der Wortlaut der hier in Betracht kommenden Bestimmung des § 140 BSVG klar sei und für eine mehrfache Anrechnung spreche. Unter diesen Umständen sei die vom Berufungsgericht vorgenommene einschränkende Auslegung nicht zulässig.

Der unbedingte Vorrang der grammatikalischen und der systematisch-logischen Auslegung vor der subjektiv historischen gilt nur, wo allein diese Auslegungskriterien in Frage stehen, wo also die "objektiv-teleologischen" Kriterien keine oder widersprüchliche Ergebnisse liefern. Zur Heranziehung historischen Interpretationsmaterials ist man aber nicht nur herausgefordert, wenn die "Ausdrucksweise" des Gesetzes "zweifelhaft" ist, sondern auch wenn das Gesetz in seinem wörtlichen (nächstliegenden) Verständnis offenbare Wertungswidersprüche in der Rechtsordnung provozieren müßte, mit bestehendem Wertungskonsens innerhalb der Rechtsgemeinschaft unvereinbar oder der "Natur der Sache" zuwider wäre. Gelingt hier der Nachweis einer vom Wortlaut abweichenden "Absicht des Gesetzgebers", so wird diese, unterstützt von den objektiv-teleologischen Argumenten, durchdringen. Daß selbst der eindeutige Gesetzeswortlaut keine unübersteigbare Grenze juristischer Argumentation darstellt, beweist die in § 7 ABGB ausdrücklich angeordnete Analogie, die den Wortlaut des Gesetzes stets hinter sich läßt (Bydlinski in Rummel ABGB Rz 25 zu § 6 ABGB). Als wesentliche Änderung des bis dahin bestehenden Systems der Ausgleichszulage wurde durch die 29.ASVG-Novelle normiert,daß der Anspruch auf Ausgleichszulage nicht mehr vom gesamten Einkommen des Pensionsberechtigten allein, sondern vom Gesamteinkommen des Pensionsberechtigten und seines Ehegatten abhängig sein soll. Es wurde ein Familienrichtsatz geschaffen, der einerseits die Einkommensverhältnisse der Wirtschaftsgemeinschaft berücksichtigt, in der der Pensionsberechtigte lebt, und andererseits eine höhere Leistung vorsieht als nach der zuvor bestandenen Rechtslage (404 BlgNR 13.GP 106). Die Wirtschaftsgemeinschaft von im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten wird als Ganzes gesehen. § 140 Abs 2 BSVG ordnet die Berücksichtigung des gesamten Nettoeinkommens des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten an. Anspruch auf Ausgleichszulage besteht in Fällen, in denen Ehegatten im gemeinsamen Haushalt leben, im Ausmaß der Differenz der Summe der Einkünfte beider Ehegatten, zu dem im § 141 Abs 1 lit a sublit aa BSVG bestimmten Richtsatz. Da auf das Einkommen der einheitlichen Wirtschaftsgemeinschaft abgestellt wird, bleiben in diesen Fällen auch Unterhaltsansprüche zwischen den Ehegatten außer Betracht.

§ 142 Abs 1 BSVG ordnet dementsprechend ebenso wie § 294 ASVG die Anrechnung von Unterhaltsansprüchen zwischen Ehegatten nur an, wenn die Ehegatten nicht im gemeinsamen Haushalt leben. Auf diese Weise wird eine Doppelanrechnung - einerseits des Unterhaltsanspruches beim Einkommen des Pensionsberechtigten, andererseits des Gesamteinkommens des Ehegatten, von dem die Unterhaltsansprüche nach dem Gesetz keine Abzugsposten bilden könnten - vermieden und sichergestellt, daß den Ehegatten insgesamt zumindest ein dem Richtsatz entsprechender Betrag zur Deckung der existentiellen Bedürfnisse zur Verfügung steht. Ähnlich liegt der Fall, wenn ein landwirtschaftlicher Betrieb von einem Ehegatten an den anderen übergeben wird. Dem Ausgedinge kommt, wenn es sich auch als Gegenleistung für die Übergabe eines landwirtschaftlichen Betriebes darstellt, Unterhaltscharakter zu (Binder Probleme der pensionsrechtlichen Ausgleichszulage ZAS 1981, 89 insbes 95 mwN). Betreibt der Ehegatte die Landwirtschaft, so wird sein gemäß § 140 Abs 5 BSVG zu ermittelndes Einkommen bei Prüfung des Ausgleichszulagenanspruches berücksichtigt. Gibt er die Liegenschaft weiter oder löst er den landwirtchaftlichen Betrieb auf, so ist der gemäß § 140 Abs 7 BSVG zu ermittelnde Betrag in Anschlag zu bringen. Der Gesetzgeber geht davon aus, daß aus der Übergabe, Verpachtung, Aufgabe etc. eines landwirtschaftlichen Betriebes ein Einkommen erzielt werden kann, das dem im § 140 Abs 7 BSVG festgesetzten Pauschalbetrag entspricht. Dieses Einkommen fließt der Wirtschaftsgemeinschaft der Ehegatten jedoch nur einmal zu, mögen auch zwei Übertragungsakte hintereinander - vorerst an den Ehegatten und von diesem im weiteren an einen Dritten - stattgefunden haben. Eine am Wortlaut des Gesetzes haftende Interpretation würde - worauf das Berufungsgericht zutreffend verwiesen hat - zu dem nicht vertretbaren Ergebnis führen, daß die Anrechnung doppelt zu erfolgen hätte, obwohl der Gesetzgeber offenbar davon ausgeht, daß aus der Übergabe des Betriebes insgesamt nur das im § 140 Abs 7 BSVG bestimmte Einkommen erzielbar ist. Eine andere Absicht kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden. Zweck der durch die 29. ASVG-Novelle getroffenen Neuregelung war die Schaffung des Familienrichtsatzes; es sollte sichergestellt werden, daß Ehegatten über den im § 141 Abs 1 lit a sublitt aa BSVG normierten Familienrichtsatz als Minimum zur Lebensführung verfügen. Bei der von der beklagten Partei vertretenen Auffassung wäre dies nicht gewährleistet. Es kann jedenfalls davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber Ausgedingsansprüche, die - wie dargestellt - vom Unterhaltscharakter geprägt sind, zwischen Ehegatten nicht anders behandeln wollte, als auf Gesetz beruhende Unterhaltsansprüche. Ein anderes Ergebnis würde zu einem Wertungswiderspruch führen, der mit dem vom Gesetz verfolgten Zweck nicht vereinbar wäre. Es ist daher der für Unterhaltsansprüche positivierte Grundgedanke der gesetzlichen Regelung analog auch auf Fälle anzuwenden, in denen die Übertragung eines landwirtschaftlichen Betriebes zwischen Ehegatten erfolgt, die im gemeinsamen Haushalt leben. Auch in diesen Fällen hat eine Pauschalanrechnung (hier von Ausgedingsleistungen) nicht zu erfolgen, bei Ermittlung des Ausgleichszulagenanspruches ist vielmehr nur das gemäß § 140 Abs 5 bzw. § 140 Abs 7 BSVG pauschal in Anschlag zu bringende Einkommen des Ehegatten zugrundezulegen. Eine Anrechnung des Ausgedingsanspruches des Klägers gegenüber seiner im gemeinsamen Haushalt lebenden Gattin hat daher zu unterbleiben. Der Revision mußte daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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